Title: Meyers Konversationslexikon Band 15
Author: Various
Release Date: November 1, 2003 [EBook #10223]
Language: German
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Stübchen - Stuck
Stübchen, altes Flüssigkeitsmaß im nördlichen und westlichen Deutschland, in Hamburg = 3,62 Lit., in Hannover = 3,89 L., in Bremen = 3,22 L.
Stuben (ungar. Stubnya), höchst gelegener ungar. Badeort im Komitat Turocz, Eigentum der nahen Stadt Kremnitz, mit alkalisch-salinischen, bei Rheuma, Gicht und Hautkrankheiten wirksamen Thermen von 46,5° C. S. ist Station der Ungarischen Staatsbahn.
Stubenarrest, s. Arrest.
Stubenfliege, s. Fliegen, S. 373.
Stubensandstein, s. Triasformation.
Stubenvögel (Käfigvögel, hierzu Tafel "Ausländische Stubenvögel"). Die Liebhaberei für S. ist uralt. In Indien, Japan und China richtet man schon seit Jahrtausenden kleine Vögel zu Kampfspielen ab. Alexander d. Gr. brachte den ersten Papagei von seinem Zug aus Asien mit, und auch später haben bei Eroberungen und Entdeckungen prächtige Schmuckvögel die Triumphzüge der Heimkehrenden verherrlichen müssen. Aus Amerika, wo die Peruaner seit alten Zeiten Papageien zähmten, brachte Kolumbus diese Vögel nach Europa. In Deutschland fanden der Fink und der Dompfaff in manchen Landstrichen, wie in Tirol, im Harz und in Thüringen, begeisterte Freunde, und dem Vogelmarkt, der sich in manchen Städten, wie namentlich in Berlin, außerordentlich entwickelte, verdankt auch die Wissenschaft manche Bereicherung. Viel größere Verbreitung als irgend ein heimischer Vogel fand aber der Kanarienvogel, dem sich seit dem Beginn des vorigen Jahrhunderts andre überseeische Sing- und Schmuckvögel anschlossen. Schon 1790 gab Vieillot ein besonderes Werk über dieselben heraus. Zu Bechsteins Zeit wurden 72 Arten fremdländischer Vögel nach Deutschland eingeführt, und 1858 gab Bolle ein Verzeichnis von 51 Arten. Zehn Jahre später nahm aber diese Liebhaberei einen ganz außerordentlichen Aufschwung, und wenn damals die Zahl der eingeführten Arten auf 250 veranschlagt werden konnte, so hat sich dieselbe bis 1878 auf nahezu 700 gesteigert. Neben den Singvögeln, wie Spottdrossel und andre Drosseln, Grasmücken, Finken, Starvögel, Bülbüls etc., spielen gegenwärtig besonders die Prachtfinken (Astrilds und Amadinen), Witwenvögel (Widafinken), Weber, Reisvogel, Tangaren, Sonnenvogel, Dominikanerfink, Kardinal und Papageien die größte Rolle und erregen ein besonderes Interesse dadurch, daß sie in der Gefangenschaft leicht zur Brut schreiten. Die Tafel zeigt eine Auswahl der beliebtesten ausländischen S. Man züchtet sie vielfach in sogen. Vogelstuben oder Heckkäfigen, und der Handel mit den bei uns gezüchteten fremdländischen Vögeln erreicht bereits einen namhaften Betrag. Trotz der großen Mannigfaltigkeit der fremdländischen sind aber auch die einheimischen Vögel noch immer ein bedeutsamer Gegenstand der Liebhaberei. Sprosser, Nachtigall, Schwarzplättchen, von Südeuropa her Stein- und Blaudrossel sind von großer Wichtigkeit für den Vogelhandel, dann nicht minder verschiedene Grasmücken, Rot- und Blaukehlchen, Meisen, Drosseln, Hänfling, Stieglitz, Edelfink, Gimpel u. a. m., welche auch zugleich zahlreich nach Nordamerika und andern Weltteilen ausgeführt werden. Neuerdings züchtet man auch vielfach einheimische Finken und selbst Insektenfresser in Volieren und Vogelstuben. - Was die Gesundheitszeichen aller S. betrifft, so ist darüber folgendes zu sagen: jeder Vogel muß munter und frisch aussehen, natürliche Lebhaftigkeit, glatt anliegendes, am Unterleib nicht beschmutztes Gefieder, nicht trübe oder matte Augen, nicht verklebte oder schmutzige Nasenlöcher, keinen spitz hervortretenden Brustknochen haben; er darf nicht traurig, struppig oder aufgebläht dasitzen und nicht kurzatmig sein; abgestoßenes Gefieder, fehlender Schwanz und beschmutzte Federn bergen nicht immer Gefahr, doch muß bei Wurmvögeln dann wenigstens ein voller Körper vorhanden sein. Die Fütterung soll der Ernährung im Freileben gleichen, und daher lassen sich keine allgemein gültigen Regeln geben. Die hauptsächlichsten Futtermittel für alle Körnerfresser sind Hanf, Kanariensame, Hirse, Hafer u. a. m., für die Insektenfresser: frische oder getrocknete Ameisenpuppen, Mehlwürmer, Eierbrot, Eikonserve u. dgl. wie auch süße Beeren und andre Früchte. Unentbehrlich sind auch Kalk (Sepia, wohl auch Mörtel von alten Wänden) und sauberer, trockner Stubensand. Reinlichkeit, sorgfältige Bewahrung vor Zugluft, Nässe, schnellem Temperaturwechsel, plötzlichem Erschrecken und Beängstigen sind die hauptsächlichsten Hilfsmittel zur Erhaltung der Gesundheit für alle S. Vgl. die Schriften von Ruß (s. d.); Friderich, Naturgeschichte der deutschen Zimmer-, Haus- und Jagdvögel (3. Aufl., Stuttg. 1876); Reichenbach, Die Singvögel (als Fortsetzung der "Vollständigsten Naturgeschichte"); Gebr. Müller, Gefangenleben der besten einheimischen Singvögel (Leipz. 1871); Lenz, Naturgeschichte der Vögel (5. Aufl., Gotha 1875); A. E. Brehm, Gefangene Vögel (Leipz. 1872-75, 2 Bde.); Chr. L. Brehms "Vogelhaus", neubearbeitet von Martin (3. Aufl. , Weim. 1872), und die Zeitschrift "Die gefiederte Welt" (hrsg. von Ruß, Berl., seit 1872).
Stüber (holländ. Stuiver), frühere Scheidemünze in den Niederlanden (20 S. = 1 Gulden); in Ostfriesland etc. (72 S. = 1 preußischen Thaler); auch alte schwedische Silbermünze, s. v. w. Ör (s. d.).
Stubica, Badeort im kroatisch-slawon. Komitat Agram, 8 km von Krapina-Teplitz, mit vielen indifferenten Thermen von 58,7° C.
Stuck (ital. stucco), Mischung von Gips, Kalk und Sand, welche in der Baukunst sowohl zum Überzug der Wände als zur Verfertigung der Gesimse und Reliefverzierungen dient. Man unterscheidet je nach der Zubereitung: Weißstuck, Kalkstuck, Graustuck, Glanzstuck (ital. stucco lustro), Leinölstuck. Schon die alten Griechen wandten eine Art S. als Überzug bei nicht in Marmor aufgeführten Bauten an. Die eigentliche Stuckaturarbeit zur Verzierung hieß bei den Römern Opus albarium oder coronarium und ward von ihnen vielfach an Decken und Wänden, meist bemalt oder vergoldet, angewandt. Nachdem die Kunst lange in Vergessenheit geraten war, soll sie zuerst von Margaritone um 1300 von neuem erfunden worden sein. Vervollkommt ward dieselbe namentlich durch den Maler Nanni von Udine zur Zeit Raffaels, wie die nach diesem benannten Logen im Vatikan zeigen. Recht in Aufnahme kam aber die Stuckaturarbeit in Deutschland und anderwärts erst mit dem Rokokostil zu Anfang des 18. Jahrh. Zur Stuckaturarbeit muß das feinste Material angewandt werden. Die Masse wird in weichem Zustand aufgetragen und erst, wenn sie etwas hart und zäh geworden, mit den Fingern und dem Bossiereisen in beliebige Formen gebracht. Gute Stuckaturarbeit trotzt jeder Witterung. Eine Art S. ist auch der sogen. Gips- oder Stuckmarmor, mit welchem man Säulen etc. bekleidet, um ihnen ein marmorartiges Ansehen zu geben. Vgl. Heusinger v. Waldegg, Der Gipsbrenner (Leipz. 1863); Fink, Der Tüncher, Stuckator etc. (das. 1866).
Meyers Konv.- Lexikon, 4. Aufl., xv. Bd.
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AUSLÄNDISCHE STUBENVÖGEL.
1. Helenafascäuclxen (Habropyga. Astrild).-
2. Grauer Astrild ( Habropyga cinerea). -
3. Tigerfink (Pytelia ampdava).-
4. Zebrafink ( Zonaeginthus casta.notis) (1-4 Ait.^4strU<fj). ~
5. Bandvogel (Spermestes fasciai-a).-
6. Erz amadme, Meines Eisterchen (Spermestes cucullata) (5,6 ATI . ^tmacUnen,). -
7. Schwarzköpfiger Webervoge| (HyphAntornis toxtor) (Art. Webervögel]. -
8. Paradieswitwe (Vidua paradisea) (Art. wwwanmS/Ä). -
9. Beisvogel (Padda oryzivora) (Art. Retevogel}. -
10. Tangara ('Rhamphocehis Tyrasiliensis) (Art. Tan#aren). -
11. Socopvogel (I,eiofhrix Juteus) (Art. SomunvoffA) -
12. Dominikanerfink (Paroraria dominicana)..-
13. Kardinal,
virginische Nachtigall (Cardinalii viriniatius ) ( 12, 13 Aj-t.Kas°£isi<tf)•
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Stück - Studieren.
Stück, s. v. w. Geschütz.
Stuckatur, s. Stuck.
Stücke in Esther, s. Esther.
Stückelalgen, s. v. w. Diatomaceen, s. Algen, S. 343.
Stückelberg, Ernst, Maler, geb. 22. Febr. 1831 zu Basel, ging 1850 auf die Antwerpener Akademie, von da nach Paris, 1854 nach München, 1856 nach Italien, wo er ein Jahrzehnt blieb, und ließ sich dann in Basel nieder. Von seinen poetisch empfundenen und zart gemalten Bildern sind die hervorragendsten: Prozession im Sabinergebirge (1859-60, Museum zu Basel); Kirchgang aus "Faust" (1865); der Kindergottesdienst, Marionetten, Jugendliebe (Museum in Köln); Echo und Narkissos, als Pendants; Zigeuner an der Birs; der Eremit von Maranno; das helvetische Siegesopfer. 1877 malte er ein großes Fresko: Erwachen der Kunst, in der Kunsthalle zu Basel, und im selben Jahr erhielt er den ersten Preis für Entwürfe zu Fresken der neuen Tell-Kapelle am Vierwaldstätter See, welche er bis 1887 ausführte.
Stückelung (franz. coupure), im Münzwesen und bei Wertpapieren die Festsetzung der Teilmünzen und der Appoints (s. d.).
Stückfaß, Gebinde Wein, in Frankfurt a. M. = 8 ¼ Ohm, in Leipzig = 4, in Nürnberg = 15 bis 15 ½ Eimer Visiermaß. Das dänische Stykfad à 5 Oxhoft = 11,231 hl.
Stückgießerei, s. v. w. Geschützgießerei (s. d.).
Stückgut, Bronze zu Geschützen.
Stückgüter (auch zählende Güter), Waren, welche nach der Zahl (Groß, Dutzend, Schock, Ballen etc.) angegeben werden, beim Eisenbahn- und Wassertransport diejenigen, welche nicht in ganzen Wagen- oder Schiffsladungen, sondern als besondere Frachtstücke oder Kolli (s. d.) aufgegeben werden. Vgl. Eisenbahntarife.
Stückjunker, im 17. und 18. Jahrh. Name des Fähnrichs bei der Artillerie.
Stückkugel, s. Geschoß, S. 213.
Stücklohn, s. Arbeitslohn, S. 759.
Stuckmarmor, s. Gips, S. 357.
Stückzahlung, s. v. w. Abschlagszahlung.
Stückzinsen, bei Wertpapieren derjenige Teil vom Betrag des nächstfälligen Zinskoupons, welcher auf die seit dem letzten Zinstermin verflossene Zeit entfällt.
Stud., Abkürzung für Studiosus, Student; z. B. Stud. arch. nav., für St. architecturae navalis, Studierender des Schiffbaues (an technischen Hochschulen); Stud. phil., Studierender der Philosophie; Stud. philol., Studierender der Philologie; Stud. rer. nat., für St. rerum naturalium, Studierender der Naturwissenschaften.
Stud., bei naturwissenschaftl. Namen Abkürzung für B. Studer (s.d.).
Stud-book (engl., spr. stodd-buck), "Gestütbuch", das Verzeichnis der in einem Land vorhandenen Vollbluttiere nebst deren Pedigree (s. d.).
Studemund, Wilhelm, namhafter Philolog, geb. 3. Juli 1843 zu Stettin, studierte 1860-63 in Berlin und Halle, hielt sich 1864-66 zu wissenschaftlichen Zwecken in Italien auf und fertigte besonders eine Abschrift des berühmten Mailänder Palimpsestes des Plautus, privatisierte dann in Halle, verglich 1867 bis 1868 in Verona auf Anregung der Berliner Akademie das Palimpsest des Gajus, wurde 1868 außerordentlicher und 1869 ordentlicher Professor der Philologie in Würzburg, 1870 in Greifswald und 1872 in Straßburg, wo er auch die Leitung des philologischen Seminars übernahm. Seit 1885 als ordentlicher Professor und Mitdirektor des philologischen Seminars an der Universität Breslau wirkend und 1889 zum Geheimen Regierungsrat ernannt, starb er daselbst 9. Aug. 1889. S. ist hochverdient um die lateinische Paläographie und die Kritik des Plautus sowie um die griechischen Musiker und Metriker. Er veröffentlichte: "De canticis Plautinis" (Inauguraldissertation, Berl. 1864), "Studien auf dem Gebiet des archaischen Lateins" (Bd. 1, das. 1873), "Analecta Liviana" (mit Th. Mommsen, Leipz. 1873), "Gaji institutionum codicis Veronensis apographum" (das. 1874), eine Handausgabe des Gajus (mit P. Krüger; 2. Aufl., Berl. 1884), "Anecdota varia graeca musica, metrica, grammatica" (das. 1886) und zahlreiche Abhandlungen, besonders zu Plautus, von dessen "Vidularia" er auch eine Ausgabe besorgte (Greifsw. 1870, 2. Aufl. 1883).
Student (lat.), s. Studieren.
Studer, Bernhard, Geolog, geb. 21. Aug. 1794 zu Büren im Kanton Bern, studierte anfangs in Bern Theologie, wandte sich aber mathematischen und naturwissenschaftlichen Studien zu und wurde 1815 Lehrer am Gymnasium zu Bern, studierte dann in Göttingen und Paris Geologie und Astronomie, begleitete Leopold v. Buch auf mehreren Alpenreisen und widmete sich seitdem hauptsächlich der Erforschung der Alpen. 1825 erhielt er die für ihn errichtete Professur der Geologie in Bern, die er bis 1873 innehatte. Er starb 2. Mai 1887 in Bern. Von seinen Schriften sind zu nennen: "Monographie der Molasse" (Bern 1825); "Geologie der westlichen Schweizeralpen" (Heidelb. 1834); "Anfangsgründe der mathematischen Geographie" (2. Aufl., Bern 1842); "Die Gebirgsmasse von Davos" (das. 1837); "Lehrbuch der physikalischen Geographie und Geologie" (das. 1844-47, 2 Bde.); "Hauteurs barometriques prises dans le Piémont, en Valois et en Savoie" (mit Escher von der Linth, das. 1843); "Geologie der Schweiz" (das. 1851-53, 2 Bde.); "Einleitung in das Studium der Physik und Elemente der Mechanik" (das. 1859); "Geschichte der physischen Geographie der Schweiz" (Zürich 1863); "Über den Ursprung der Schweizer Seen" (Genf 1864); "Zur Geologie der Berner Alpen" (Stuttg. 1866); "Index der Petrographie und Stratigraphie der Schweiz" (Bern 1872); "Gneis und Granit der Alpen" (Berl. 1873). Auch bearbeitete er mit Escher von der Linth die treffliche "Carte géologique de la Suisse" (Winterth. 1853, 2. Aufl. 1870, in 4 Blättern) und eine Übersichtskarte in 1 Blatt. In den letzten Jahren widmete er sich besonders der auf seine Anregung von der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft beschlossenen Herausgabe von "Beiträgen zu einer geologischen Karte der Schweiz" und der geologischen Kolorierung der großen Schweizerkarte von Dufour. 1885 legte er das Präsidium der schweizerischen geologischen Kommission nieder. - Sein Vetter Gottlieb S., geb. 1804 zu Bern, lebt als Bibliothekar daselbst und ist bekannt als Mitbegründer des Schweizer Alpenklubs und durch die wertvollen Schriften: "Berg- und Gletscherfahrten" (mit Ulrich und Weilenmann, Zürich 1859-63, 2 Bde.); "Über Eis und Schnee. Die höchsten Gipfel der Schweiz und die Geschichte ihrer Besteigung" (Bern 1869-83, 4 Bde.).
Studie (v. lat. studium), Übungsstück, Vorarbeit zu einem Kunstwerk, besonders in der Malerei etc.
Studienanstalten, in Bayern amtliche Bezeichnung der Gymnasien; s. Gymnasium, S. 962.
Studieren (lat.), wissenschaftlich forschen, etwas wissenschaftlich betreiben; zu diesem Zweck eine Hochschule besuchen. Student, Studiosus, ein Stu-
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Studio - Stuhlzwang.
dierender, besonders auf einer Hochschule (vgl. Universitäten).
Studio (Bruder S.), scherzhaft für Studiosus, Student.
Studium (lat., Mehrzahl: Studien), wissenschaftliche Forschung sowie der Gegenstand derselben; auch Werkstätte eines bildenden Künstlers (ital. studio). Als akademisches S. pflegt man die Bildungszeit zu bezeichnen, die jemand auf der Universität zubringt.
Studjianka, Dorf, s. Borissow.
Studley Royal (spr. stoddli reu-el), s. Ripon.
Stuer, Lehngut in Mecklenburg-Schwerin, am Plauer See, hat eine evang. Kirche, eine Burgruine, eine besuchte Wasserheilanstalt und (1885) 173 Einw.
Stuerbout (spr. stührbaut), Maler, s. Bouts.
Stufe, ein Stück Gestein oder Erz; Fundstufe, am Fundort von dem gefundenen Mineral genommene Probe; auch ein vom Markscheider oder einem Bergbeamten in das Gestein eingehauenes Merk- oder Grenzzeichen.
Stufenerz, s. v. w. Stuferz.
Stufengebete (Staffelngebete) heißen die Gebete, welche am Anfang der Messe von dem Celebranten und dem Altardiener auf der untersten Stufe des Altars gesungen werden.
Stufenjahre, s. Klimakterische Jahre.
Stufenlieder, s. Psalmen.
Stufenscheibe, s. Riemenräderwerke.
Stufenschnitt, in der Heraldik, s. Heroldsfiguren.
Stuferz (Stufferz), derbes Erz; edle Stuferze, reine gediegene Erzstücke, welche keiner Aufbereitung auf Pochwerken etc. bedürfen.
Stuhl, früher Bezeichnung gewisser hoher Gerichtsbarkeiten, z. B. Schöppenstuhl; in Siebenbürgen früher s. v. w. Gerichtsbezirk (daher Stuhlrichter etc.).
Stühle. Über die S. der Alten s. Sella. Im frühern Mittelalter kommt der Stuhl noch selten vor und dann nur als Thronstuhl für hohe Würdenträger oder als Ehrensitz für das Familienhaupt. Die übrigen Familienmitglieder setzten sich auf Schemel, Bänke, Truhen, Klappstühle, Sessel. Am Ende des 11. Jahrh. findet man Schemel mit Rückenlehnen im täglichen Gebrauch, doch immer nur noch bei Vornehmen. Im 13. Jahrh. wird die Sitzplatte sechs- bis achteckig, und das Gerät hat die entsprechende gleiche Zahl von Beinen oder Stützen; für den Richterstuhl besteht aus jener Zeit die Vorschrift, daß er vierbeinig sein soll. Ebenfalls im 13. Jahrh. fertigte man auch schon S. aus dünnen Eisenstäben, deren Sitze aus Riemen oder Gurten bereitet und mit Kissen belegt wurden. Sehr kostbar waren und blieben das ganze Mittelalter hindurch die byzantinischen und römischen Prachtstühle, die besonders hohe und mit Schnitzereien gezierte Rücklehnen sowie geschweifte oder gedrechselte Säulen und Füße hatten. Ein solcher Prachtstuhl, der in der Regel mit einem gestickten oder gewirkten Überzug bedeckt war, stand nie frei, sondern meist vor der Mitte einer Wand.
Stuhlfeier Petri, s. Petri Stuhlfeier.
Stuhlgericht, s. v. w. Femgericht.
Stuhlherr (Gerichtsherr), bei den frühern Patrimonialgerichten der Inhaber der Patrimonialgerichtsbarkeit (s. d.); bei den Femgerichten (s. d.) des Mittelalters der Inhaber des sogen. Freistuhls und der Patronatsherr des Gerichts.
Stühlingen, Stadt im bad. Kreis Waldshut, an der Wutach und der Linie Oberlauchringen-Weizen der Badischen Staatsbahn, 501 m ü. M., Hauptstadt der dem Fürsten von Fürstenberg gehörigen gleichnamigen Standesherrschaft, hat ein Bergschloß (Hohenlupfen), ein Hauptzollamt, eine Bezirksforstei, Baumwollzwirnerei, Gerberei, eine Kunstmühle und (1885) 1244 Einw. 1849 wurden hier römische Mauern mit Mosaikboden gefunden.
Stuhlrohr, s. v. w. Spanisches Rohr.
Stuhlverstopfuug (Obstruktion), Hemmung der normalen Darmentleerung. Die S. ist keine selbständige Krankheit, sondern nur das Symptom einer solchen und begleitet eine große Zahl von Darmleiden. Entweder hat die S. ihre Ursache darin, daß an irgend einer Stelle des Darmrohrs eine Verengerung, Einklemmung oder Verschlingung eingetreten ist, welche mechanisch das Hineingelangen des Inhalts in den Mastdarm und seine Entleerung hindert, oder es liegt bei freier Wegsamkeit eine mehr oder weniger vollständige Lähmung der Darmbewegung (Peristaltik) dem Übel zu Grunde. Eine solche Trägheit in der wurmförmigen Zusammenziehung kann künstlich durch sogen. stopfende Mittel, Tannin und besonders Opium, hervorgerufen werden; gemeiniglich ist sie eine Folge vorausgegangener abnorm lebhafter Bewegungen, wie sie bei Darmkatarrhen, Darmentzündungen, choleraähnlichen Durchfällen oder beim Typhus vorkommen; zuweilen ist die üble Angewohnheit der seltenen Stuhlentleerung schuld an der S., in noch andern Fällen mag eine organische Erkrankung des Nervenapparats, welcher in der Darmwand selbst liegt, die Ursache der sogen. habituellen S. (Hartleibigkeit) sein. Die leichtern Grade der S., welche ungemein häufig nach kleinen Diätfehlern auftreten, weichen der Anwendung milder Abführmittel, wie Rizinusöl, Senna, oder dem Gebrauch einiger Gläser Bitterwasser. Die hartnäckigen Fälle erfordern eine sorgfältige Behandlung des ursachlichen Darmleidens; bei habitueller S. ist die Diät zu regeln, für Bewegung und Erhaltung eines guten Allgemeinbefindens zu sorgen und bei bestehender hypochondrischer Verstimmung künstlich durch milde Arzneien vollständige und tägliche Öffnung des Leibes zu schaffen.
Stuhlweißenburg (ungar. Szekesfehervar, lat. Alba regia), königliche Freistadt im ungar. Komitat Weißenburg und Knotenpunkt der Süd- und Ungarischen Westbahn, hat einen Dom, unter dem außer alten Königsgräbern auch die Basilika Stephans des Heiligen gefunden wurde, eine bischöfliche Residenz mit Bibliothek, 3 Klöster, eine schöne Seminarkirche, ein neues Theater, eine große Honvedkaserne, ein Denkmal des Dichters Vörösmarty (von Vay) und (1881) 25,612 Einw., die lebhaften Handel (bedeutend sind die Pferdemärkte) und Gewerbe treiben. S. hat ein katholisches Obergymnasium, ein Priesterseminar, eine Real- und eine Handelsschule, ein Militärhengstedepot und ist Sitz des Komitats, eines römisch-katholischen Bischofs, Domkapitels und Gerichtshofs. - Von Stephan dem Heiligen zur Krönungsstadt erhoben, war S. seitdem meist Residenz und Begräbnisstätte der ungarischen Könige, bis erstere zur Zeit des Königs Bela IV. nach Ofen verlegt wurde. 1543 fiel die Stadt den Türken durch Kapitulation in die Hände. Infolge der hier 3. Nov. 1593 und 6. Sept. 1601 von den Kaiserlichen über die Türken erfochtenen Siege kam die Stadt wieder in den Besitz der erstern, aber schon 1602 durch Meuterei der Besatzung von neuem in die Gewalt der Türken, welche sie erst 1688 verließen.
Stuhlwinde, s. Aufzüge, S. 70.
Stuhlzeug, Roßhaargewebe zum Beziehen von Möbeln.
Stuhlzwang (Tenesmus), das schmerzhafte Drängen zum Stuhl, wobei aber nur geringe Kotmassen
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Stuhm - Stumpfsinn.
entleert werden, oder welches auch gänzlich erfolglos bleibt. Der S. beruht auf krampfhafter Zusammenziehung der Muskulatur des Dickdarms und des Afterschließmuskels und ist konstantes Symptom der Dickdarmentzündungen bei Katarrhen, namentlich des Mastdarms, bei Reizungen durch Würmer und vornehmlich bei Ruhr, Typhus etc. Der S. hört mit erfolgtem Stuhl auf, oder dauert noch eine Weile fort; er kann ein äußerst quälendes Symptom darstellen.
Stuhm, Kreisstadt im preuß. Regierungsbezirk Marienwerder, an zwei Seen und an der Linie Thorn-Marienburg der Preußischen Staatsbahn, hat eine evangelische und eine kath. Kirche, ein altes Schloß, Amtsgericht, Pferdemärkte und (1885) 2238 Einw.
Stuhmsdorf, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Marienwerder, Kreis Stuhm, hat eine kath. Kirche und 602 Einw. Hier wurde 12. Sept. 1635 unter französischer Vermittelung ein Waffenstillstand auf 26 Jahre zwischen Schweden und Polen geschlossen.
Stuhr, Peter Feddersen, Geschichtsforscher, geb. 28. Mai 1787 zu Flensburg, ließ sich nach beendetem akademischen Studium 1810 in Heidelberg nieder und machte sich durch seine Polemik gegen Niebuhr in der Schrift "Über den Untergang der Naturstaaten" (Berl. 1817) bekannt. Nachdem er den Feldzug von 1813 in der hanseatischen Legion und den von 1815 in der preußischen Landwehr, dann im 6. Ulanenregiment mitgemacht, erhielt er eine Anstellung als Sekretär bei der Militärstudienkommission in Berlin und 1826 eine außerordentliche Professur daselbst. Er starb 13. März 1851 in Berlin. Von seinen Arbeiten sind noch hervorzuheben: "Die Staaten des Altertums und die christliche Zeit in ihrem Gegensatz" (Heidelb. 1811); "Die Religionssysteme der heidnischen Völker des Orients" (Berl. 1836) und der Hellenen" (das. 1838); "Die drei letzten Feldzüge gegen Napoleon" (Lemgo 1832, Bd. 1); "Der Siebenjährige Krieg" (das. 1834); "Geschichte der See- und Kolonialmacht des Großen Kurfürsten" (Berl. 1839); "Forschungen und Erläuterungen über Hauptpunkte der Geschichte des Siebenjährigen Kriegs" (Hamb. 1842, 2 Bde.).
Stuiben, Berg in den Algäuer Alpen, südwestlich von Immenstadt, 1764 m hoch, mit Wirtshaus.
Stuifen, Bergkegel an der Nordwestseite des Albuch (Schwäbischer Jura) im württembergischen Jagstkreis, erreicht 756 m Höhe.
Stuiver, Münze, s. Stüber.
Stüler, Friedrich August, Architekt, geb. 28. Jan. 1800 zu Mühlhausen in Thüringen, bildete sich zu Berlin nach Schinkel, bereiste 1829 und 1830 Frankreich und Italien, ward Hofbauinspektor und 1832 Hofbaurat und Direktor der Schloßbaukommission. Unter Friedrich Wilhelm IV. eröffnete sich ihm ein bedeutender Wirkungskreis. Außer den "Vorlegeblättern für Möbeltischler" , welche er mit Strack in 4 Heften (1835 ff.) herausgab, sind unter seinen architektonischen Entwürfen die im "Album des Preußischen Architektenvereins" (Potsd. 1837 ff.) erschienenen hervorzuheben, ferner die zu dem neuen Rathaus in Perleberg, zum Wiederaufbau des Winterpalais in Petersburg, zu den Schloßbauten in Boitzenburg, Basedow, Arendsee, Dalwitz und zu der katholischen Kirche in Rheda. Seine bedeutendste Schöpfung ist das Neue Museum in Berlin. Auch der Kuppelbau auf dem Triumphbogen des Hauptportals des königlichen Schlosses ist sein Werk. Andre Bauten von ihm sind: die Alte Börse zu Frankfurt a. M. (1844), die Matthäus-, Jacobus-, Markus- und Bartholomäuskirche in Berlin, mehrere Prachtanlagen im Park von Sanssouci, die Nikolaikirche zu Potsdam, die Vollendung des großherzoglichen Schlosses zu Schwerin, die Universität zu Königsberg, das Nationalmuseum zu Stockholm, die Akademie zu Pest. Endlich lieferte er eine Menge dekorativer Zeichnungen für Gußwerke, Porzellangefäße, Silberarbeiten etc. S. starb 18. März 1865 in Berlin.
Stultitia (lat.), Thorheit; Stultus, Thor.
Stumm, Karl Ferdinand, Freiherr von, Industrieller, geb. 30. März 1836 zu Saarbrücken, besuchte die Universitäten Bonn und Berlin und übernahm sodann die Leitung der von seinem Vater gegründeten großen Eisenhüttenwerke in Neunkirchen. 1870/71 führte er als Rittmeister der Landwehr eine Ulanenschwadron; auch erhielt er von der Regierung den Titel eines Geheimen Kommerzienrats. Er wurde 1867 gleichzeitig in das preußische Abgeordnetenhaus und den Reichstag gewählt und gehörte dem erstern bis 1870, dem andern bis 1881 und wieder seit 1889 an. 1882 wurde er zum Mitglied des Herrenhauses ernannt und 1888 in den Freiherrenstand erhoben. Mitglied der deutschen Reichspartei, unterstützte er namentlich die wirtschaftlichen Reformen Bismarcks, sowohl die schutzzöllnerische Tarifreform von 1879 als die Maßregeln für den Schutz des Handwerks und der Arbeiter. Sein Bruder Ferdinand, Freiherr von S., geb. 1843 zu Neunkirchen, machte als Offizier die Feldzüge gegen Dänemark (1864) u. Österreich (1866) mit, nahm 1868 am Feldzug der Engländer gegen Abessinien teil, trat 1869 zur diplomatischen Laufbahn über, kämpfte aber 1870/71 im Kriege gegen Frankreich und ward 1883 zum Gesandten in Darmstadt, 1885 in Kopenhagen, 1887 in Madrid ernannt. 1888 ward er Botschafter des Deutschen Reichs in Madrid und in den Freiherrenstand erhoben.
Stummelaffe (Colobus Illig.), Gattung aus der Familie der Schmalnasen (Catarrhini) und der Unterfamilie der Hundsaffen, stehen den Schlankaffen (s. d.) sehr nahe, haben aber an den Vorderhänden nur Daumenrudimente; ihr Leib ist schlank, die Schnauze kurz, der Schwanz sehr lang; sie besitzen Gesäßschwielen, aber keine Backentaschen. Die Guereza (C. Guereza Rüpp.), 65 cm lang, mit 70 cm langem Schwanz, ist schwarz mit silbergrauer Kehle und Stirnbinde und grauer Seitenmähne u. Schwanzquaste; er bewohnt Abessinien, lebt fast nur auf Bäumen, ist höchst behende, durchaus harmlos und nährt sich von Blättern, Früchten und Insekten. Zu derselben Gattung gehören der Bärenstummelaffe (C. ursinus Wagn.), in Westafrika, und der Teufelsaffe(C. Satanas Wagn.), auf Fernando Po.
Stumme Rollen, im Theaterwesen Rollen, in welchen der Schauspieler nicht spricht oder singt, sondern sich einzig und allein durch die Gebärdensprache zu verstehen gibt (z. B. in der "Stummen von Portici").
Stummheit, das Unvermögen, artikulierte Laute hervorzubringen, zeigt sich bei Krankheiten des Gehirns (Schlagfluß, Epilepsie etc.) und der Sprachwerkzeuge, auch bei Taubheit (Taubstummheit).
Stumpf, s. Juxtabuch.
Stumpfsinn (Stupor), ein Seelenzustand, bei welchem alle Thätigkeit des Gehirns daniederliegt. Teils als selbständige Geisteskrankheit, teils als Teilerscheinung mannigfacher Symptomenkomplexe (Melancholie, paralytische Geistesstörung) aufgefaßt, stellt der S. den höchsten Grad des Schwachsinns dar, welcher durch die gänzliche Aufhebung aller willkürlichen psychischen wie motorischen Äußerungen charakterisiert ist. Man sieht diese Kranken im Zustand völliger Geistesabwesenheit und Regungslosigkeit durch Tage und Wo-
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Stunde - Sturdza.
chen verharren; keine Frage wird beantwortet, kein äußerer Eindruck kommt zum Bewußtsein, das Gefühl gegen Frost und Hitze, gegen Schmerzen und andere Sinneseindrücke ist verloren. Der Harn u. Speichel fließen unwillkürlich ab, die Kranken verunreinigen sich, sie müssen künstlich ernährt werden, da sie sonst verhungern oder verdursten würden. Zuweilen ist mit dem S. eine eigentümliche Starrsucht (Flexibilitas cerea) verbunden, bei welcher die Muskeln gespannt, ja bretthart sind und in der einmal eingenommenen Stellung ohne Regung, ohne Ermüdung verharren. Die Ursache dieses Zustandes ist unbekannt. Der S. geht zuweilen in Genesung über, sofern er akut und als einzige Geistesstörung auftritt; bildet er den Ausgang chronischer, in Schwachsinn übergehender Geisteskrankheiten, so führt er ziemlich jäh den letzten Abschnitt dieser Leiden zu Ende.
Stunde, der 24. Teil eines Tags, der wieder in 60 Minuten à 60 Sekunden geteilt wird. Die Zeichen dafür sind h, d. h. hora oder S., m und s; es ist also 5 h 12 m 51,5 s soviel wie 5 Stunden 12 Min. 51,5 Sek. Die meisten zivilisierten Völker fangen jetzt die erste S. des Tags im bürgerlichen Leben nach dem Eintritt der Mitternacht an zu zählen, zählen aber nur bis 12 und beginnen zu Mittag wieder von vorn, so daß der Tag in zweimal 12 Stunden (Vormittag [a. m. = ante meridiem] und Nachmittag [p. m. = post m.]) zerfällt. In einem großen Teil Italiens aber zählte man bis zur neuesten Zeit die Stunden vom Sonnenuntergang an fortlaufend von 1-24. Ebenso pflegen die Astronomen zu zählen, aber von Mittag an. S. als Wegmaß (Wegstunde) = 5km.
Stundenglas, s. v. w. Sanduhr.
Stundenkreis, jeder größte Kreis der Himmelskugel, welcher durch beide Pole geht, also den Äquator senkrecht schneidet, gleichbedeutend mit Deklinationskreis; vgl. Himmel, S. 545.
Stundenwinkel, der Winkel zwischen dem Deklinationskreis eines Sterns und dem Meridian; vgl. Himmel, S. 546.
Stundisten (russ. Stundisty, vom deutschen "Stunde" im Sinn von Betstunde), Name einer um 1870 im Gouvernement Kiew gebildeten religiösen Sekte, die in Südrußland weite Verbreitung gefunden hat. Die S. verwerfen jede Priesterherrschaft, die Sakramente und äußern gottesdienstlichen Gebrauche und begegnen sich, indem sie das Hauptgewicht auf die religiöse Erweckung legen, mannigfach mit dem protestantischen Pietismus.
Stundung, Fristerteilung von seiten des Gläubigers dem Schuldner gegenüber in Ansehung einer an und für sich fälligen Forderung. Die nach gemeinem deutschen Recht auch gegen den Willen des Gläubigers zulässige S. durch die Staatsgewalt ist nach der deutschen Zivilprozeßordnung nicht mehr statthaft.
Stupa, s. Tope.
Stupefaktion (lat.), Bestürzung; Stupefacientia, betäubende Mittel; stupend, erstaunlich.
Stüpfelmaschine, s. Schablonenstechmaschine.
Stupid (lat.), stumpfsinnig, dumm.
Stupor (lat.), Erstarrung, dumpfe Starrheit; als Geisteskrankheit s. v. w. Stumpfsinn (s. o.).
Stupp, Quecksilberruß, s. Quecksilber.
Stuprum (lat.), außerehelicher Beischlaf; Stuprata, die Geschändete, Geschwächte; Stuprator, der Schwängerer.
Stur, 1)(Stúr, spr. schtur) Ludewit, slowak. Schriftsteller u. Patriot, geb. 23. Okt. 1815 zu Uhrowez im ungarischen Komitat Trentschin, protestantischer Abkunft, studierte in Preßburg und Halle und bekleidete 1840-43 eine Professur am Lyceum zu Preßburg, der Hauptpflanzstätte der litterarischen und patriotischen Bewegung der Slowaken, der er sich mit Begeisterung anschloß. Fortan ganz der Litteratur zugewendet, verteidigte er in mehreren Schriften in deutscher Sprache die Rechte der Slowaken gegen die Angriffe der Magyaren und gründete 1845 die Zeitung "Slovenske narodnie Novini" ("Slowakische Nationalzeitung") mit der litterarischen Beilage "Orol Tatranski" ("Der Adler von der Tatra"), worin er sich statt des bisher üblichen Tschechischen der slowakischen Volkssprache (und zwar im Dialekt seiner Heimat) bediente, die hierdurch zur Schriftsprache bei den protestantischen Slowaken erhoben wurde. Im J. 1847 wurde S. von Altsohl in den Reichstag zu Preßburg gewählt, wo er mit glänzender Beredsamkeit für die Rechte seines Volkes auftrat; nach Ausbruch des Aufstandes 1848 floh er nach Wien, nahm dann am Slowakenkongreß zu Prag teil, blieb aber nach wie vor der Hauptleiter der Bewegung gegen die Ungarn, die sogar einen Preis auf seinen Kopf setzten. Später in Zurückgezogenheit seinen litterarischen Arbeiten lebend, starb er 12. Jan. 1856 infolge einer Wunde, die er sich auf der Jagd zugezogen hatte. Von seinen Schriften sind noch "Zpevy i pisne" ("Gesänge und Lieder", Preßb. 1853) und das in tschechischer Sprache abgefaßte Werk "Über die Volkslieder und Märchen der slawischen Stämme" (Prag 1853) zu erwähnen. Auch hinterließ er im Manuskript ein deutsch geschriebenes Werk aus den Jahren 1852 bis 1853, das eine Darstellung seiner Theorie des Panslawismus enthält und in russischer Übersetzung von Lamanskij unter dem Titel: "Das Slawentum und die Welt der Zukunft" (Mosk. 1867) erschien.
2) Dionys, Geolog und Paläontolog, geb. 1827 zu Beczko (Ungarn), besuchte die hohen Schulen von Modern und Preßburg, studierte in Wien und Schemnitz, wurde 1850 Mitglied der k. k. geologischen Reichsanstalt in Wien und 1877 Vizedirektor derselben. Er lieferte zahlreiche Arbeiten, namentlich über Pflanzenpaläontologie, und schrieb: "Geologie der Steiermark" (Graz 1871, mit Karte); "Die Kulmflora des mährisch-schlesischen Dachschiefers"(Wien 1875); "Die Kulmflora der Ostrauer und Waldenburger Schichten" (das. 1877); "Die Karbonflora der Schatzlarer Schichten" (das. 1885-87) u. a.
Stura, Fluß in der ital. Landschaft Piemont, entspringt auf der Höhe des Monte Argentera in den Seealpen, tritt vor Cuneo in die oberitalienische Tiefebene und mündet bei Cherasco in den Tanaro; 110 km lang. Noch drei andre Wasserläufe im Piemontesischen heißen S.
Sturdza (Stourdza), moldauische Bojarenfamilie, die urkundlich bis in den Anfang des 15. Jahrh. hinaufreicht. Gregor S. war unter dem Fürsten Kallimachi Kanzler der Moldau und leitete die Abfassung des 1817 erschienenen moldauischen Gesetzbuchs. Als nach der langen Fremdenherrschaft der Fanarioten der Hospodarensitz der Moldau wieder von Rumänen eingenommen wurde, waren es zwei Sturdzas, die nacheinander denselben besetzten: Johann S. (1822-28) und Michael S. (1834 bis 1. Mai 1849). Die Regierung beider war sehr erschwert durch das auf den Donaufürstentümern lastende russische Protektorat. Johann S. mußte einer russischen Besitznahme der Moldau weichen, die 1828-34 währte. Michael Sturdzas (geb. 14. April 1795, gest. 8. Mai 1884 in Paris) 14jährige Regierung wurde verhaßt durch den russischen Zuschnitt, den er dem Fürstentum zu geben sich bemühte (s. Walachei, Ge-
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Sture - Sturm
schichte). Vgl. "Michel Stourdza et son administration" (Brüssel 1848); "Michel Stourdza, ancien prince regnant de Moldavie" (Par. 1874). Sein Sohn Gregor, geb. 1821, ist ein Hauptvertreter der russischen Partei in Rumänien. Außerdem haben sich einen Namen gemacht:
1) Alexander S., geb. 29. Nov. 1791, Sohn eines moldauischen Bojaren, der als politisch Kompromittierter 1792 nach Rußland auswanderte, erhielt seine Bildung in Deutschland und suchte sich nach seiner Rückkehr nach Rußland der dortigen Regierung als loyaler Publizist bemerklich zu machen. Seine Schrift "Betrachtungen über die Lehre und den Geist der orthodoxen Kirche" (deutsch, Leipz. 1817) erwarb ihm die Würde eines russischen Staatsrats. Auf dem Kongreß zu Aachen schrieb er im Auftrag seines Kaisers ein "Memoire sur l'etat actuel de l'Allemagne" (deutsch in den "Politischen Annalen" 1819), worin er unter andern ungerechten Urteilen über Deutschland namentlich die deutschen Universitäten als Pflanzschulen revolutionären Geistes und des Atheismus hinstellte. Die bedeutendsten Gegenschriften sind: "Coup d'oeil sur les universites de l'Allemagne" (Aach. 1818) und von Krug (Leipz. 1819). S. zog sich 1819 nach Dresden zurück, wo er sich mit einer Tochter Hufelands verheiratete, und 1820 auf seine Güter in der Ukraine und lebte später zu Odessa, sich der Einrichtung und Leitung wohlthätiger Anstalten, unter andern eines Diakonissenvereins, widmend. Er starb 25. Juni 1854 zu Mansyr in Bessarabien. Von seinen übrigen Schriften ist hervorzuheben "La Grece en 1821" (Leipz. 1822). Nach seinem Tod wurden herausgegeben: "OEuvres posthumes religieuses, historiques, philosophiques et litteraires" (Par. 1858-61, 5 Bde.).
2) Demeter S. von Miclauscheni, rumän. Staatsmann und Schriftsteller, geb. 10. März 1833, studierte in München, Göttingen, Bonn und Berlin, war 1857 Kanzleichef des Diwans ad hoc der Moldau, 1866 einer der eifrigsten Mitarbeiter an dem Sturz des Fürsten Alexander Cusa, 1866 bei der Wahl des Fürsten Karl von Hohenzollern als Mitglied (Minister der öffentlichen Arbeiten) der provisorischen Regierung thätig und bekleidete im Kabinett Bratianus 1876-88 wiederholt den Ministerposten der öffentlichen Arbeiten, der Finanzen, des Äußern und des Unterrichts. Als Generalsekretär der rumänischen Akademie leitet er die Herausgabe von zwei großen Quellenwerken über rumänische Geschichte (Hurmuzakis "Documente privitoare la Istoria Romanilor", Bukar. 1876-89, 11 Bde., u. Sturdzas "Acte si Documente privitoare la Istoria Renascerei Romaniei", das. 1888-89, 3 Bde.). Er schrieb mehrere historische und numismatische Abhandlungen, z. B. "La marche progressive de la Russie sur le Danube" (Wien 1878); "Rumänien und der Vertrag von San Stefano" (das. 1878); "Übersicht der Münzen und Medaillen des Fürstentums Rumänien, Moldau u. Walachei" (das. 1874); "Memoriu asupra numismaticei romanesci" (Bukar. 1878).
Sture, altadliges Geschlecht in Schweden, das 1716 erlosch. Sten S. der ältere, Reichsvorsteher von Schweden, Sohn Gustav Amundssons S. und Schwestersohn Karl Knutsons, ward nach dessen Tod 1470 Reichsvorsteher und besiegte den Dänenkönig Christian I. 10. Okt. am Brunkeberg. Er errichtete 1476 die Universität zu Upsala, führte die Buchdruckerei in Schweden ein und versöhnte sich 1497 mit König Johann von Dänemark, der bloß den Titel eines Königs von Schweden führte, während S. Regent war. Er starb 13. Dez. 1503 in Jönkoping, wahrscheinlich an Gift. Vgl. Palmen, Sten Stures strid med konung Hans (Helsingf. 1884); Blink, Sten S. den äldre och hans samtider (Stockh. 1889). Ein Seitenverwandter von ihm, Svante Nilsson S., folgte ihm als Reichsvorsteher. Derselbe setzte den Krieg gegen die Dänen fort, eroberte Kalmar, welches dieselben besetzt hielten, und schlug Johann zu wiederholten Malen, starb aber schon 2. Jan. 1512 in Westeras, worauf sein Sohn Sten S. der jüngere 23. Juli 1512 zum Reichsverweser erwählt wurde. Er unterlag in der Schlacht bei Bogesund, in welcher er verwundet wurde, den Dänen und starb auf dem Weg nach Stockholm 3. Febr. 1520. Seine Leiche wurde nach dem Stockholmer Blutbad auf einem Scheiterhaufen verbrannt.
Sturluson, s. Snorri Sturluson.
Sturm, heftiger Wind (s. d.). Im Feldkrieg heißt S. der entscheidende Angriff auf eine vom Feind besetzte Stellung, Ortschaft, Schanze etc., wobei es zum Handgemenge (s. d.) kommt, wenn der Feind standhält. Der S. auf Festungswerke ist in der Regel nur nach vorhergegangenem förmlichen Angriff möglich (s. Festungskrieg, S. 190).
Sturm, 1) Jakob S. von Sturmeck, elsäss. Staatsmann, geb. 10. Aug. 1489 zu Straßburg, stammte aus einer edlen Familie des Niederrheins, widmete sich zuerst dem Studium der Theologie auf der Universität zu Freiburg, dann der Rechtswissenschaft in Lüttich und Paris. 1525 wurde er zum erstenmal Stadtmeister in seiner Vaterstadt. Schon früh schloß er sich der Reformation an und nahm 1529 an dem Religionsgespräch zu Marburg teil, sonderte sich dann aber von den Lutheranern , weil er ihnen die Schuld an der Spaltung der Evangelischen zuschrieb, und überreichte 1530 im Namen Straßburgs und andrer Städte auf dem Reichstag zu Augsburg die Confessio tetrapolitana. Um die Aufnahme seiner Vaterstadt in den Schmalkaldischen Bund zu erreichen, machte er 1532 Luther einige Zugeständnisse. Fortan leitete er Straßburgs Angelegenheiten mit großer Umsicht und vertrat ihre Interessen auf mehreren Gesandtschaften mit Geschick. Auch gelang es ihm, 1547 nach der Schlacht bei Mühlberg die von Karl V. auferlegte Kontribution zu ermäßigen. S. hat die Bibliothek und ein Gymnasium in Straßburg begründet, das bald erfreulich gedieh (s. S. 2). Er starb 30. Okt. 1553 in Straßburg. Vgl. Baum, Jakob S. (3. Aufl., Straßb. 1872); Baumgarten, Jakob S. (das. 1876).
2) Johannes von, verdienter Schulmann, geb. 1. Okt. 1507 zu Schleiden in der Eifel, besuchte das Gymnasium der Hieronymianer zu Lüttich, vollendete seine Studien auf der Universität Löwen, ward 1530 akademischer Lehrer der klassischen Sprachen in Paris und 1537 Rektor des neugegründeten Gymnasiums zu Straßburg, welches unter seiner Leitung europäischen Ruf erlangte. Als eifriger Calvinist mit den Lutheranern in Streit über die Annahme der Konkordienformel verwickelt, verlor S. 1582 seine Stelle und starb 3. März 1589 in Straßburg. Kaiser Karl V. verlieh ihm den Reichsadel. Sturms Studienordnung, im wesentlichen auf Melanchthons Grundsätzen erbaut, war das Vorbild für zahlreiche Schulpläne des 16. und 17. Jahrh. und hatte namentlich auch wesentlichen Einfluß auf die Ratio studiorum der Jesuiten. Vgl. Schmidt, La vie et les travaux de Jean S. (Straßb. 1855); Laas, Die Pädagogik des J. S. (Berl. 1872); Kückelhahn, J. S., Straßburgs erster Schulrektor (Leipz. 1872); Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts (das. 1885).
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Sturmbock - Sturmvogel.
3) Jakob, Kupferstecher und Naturforscher, geb. 21. März 1771 zu Nürnberg, gest. 28. Nov. 1848 daselbst, verdient durch seine ikonographischen Werke über die deutsche Flora und Fauna, nach Sturms Tod fortgesetzt von seinem Sohn Johann Wilhelm S. (geb. 19. Juli 1808, gest. 7. Jan. 1865 in Nürnberg), nämlich: "Deutschlands Flora in Abbildungen nach der Natur" (Nürnb. 1798-1855, 163 Hefte mit 2472 Tafeln; 1. Abt.: Phanerogamen, 96 Hefte, bearbeitet von Hoppe, Schreber, Sternberg, Reichenbach und Koch; 2. Abt.: Kryptogamen mit Ausschluß der Pilze, 31 Hefte, von Launer und Conde; 3. Abt.: Die Pilze, 36 Hefte, von Ditmar, Rostkovius, Conde, Preuß, Schnizlein und F. v. Strauß); "Deutschlands Fauna in Abbildungen nach der Natur" (das. 1805-57; Vögel, Amphibien, Mollusken, Käfer).
4) Julius, Lyriker, geb. 21. Juli 1816 zu Köstritz im Reußischen, studierte zu Jena Theologie und wirkte seit 1857 als Pfarrer in Köstritz, bis er 1885 mit dem Titel eines Geheimen Kirchenrats in den Ruhestand trat. Von seinen Dichtungen sind hervorzuheben: "Gedichte" (Leipz. 1850, 5. Aufl. 1882); "Fromme Lieder" (das. 1852, 11. Aufl. 1889); "Zwei Rosen oder das Hohelied der Liebe" (das. 1854); "Neue Gedichte" (das. 1856, 2. Aufl. 1880); "Neue fromme Lieder und Gedichte" (das. 1858, 3. Aufl. 1880); "Für das Haus", Liedergabe (das. 1862); "Israelitische Lieder" (3. Aufl., Halle 1881) und "Von der Pilgerfahrt" (das. 1868); ferner die neue Sammlung "Lieder und Bilder" (Leipz. 1870, 2 Tle.); "1870. Kampf- und Siegesgedichte" (Halle 1870); "Spiegel der Zeit in Fabeln" (Leipz. 1872); "Gott grüße dich" (das. 1876, 3. Aufl. 1887); "Das Buch für meine Kinder" (das. 1877, 2. Aufl. 1880); "Immergrün", neue Lieder (das. 1879, 2. Aufl. 1888); "Märchen" (das. 1881, 2. Aufl. 1887); "Aufwärts!", neue religiöse Gedichte (das. 1881); "Neues Fabelbuch" (5. Aufl., das. 1881); "Dem Herrn mein Lied", religiöse Gedichte (Brem. 1884); "Natur, Liebe, Vaterland", neue Gedichte (Leipz. 1884); "Bunte Blätter" (Wittenb. 1885); "Palme und Krone", Lieder zur Erbauung (Brem. 1887). Tief religiöser Sinn, Innigkeit der Empfindung und echt deutsche Gesinnung zeichnen die Dichtungen Sturms durchweg aus. Er gab auch die Anthologie "Hausandacht in frommen Liedern unsrer Tage" (Leipz. 1870, 5. Aufl. 1883) und unter dem Pseudonym Julius Stern die Märchensammlung "Das rote Buch" (das. 1855) heraus.
5) Eduard, österreich. Abgeordneter, geb. 8. Febr. 1830 zu Brünn, studierte in Olmütz und Brünn die Rechte, ward 1852 Advokat zu Brünn und 1856 in Pest. 1861 nach Brünn zurückversetzt, beteiligte er sich daselbst an der Gründung und Förderung vieler öffentlicher Vereine und Anstalten. 1865 ward er zu Iglau in den mährischen Landtag und von diesem 1867 in das österreichische Abgeordnetenhaus gewählt, dem er seitdem ununterbrochen angehörte. Er ist Mitglied der verfassungstreuen Partei und ein vortrefflicher Redner. 1870 siedelte er als Advokat nach Wien über, schadete aber hier in der Zeit des Gründungsschwindels seinem Ansehen sehr durch seine Beteiligung an unsoliden finanziellen Unternehmungen.
Sturmbock (Mauerbrecher), s. Aries.
Sturmbretter, s. Fußangeln.
Sturmfeuer, mit Pulver oder heftig brennenden Stoffen gefüllte Fässer, Töpfe, Säcke etc., welche ehemals brennend auf den die Bresche stürmenden Feind geschleudert wurden.
Sturmflut, der durch andauernden auf die Küste zu wehenden Sturm hervorgerufene ungewöhnlich hohe Wasserstand. Sturmfluten haben mit dem Wechsel der Gezeiten keinen notwendigen Zusammenhang und treten zu allen Mondphasen auf, das Wasser steigt und fällt in denselben nur weniger gleichförmig als sonst. Ebb- und Flutstand werden um gleiche Beträge über das gewöhnliche Maß emporgetrieben. Wenn sich bei starkem Wind hohe Wellen bilden, auf deren Hinterseite der Wind drückt, so daß die Wellenkronen sich überstürzen, dann findet offenbar nicht mehr ein Hin- und Herschwingen, sondern ein teilweises Vorwärtsbewegen des Wassers statt. Hält der Sturm einige Zeit an, so ist die Wassermasse, welche er vor sich hertreibt, sehr bedeutend, und wenn die Küste, welche dem Sturm ausgesetzt ist, diesem eine offene Bucht zuwendet, so kann dort ein mächtiger Wasserstau stattfinden. Für die deutsche Bucht der Nordsee sind daher andauernde schwere Stürme aus nordwestlicher Richtung die gefürchtetsten. Bei den höchsten Sturmfluten der letzten hundert Jahre stieg das Wasser bei Kuxhaven jedesmal nach tagelangem Sturm aus W. bis NW. über den mittlern Hochwasserstand: 22. März 1791 um 3 m, 3. Febr. 1825 um 3,18 m, 2. Jan. 1855 um 3,03 m. Bei der großen S. vom November 1872 wehte zwei Tage lang der Sturm aus der Richtung NO. bis ONO. und trieb in der Ostsee die Wassermassen von der livländischen Küste geradeswegs bis in die Buchten von Travemünde und Kiel hinein, am erstern Ort einen Wasserstand von 3,38 m, am letztern einen solchen von 3,17m über Mittelwasser verursachend. Die Orkane der Tropen geben Anlaß zu ungeheuern Sturmfluten, von denen die in der Bucht von Bengalen die berüchtigtsten sind. Am 1. Dez. 1876 kamen durch eine solche S. im Delta des Brahmaputra nahe an 200,000 Menschen um. Die außerordentliche Verminderung des Luftdrucks in diesen Orkanen ist für das Steigen des Wassers hier noch besonders günstig. Vgl. Mayer, Über Sturmfluten (Berl. 1873); Lentz, Flut und Ebbe und die Wirkungen des Windes auf den Meeresspiegel (Hamb. 1879).
Sturmhaube (Sturmhut), s. Helm, S. 364.
Sturmhaube (Große und Kleine), Berggipfel, s. Riesengebirge.
Sturmhut, Pflanzengattung, s. v. w. Aconitum.
Sturmpfähle, s. Palissaden.
Sturmrose, s. Kompaß.
Sturmschritt (früher auch Chargierschritt), beim Militär die beim Vorgehen zum Angriff beschleunigte Gangart, die zuletzt in vollen Lauf übergeht.
Sturmschwalbe, s. Sturmvogel.
Sturmsignale, die bei Sturmwarnungen gegebenen Signale, s. Wetter.
Sturmsold, die den Soldaten für eine gewonnene Schlacht oder die Erstürmung einer befestigten Stadt ehedem gezahlte Belohnung, von der sich die heute noch gebräuchlichen Douceurgelder herleiten.
Sturm- und Drangperiode, s. Deutsche Litteratur, S. 748.
Sturmvogel (Procellaria L.), Gattung aus der Ordnung der Schwimmvögel und der Familie der Sturmvögel (Procellariidae), kleine Vögel mit schlankem Leib, großem Kopf, kurzem Hals, sehr langen, schwalbenartigen Flügeln, mittellangem Schwanz, kleinem, schwächlichem, geradem, an der Spitze herabgebogenem Schnabel, kleinen, schwächlichen, langläufigen Füßen mit drei langen, schwachen, durch Schwimmhäute verbundenen Vorderzehen und rudimentärer Hinterzehe. Die Sturmschwalbe (Gewittervogel, Petersläufer, Procellaria [Thalassidroma] pelagica L., s. Tafel "Schwimmvögel II"), 14 cm lang, 33 cm breit, mit abgestutztem
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Sturmwarnungen - Stuttgart.
Schwanz, rußbraun, auf dem Oberkopf schwarz, auf dem Bürzel, Steiß und an den Wurzeln der Steuerfedern weiß und an den Spitzen der Flügeldeckfedern trübweiß, und der Sturmsegler (P. Leachi Rchb.), 20 cm lang, 50 cm breit, mit verhältnismäßig langem, tief gegabeltem Schwanz, der vorigen ähnlich gefärbt, bewohnen den Atlantischen und Stillen Ozean mit Ausnahme des höchsten Nordens, leben meist auf hoher See, erscheinen nur zur Brutzeit am Land, fliegen bald höher in der Luft, bald unmittelbar über den Wogen, welche sie bald mit den trippelnden Füßchen, bald mit den Spitzen der Schwingen berühren, und lassen sich selten auf das Wasser nieder, um auszuruhen. Sie sind hauptsächlich in der Nacht thätig, nähren sich von allerlei Seetieren, brüten in selbstgegrabenen Höhlen nahe der See und legen ein einziges weißes Ei, welches wahrscheinlich von beiden Geschlechtern ausgebrütet wird. Sie sind vollkommen harmlos, verlieren, ihrem Element entrückt, gleichsam die Besinnung und sind auf dem Land ganz hilflos. Angegriffen, suchen sie sich nur durch Ausspeien von Thran zu verteidigen. Den Schiffern gilt die Sturmschwalbe als Unglücksbote. Der Eissturmvogel (Fulmar, P. [Fulmarus] glacialis Steph., s. Tafel "Schwimmvögel II"), 50 cm lang, 110 cm breit, ist weiß, auf dem Mantel möwenblau, mit schwärzlichen Schwingen, braunen Augen, gelbem Schnabel und Füßen, bewohnt das Nördliche Eismeer, fliegt und schwimmt vortrefflich und kommt fast nur zur Brut ans Land, auf welchem er sich sehr hilflos zeigt. Er nährt sich von Fischen und Weichtieren, ist sehr gefräßig und zudringlich, lebt und brütet gesellig auf allen hochnordischen Inseln und legt nur ein weißes Ei; gleichwohl werden auf Westmanöer bei Island jährlich über 20,000 Junge ausgenommen, und trotzdem nimmt die Zahl der Vögel von Jahr zu Jahr zu.
Sturmwarnungen, s. Wetter.
Sturnus, Star; Sturnidae (Stare), Familie aus der Ordnung der Sperlingsvögel (s. d.).
Sturt (spr. stört), Charles, Australienreisender, in England geboren, wollte 1827 einen in Zentralaustralien vermuteten See entdecken und fand, dem Macquariefluß folgend, zu Anfang 1828 den Darlingfluß und, 1829 mit einer neuen Forschungsreise betraut, den Murrayfluß. Begleitet von Stuart (s.d. 1), führte er 1844-45 eine dritte große Reise aus, auf der er den Cooper Creek entdeckte und nordwestlich bis fast in das Zentrum des Kontinents vordrang. Er starb 16. Juni 1869 zu Cheltenham in England. Seine ersten beiden Reisen beschrieb er in "Two explorations into the interior of Southern Australia etc." (Lond. 1833, 2 Bde.), die dritte in "Narrative of an expedition into Central Australia etc." (das. 1848, 2 Bde.).
Sturz, der eine Thür oder ein Fenster oben abschließende, horizontal aufliegende Teil, in der primitiven Baukunst meist ein schwerer Steinblock oder Balken aus Holz.
Sturz, Helferich Peter, Schriftsteller, geb. 16. Febr. 1736 zu Darmstadt, studierte in Göttingen die Rechte und Ästhetik, erhielt 1763 eine Anstellung zu Kopenhagen im Departement der auswärtigen Angelegenheiten, 1770 bei dem Generalpostdirektorium, ward 1773 Regierungsrat und zwei Jahre später Etatsrat zu Oldenburg und starb 12. Nov. 1779 in Bremen. S. war einer der geschmackvollsten deutschen Prosaiker, wie seine "Erinnerungen aus dem Leben des Grafen von Bernstorff" (1777) und seine "Briefe eines Reisenden" (1768) mit ihren trefflichen Charakterschilderungen bekunden. Seine Schriften erschienen gesammelt in 2 Bänden (Leipz. 1779-1782). Vgl. Koch, Helf. Peter S. (Münch. 1879).
Sturzblech, dünnste Sorte Eisenblech.
Stürze, die starke Erweiterung der Blechblasinstrumente an der dem Mundstück entgegengesetzten Seite.
Sturzenbecker, Oskar Patrik, unter dem Namen Orvar Odd bekannter schwed. Dichter und Schriftsteller, geb. 1811 zu Stockholm, studierte und promovierte in Upsala, trat kurz darauf in die Redaktion des "Aftonblad" in Stockholm ein und erwarb sich bald einen Namen als gewandter und geistreicher Feuilletonist. Später lebte er teils in Helsingborg, wo er mehrere Jahre lang den "Öresundsposten" herausgab, teils in Kopenhagen; er starb im Februar 1869 auf seinem Landsitz in der Nähe von Helsingborg. Unter seinen Prosaschriften verdienen die meisterhaft ausgeführten feuilletonartigen Skizzen: "Grupper och personagen fran igar" ("Gruppen und Persönlichkeiten von gestern") und "La Veranda" besondere Auszeichnung; auch viele seiner Gedichte sind durch ihre frische, lebhafte Stimmung anziehend. Seine gesammelten Werke erschienen in 5 Bänden (2. Aufl., Stockh. 1880-82).
Stürzfurche, s. Brache.
Sturzgüter, beim Beladen von Schiffen durch die Luken in den Schiffsraum gestürzte Güter, z. B. Kohlen, Getreide, Erze u. dgl.
Stutereien (Gestüte), s. Pferde, S. 949.
Stuttgart (hierzu der Stadtplan), Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Württemberg, des württembergischen Neckarkreises und des Stadtdirektionsbezirks S., liegt in einer kesselförmigen, reizenden Erweiterung des Nesenbachthals, das 1 km von der Stadt in das Neckarthal ausläuft, von Weinbergen, Gärten und Villen rings umgeben, unter 48° 46' nördl. Br. und 9° 10' östl. L. v. Gr., 249 m ü. M., und wird durch die 1100 m lange Königs- und die sich an diese anschließende Marienstraße in die "obere" (im NW.) und die "untere Stadt" (im SO.) geteilt, von denen letztere auch die Altstadt in sich schließt. Außer den genannten Straßen sind die Neckar-, Olga-, Reinsburg-, Silberburg- und Rote Bühlstraße sowie unter den Plätzen der Schloßplatz, der Alte Schloßplatz, die Planie, der Dorotheen-, der St. Leonhards- und der Charlottenplatz, der Feuerseeplatz und der Marktplatz hervorzuheben. Den Schloßplatz zieren schöne Anlagen, inmitten deren sich die 18 m hohe, mit einer Konkordia gezierte Jubiläumssäule (1841 zur Feier des 25jährigen Regierungsjubiläums König Wilhelms errichtet) erhebt, auf dem Alten Schloßplatz steht das von Thorwaldsen modellierte Standbild Schillers. Von den öffentlichen Anlagen und Promenaden sind noch zu nennen: der Schloßgarten (mit der Danneckerschen Nymphengruppe, der Eberhardsgruppe von Paul Müller, der Hylasgruppe und den zwei Pferdebändigern von Hofer), welcher sich bis in die Nähe von Kannstatt zieht, der Silberburggarten (Eigentum der Museumsgesellschaft), die Planie mit den neuerrichteten Denkmälern Bismarcks u. Moltkes (Büsten, von Donndorf modelliert), der Stadtgarten, die Anlagen bei der Seidenstraße, die neue Weinsteige etc. Von den zu gottesdienstlichen Zwecken bestimmten Gebäuden (9 evangelische, eine reformierte und eine kath. Kirche und eine Synagoge) Wappen von Stuttgart.
STUTTGART.
Akademie E3
Alexander-Straße C-F3-5
Alleen-Straße C-E1
Archiv E3
Archiv-Straße E3,4
Augusten-Straße AB3
Bach-Straße, Obere CD4
Bach-Straße, Untere D3
Bahnhof D2
Bahnhof-Straße E1
Band-Straße D3
Baugewerk-Schule CD2
Berg-Straße C2
Bibliothek C3
Blumen-Straße E4
Böblinger Straße B4,5
Böheim-Straße A5
Bopser Brunnen D5
Bopser Straße C4,5
Bopser Weg D5
Bothanger Straße A2
Breite-Straße C3
Brunnen-Straße D4
Büchsen-Straße C2,3
Bürger-Hospital C2
Bürger-Museum C3
Bürger-Schule B2
Calwer Straße CD3
Charlotten-Platz DE3,4
Charlotten-Straße E4
Christophs-Straße C4
Classon Villa F3
Cotta-Straße B5
Dannecker-Denkm. D3
Diakonissen-Anstalt B1
Diemershalden F4,5
Dobel-Straße E5
Dorotheen-Straße u. Platz D3
Eberhards-Standbild D3
Eberhards-Straße CD4
Eich-Straße D3
Enge-Straße D3
Englische Kirche D4
Eßlinger Berg, Oberer F4
Eßlinger Straße D4
Etzel-Straße CD5
Eugens-Denkmal F3
Eugen-Straße EF3
Falbenhennen-Straße C5
Falkert-Straße B1
Fangelsbach-Friedhof B5
Fangelsbach-Straße B4,5
Färber-Straße D4
Feuer-See B3
Filder-Straße AB5
Finanzministerium E2
Forst-Straße AC1
Friedrichs-Straße D1,2
Furthbach-Straße B1
Gaisburg-Straße E4
Garnison-Kirche C1
Garten-Straße C23
Gebel-Straße A4
Gerber-Straße C4
Gewerbe-Halle CD1
Gewerbe-Museum C3
Goethe-Straße D1
Graben-Straße D3
Güter-Bahnhhof E1
Gutenberg-Straße AB3
Hasenberg-Straße A1-4
Hauptstätter Straße BD4
Hauptzollamt EF1
Hebammen-Schule D1
Hegel-Straße C1
Heiler E4
Herdweg C1
Hermanns-Straße B3
Herzog-Straße B3
Heslacher-Straße A5
Heu-Straße C2
Heusteig-Straße BD5
Hirsch-Straße CD3
Hohe-Straße C2
Hohenheimer Straße DE5
Holzgärten, Königl. C1
Holz-Straße D3,4
Hoppenlau-Friedhof C1
Hoppenlau-Straße C1,2
Hospital-Kirche C2
Hospital-Platz C2
Hospital-Straße C2
Hühnerdieb F3
Ilgen-Platz D4
Ilgen-Straße D3
Immenhofen-Straße BC5
Infanterie-Kaserne B3
Jäger-Straße DE1
Jakob-Straße D4
Johannes-Straße B1-3
Johannes-Kirche B3
Jubiläums-Säule D3
Justiz-Palast E3,4
Kanal-Straße E4
Kanonen-Weg F3
Kanzlei-Straße D1,2
Karls-Linde A4
Karls-Straße D3
Kasernen-Straße BC2
Katharinen-Hospital D1
Katharinen-Platz D4
Katharinen-Stift D2
Katharinen-Straße D4
Katholische Kirche, Alte DE2
Katholische Kirche, Neue B4
Keppler-Straße D1,2
Kerner-Straße F2,3
Kolb-Straße AB5
Königsbau D2
Königs-Straße CE2,3
Königs-Thor E2
Korps-Kommando DE1
Kreuser-Straße D1
Kreuz-Straße D4
Kriegsberg, Mittlerer E1
Kriegsberg, Unterer D1
Kriegsberg-Straße CE1
Kriegs-Ministerium DE4
Kronprinz-Straße CD3
Kronprinzen-Palais C2,3
Kühlesteig E5
Kunstausstellung, Permanente C3
Kunst-Verein D2
Landhaus-Straße F2
Lange-Straße C2,3
Lazarett-Straße D4
Legions-Kaserne C3
Lehen-Straße B5
Lerchen-Straße AC1
Liederhalle C2
Lindenspür-Straße AB1
Linden-Straße CD2,3
Loge Wilhelm B3
Loge zu den 3 Zedern D4
Lorenz-Straße D45
Ludwigsburger Straße EF1
Ludwigs-Spital B1
Ludwigs-Straße AB2
Maler-Straße F3
Marien-Platz A5
Marien-Straße B4
Markt-Halle D3
Markt-Platz D3
Markt-Straße D34
Marstall E2
Militär-Spital B2
Militär-Straße AB2
Minsterium des Äußern CD3
Möricke-Denkmal B4
Moser-Straße EF3
Mozart-Straße C5
Münze EF2
Münz-Straße D3
Museum für bildende Künste F3
Museum, Oberes D2
Museum, württemb. Altertümer E3
Neckar-Straße EF2,3
Nadler-Straße CD3
Naturalien-Kabinett E3
Neue Brücke C3
Olga-Spital A2
Olga-Straße CE4,5
Orangerie E1
Paulinen-Straße BC3,4
Paulinen-Straße, Verlängerte B2,3
Pfarr-Straße D4
Polizei C3
Polytechnische Schule D1
Postamt D2
Posthof C3
Post-Platz, Alter C3
Post-Straße C3
Prinzen-Palais D3
Prinzessinnen-Palais E3,4
Rathaus D3
Realgymnasium C1
Reinsburg A4
Reinsburg-Straße AB4
Reiter-Kaserne E1
Reuchlin-Straße A3
Röer-Straße B5
Rosen-Straße DE4
Rosenberg-Straße AC1
Rote-Straße C2,3
Rote Bühl-Straße AC3
Sankt Johannes-Kirche B3
Sankt Leonhards'Krche D4
Sankt Leonhards-Platz D4
Sankt Leonhards-Str D4
Sänger-Straße F2,3
Schellen-König F5
Schelling-Straße CD2
Schiler-Denkmal D3
Schiller-Straße E1
Schlachthaus C1
Schloß, Altes D3
Schlosser-Straße C4,5
Schloß-Garten EF1,2
Schloß-Kirche E3
Schloß, Königliches DE3
Schloß-Platz D2,3
Schloß-Platz, Alter D3
Schloß-Straße AD2
Schmale-Straße C3
Schul-Straße D3
Schützenhaus F3
Schützen-Straße F2,3
Schwab-Denkmal C2
Schwab-Straße D1,2
See-Straße D1,2
Seiden-Straße C1,2
Sennefelder-Straße A1-3
Silberburg B4
Silberburg-Straße B1-4
Silcher-Straße B2
Sonnenberg-Straße E5
Sophien-Straße C3,4
Stadt-Direktion D3
Stadt-Garten D1,2
Stafflenberg E5
Ständehaus D2,3
Stein-Straße C-D3
Stifts-Kirche D3
Stiftskirchen-Platz D3
Strohberg-Straße B5
Stützenburg DE5
Synagoge C2
Tannen-Straße A5
Telegraphen-Amt D2
Theater E2
Thor-Straße C4
Tübinger Straße C4
Tübinger Thor BC4
Turm-Straße D5
Turnhalle, Erste C2
Uhland-Denkmal E2
Uhlands-Höhe F3
Uhlands-Straße E4
Ulrich-Straße E3
Urban-Straße EF2-4
Vera-Straße F3
Vogelsang-Straße A2,3
Wagner-Straße D4
Waisenhaus D3
Wannen-Straße AB3,4
Wasser-Reservoir F5
Weber-Straße DE4
Wein-Straße C3
Weißenburg-Straße C5
Wilhelms-Platz CD4
Wilhelms-Straße D4,5
Wilhelms-Thor D5
Zorn, Villa B4
Zuchthaus A2
Zucker-Fabrik E1
Zwinger, Im D3,4
409
Stuttgart (Beschreibung der Stadt).
sind hervorzuheben: die Stiftskirche (1436-1531 erbaut), mit zwei Türmen; die Leonhardskirche (1470 bis 1491 im gotischen Stil erbaut), mit einem steinernen Kalvarienberg von großem Kunstwert; die Hospitalkirche (1471-93 erbaut), mit vielen Grabmälern (darunter das Reuchlins) und dem Modell der Christusstatue von Dannecker; die prachtvolle, 1865-76 im gotischen Stil von Leins aufgeführte Johanniskirche; die englische Kirche; die neue Garnisonkirche von Dollinger (1879) im romanischen Stil; die alte und die von Egle 1873-79 erbaute neue katholische Kirche und die 1860 im maurischen Stil aufgeführte Synagoge. Von weltlichen Gebäuden sind zu nennen: das Neue Residenzschloß im französischen Renaissancestil(1746-1807 erbaut); das Alte Schloß, in dessen Hof sich das bronzene Reiterstandbild des Grafen Eberhard im Bart (von Hofer) befindet; das 1845-46 umgebaute Hoftheater mit vier ehernen Statuen von Braun; die sogen. Akademie, ein Nebenbau des Schlosses (früher Sitz der Karlsschule, jetzt die königliche Handbibliothek, den königlichen Leibstall, die Schloßwache etc. enthaltend); der im italienischen Stil erbaute Wilhelmspalast; das Kronprinzenpalais, im römischen Palaststil aufgeführt (gegenüber das Denkmal Danneckers); das Palais des Prinzen Hermann von Sachsen-Weimar; das Ständehaus; das Museum der bildenden Künste (1838 bis 1843 im italienischen Palaststil erbaut), mit der Reiterstatue des Königs Wilhelm, von Hofer; der Königsbau (1856 bis 1860 von Leins aufgeführt), mit Läden und der Börse in den untern und mehreren großen Sälen in den obern Räumen; das Rathaus (1456 erbaut); die Gebäude des Staatsarchivs und der Naturaliensammlungen; das Kanzleigebäude; das neue Justizgebäude; der Hauptbahnhof; das neue Postgebäude; das Museum; das 1860-65 von Egle erbaute Polytechnikum; die Blumen- und Gemüsehalle; das Schlachthaus etc.
Die Zahl der Einwohner belief sich 1885 mit der Garnison (ein Regiment und 2 Bataillone Infanterie Nr. 119 und 125 und ein Ulanenregiment Nr. 19) auf 125,901 Seelen (gegen 107,289 im J. 1875), darunter 106,282 Evangelische, 16,067 Katholiken und 2568 Juden. Die industrielle Thätigkeit ist nicht unbedeutend. Ganz besonders treten hervor die Bierbrauereien, die Farben-, Pianoforte-, Harmonium-, Kassen-, Möbel-, Parkettboden-, Zigarren-, Chemikalien- und Wagenfabrikation, die Eisen- und Glockengießerei und die Fabrikation von Reiseartikeln. Außerdem gibt es Fabriken für Trikot- und Wollwaren, Baumwollen- u. Wollenzeuge, Teppiche, Leder, Papier, Posamentier- und Kautschukwaren, Parfümerien, Bijouterie-, Glas-, Porzellan-, Gold- und Silberwaren, mechanische und optische Instrumente, Maschinen, Schokolade etc. Der Handelsverkehr, unterstützt durch eine Handels- und Gewerbekammer, eine Börse, durch zahlreiche Banken (darunter eine Reichsbankhauptstelle), viele Wechsel und Geldgeschäfte etc., ist recht bedeutend; im Buchhandel ist S. nach Leipzig sogar der wichtigste Platz in Deutschland. Die Stadt zählt über 100 Buch- und Kunsthandlungen, zahlreiche Buchdruckereien, Schrift- und Stereotypengießereien, litho-, xylo- und photographische Anstalten etc. Alljährlich findet hier eine Buchhändlermesse für Süddeutschland statt. Bekannt sind auch die Tuchmesse sowie die dortigen Karte der Umgebung von Stuttgart Hopfen- und Pferdemärkte. Den Verkehr nach außen hin fördern die Linien Bretten-Friedrichshafen und S.-Freudenstadt der Württembergischen Staatsbahn, für welche S. den Knotenpunkt bildet; eine Zahnradbahn führt nach dem auf der Filderebene liegenden, durch seinen guten Rotwein und seinen Obstbau bekannten Dorf Degerloch und weiter nach Hohenheim; den Verkehr in der Stadt und mit der nächsten Umgebung vermitteln zwei Pferdebahnlinien. An Wohlthätigkeitsanstalten besitzt S. das Bürgerhospital, das Armenhaus, die Olgaheilanstalt, die Paulinenhilfe (orthopädische Heilanstalt), die Nikolauspflege für blinde Kinder, die Paulinenpflege etc. sowie mehrere Wohlthätigkeits- und zahlreiche andre gemeinnützige Vereine. Unter den Bildungsanstalten steht das Polytechnikum (Wintersemester 1888-89: 248 Studierende) obenan. Außerdem befinden sich in S. eine Baugewerk-, eine Kunst- und eine Kunstgewerbeschule, ein Konservatorium, eine höhere Handels-, eine Tierarznei- und eine Landes-
410
Stütze - Stüve.
hebammenschule und eine Turnlehrerbildungsanstalt; ferner 2 Gymnasien, ein Realgymnasium, eine Reallehranstalt, ein Privatlehr- und Erziehungsinstitut, ein Lehrerinnenseminar und zahlreiche niedere Schulanstalten. Unter den Sammlungen für Kunst und Wissenschaft ist die königliche Sammlung, bestehend aus einer Bibliothek von über 400,000 Bänden, Gemälde-, Skulpturen-, Antiken-, Münzen- und Naturaliensammlung, die wichtigste. Außerdem gehören hierher: die Sammlung vaterländischer Altertümer, die Gemäldesammlung des Museums der bildenden Künste und die des Kunstvereins, die permanente Kunstausstellung, die mit der Zentralstelle für Handel und Gewerbe verbundenen Sammlungen, die Präparatensammlung der Tierarzneischule, der zoologische Garten etc. Groß ist die Zahl der in S. erscheinenden Zeitschriften und politischen Zeitungen. S. ist Geburtsort des Philosophen Hegel, des Architekten Heideloff, der Dichter Hauff, Schwab u. a. S. ist Sitz des Staatsministeriums und sämtlicher Zentralstellen des Landes, eines Oberlandes- und eines Landgerichts, eines Oberbergamtes und eines Bergamtes, des evangelischen Konsistoriums, des katholischen Kirchenrats und der israelitischen Oberkirchenbehörde, einer Militärintendantur, eines Gouverneurs, der Oberrechnungskammer, einer Stadtdirektion, einer Münze (Münzzeichen F) etc.; ferner des Generalkommandos des 13. Armeekorps, des Kommandos der 26. Division, der 51. Infanterie- und 26. Kavalleriebrigade. Die städtischen Behörden setzen sich zusammen aus 25 Gemeinderats- und 25 Bürgerausschußmitgliedern. - In der Umgebung der Stadt sind bemerkenswert: das am Ende des Schloßgartens liegende und zum Stadtdirektionsbezirk gehörige Berg (s. d.) mit königl. Villa, die königl. Lustschlösser Rosenstein und Wilhelma; gegenüber die Stadt Kannstatt (s. d.); im Süden die Silberburg, ein Vergnügungsort der Bewohner von S.; über derselben die 340 m hohe Reinsburg mit schönen Villen am Abhang; weiterhin die Uhlandshöhe über dem Schießhaus, 350 m ü. M., mit Anlagen, einem Pavillon und der Uhlandslinde; ferner der Bosper, 481 m ü. M., und die Schillerhöhe, in deren Nähe das Dorf Degerloch (s. oben); im SW. der Stadt das Jägerhaus mit Aussichtsturm, sämtlich mit schöner Aussicht; das Lustschloß Solitüde mit Wildpark; endlich die Feuerbacher Heide. Urkundlich kommt S., das seinen Namen von einem Gestütgarten oder Fohlenhof führt, zuerst 1229 vor. 1312 wurde es dem Grafen Eberhard entrissen und ergab sich an Eßlingen, wurde jedoch 1316 wieder ausgeliefert. Seitdem haben die Grafen von Württemberg hier ihren Sitz gehabt und es 1482 zur Hauptstadt der württembergischen Lande gemacht. Doch verlegte Herzog Eberhard Ludwig 1727 und nochmals Karl Eugen 1764 die Residenz für mehrere Jahre nach Ludwigsburg. Bis 1822 stand S. unter einer eignen Regierung, seitdem sind Stadt und Bezirk mit dem Neckarkreis vereinigt und bilden ein eignes Oberamt unter dem Namen einer Stadtdirektion. Vom 6.-18. Juni 1849 hielt der Rest der deutschen Nationalversammlung, das sogen. Rumpfparlament, in S. seine Sitzungen. Im September 1857 fand hier eine Zusammenkunft zwischen Alexander I. von Rußland und Napoleon III. statt. Vgl. Pfaff, Geschichte der Stadt S. (Stuttg. 1845-47, 2 Bde.); Wochner, S. seit 25 Jahren (das. 1871); Nick, Chronik und Sagenbuch von S. (das. 1875); "S. Führer durch die Stadt und ihre Bauten" (Festschrift, das. 1884); "Beschreibung des Stadtdirektionsbezirks S." (hrsg. vom statistisch-topographischen Büreau, das. 1886); Hartmann, Chronik der Stadt S. (das. 1886).
Stütze, örtlich auch Stützel genannt, im Bauwesen meist lotrechter hölzerner oder eiserner Pfosten zur Unterstützung einer Decke oder eines Daches, seltener geneigte, einem Seitendruck widerstehende Strebe. Die S. ist ein insbesondere im Gegensatz zur Säule interimistischer schmuckloser Träger und besteht entweder aus einem runden oder vierkantigen beschlagenen Holzstamm auf Holz- oder Steinunterlage, oder aus gußeisernen, im Querschnitt meist kreuzförmigen, zusammengeschraubten Barren auf gemauertem Fundament, oder aus winkel- oder I-förmigen Façoneisen, welche zu kreuz- oder H-förmigen Querschnitten zusammengesetzt und an eine gußeiserne, mit einem gemauerten Fundament verankerte Unterlagsplatte geschraubt werden.
Stutzen, kurzes Gewehr, das zum Abschießen gegen die Brust gestützt wurde; dann verkürztes, leichteres, gezogenes Gewehr der Jäger und Scharfschützen.
Stützerbach, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Erfurt, Kreis Schleusingen, im Thüringer Wald, 587 m ü. M., mit evang. Kirche, Hohlglas- und Glasinstrumentenfabrikation und (1885) 1081 Einw. Dabei der gleichnamige weimarische Ort mit 675 Einw.
Stützpunkte, Punkte, an die sich irgend etwas, z. B. ein Hebel, stützt oder lehnt. Im Kriegswesen sind taktische S. solche Örtlichkeiten, z. B. Anhöhen, Ortschaften etc., die meist befestigt, für die Verteidigung besonders günstig sind, ihr als Stütze dienen; strategische S. sind meist große Festungen, auf welche sich operierende Armeen zurückziehen können.
Stützzapfen, Zapfen, bei welchem der Druck zum größten Teil in der Längenrichtung desselben wirkt. Man unterscheidet hierbei Spurzapfen und Kammzapfen, je nachdem der Druck nur von der Stirnfläche des Zapfens oder von seitlichen, mit dem Zapfen fest verbundenen Ringen aufgenommen wird.
Stüve, Johann Karl Bertram, hannöv. Staatsmann, geb. 4. März 1798 zu Osnabrück, ließ sich 1820 daselbst als Advokat nieder und war, 1830 zum Schatzrat gewählt, seit 1831 in freisinniger Richtung auf dem Landtag thätig. 1832 veröffentlichte er die Schrift "Über die gegenwärtige Lage des Königreichs Hannover" (Jena). 1833 wurde er Bürgermeister seiner Vaterstadt. Nach der Thronbesteigung des Königs Ernst August 1837 und nach der durch denselben verfügten Vertagung des Landtags veröffentlichte S. eine "Verteidigung des Staatsgrundgesetzes". Am 20. März 1848 übernahm er unter Graf Bennigsen das Ministerium des Innern, dessen Programm auf Beseitigung der privilegierten Landesvertretung, Reform der Administration und Justiz, Selbständigmachung der Gemeinden, Freigebung der Presse, Einrichtung von Schwurgerichten etc. lautete. Dagegen war er in der deutschen Sache der Bildung eines kleindeutschen Bundesstaats unter preußischer Leitung abhold und suchte die Sonderrechte der Kleinstaaten sowie die Verbindung mit Österreich aufrecht zu erhalten. Im Oktober 1850 legte er sein Portefeuille nieder, blieb aber als Bürgermeister seiner Vaterstadt (seit 1852) ein hervorragendes Mitglied der Ständeversammlung, bis er wegen Differenzen mit dem Bürgervorsteherkollegium 1864 sich veranlaßt sah, sein Amt als Bürgermeister von Osnabrück niederzulegen. 1869 übernahm er auf kurze Zeit das Amt eines Bürgervorstehers; er starb 16. Febr. 1872. Im J. 1882 wurde sein Denkmal auf dem Marktplatz in Osnabrück enthüllt. Obwohl liberal und echt deutsch gesinnt, ver-
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Stygisch - Styrax
mochte er sich doch nicht mit der neuen Wendung der Dinge in Deutschland zu befreunden. Die Annexion Hannovers und die Einigung Deutschlands unter Preußen widerstrebten ihm ebensosehr wie die Freizügigkeit und Gewerbefreiheit. Litterarisch beschäftigte er sich mit der Geschichte Osnabrücks. Er gab den 3. Band von Mösers "Osnabrückischer Geschichte" (Berl. 1824) und den 3. Band von Fridericis "Geschichte Osnabrücks aus Urkunden" (Osnabr. 1826) heraus; von seinen selbständigen Arbeiten erwähnen wir: eine Darstellung des Verhältnisses der Stadt Osnabrück zum Stift (Hannov. 1824); "Geschichte des Hochstifts Osnabrück" (Bd. 1 u. 2, das. 1853-1872; Bd.3, 1882); "Wesen und Verfassung der Landgemeinden in Niedersachsen und Westfalen" (Jena 1851); "Untersuchungen über die Gogerichte in Westfalen und Niederfachsen" (das. 1870) u. a.
Stygisch (griech.), der Styx, d. h. der Unterwelt, angehörig; daher s. v. w. fürchterlich, schauerlich.
Styl (griech.), s. Stil.
Stylidiaceen, dikotyle, etwa 100 Arten umfassende, vorzugsweise in Australien einheimische Pflanzenfamilie aus der Ordnung der Kampanulinen; von ihren nächsten Verwandten durch ihre beiden mit dem Griffel in eine auf dem Eierstock stehende Säule verwachsenen Staubgefäße verschieden.
Styliten (griech., Säulenheilige), eine im 5. Jahrh. im Morgenland aufgekommene Klasse christlicher Asketen, welche ihr Leben auf der Spitze hoher Säulen stehend zubrachten (s. Simeon 3). Die S. hielten sich in Syrien und Palästina bis ins 12. Jahrh.; im Abendland fand ihr Beispiel keine Nachahmung.
Stylobat (griech.), aus der Vereinigung einzelner Postamente (Stereobate) entstandenes fortlaufendes, abgestuftes Fußgestell der Säulen; Säulenstuhl.
Stylodisch (styloidisch, griech.), griffelförmig.
Stylograph (griech.), Fabrikname für einen mit Tinte gefüllten Schreibgriffel; Füllfederhalter.
Stylographie (griech.), ein von dem Kupferstecher Schöler in Kopenhagen erfundenes Verfahren zur leichtern Herstellung von Kupferdruckplatten durch Gravierung in eine nicht leitende Masse, von welcher dann zuerst eine erhabene, dann von dieser eine vertiefte Platte auf galvanischem Weg abgeformt werden.
Stylolithen (griech., "Säulensteine"), stengelartige, gestreifte oder geriefte Gebilde in Kalken und Mergeln, besonders im Muschelkalk, 1-30 cm lang und von 1 mm bis zu mehr als 1 cm im Durchmesser. Die Längsachse der S. steht gewöhnlich senkrecht zur Schichtungsfläche, doch gibt es auch liegende S. Die Entstehung wird bald auf Erosion zurückgeführt, bald mit der Entwickelung von Gasen in Zusammenhang gebracht, am richtigsten aber wohl als Folge von Druck und Pressung von noch plastischem Material aufgefaßt, wofür Experimente, durch welche es Gümbel gelang, S. künstlich darzustellen, sprechen. Eine verwandte Erscheinung ist der Nagelkalk (Tutenmergel), konische, mit einer rohen innern Struktur versehene Körper, ineinander gesteckten Tüten vergleichbar, die hier und da im Lias vorkommen.
Stylosporen, die bei Kernpilzen in besondern Fruchtbehältern, den Pykniden, durch Abschnürung an Hyphenenden entstehenden Sporen (s. Pilze, S. 72 f.).
Stylus (lat.), Griffel, s. Blüte, S. 69.
Stymphalische Vögel (Stymphaliden), im griech. Mythus Raubvögel mit ehernen Flügeln und Federn, die sie wie Pfeile abschießen konnten, hausten am Stymphalischen See in Arkadien und wurden von Herakles verscheucht.
Styphninfäure, s. Resorcin.
Styptische Mittel (Styptica), s. v. w. blutstillende Mittel, s. Blutung, S. 90.
Styr, rechter Nebenfluß des Pripet im westlichen Rußland, entspringt in Ostgalizien unweit der russischen Grenze und mündet nach einem Laufe von über 500 km.
Styraceen, dikotyle Pflanzenfamilie aus der Ordnung der Diospyrinen, durch die der Blumenkrone angewachsenen Staubblätter und das ganz oder halb unterständige Ovar von den nächstverwandten Ebenaceen und Sapotaceen verschieden. Die nur Holzpflanzen enthaltende Familie zählt über 220 Arten, welche meist im tropischen Asien und Amerika einheimisch und wegen der eigentümlichen aromatischen Harze (Storax, Benzoe), welche ihre Stämme enthalten, zum Teil wichtige Arzneipflanzen sind.
Styracinen, s. Diospyrinen.
Styrax Tourn. (Storaxbaum), Gattung aus der Familie der Styraceen, an allen Teilen, mit Ausnahme der Blattoberseite, mit Schuppen besetzte oder sternhaarig filzige, selten kahle Sträucher oder Bäume mit ganzrandigen oder schwach gesägten Blättern, meist weißen Blüten in achsel- oder endständigen, einfachen oder zusammengesetzten Trauben und kugeliger oder eiförmiger, ein- bis dreisamiger Frucht. Etwa 60 Arten meist in den Tropengebieten Asiens und Amerikas, spärlich im gemäßigten Asien und Südeuropa. S. Benzoin Dryand. (Benzoebaum), mittelgroßer Baum mit gestielten, eiförmig länglichen, lang zugespitzten, oberseits kahlen, unterseits weißfilzigen Blättern, innen braunroten, außen und am Rand silberweißen Blüten und holziger, weißlich-brauner, nicht aufspringender Frucht, wächst auf Java und Sumatra, in Siam und Kotschinchina, wird auch kultiviert und liefert die Benzoe. S. officinalis L. (echter Storaxbaum), ein Strauch oder kleiner Baum mit kurz gestielten, breit länglichen, unterseits weißfilzigen Blättern, endständigen, nickenden, zwei- bis vierblütigen Trauben mit wohlriechenden Blüten und filziger grüner Steinfrucht, wächst in den östlichen Mittelmeerländern nördlich bis Dalmatien und lieferte früher Styrax, der gegenwärtig allein von Liquidambar orientalis gewonnen wird.
Styrax (Storax, Judenweihrauch), ein Balsam, welcher aus der Rinde des Amberbaums, Liquidambar orientalis Mill., im südlichen Kleinasien und Nordsyrien durch Behandeln mit warmem Wasser und Abpressen gewonnen wird. Er ist zäh, dickflüssig, schwerer als Wasser, grau, etwas grünbräunlich, undurchsichtig, wird beim Erwärmen braun und durchsichtig, trocknet nicht an der Luft, löst sich in Alkohol und Äther, riecht angenehm, schmeckt scharf aromatisch, kratzend, besteht aus Zimtsäurestoresinäther, Zimtsäurephenylpropyläther, Zimtsäurezimtäther, freier Zimtsäure, Äthylvanillin, Styrol etc. Man benutzt ihn in der Parfümerie und als Mittel gegen Krätze. Die Produktion beträgt jährlich etwa 800 Ztr. S. wird schon von Herodot erwähnt und kam durch die Phöniker nach Griechenland. Neben oder vor dem Liquidambarstyrax war aber auch das feste Harz von Styrax officinalis L. im Gebrauch, welches etwa seit Beginn unsers Jahrhunderts nirgends mehr in einiger Menge gewonnen wird. Die bei der Bereitung des S. ausgepreßte Rinde wird getrocknet und dient mit nicht gepreßter Borke in der griechischen Kirche als Christholz neben Weihrauch zum Räuchern; früher kam sie als Cortex Thymiamatis in den Handel. Gegenwärtig wird sie vielfach zerkleinert und mit S. zu einem schmierigen oder ziemlich trocknen Gemenge verarbeitet, welches als Styrax calamita von Triest aus
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Styrum - Suber.
in den Handel kommt, statt jener Rinde aber oft auch nur Sägespäne enthält. Aus dem amerikanischen Liquidambar styraciflua L. gewinnt man durch Einschnitte in den Stamm einen braungelben, ziemlich festen S. (Sweet gum), der besonders von Kindern gern gekaut wird.
Styrum (Stirum), Fabrikort im preuß. Regierungsbezirk Düsseldorf, Kreis Mülheim a. d. Ruhr, unweit der Ruhr und an der Linie Ruhrort-Holzwickede der Preußischen Staatsbahn, hat eine evangelische und eine kath. Kirche, ein Schloß (Stammort der Grafen von S.), ein großes Eisenwerk (zu Oberhausen), Fabrikation von feuerfesten Steinen und Leim und (1885) 8896 meist kath. Einwohner.
Styx, in der griech. Mythologie älteste Tochter des Okeanos und der Tethys, eilte zuerst von allen Göttern mit ihren Kindern Zelos (Eifer), Nike (Sieg), Kratos (Kraft) und Bia (Gewalt), die sie von Pallas, dem Sohn des Titanen Krios, geboren, dem Zeus gegen die Titanen zu Hilfe. Dafür behielt er ihre Kinder bei sich im Olymp, sie selbst erhob er zur Eidesgöttin der Unsterblichen. Sie wohnt als Nymphe des mächtigen Flusses S., der als ein Arm des Okeanos unter die Erde fließt und (nach späterer Vorstellung) die Unterwelt neunmal durchströmt, im äußersten Westen in einem von hohen Felsen überschatteten und von silbernen Säulen getragenen Haus. Ist ein Streit unter den Göttern nur durch Eidschwur zu lösen, so holt Iris von ihrem heiligen Wasser in goldener Kanne, und wehe demjenigen, der bei diesem Wasser falsch schwört. Den Fluß S. hat man später in dem jetzt Mavronéri genannten arkadischen Gewässer wiedergefunden.
Su (türk.), s. v. w. Wasser, Fluß.
Suada (Suadela, lat.), s. v. w. Peitho (s. d.); dann überhaupt Rede- und Überzeugungsgabe.
Suaheli (Sawahili, "Küstenbewohner"), die Bewohner der Sansibarküste Ostafrikas und der vorliegenden Inseln, ein durch die beinahe tausendjährige Vermischung der eingewanderten Araber mit den eingebornen Negern der großen südafrikanischen Völkerfamilie sowie durch das jahrhundertelang fortgesetzte Einführen von Sklaven aus allen Teilen des Innern entstandenes Mischvolk, welches alle Schattierungen der Haut von den schwarzen Eingebornen bis zu den hellen Arabern und alle Zwischenstufen der Körperbeschaffenheit beider Rassen zeigt. Die Sprache der S., das Kisuaheli, bildet mit den übrigen Sprachen von Sansibar zusammen die nördlichste Gruppe der östlichen Abteilung des großen Bantusprachstammes (s. Bantu). Grammatiken derselben lieferten Krapf (Tübing. 1850) und Steere (3. Aufl., Lond. 1884), der auch die nahe verwandte Kihian- oder Yaosprache bearbeitete (das. 1871), ein Wörterbuch Krapf (das. 1882). Die S. bilden das Hauptkontingent unter der Bevölkerung des Sultanats Sansibar, und ihre Sprache ist das allgemeine Verständigungsmittel von Ostafrika. Auch die frühere Bevölkerung der Komoren ist zu den S. zu rechnen.
Suakin (Sauâkin), Hafenstadt in Nubien, am Roten Meer, auf einer Küsteninsel in einem Becken, zu welchem zwischen Korallenbänken ein schmaler, gewundener Kanal führt. In diesem liegt eine zweite Insel, welche als Quarantäne dient. Die Stadt hat eine Anzahl Moscheen mit Minarets, steinerne, mit Schnitzwerk schön verzierte Häuser und wird von Arabern, Türken, Leuten aus Hadramaut, Griechen und Maltesern bewohnt. Sie ist durch eine feste Brücke mit dem aus Mattenhütten bestehenden El Kef auf dem gegenüberliegenden Ufer verbunden, dessen Bewohner die Inselstadt mit Lebensmitteln und Trinkwasser versorgen. Um El Kef gegen die Überfälle der Mahdisten zu schützen, hat man den Ort mit Befestigungen umgeben. Die Einwohnerzahl der Doppelstadt ist (1882) 11,000. Vor dem Krieg verkehrten hier jährlich 760 europäische Schiffe und arabische Barken von 172,000 Ton., welche Reis, Datteln, Salz, Kauris und europäische Waren gegen Gummi, Elfenbein, Straußfedern, Felle, Wachs, Moschus, Getreide, Kaffee sowie Sklaven, Maulesel und wilde Tiere eintauschten. Die Ausfuhr wertete früher 5,2 Mill. Mk. S. ist auch Einschiffungshafen für Mekkapilger (jährlich 6-7000). Auf der großen Karawanenstraße zwischen hier und Berber am Nil verkehrten früher jährlich 20,000 beladene Kamele. Englische Dampfer vermitteln den Verkehr mit Suez; von dort läuft eine ägyptische Linie über Dschiddah nach S. und nach Massauah. Ein Kabel geht nach Suez und Dschiddah. Gegenwärtig ist S. von einer englischen Garnison besetzt.
Suardi, Bartolommeo, s. Bramantino.
Suarez, Franz, berühmter kathol. Theolog, geb. 5. Jan. 1548 zu Granada, wirkte als Professor in Segovia und Valladolid, nach einem Aufenthalt in Rom wieder in Alcalá, Salamanca und Coimbra; starb 25. Sept. 1617 in Lissabon. Unter seinen Werken (Lyon u. Mainz 1632 ff., 23 Bde. ; Vened. 1740, 23 Bde.; Par. 1859, 26 Bde.; Auszug von Migne, das. 1858, 2 Bde.) befindet sich eine "Defensio fidei catholicae" (1613), gegen die kirchlichen Maßnahmen Jakobs I. von England gerichtet. Vgl. Werner, Franz S. (Regensb. 1861, 2 Bde.).
Suasorisch (lat.), überredend; Suasorien, Überredungsmittel, Überredungsgründe.
Sub (lat.), unter.
Subaltern (lat.), untergeordnet, unter einem andern stehend; Subalternbeamte, Beamte, welche nicht die höhern Staatsprüfungen abgelegt haben und im Büreaudienst oder sonst in untergeordneter Thätigkeit angestellt sind; Subalternoffiziere, die niedrigste Rangstufe der Offiziere (s. d.), zu welcher die Premier- und Sekondeleutnants gehören.
Subalternation (neulat.), in der Logik dasjenige Verhältnis, wo eins unter dem andern enthalten ist, daher das besondere (bejahende und verneinende) Urteil im Verhältnis zum allgemeinen subalterniert, aber auch der Unterordnungsschluß Subalternationsschluß heißt.
Subapenninenformation, s. Tertiärformation.
Subäraten (lat.), versilberte röm. Kupfermünzen.
Subclavia (arteria, vena s.), Schlüsselbeinschlagader, -Blutader.
Sub conditione (lat.), unter der Bedingung.
Subconductio (lat.), s. v. w. Aftermiete (s. d.).
Subdatarius (lat.), s. Dataria.
Subdelegat (lat.), Unterbevollmächtigter.
Subdiakonus, in der abendländischen Kirche seit dem 3. Jahrh. Gehilfe des Diakonen, erst seit Innocenz III. zu den Ordines majores gerechnet; in der protestantischen Kirche der zweite Hilfsprediger an einer Kirche.
Sub dio (sub Jove, lat.), unter freiem Himmel.
Subditius (lat.), untergeschoben.
Subdivision (lat.), Unterabteilung.
Subdominante (lat.), s. v. v. Unterdominante (s. Dominante).
Subdominus (lat.), Unter- oder Afterlehnsherr; s. Afterlehen und Lehnswesen, S. 633.
Suber (lat.), Kork, Korkbaum; Suberin, die reine Korksubstanz (s. Kork); suberös, korkartig.
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Subert - Sublimation.
Subert (spr. schubert), Franz Adolf, tschech. Dichter, geb. 1845 zu Techonice, studierte in Prag, war Mitredakteur des "Pokrok" und Sekretär des Böhmischen Klubs und ist seit 1883 Direktor des böhmischen Nationaltheaters. Er schrieb zwei gehaltvolle historische Erzählungen: "Die Gefangennehmung des Königs Wenzel" und "Georg Podiebrad" ; ferner das Lustspiel "Petr Volk z Rozmberka" , ein fesselndes Intrigenstück aus der Zeit des Bruderzwistes im Haus Habsburg, das Trauerspiel "Probuzenci" ("Die Erwachten", 1882), aus der Zeit des österreichischen Erbfolgekriegs und der bayrisch-französischen Invasion in Böhmen. Wie dieses, fußt auch das folgende: "Jan Vyrawa" (1886), in dem Kampf zwischen den leibeignen Bauern und den Großgrundbesitzern. Seine jüngsten Stücke sind: "Laska Raffaelova" ("Die Liebe Raffaels", 1887), eine Frucht seiner italienischen Reisen und Studien, die sich durch schwungvolle Diktion auszeichnet, indessen in der Komposition viel zu wünschen übrigläßt, und "Praktikus" (1888), worin S. seine genauen Kenntnisse der journalistischen Welt in gar zu drastischen Effekten verwertet. Im ganzen ist ihm mehr Fleiß und Routine als angebornes dramatisches Talent nachzurühmen.
Subfeudum (lat.), s. Afterlehen.
Subhastation(lat.), öffentliche Versteigerung eines Gegenstandes (vgl. Hasta), erfolgt entweder auf Antrag des Eigentümers (freiwillige) oder auf Anordnung der Behörde (notwendige), insbesondere um mit dem Erlös Gläubiger zu befriedigen. Im engern Sinn versteht man unter S. die gerichtliche Versteigerung von Immobilien und unter Subhastationsordnung ein ausführliches Gesetz über die gerichtliche Zwangsvollstreckung (s. d.) in Grundstücke. Subhastieren, öffentlich versteigern.
Sub hodiérno dië (lat.), unter heutigem Tag.
Subiáco (das röm. Sublaqueum), Stadt in der ital. Provinz Rom, am Teverone, eng von Bergen umschlossen, hat einen dem Papst Pius VI. 1789 errichteten Triumphbogen, ein Kastell, Reste Neronischer Bauten, Fabrikation von Hüten, Leder, Töpferwaren, Papier, Glocken, Ackerbauwerkzeugen etc. und (1881) 6503 Einw. Die Umgebung von S. ist die Wiege des Benediktinerordens; noch finden sich von zwölf dort erbauten Klöstern zwei schon im 6. Jahrh. gestiftete vor: Santa Scolastica und Sacro Speco mit der Felsengrotte, in die sich St. Benedikt zurückzog. Im erstgenannten Kloster stellten die deutschen Buchdrucker Sweynheym und Pannartz 1464 die ersten in Italien gedruckten Bücher her. Vgl. Gregorovius, Lateinische Sommer (5. Aufl., Leipz. 1883).
Subito (ital.), schnell, plötzlich, sofort.
Subjekt (lat. subjectum), jeder Begriff, der in der Voraussetzung gedacht wird, daß ihm ein andrer, das Prädikat (s. d.), in einem Urteil als Merkmal beigelegt oder abgesprochen werde; dann der Vorstellende im Gegensatz zu dem Vorgestellten oder dem Objekt (s. d.); auch s. v. w. Person (oft im verächtlichen Sinn). In der Musik bezeichnet S. das Thema einer Fuge (s. d.); man spricht von Fugen mit 2 Subjekten (Doppelfuge), 3 Subjekten (Tripelfuge), wo mehrere Themata selbständig durchgeführt werden.
Subjektion (lat.), Unterwerfung; als Redefigur s. v. w. Aufwerfung und Selbstbeantwortung einer Frage (z. B. bei Herder: "Wes ist der Erdenraum? Des Fleißigen"). Subjizieren, unterwerfen, unterordnen; eingeben, an die Hand geben.
Subjektiv (lat.), dem Subjekt eigen, persönlich, in der individuellen Natur des Denkenden oder Empfindenden begründet (vgl. Objekt).
Subjektivismus (neulat.), eine Weltauffassung, welche, im Gegensatz zur objektiven, d. h. im Objekt (s. d.), in der Natur der (vorgestellten oder empfundenen) Sache, begründeten, Betrachtung der Dinge, viel mehr im Subjekt (s. d.), d. h. in der (individuellen) Natur des Vorstellenden oder Empfindenden, ihren bestimmenden Ursprung hat. Derselbe ist theoretisch, wenn er dasjenige, was dem (individuellen) Subjekt wahr scheint, ebendeshalb für wahr, praktisch, wenn er dasjenige, was dem (individuellen, eignen) Subjekt nützt, ebendeshalb für gut (und erlaubt) erklärt, und fällt in ersterer Hinsicht mit der Lehre der Sophisten ("Der Mensch ist das Maß aller Dinge": Protagoras), in letzterer mit der (Un-)Moral des Eigennutzes und des Egoismus zusammen. Dadurch, daß der S. die Existenz von Objekten weder leugnet, noch sich für den Schöpfer derselben erklärt, unterscheidet er sich vom (subjektiven) Idealismus (z. B. Fichtes) dadurch, daß er sich gegen das Dasein anderer Subjekte (außer ihm) zwar gleichgültig verhält, dasselbe aber nicht ausschließt, vom (theoretischen und praktischen) Solipsismus (z. B. M. Stirners).
Subjektivität (neulat.), subjektives Wesen, subjektive Auffassung und Darstellung, im Gegensatz zu Objektivität (s. d.). Vgl. Subjektivismus.
Subjizieren (lat.), s. Subjektion.
Sub Jove (lat.), unter freiem Himmel.
Sub judice (lat., "unter dem Richter"), noch unentschieden (von Prozessen).
Subjungieren (lat.), unterordnend anknüpfen.
Subjunktiv (lat.), s. v. w. Konjunktiv, s. Verbum.
Subkonträr heißt in der Logik das besonders bejahende im Verhältnis zum besonders verneinenden Urteil, weil es unter dem allgemein bejahenden und dieses unter dem allgemein verneinenden steht, welche beide einander konträr entgegengesetzt sind.
Subkutan (lat.), unter der Haut befindlich.
Sublevieren (lat.), erleichtern, unterstützen, aushelfen; besonders einen Teil der Amtslast übernehmen; Sublevant, Helfer, Amtsgehilfe.
Sublim (lat.), erhaben.
Sublimat (lat.), jedes Produkt einer Sublimation, speziell s. v. w. Quecksilberchlorid (ätzendes S.).
Sublimation (lat.), Operation, welche zum Zweck hat, starre, flüchtige Körper von nicht flüchtigen zu trennen. Von der Destillation (s. d.) unterscheidet sich die S. nur dadurch, daß ihr Produkt, das Sublimat, starr und nicht flüssig ist. Die zur S. dienenden Apparate bestehen aus einem Teil, in welchem der zu sublimierende Körper erhitzt wird, und einem andern, geräumigern, in welchem sich die Dämpfe verdichten. Bisweilen (Kalomelbereitung) genügt ein einziges Gefäß, z. B. ein Glaskolben, dessen Boden in einem Sandbad erhitzt wird. Der flüchtige Körper verwandelt sich in Dampf, der sich an den obern Wandungen des Kolbens wieder verdichtet. Das Sublimat bildet dann einen nahezu halbkugelförmigen Kuchen. Bei der S. mancher Substanzen (Benzoesäure, Pyrogallussäure) ist es praktisch, sie auf einer Metallplatte oder in einer flachen Schale zu erhitzen und die Dämpfe in einem Hut von Papier, den man auf die Platte oder Schale setzt, aufzufangen. In der Technik benutzt man Töpfe aus Steinzeug, welche über einer Feuerung in Sand eingebettet stehen und mit ihrem Hals bis an eine eiserne Platte reichen, welche für jeden Topf eine Öffnung besitzt. Das Sublimat wird in kleinen irdenen Töpfen aufgefangen, welche man über die Mündungen der größern stülpt. Häufig sublimiert man auch in eisernen Kesseln, die über einer Feuerung eingemauert und innen bisweilen mit feuerfesten Stei-
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Sublokation - Substantiv.
nen ausgekleidet werden. Man verschließt sie fest mit einem eisernen Deckel, der nur ein kleines Loch zum Entweichen nicht kondensierbarer Gase enthält. Derartige einfache Apparate sind nur anwendbar, wo die Dämpfe des zu sublimierenden Körpers sich sehr leicht kondensieren lassen. In andern Fällen ist es notwendig, die Dämpfe aus dem Gefäß, in welchem sie sich gebildet haben, abzuleiten und in besondern Räumen zu verdichten. Dies geschieht z. B. bei der S. des Schwefels, dessen Dämpfe in großen gemauerten Kammern verdichtet werden. Sind die Dämpfe des zu sublimierenden Körpers nicht entzündlich, so ist es vorteilhaft, sie durch einen Luftstrom, den ein Ventilator liefert, in die Kondensationsräume zu treiben. Dies geschieht auch dann, wenn man das Sublimat in Form eines feinen Pulvers und nicht als kompakte Masse erhalten will, und zwar kann man statt der Luft auch irgend ein indifferentes Gas oder Wasserdampf anwenden. Manche Sublimate entstehen bei der Einwirkung von Gasen auf starre Körper, z. B. wenn man ein Bündel von Eisendraht in dem Hals einer tubulierten Retorte erhitzt und trocknes Chlor hindurchleitet. Es entsteht dann Eisenchlorid, welches sich in der Retorte verdichtet. Bisweilen kann man mit der S. eine Reinigung der Substanz von flüchtigen Verunreinigungen, z. B. von empyreumatischen Stoffen, in der Art verbinden, daß man die Beschickung mit Holz- oder Teerkohle mischt, welche jene Verunreinigungen zurückhält. Manche Sublimate bilden feste Kuchen (Zinnober, Quecksilberchlorür und -Chlorid, kohlensaures Ammoniak, Salmiak); andre bilden Kügelchen (Schwefelblumen) oder isolierte kleinere oder größere Kristalle (Benzoesäure, Pyrogallussäure, Jod); alle aber zeichnen sich meist durch große Reinheit aus. Daher benutzt man auch die S. in der Analyse, um an wohl ausgebildeten Kristallen den sublimierenden Körper zu erkennen.
Sublokation (lat.), Aftermiete (s. d.).
Sublunarisch (lat.), unter dem Mond befindlich.
Subluxation (lat.), eine Verrenkung, wobei die Gelenkflächen nicht gänzlich voneinander gewichen sind, sondern sich noch teilweise berühren.
Submarin (lat.), unterseeisch.
Submergieren (lat.), untertauchen, unter Wasser setzen; Submersion, Untertauchung.
Subministrieren (lat.), behilflich sein, an die Hand gehen; Subministration, Vorschubleistung, namentlich bei Unterschleifen.
Submiß (lat.), unterwürfig.
Submission (Summission, lat.), die Vergebung öffentlich ausgebotener Arbeiten, bez. Materiallieferungen an den Mindestfordernden auf Grund schriftlich eingereichter geheimer Angebote. Dieselbe ist eine allgemeine, wenn jedermann zur Konkurrenz zugelassen wird, eine beschränkte oder engere, wenn von vornherein eine Auswahl getroffen, die Zulassung vom Nachweis bestimmter Fähigkeiten, Berufs-, Staats- oder Gemeindeangehörigkeit, Kapitalbesitz zur Kautionsstellung u. dgl. abhängig gemacht wird. über Bedeutung, Vorteile und Mißstände der S., dann über die in der neuern Zeit vorgeschlagenen und durchgeführten Maßregeln zur Besserung vgl. F. C. Huber, Das Submissionswesen (Tübing. I885). S. auch Staatsschulden, S. 204.
Suboles (Soboles. lat.), in der Botanik s. v. w. Ausläufer.
Subordination (lat.), "Unterordnung", Dienstgehorsam; beim Militär die Pflicht des Untergebenen, jedem Befehl seines Vorgesetzten sich ohne Widerrede zu fügen, die Grundlage aller Disziplin und Mannszucht (vgl. Insubordination). In der Logik ist S. der Begriffe dasjenige Verhältnis derselben, vermöge dessen ein Begriff zum Umfang eines andern, ihm übergeordneten gehört (vgl. Koordinieren).
Suboxyd und Suboxydul, s. Oxyde.
Sub poena (lat.), unter Androhung einer Strafe.
Subreption (lat.), Erschleichung (s. d.), insbesondere durch Angabe falscher Thatsachen (vgl. Obreption).
Subrogieren (lat.), jemand in eines andern Stelle setzen; einem sein Recht abtreten.
Sub rosa (lat.), im Vertrauen, unter der Bedingung der Verschwiegenheit. Der Ausdruck bezieht sich auf den Brauch im Altertum, daß man bei Gastmählern eine Rose als Symbol der Verschwiegenheit über den Gästen auszuhängen pflegte.
Subsekutiv (lat.), nachfolgend.
Subsellien (lat.), Schulbänke; s. Schulgesundheitspflege, S. 649.
Subsemitonium modi, der Halbton unter der Tonika, also die große Septime in der aufsteigenden Tonleiter, der Leitton der Tonart.
Subsequenz (lat.), das Nachfolgende.
Subsidien (lat.), ursprünglich bei den Römern das dritte Treffen der Schlachtordnung, welches den beiden ersten Treffen im Notfall zu Hilfe zu kommen hatte, später überhaupt die Reserve in der Schlachtordnung; dann Bezeichnung für Hilfsmittel überhaupt, daher "in subsidium", subsidiär (subsidiarisch), s. v. w. unterstützend, hilfeleistend. Namentlich versteht man unter S. Gelder, die im Fall eines Kriegs vermöge eines besondern Vertrags (Subsidientraktats) ein Staat dem andern zahlt (s. Allianz). In England werden mit dem Ausdruck Subsidiengelder (grants, "Bewilligungen") auch diejenigen Gelder bezeichnet, welche vom Parlament jährlich für die Land- und Seemacht bewilligt werden. Charitativsubsidien, die ehedem von der reichsfreien Ritterschaft dem Kaiser entrichteten zeitweiligen Abgaben.
Sub sigillo (lat.), unter dem Siegel (der Verschwiegenheit); vgl. Beichtsiegel.
Subsistieren (lat.), Bestand haben; seinen Unterhalt haben; Subsistenz, Lebensunterhalt.
Subskribieren (lat.), unterschreiben, auf etwas unterzeichnen, eine Subskription (s. d.) eingehen.
Subskription (lat.), die Verpflichtung durch Namensunterschrift zur Teilnahme an einem Unternehmen oder zur Annahme einer Ware, besonders einer litterarischen Arbeit oder eines Kunstwerks, aber auch zur Übernahme von Aktien oder zur Beteiligung an einer Anleihe (s. Staatsschulden, S. 204). Die S. bewirkt für den Subskribenten rechtliche Verbindlichkeit, wenn auch vom andern Teil alle Versprechungen sowohl hinsichtlich der Zeit der Lieferung als auch der Beschaffenheit des zu liefernden Gegenstandes eingehalten werden. Der Subskriptionspreis ist oft niedriger gestellt als der spätere Kaufpreis. Das Sammeln von Subskribenten durch Buchhandlungsreisende wird nicht als Hausiergewerbe behandelt.
Sub sole (lat.), unter der Sonne.
Substantiell (lat.), wesenhaft, wesentlich (s. Substanz); derb, kräftig (von Speisen); materiell; Substantialität, Wesenheit, Selbständigkeit.
Substantiv (Nomen substantivum, Haupt-, Dingwort), in der Grammatik Bezeichnung einer Person oder Sache oder eines Begriffs. Der Ausdruck S. findet sich im Altertum noch nicht, sondern ist erst bei den Grammatikern des Mittelalters aufgekommen, die ihn aus dem lateinischen substantia ("Stoff") bildeten. Er drückt besonders den Gegensatz dieser Wort-
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Substanz - Subtraktion
klasse zu den Eigenschaftswörtern (Adjektiven) aus, die bloß ein einzelnes Merkmal bezeichnen. Schon die Alten teilten das S. in verschiedene Klassen ein; die noch jetzt allgemein gebräuchlichen Einteilungen sind folgende. Je nachdem ein S. ein bestimmtes, persönliches Wesen oder eine ganze Gattung von Personen, Sachen oder Begriffen bezeichnet, heißt es Nomen proprium (Eigenname) oder Nomen appellativum (Gattungsname). Das Appellativum kann wieder Abstractum oder Concretum sein, je nachdem es entweder etwas bloß Gedachtes oder Vorgestelltes, oder etwas wirklich im Raum Vorhandenes bedeutet. Andre Unterarten des Nomen appelativum sind die Collectiva (Sammelwörter), die eine Gesamtheit von Individuen bezeichnen, wie z. B. Volk, Menge, Schar, und die Materialia (Stoffwörter), wie Gold, Wasser, Wein, Getreide. Für die historische und vergleichende Sprachforschung sind alle diese Unterschiede nicht vorhanden, da die Substantiva aller Arten und selbst die Adjektiva und Partizipia fortwährend ineinander übergehen, auch die Eigennamen stets aus einem Appellativum entstanden sind und auch wieder zu einem solchen werden können, wie z. B. Cäsar ursprünglich "Töter, Mörder" bedeutete, dann ein Beiname des Gajus Julius Cäsar, hierauf der gewöhnliche Titel der römischen und später der deutschen "Kaiser", zuletzt in manchen Fällen im Deutschen wieder ein Eigenname geworden ist. Das S. ist neben dem Verbum der wichtigste der Redeteile, und es gibt keine Sprache, der das S. fehlt. Die Flexion der Substantiva durch angehängte Kasusendungen (s. Kasus) heißt Deklination.
Substanz (lat.), im gewöhnlichen Sinn das Grund wesen, das Wesentliche oder der Hauptinhalt einer Sache, der Stoff, im Gegensatz zum Accidens (s. d.), der zufälligen, nicht wesentlichen Eigenschaft eines Dinges. So bezeichnet man z. B. Kapitalien als S. eines Vermögens im Gegensatz zum Ertrag oder den Zinsen als seinen Accidenzien. In der Philosophie ist S. das unbekannte Seiende, welches als beharrlich und bleibend gegenüber allem Wechsel der Erscheinung gedacht wird und dem Vielen und Mannigfaltigen die Einheit gibt. Hinsichtlich der Bestimmung des Wesens dieser S. gehen die philosophischen Systeme auseinander. Ob es eine Vielheit von Substanzen gebe (Monaden des Leibniz, reale Wesen Herbarts), oder ob nur eine anzunehmen sei (S. des Spinoza), ob dieselbe oder dieselben geistiger oder materieller Natur seien, darüber ist der alte Streit bis auf den heutigen Tag nicht entschieden.
Substituieren (lat), an eines andern Stelle setzen.
Substitut (lat.), ein Amts- oder Stellvertreter; Beigesetzter, Nachgeordneter im Amt, auch s. v. w. Nacherbe (s. Substitution).
Substitution (lat.), Stellvertretung, Einsetzung eines Stellvertreters, namentlich seitens eines Prozeßbevollmächtigten, der seine Vollmacht auf einen andern überträgt; Substitutorium, die zur Beurkundung dessen ausgestellte Urkunde. Im Erbrecht versteht man unter S. eine eventuelle Erbeinsetzung oder, wie der Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 1804 ff.) es nennt, die Nacherbfolge, welche dann vorliegt, wenn der Erblasser einen Erben in der Weise einsetzt, daß derselbe erst, nachdem ein andrer Erbe geworden ist, von einem bestimmten Zeitpunkt oder Ereignis an Erbe sein soll. Mit diesem Moment hört der bisherige Erbe (Vorerbe) auf, Erbe zu sein, und die Erbschaft fällt dem Nacherben zu. Dahin gehört zunächst die Vulgarsubstitution, d. h. die Einsetzung eines zweiten Erben (Substituten, Nacherben) für den Fall, daß der erst ernannte nicht Erbe wird; ferner die Pupillarsubstitution, darin bestehend, daß der Vater seinem unmündigen Kind einen Erben ernennen darf für den Fall, daß dieses nach ihm noch unmündig versterben sollte; endlich die Quasipupillarsubstitution (substitutio quasi pupillaris s. exemplaris), vermöge deren es allen Aszendenten freisteht, einem blödsinnigen Abkömmling einen Substituten zu ernennen für den Fall, daß das Kind im Blödsinn verstirbt, jedoch nur in betreff des Vermögens, welches der Blödsinnige von dem Aszendenten hat, nicht seines anderweiten. Der Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs kennt nur eine Art der Nacherbfolge, bestimmt aber (§ 1851) bezüglich der eventuellen Erbeinsetzung für einen Abkömmling folgendes: "Hat der Erblasser einem Abkömmling, welcher zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung keinen Abkömmling hat, für die Zeit nach dessen Tod einen Nacherben bestimmt, so ist anzunehmen, daß die Einsetzung des Nacherben auf den Fall beschränkt sei, wenn der Vorerbe keinen Abkömmling hinterlasse". In der Chemie heißt S. oder Metalepsie die Vertretung eines Atoms oder einer Atomgruppe in einer chemischen Verbindung durch ein Äquivalent eines andern Elements oder einer andern Atomgruppe. Bei der Einwirkung von Chlor auf manche organische Verbindungen können ein oder mehrere Atome Wasserstoff in Form von Chlorwasserstoff austreten, während gleich viel Atome Chlor die Stelle des ausgetretenen Wasserstoffs einnehmen. Auf diese Weise entstehen chlorhaltige Verbindungen (Substitutionsprodukte), die, obgleich chlorhaltig, noch den Charakter ihrer Muttersubstanz, aus der sie entstanden sind, besitzen. Behandelt man Essigsäure C2H4O2 mit Chlor, so entstehen der Reihe nach Monochloressigsäure C2H3ClO2, Dichloressigsäure C2H2Cl2O2, Trichloressigsäure C2HCl3O2, und alle diese Säuren zeigen noch den Charakter und die Basizität der Essigsäure. Wie Chlor verhalten sich auch Brom und Jod und gewisse Atomgruppen, wie NO2, NH2, SO2. Ebenso können an die Stelle von Sauerstoff Schwefel, Selen oder Tellur, an die Stelle von Stickstoff Phosphor, Arsen oder Antimon treten, ohne daß der Charakter der betreffenden chemischen Verbindungen geändert wird. Daraus muß man schließen, daß der Charakter der organischen Substanzen bis zu einem gewissen Grad weniger von der Natur ihrer Bestandteile als vielmehr von der Art der Verbindung, von der Stellung, welche letztere einnehmen, abhängig ist. Diese Thatsachen führten in der Chemie zur Aufstellung der Typentheorie durch Dumas und Laurent und der Kerntheorie durch Laurent, und wenn beide auch nicht allgemeine Geltung erlangt haben, so bildeten sie doch die Brücke zu den neuen, jetzt herrschenden Anschauungen.
Substitutionsverfahren, s. Zucker.
Substrat (lat.), Unterlage, Grundlage; der vorliegende Fall; in der Logik s. v. w. Substanz.
Substruktion (lat.), Unter-, Grundbau.
Subsultus tendinum (lat.), Sehnenhüpfen (s. d.).
Subsumieren (lat.), unter etwas zusammenfassen, mit begreifen, etwas folgern; Subsumtion, Zurückführung des Besondern auf ein Allgemeines; Voraussetzung, Annahme; subsumtiv, voraussetzend.
Subtil (lat.), zart, fein; spitzfindig.
Subtrahendus (lat.), s. Subtraktion.
Subtraktion (lat.), in der Arithmetik die zweite der vier Spezies, welche zu zwei gegebenen Zahlen, dem Minuendus und dem Subtrahendus, eine
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Subtropen - Suchitoto.
dritte, die Differenz (den Unterschied), findet, die, zu dem Subtrahendus addiert, den Minuendus gibt. Das Zeichen der S. ist - oder -, gelesen minus oder weniger, z. B. 12-4=8. Das Verfahren bei S. mehrzifferiger Zahlen besteht gewöhnlich darin, daß man die einzelnen Ziffern des Subtrahendus von den (nach Befinden um 10 vermehrten) des Minuendus subtrahiert, z. B. 25831-16543 wird gerechnet 3 von 11 gibt 8, 4 von 12 gibt 8, 5 von 7 gibt 2, 6 von 15 gibt 9, 1 von 1 gibt 0; in Österreich und auf einzelnen Schulen anderwärts rechnet man dagegen: 3+8 ist 11, 5 (nämlich 4+1)+8 ist 13, 6(5+1)+2 ist 8, 6+9 ist 15, 2+0 ist 2. Das Resultat ist also 9288. Das letztere Verfahren ist vorzuziehen, weil man bei Gewöhnung an dasselbe bei der Division die abzuziehenden Tellprodukte nicht hinzuschreiben braucht, sondern gleich den Rest angeben kann.
Subtropen, der zu beiden Seiten der Tropen gelegene Gürtel, ausgezeichnet durch die Gleichmäßigkeit der Temperatur, umfaßt die Gegenden mit ausgesprochenem Winterregen. Subtropisch, dem Tropischen sich annähernd, z. B. subtropische Vegetation.
Subulirostres, s. v. w. Pfriemenschnäbler.
Sub una specie (lat.), unter einerlei Gestalt, nämlich nur des Brotes, wie die Katholiken das Abendmahl genießen; sub utraque specie, unter beiderlei Gestalt (vgl. Abendmahl und Hussiten).
Subura, im alten Rom eine zwischen dem Kapitol und Esquilinus befindliche Niederung, durch welche eine sehr belebte, mit zahlreichen Tavernen und Bordellen besetzte Straße führte.
Subvention (lat.), Beihilfe, Unterstützung, insbesondere aus öffentlichen Mitteln.
Subverfion (lat.), Umsturz; subversiv, Umsturz bezweckend; subvertieren, umstürzen, zerstören.
Sub voce (lat.), unter dem und dem Wort.
Subzow, Kreisstadt im russ. Gouvernement Twer, am Einfluß der Wasusa in die Wolga, mit 5 griechisch-russ. Kirchen und (1885) 4191 Einw.
Succedaneum (lat.), Ersatz, Notbehelf.
Suceedieren (lat.), nachfolgen, in ein Rechtsverhältnis als Berechtigter eintreten (s. Rechtsnachfolge).
Succeß (lat.), glücklicher Erfolg.
Succession (lat.), s. Rechtsnachfolge.
Successive (lat.), nach und nach, allmählich.
Successor (lat.), Rechtsnachfolger.
Succinate, s. Bernsteinsäure.
Succinit, s. v. w. Bernstein; auch eine bernsteinfarbige Varietät des Granats.
Succiusäure, s. Bernsteinsäure.
Succinum (lat.), Bernstein.
Succus (lat.), Saft, S. entericus, Darmsaft; dann besonders Pflanzensaft; z. B. S. Citri, Zitronensaft; S. Juniperi inspissatus, Wacholdermus, eingedampfter Saft frischer Wacholderbeeren; S. Liquiritiae (Glycyrrhizae), Lakritzen, Extrakt der Süßholzwurzel; S. Sambuci inspissatus, Fliedermus, der eingedampfte Saft der Holunderbeeren.
Suche, Jagdmethode, bei welcher man das Wild mit dem Hund aufsucht, um es beim Verlassen seiner Lagerstätte zu schießen; auch die Nachsuche auf angeschossenes Wild mit dem Schweißhund.
Suchenwirt, Peter, der berühmteste Wappendichter des 14. Jahrh., im Österreichischen geboren, begleitete 1377 den Herzog Albrecht III. von Österreich auf seinem Kriegszug nach Preußen, lebte später in Wien und starb nach 1395. Unter seinen zahlreichen Dichtungen (hrsg. von Primisser, Wien 1827) behauptet die poetische Erzählung "Von Herzog Albrechts Ritterschaft" (Ritterzug) den ersten Platz.
Sucher, kleines Fernrohr mit großem Gesichtsfeld, welches mit einem größern astronomischen Fernrohr derartig verbunden ist, daß die Achsen beider Instrumente genau parallel sind. Hierdurch wird die Auffindung eines Objekts am Himmel, welche mit dem großen Instrument allein wegen der Kleinheit seines Gesichtfeldes schwierig wäre, wesentlich erleichtert. Denn richtet man das Instrument so, daß der zu betrachtende Gegenstand in der Mitte des Gesichtsfeldes des Suchers erscheint, so wird er auch für das größere Fernrohr im Gesichtsfeld sich befinden.
Sucher, Joseph, Komponist und Dirigent, geb. 1843 zu St. Gotthardt in Ungarn, erhielt seinen ersten Musikunterricht in Wien als Sängerknabe der kaiserlichen Hofkapelle, studierte später die Rechte, widmete sich aber schließlich ganz der Musik und übernahm nach absolviertem gründlichen Studium der Komposition unter Leitung Sechters die Direktion des Wiener akademischen Gesangvereins. Nachdem er dann zeitweilig auch als Kapellmeister der Komischen Oper fungiert hatte, folgte er 1876 einem Ruf als Theaterkapellmeister nach Leipzig, wo er sich namentlich um die Vorführung der Wagnerschen Musikdramen großes Verdienst erwarb. Im folgenden Jahr verheiratete er sich mit der Sängerin Rosa Hasselbeck, einer Zierde der Leipziger Oper. 1879 wurden beide an das Stadttheater nach Hamburg, 1888 an das Berliner Opernhaus berufen.
Suchet (spr. ssüschä), Louis Gabriel, Herzog von Albufera, franz. Marschall, geb. 2. März 1770 zu Lyon, trat 1792 als Freiwilliger in die Lyoner Nationalgarde, focht 1794 und 1795 in Italien unter Laharpe, ward 1797 Brigadegeneral und befehligte 1798-1800 als Divisionsgeneral erst in der Schweiz, dann in Italien. Nach dem Frieden von Lüneville 1801 wurde S. zum Generalinspektor der Infanterie ernannt und erhielt 1804 eine Division im Lager von Boulogne. In den Feldzügen von 1805, 1806 und 1807 zeichnete sich seine Division, die erste des 5. Korps unter Lannes, vielfach aus. Nach dem Frieden von Tilsit befehligte S. das 5. Korps in Schlesien und führte gegen Ende 1808 dasselbe nach Spanien. Nach Saragossas Fall übernahm er im April 1809 das Kommando der Armee von Aragonien, siegte bei Mavia, Belchite und Lerida und eroberte Tortosa und Tarragona, womit er sich den Marschallsstab erwarb. 1812 schlug er Blake abermals bei Sagunto und eroberte 9. Jan. Valencia, wofür er den Herzogstitel erhielt. Nachdem er Anfang 1814 über die Pyrenäen zurückgegangen, erklärte er aus seinem Hauptquartier Narbonne 14. April die Anerkennung Ludwigs XVIII. und schloß einen Waffenstillstand mit Wellington. Bei der Rückkehr Napoleons I. von Elba ließ er sich jedoch von demselben das Kommando der Alpenarmee übertragen, drang 14. Juni in Savoyen ein, ward aber von den Österreichern zurückgeworfen. Bei Ludwigs XVIII. Rückkehr verlor er die Pairswürde, erhielt dieselbe aber 1819 zurück. Er starb 3. Jan. 1826 in Marseille. In Lyon ist ihm ein Denkmal errichtet. Seine "Mémoires sur les campagnes en Espagne depuis 1808 jusqu'en 1814" (2. Aufl., Par. 1834, 2 Bde.) veröffentlichte sein Stabschef Saint-Cyr-Nuguas. - Suchets Sohn Napoléon S., Herzog von Albufera, geb. 23. Mai 1813, war 1852-70 Mitglied des Gesetzgebenden Körpers, starb 23. Juli 1877 in Paris.
Suchitoto (spr. ssutschi-), Hauptstadt des Departements Cuscutlan im mittelamerikan. Staat Salvador, auf einer Anhöhe beim Rio Lempa, hat Anbau von Mais, Zuckerrohr etc. und (1878) 5826 Einw.
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Suchona - Südafrikanische Republik.
Suchoua (Ssuchona), einer der beiden Quellströme der Dwina im russ. Gouvernement Wologda, kommt aus dem Kubenskischen See, wendet sich bald nach NO. und behält diese Richtung bis zur Vereinigung mit dem Jug bei. Die Länge dieses im ganzen Lauf schiffbaren Flusses beträgt 580 km. Durch den Kanal des Herzogs Alexander von Württemberg steht der Fluß mit der Ostsee wie mit dem Kaspischen Meer in Verbindung.
Sucht, in der Medizin ein veraltetes Wort, das nur noch in Zusammensetzung vorkommt, wahrscheinlich gleichen Stammes mit "Seuche" und "siechen", früher ganz allgemein Krankheit, hat sich dann erhalten in Schwind-, Wasser-, Fett-, Gelbsucht etc.
Süchteln, Stadt im preuß. Regierungsbezirk Düsseldorf, Kreis Kempen, unweit der Niers und an der Linie Viersen-S. der Krefelder Eisenbahn, hat eine evangelische und kath. Kirche, starke Samt- und Samtbandweberei, Seidenfärberei, Zeugdruckerei, Flachsbereitung, Appreturanstalten, Gerberei, Ziegeleien, Ölmühlen und (1885) 9465 meist kath. Einwohner. Nahe der Stadt auf einem Höhenzug das Kriegerdenkmal und ein Aussichtsturm mit prachtvoller Fernsicht sowie auf dem Heiligenberg die alte Irmgardiskapelle, ein vielbesuchter Wallfahrtsort.
Suchum Kale (Soghum Kala), befestigte Gebietshauptstadt in der russ. Statthalterschaft Kaukasien, am Schwarzen Meer, mit vortrefflichem, gegen alle Winde geschütztem Hafen, aber nur (1879) 1947 Einw. Der Ort steht auf den Ruinen des alten griechischen Dioskurias, einer Gründung der Milesier, wurde 1809 von den Russen erobert, aber erst 1829 im Frieden von Adrianopel von der Türkei abgetreten und erhielt nun ansehnliche Magazine und einen schönen Bazar. 1854 wurde es von den Russen bei Annäherung einer englisch-französischen Flottille eiligst geräumt, teilweise zerstört und von den Abchasen, welche die türkische Flagge aufpflanzten, geplündert. Im September 1855 landete Omer Pascha mit einem türkischen Korps und begann von hier aus die Operationen gegen Tiflis. Im Mai 1877 wurde der Ort abermals von den Türken besetzt, aber, da die beabsichtigte Insurgierung der Bergvölker nicht gelang, im September wieder geräumt und darauf von den Abchafen verbrannt.
Suckow, Albert, Freiherr von, württemberg. Kriegsminister, geb. 13. Dez. 1828 zu Ludwigsburg, Sohn des 1863 verstorbenen Obersten Karl von S. (Verfassers der militärischen Erinnerungen aus der Napoleonischen Zeit: "Aus meinem Soldatenleben", Stuttg. 1863), der, ein Mecklenburger, in der Rheinbundszeit in württembergische Dienste getreten war, und der als Schriftstellerin unter dem Pseudonym Emma von Niendorf bekannten Freifrau Emma v. Callatin (gest. 1876 in Rom). 1848 wurde S. Leutnant der Artillerie, seit 1861 als Hauptmann mit der Leitung der Kriegsschule betraut. 1866 als Major Militärbevollmächtigter im Hauptquartier der Bayern, nahm er an den Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen mit Preußen teil, ward Adjutant des Kriegsministers v. Wagner, den er bei der Einführung des preußischen Heersystems unterstützte, sodann Oberst und Generalquartiermeister, 24. März 1870 als Generalmajor Chef des Kriegsdepartements und machte sich um die Organisation der württembergischen Division und ihre Ergänzung und Verpflegung während des Kriegs hochverdient. Er wurde dafür 19. Juli d. J. zum Generalleutnant und Kriegsminister befördert, als welcher er, mehrmals in das preußische Hauptquartier in Frankreich gesandt, die Militärkonvention mit Preußen und die Reichsverträge abschloß; er erhielt eine Dotation von 300,000 Mk. S. nahm 1874 seinen Abschied und lebt zu Baden-Baden. Gegen Arkolay (Streubel) schrieb er die Broschüre "Wo Süddeutschland Schutz für sein Dasein findet?" (Stuttg. 1869).
Sucre (spr. ssuhkre), 1) Stadt in Bolivia, s. Chuquisaca. - 2) (Puerto de S.) Einfuhrhafen der Stadt Cariaco (s. d.) in Venezuela.
Sucre (spr. ssuhkre), Antonio José de, Präsident von Bolivia, geb. 1793 zu Cumana in Venezuela, trat 1810 in die südamerikanische patriotische Armee, diente 1814-17 im Generalstab und dann unter Bolivar gegen Neugranada, brachte den Spaniern mehrere Niederlagen bei und entschied als Oberbefehlshaber der republikanischen Truppen durch den Sieg bei Ayacucho 9. Dez. 1824 die Befreiung Südamerikas vom spanischen Joch. Er erhielt hierfür durch den Kongreß von Bolivia den Titel Großmarschall von Ayacucho und ward 1825 von der Republik Bolivia zum lebenslänglichen Präsidenten erwählt, legte aber infolge der innern Unruhen 1. Aug. 1828 diese Würde nieder und ward im Juni 1830 bei Pasto unweit Cartagena, wo er für Bolivar zu wirken suchte, meuchlings erschossen.
Suczawa (spr. ssutschawa), Stadt in der Bukowina, unweit des Flusses S. (Nebenfluß des Sereth), über den hier eine Brucke zur Station S.-Itzkany (mit Grenzzollamt) der Lemberg-Jassyer Eisenbahn führt, dicht an der rumänischen Grenze, ist Sitz einer Bezirkshauptmannschaft und eines Kreisgerichts, hat ein Obergymnasium, eine alte griechisch-oriental. Kathedrale mit dem Grab des heil. Johann von Novi, Landespatrons der Bukowina, Burgruinen, eine nichtunierte Armeniergemeinde, Bierbrauerei, ansehnlichen Speditionshandel und (1880) 10,104 Einw. S. war ehedem die Hauptstadt der Moldau und als solche ein großer und blühender Ort.
Südafrikanische Republik, seit 1884 offizieller Name des früher Transvaal genannten Freistaats in Südafrika (s. Karte bei Artikel "Kapland"), erstreckt sich von dem Vaalfluß im Süden über den Wendekreis hinaus bis zum Limpopo im N. und wird im W. und N. begrenzt von Britisch-Betschuanaland, im O. von Portugiesisch-Ostafrika und Swasiland, im Süden von der Neuen Republik, Natal und der Oranjefluß-Republik und umfaßt 308,200 qkm (5597 QM.) mit Einschluß der Neuen Republik (s. d.), als Distrikt Vrijheid einverleibt, 315,590 qkm (5681 QM.). Die Bodengestaltung der Republik wird wesentlich bedingt durch den Verlauf zweier Gebirge. Durch das eine derselben, die Drakenberge mit der 2188 m hohen Mauchspitze, ein nordsüdlich sich hinziehendes Plateau, das steil gegen O. abfällt, gegen W. aber sich allmählich abdacht, wird das Land geteilt in eine größere und höher gelegene westliche Hälfte und eine kleinere östliche, welch letztere in eine sandige Ebene übergeht, aus welcher als Grenzscheide gegen portugiesisches Gebiet der lange nordsüdlich verlaufende Höhenzug des Lebombo hervorragt. Das zweite Gebirge besteht aus einer Reihe westöstlich verlaufender Ketten (Magalisberge, Witwatersrand), welche wiederum die S. R. in einen südlichen höhern Teil, das Hooge Veld, und einen nördlichen tiefern, das Bosch Veld, trennen. Diese Bergzüge bilden auch in klimatischer Beziehung eine Scheide. Im Hochfeld sind die Tage im Winter zwar warm, nachts aber sinkt das Thermometer gewöhnlich unter den Gefrierpunkt, und die Drakenberge sind häufig mit Schnee bedeckt, im Buschfeld aber sind die Winter milder,
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Südafrikanische Republik.
und es gedeihen dort Kaffee, Baumwolle, Zuckerrohr u. a. Auch östlich von den Drakenbergen ist es wärmer; infolge der vom Indischen Ozean her wehenden Südostpassate ist die Ostseite regenreich, während die westlichen Hochebenen arm an Regen sind. Die Regenzeit fällt in den Sommer. In dieser Zeit herrschen im Buschfeld Fieber, während das Hochfeld eine der gesündesten Gegenden der Erde ist. Hier leben die Buren im Sommer, im Winter ziehen sie mit ihren Herden ins Buschfeld. Die Pflanzenwelt in den einzelnen Gebieten ist sehr verschieden. Das Land trägt fast durchgehends den Charakter der Steppe, aber während das Hochfeld fast ganz aus weiten, einförmigen Grassteppen besteht, ist das Buschfeld mit dichtem, vielfach undurchdringlichem Strauchwerk bedeckt, in dem man nur einzelne offene Stellen antrifft. Hier finden sich auch Adansonien und andre tropische Gewächse. In Klüften am Ostabhang des Tafellandes trifft man noch majestätische Urwälder aus Gelbholzbäumen (Taxus elongata), Eisen- und Stinkholz und Mimosen; Akazien, Proteen, Euphorbia candelabrum etc. charakterisieren die Hochebenen der Mittelstufen. Mais, Kafferkorn, Hirse, Bohnen, Erbsen, Melonen werden kultiviert. In der Tierwelt herrschen Antilopen vor, Springböcke finden sich auf den grasreichen Hochebenen noch in Herden. Gnus, Zebras und Quaggas, Giraffen, Büffel, Elefanten und Nashörner sind selten geworden, ebenso Löwen, Leoparden und Hyänen sowie der Strauß. Krokodile hausen in den Flüssen; giftige Schlangen sind zahlreich, in den nordwestlichen, nördlichen und östlichen Grenzgebieten erschwert die Tsetsefliege die Viehzucht. Von einheimischen Haustieren fanden die Europäer Rinder, Schafe mit Fettschwänzen, Ziegen und Hunde vor, Pferde und Merinoschafe wurden eingeführt. Viehzucht bildet die Hauptbeschäftigung der Ansiedler. Sehr fruchtbar sind die kahlen Hochebenen des Südens. Mais, Korn, Hirse, Hülsenfrüchte, Zuckerrohr, Wein gedeihen hier sehr gut. Das Land ist reich an Gold, Silber, Kupfer, Graphit, Nickel, Kobalt, Blei, Steinkohle, Zinn, Salz, Alaun u. a. Gold wurde seit 1871 gefunden, in größern Mengen aber erst seit 1883 auf den Goldfeldern von De Kaap (Barberton) und Witwatersrand (Johannesburg); ausgeführt wurde über die Kapkolonie und Natal 1871 bis Mitte 1888 für 1,266,530 Pfd. Sterl.; Silbererze gewinnt man in der Nähe von Pretoria. Die weiße Bevölkerung wird auf 60-75,000 Seelen geschätzt, zum größten Teil Buren, nur 12-15,000 Europäer, unter den letztern auch zahlreiche Deutsche, die auf mehreren von hannöverschen Missionären gegründeten Ansiedelungen wohnen. Dazu kommt seit den letzten Jahren eine 20,000 Köpfe starke Bevölkerung, meist englischer Abstammung, auf den genannten Goldfeldern. Die Zahl der Kaffern (Betschuanen, Basuto u. a.) ermittelte der Zensus von 1886 zu 299,848 Seelen, die Gesamtbevölkerung kann daher zu 490,000 angenommen werden. Das Christentum hat trotz zahlreicher Missionäre nur teilweise unter den Eingebornen Platz gegriffen. Die Beschäftigung der Bevölkerung ist ausschließlich Naturalwirtschaft. Die Ausbeutung der großen natürlichen Reichtümer des Landes wird erschwert durch den Mangel an genügenden Transportverhältnissen. Die Ausfuhr besteht in Wolle, Rindvieh, Cerealien, Leder, Fellen, Früchten, Tabak, Butter, Branntwein, Straußfedern und Elfenbein, außerdem Gold. Die Einfuhr (1887: 1,695,978 Pfd. Sterl.) besteht in Industrieprodukten. Der Handel nimmt seinen Weg, da die S. R. vom Meer abgeschloffen ist, über D'Urban, Port Elisabeth und Kapstadt, wird sich aber, nachdem die im Bau begriffene Eisenbahn von der Delagoabai bereits bis zur Grenze (81 km) vollendet ist und jetzt nach Pretoria weitergeführt wird, zum großen Teil über die portugiesische Kolonie richten. Telegraphenlinien bestehen zwischen Pretoria und Standerton, Heidelberg und Heilbron im Oranjefreistaat und von Pretoria nach den Kaap-Goldfeldern, im ganzen 1116 km, im Bau sind 895 km. Das Land wird eingeteilt in 16 von Landdrosten verwaltete Distrikte, an der Spitze steht ein auf fünf Jahre gewählter Präsident, eine aus 46 vom Volk erwählten Mitgliedern bestehende Legislative hat die Gesetzgebung. Staatskirche ist die niederdeutsch-reformierte, doch sind alle Konfessionen geduldet. Die Staatseinnahmen fließen meist aus direkten Steuern und Zöllen; dieselben betrugen 1887: 668,433 Pfd. Sterl., die Ausgaben 721,073 Pfd. Sterl. Die öffentliche Schuld beträgt 430,000 Pfd. Sterl., davon 250,000 Pfd. Sterl. an die englische Krone; das Staatsvermögen besteht in Ländereien im geschätzten Wert von mehreren Millionen Pfund Sterling. Ein stehendes Heer gibt es nicht; im Kriegsfall werden sämtliche Bürger aufgeboten. Hauptstadt ist Pretoria.
Geschichte. Die Transvaalrepublik wurde gegründet durch holländische Buren, welche englische Mißwirtschaft aus der Kapkolonie zunächst nach Natal und dann von dort über die Drakenberge trieb, wo sie 1848 die Oranjefluß-Republik und die anfänglich getrennten, aber 1852 durch Pretorius zur Republik Transvaal vereinigten Freistaaten Potschefstroom, Zoutpansberg und Lydenburg bildeten. Diese Republik wurde in demselben Jahr von England anerkannt. Als aber das Transvaal mit Portugal in Unterhandlungen trat zum Zweck der Erbauung einer Eisenbahn nach der Delagoabai, wodurch die Ausfuhr des Freistaats von Natal, über welchen sie den Weg nehmen mußte, abgelenkt worden wäre, benutzte England einen für die Buren verderblichen Raubzug des Kaffernhäuptlings Sikukuni, um 1877 das Transvaal zu annektieren unter dem Vorgeben, dadurch die christliche Bevölkerung schützen zu wollen, in Wahrheit aber, um sich das bedrohte Handelsmonopol zu sichern. Die Proteste der Buren blieben unbeachtet. In dem nun folgenden Aufstand erlitten die Engländer bei ihrem Versuch, in das Gebiet der Republik einzudringen bei Laings-Nek (24. Jan. 1881), am Ingogo (8. Febr.) und am Majubaberg (27. Febr.) empfindliche Niederlagen, so daß England es vorzog, dem Land durch Vertrag vom 3. Aug. 1881 seine Unabhängigkeit wiederzugeben. In der 1884 abgeschlossenen Konvention nahm das Land den alten Namen "Südafrikanische Republik" wieder an. Die Souveränität der britischen Krone wurde wesentlich beschränkt, indem nur Verträge und Verbindlichkeiten, welche die Republik mit einem Staat oder Volk (außer dem Oranjefreistaat) oder mit einem eingebornen Volksstamm einzugehen beabsichtigt, der englischen Krone zur Genehmigung zu unterbreiten sind. Als 1881 die im Westen der Republik neuentstandenen Burenfreistaaten Stellaland und Goschen sich bildeten, trat letzteres unter den Schutz der Südafrikanischen Republik, doch mußte derselbe auf einen von seiten Englands erhobenen Protest zurückgezogen werden. Zugleich proklamierte England sein Protektorat über das zwischen Transvaal und den deutschen Besitzungen an der Westküste Afrikas liegende Gebiet und über einen Landstreifen nördlich von Transvaal, somit die Buren nach diesen Seiten völlig einschließend. Und als 1884 der Bu-
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Sudak - Südaustralien.
renfreistaat Nieuwe Republik entstand, wodurch die Buren einen Weg zum Indischen Ozean gewinnen wollten, annektierte England auch hier das sämtliche noch freie Land und nötigte die Buren, ihre Ansprüche auf die Meeresküste zurückzuziehen. Somit war die S. R. rings von englischem Gebiet umschlossen. Nur nach der Delagoabai blieb noch ein Weg durch portugiesisches Gebiet, und hier ist denn auch bereits der Anfang zu einer Eisenbahn gemacht worden, welcher das Innere der Republik mit diesem Hafen verbinden soll (s. oben). Ein 1888 gemachter Versuch, die Burenrepublik in einem alle von Europäern gegründeten Staaten Südafrikas umfassenden Zollverband zu vereinigen, verlief ohne Ergebnis, vielmehr schlossen sich die Oranjefluß-Republik und die S. R. enger aneinander durch einen Zollverband. Vgl. Jeppe, Die Transvaalsche Republik (Gotha 1868); E. v. Weber, Vier Jahre in Südafrika 1871-75 (Leipz. 1878,2 Bde.); Aylward, Transvaal of to-day (neue Ausg.,Lond. 1881); Roorda-Smit, Die Transvaalrepublik und ihre Entstehung (2. Aufl., deutsch, Köln 1884); Nixon, Complete story of the Transvaal (Lond. 1885); Bellairs, The Transvaal war 1880-81 (das. 1885); Klössel, Die südafrikanischen Republiken (Leipz. 1888); Heitmann, Transvaal (das. 1888); Jeppe, Transvaal Book. Almanac for 1887 (Maritzburg 1887); Merensky, Erinnerungen aus dem Missionsleben in Südostafrika (Bielef. 1888).
Sudak (Ssudak), Flecken im russ. Gouvernement Taurien, am Schwarzen Meer und am Südabhang der Krimschen Berge, 40 km von Feodosia, hat bedeutenden Exporthandel in Wein und getrockneten Früchten. Es war schon im 8. Jahrh. ein wichtiger Handelsplatz der Byzantiner und kam im 13. Jahrh. in den Besitz der Venezianer. 1365 entrissen die Genuesen die Stadt den Venezianern und erbauten eine Festung, deren Überreste noch heute erkennbar sind. Zu Ende des 14. Jahrh. setzten sich die Türken hier fest, bis nach dem Untergang des krimschen Chanats die russische Herrschaft begann. Eine gleichnamige deutsche Kolonie liegt 3 km entfernt.
Südamerika, s. Amerika.
Sudamina (lat.), Schweiß- oder Hitzblätterchen, Schweißfriesel (s. Friesel).
Sudan (Nigritien, Nigerland), vom arabischen áswad, "schwarz", plur.: sud, der Teil des Binnenlandes von Nordafrika, welcher im N. von der Sahara begrenzt wird, im Süden bis an den Äquator, im W. bis an den Fuß der innern Bergländer von Senegambien und Guinea, im O. bis an die zwischen Dar Fur und Kordofan liegende Wüste sowie bis an den Fuß der abessinischen Gebirge reicht und etwa 16 Breiten- und 36-40 Längengrade umfaßt (s. Karte "Ägypten etc."). S. begreift hiernach außer dem langen und breiten Thal des mittlern Nigerlaufs auch die östlich von letzterm unter gleichen Breitengraden gelegenen sowie die im Süden bis an den Äquator sich erstreckenden Länder (Bambarra, Dschinni, Haussa, Bornu, Mandara, Baghirmi, Wadai, Dar Fur etc.). Die ägyptische Geschäftssprache bezeichnet mit Sudanland (Beled es= S.) insbesondere die Länder Dar Fur, Kordofan und Senaar. Vgl. Afrika und die einzelnen Länderartikel. S. ward 1874 von den Ägyptern erobert und ägyptische Provinz. 1881 aber erhob sich der Mahdi (s. d.) im S. und riß während des Aufstandes Arabi Paschas in Ägypten die Herrschaft an sich. Ein Versuch der Ägypter unter Hicks Pascha, S. wiederzu erobern, endete mit der Vernichtung des ägyptischen Heers bei Kaschgil (3. Nov. 1883). Die Engländer schickten darauf im Januar 1884 Gordon, der ägyptischer Gouverneur Sudans gewesen war, nach S., um die Bevölkerung auf friedliche Weise wiederzugewinnen, sandten aber gleichzeitig ägyptische Truppen unter Baker Pascha nach Suakin am Roten Meer, um von hier aus in S. einzudringen. Der erste Versuch der Ägypter hatte ihre Niederlage am Teb (4. Febr. 1884) gegen Osman Digma zur Folge. Nachgesandte englische Truppen unter General Graham siegten zwar über die Aufständischen bei Teb (29. Febr.) und bei Tamanieb (13. März) über Osman Digma, doch wurde der weitere Vormarsch ins Innere aufgegeben. Gordon richtete in Chartum durch gütliche Verhandlungen nichts aus und wurde sogar von den Aufständischen eingeschlossen. Die Engländer rückten unter General Wolseley nilaufwärts vor, um ihn zu entsetzen, doch kamen sie zu spät: 26.Jan. 1885 wurde Chartum von den Anhängern des Mahdi erstürmt und Gordon getötet. Die ägyptische Regierung verzichtete nun auf die Wiedereroberung Sudans. Vgl. Nachtigal,Sahara und S. (Berl. u.Leipz. 1879-89, 3 Bde.); James, The wild tribes of the Soudan (2. Aufl., Lond. 1884); Wilson u. Felkin, Uganda und der ägyptische S. (deutsch, Stuttg. 1883); Paulitschke, Die Sudanländer (Freiburg 1884); Buchta, Der S. unter ägyptischer Herrschaft (Leipz. 1888).
Sudation (lat.), das Schwitzen; Sudatorium, Schwitzbad, Schwitzkasten.
Südaustralien, britisch-austral. Kolonie, begreift den ganzen mittlern Teil des Australkontinents (s. Karte "Australien") zwischen dem Indischen Ozean im Süden und dem Timormeer im N., dem 129.° östl. L. v. Gr. im W. (gegen Westaustralien) und Queensland, Neusüdwales und Victoria im O. und besteht aus dem 983,655 qkm (17,864 QM.) großen eigentlichen S., das vom Südlichen Ozean bis zum 26.° südl. Br. reicht, und dem 1,356,120 qkm (24,628 QM.) großen Nordterritorium nördlich davon. Über das letztere s. den betreffenden Artikel. Das eigentliche S. hat zwei tief ins Land eindringende Meereseinschnitte: den Spencergolf und den Golf St. Vincent, gebildet durch die Halbinseln Eyria, York und Kap Jervis; östlich von letzterm dringt auch die Encounterbai, in welche der Murray mündet, tiefer ein. Vor dem Vincentgolf liegt die große Känguruhinsel, die einzige bedeutendere der Küste. Vom Kap Jervis im Süden erstreckt sich nordwärts die MountLoftykette und daran anschließend die Flinderskette (aus Sandstein, Schiefer und Kalkstein bestehend) mit den höchsten Erhebungen (nicht über 1000 m) des Landes. Nur auf diesen Bergen und in deren nächster Nachbarschaft sowie in dem schönen Mount Gambierdistrikt mit ausgestorbenen Vulkanen, Basalt- und Tropfsteinhöhlen im SO. fällt hinreichender Regen, um das Land genügend für den Ackerbau zu befeuchten. Von Süden nach N. schwindet derselbe mehr und mehr, auch gegen W. und O. zu herrscht große Dürre, die Gawlerberge auf der Eyriahalbinsel sind völlig dürr und kahl. Beständig fließende Flüsse gibt es daher außer dem Murray, der die Kolonie im SO. durchfließt und vor seiner Mündung die Süßwasserseen Alexandrina und Albert bildet, gar nicht, die zahlreichen Seen (Torrens, Eyre, Frome, Gairdner u. a.) sind nur schreckliche Salzsümpfe und ihre Nachbarschaft meist traurige Wüste. Doch gibt es um den Eyresee zahlreiche zu Tage tretende Quellen in freilich unfruchtbarer Gegend, auch hat man in neuester Zeit durch Bohrungen große Waffervorräte erschlossen. Das Klima ist durchaus gesund, in Adelaide steigt die Temperatur im Januar bis
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Südbrabant - Südcarolina.
45° C. und sinkt im August bis 2° C.; Gewitter, Hagelschlag und heftige Regengüsse sind namentlich im Sommer häufig, dann machen sich auch die aus dem Innern wehenden glühenden Winde sehr zum Schaden der Vegetation bemerkbar. Die einheimische Pflanzen- und Tierwelt unterscheidet sich in nichts von denen des übrigen Australien. Die europäischen Ansiedler haben die Orange, Olive, den Pfirsich- und Feigenbaum, den Weinstock sowie Weizen, Gerste, Hafer, Kartoffeln u. a. eingeführt; namentlich zeichnet sich die Kolonie durch ihren vorzüglichen Weizen aus, der nebst Mehl Absatz in England findet, auch der Wein gewinnt jetzt dort Freunde. Von den 1,9 Mill. Hektar kultivierten Landes waren 1885 mit Wetzen bestellt 776,981 Hektar, mit Wein bepflanzt 1836 Hektar. Infolge ihrer Trockenheit eignet sich die Kolonie vornehmlich für Schafzucht; man zählte 1884: 6,696,406 Schafe, 389,726 Rinder, 168,420 Pferde und 163,807 Schweine. An Mineralien ist das Land reich. Die frühern außerordentlichen Erträge von Kupfer (Kapunda, Wallaroo, Moonta, Blinman) haben zwar sehr nachgelassen, und die Bearbeitung der Silber-, Blei- und Eisengruben hat man ganz aufgegeben; dafür findet man Wismut und Gold, letzteres in neuester Zeit in der ganzen mittlern Gebirgskette vom Süden bis zum hohen Norden. Kohle aber hat man trotz eifriger Forschungen bis jetzt nirgends entdeckt, dieselbe muß aus Newcastle und Neusüdwales eingeführt werden. Die Bevölkerung (1887: 317,446, wovon 65,199 männlich, 52,247 weiblich) ist fast ganz britisch; die Zahl der Deutschen, welche in der Hauptstadt stark vertreten sind und eine Reihe ganz deutscher Ortschaften gegründet haben, wie Hahndorf, Lobethal, Tanunda u. a., mag 30,000 betragen. Die der sehr zusammengeschmolzenen Eingeborgen (s. Tafel "Ozeanische Völker", Fig. 1 u. 2), welche man 1836 noch auf 12,000 schätzte, wurde 1881 auf 5628 ermittelt. Hinsichtlich der Religion folgen ihrer numerischen Stärke nach aufeinander: Anglikaner, Katholiken, Wesleyaner, Lutheraner, Presbyterianer etc. Die Industrie entwickelt sich kräftig; nennenswert sind die Mahlmühlen (meist mit Dampfbetrieb), Anstalten für den Bau landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte, Gerbereien, Brauereien. Der auswärtige Handel geht zum allergrößten Teil über den Hafen der Hauptstadt, Port Adelaide, dann über Port Augusta. Ausgeführt werden namentlich Wolle (1884 für 2,6, 1887 nur für 2 Mill. Pfd. Sterl.), ferner Weizen, Mehl, Kupfer, Häute und Felle, Talg, Gerberrinde, im ganzen 1884 für 6,6, 1887 nur für 5,3 Mill. Pfd. Sterl. Die Einfuhr (1887 nur 5,1 Mill. Pfd. Sterl.) besteht in Geweben, Eisenwaren, Thee, Zucker etc. Der Tonnengehalt der in allen Häfen der Kolonie ein- und ausgelaufenen Schiffe betrug 1,677,833 Ton., die Kolonie besaß selber eine Handelsflotte von 230 Segelschiffen von 27,640 T. und 94 Dampfern von 10,890 T. Die Eisenbahnen hatten Ende 1887 eine Länge von 2272 km, die Telegraphenlinien von 8756 km. Eine große Telegraphenlinie läuft von Adelaide quer durch den Kontinent nach Port Darwin im N. zum Anschluß an ein untermeerisches Kabel, wodurch Australien in direkte Verbindung mit Europa gebracht wird; eine andre große Linie geht nach Westaustralien. Die Verfassung ist der englischen nachgebildet; dem Gouverneur steht ein verantwortliches Ministerium, Oberhaus und Unterhaus zur Seite. Die Einnahmen betrugen 1887: 2,014,102, die Ausgaben 2,145,135, die Schuld der Kolonie 19,168,500 Pfd. Sterl. Für das Schulwesen wurde in jüngster Zeit viel gethan, und der Schulbesuch ist ziemlich allgemein; die höhern Schulen sind meist Gründungen religiöser Gemeinden oder Privatanstalten. In Adelaide besteht eine Universität nach englischem Muster, öffentliche Bibliotheken sind an vielen Orten vorhanden; die Presse ist stark vertreten. Für die Verteidigung der Kolonie besteht ein Freiwilligenkorps, auch besitzt die Kolonie ein kleines Kriegsschiff. Vgl. Trollope, South Australia and West Australia (Lond. 1874); Harcus, South Australia (das. 1876); Stow, South Australia (Adelaide 1883); Jung, Der Weltteil Australien, Bd. 2 (Leipz. 1882).
Südbrabant, belg. Provinz, s. Brabant.
Sudbury (spr. ssöddberi), Stadt in der engl. Grafschaft Suffolk, am Stour, hat Seiden- und Samtweberei, Ziegelbrennerei, Malzdarren, eine Kornbörse und (1881) 6584 Einw.
Südcarolina (South Carolina, abgekürzt S. C.), einer der südlichen Staaten der nordamerikan. Union, am Atlantischen Meer zwischen Nordcarolina und Georgia gelegen, zerfällt der Bodengestaltnng nach in drei scharf geschiedene Teile: Unter-, Mittel- und Oberland. Das erstere, das sich von der See aus etwa 130 km weit landeinwärts erstreckt, ist niedrige Ebene und besteht größtenteils aus Pine Barrens, unterbrochen von Sümpfen und Savannen; es gehören zu ihm die sogen. Sea Islands, vom Festland durch Flußarme abgetrennte Inseln. Das Mittelland, in der Breite von 50-70 km, besteht hauptsächlich aus Sandhügeln; das Oberland dagegen, im W., ist ein ziemlich steil aufsteigendes romantisches Hochland, aus dem sich die Berge der Blue Ridge bis zur Höhe von 1220 m erheben. Noch 60 Proz. des Staats sind bewaldet, vorwiegend mit Föhren. Die Hauptflüsse sind: der Great Pedee (Yadkin), Santee, Ashley, Edisto und Savannah, der Grenzfluß gegen Georgia. Die mittlere Jahrestemperatur bewegt sich zwischen 15 und 20° C., und es fallen 1200-1500 mm Regen. S. hat ein Areal von 78,616 qkm (1609,4 QM.) mit (1880) 995,577 Einw., worunter 604,332 Farbige. Die Schulen wurden 1886 von 183,966 Kindern besucht; 21 Proz. der über 10 Jahre alten Weißen und 78 Proz. der Farbigen sind des Schreibens unkundig. An höhern Bildungsanstalten bestehen 9 Colleges mit 1075 Studenten. Die Landwirtschaft beschäftigt 76 Proz. der Bevölkerung, und 1,677,330 Hektar sind der Kultur gewonnen. Gebaut werden namentlich Mais, Reis (an der Küste) und Hafer, Bataten, Baumwolle (1880: 522,548 Ballen) und Zucker. An Vieh zählte man 1880: 61,000 Pferde, 67,000 Maultiere, 365,000 Rinder, 119,000 Schafe und 628,000 Schweine. Die Fischereien beschäftigten 1880: 1005 Personen mit 523 Booten. Gold wird im W. gewonnen, und auch Eisen, Kupfer und Blei kommen vor. Dagegen werden Porzellanerde, Bausteine und namentlich Phosphorite in bedeutenden Mengen gewonnen, und die Herstellung eines künstlichen Düngers aus denselben beschäftigte 1880: 9059 Arbeiter. Wichtig ist noch die Gewinnung von Teer und Terpentin (4619 Arbeiter). Sonst ist die Industrie unbedeutend, doch gab es 1880 bereits 14 Baumwollfabriken mit 2018 Arbeitern. Der Staat besitzt (1886) 227 Seeschiffe von 12,806 Ton. Gehalt und ein Eisenbahnnetz von 2772 km. Die alte Verfassung von 1775, eine der am wenigsten demokratischen, wurde 1868 durch eine neue ersetzt, durch welche den Farbigen die Rechte von Bürgern verliehen wurden. Die gesetzgebende Gewalt wird ausgeübt von einer General Assembly, welche aus einem Senat von 35 Mitgliedern und einem Repräsentantenhaus von 124 Mit-
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Süden - Südliches Kreuz.
gliedern besteht. Der Governor und die höhern Beamten werden auf 2 Jahre vom Volk gewählt. Die Richter ernennen der Governor und die Assembly auf 6 Jahre. Die Einnahmen beliefen sich 1885 auf 1,065,001 Dollar; die Staatsschuld betrug 1887: 6,399,742 Doll. Hauptstadt ist Columbia, die bedeutendste Stadt aber Charleston. - S. bildete seit der Trennung von Nordcarolina 1729 (s. Carolina) eine besondere Kolonie und schloß sich 1775 der Erhebung gegen England an, nach deren Sieg es einen Staat der Union bildete. Im Bürgerkrieg 1861-65 war S. einer der eifrigsten Staaten der Konföderation des Südens und war in der letzten Periode desselben 1865 Kriegsschauplatz. Die früher wohlgeordneten Finanzen wurden durch den Krieg und die nachfolgenden Wirren gänzlich zerrüttet, und die Staatsschuld war 1875 zur angeblichen Höhe von 68 Mill. Mk. angewachsen, betrug jedoch thatsächlich noch weit mehr.
Süden, s. v. w. Mittag.
Suderode, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Magdeburg, Kreis Aschersleben, bei Gernrode, am Nordfuß des Harzes und an der Linie Frose-Quedlinburg der Preußischen Staatsbahn gelegen, hat eine evang. Kirche, ein besuchtes Bad (Beringer Brunnen, s. d., 1887: 3364 Kurgäste) und (1885) 1189 Einw. Vgl. Reinhardt, Bad S. (Suderode 1881).
Süderoog, eine der nordfriesischen Inseln im schleswigschen Wattenmeer, südwestlich von Pellworm.
Sudeten (sudetisches Gebirgssystem), im weitern Sinn geographische Bezeichnung einer Anzahl nach Form und geognostischer Beschaffenheit sehr verschiedener Gebirgszüge und Gebirgsgruppen, die sich vom Elbdurchbruch an in südöstlicher Richtung bis zu der Einsenkung erstrecken, welche das deutsche Bergland von den Karpathen trennt (s. Karte "Schlesien"). Die Längenachse dieser Gebirgsmasse beträgt 340, die Breite 60-90 km. Die Kuppen und Hochkämme ragen zum Teil über die obere Grenze der Nadelholzregion (1230 m) hinaus und zeigen hinsichtlich der Form der Gipfel und der Thalränder wie des Pflanzenwuchses alpinen Charakter, während das hügelige Vorland gut kultiviert ist. Das südöstlichste und ausgedehnteste Glied dieses Gebirgssystem ist das Mährisch-Schlesische Gebirge, bestehend aus dem Mährisch-Schlesischen Gesenke (Gessénike),bis zu 777 m Höhe, das zwischen Oder und Betschwa auch Odergebirge heißt, als dem südöstlichsten, und dem Altvatergebirge oder den S. im engern Sinn, im Altvater 1490 m hoch, als dem nordwestlichsten Teil. Vom Altvater breiten sich die allmählich abfallenden Züge nach Süden und SO., N. und NW. gegen die Thäler der Oder und Oppa strahlenartig aus, indem die nördlichen Verzweigungen in der Bischofskuppe noch 886 m hoch ansteigen, sich dann aber in das Tiefland der obern Oder verflachen. Nordwestlich streicht ein Querzug nach NO., der Hunsrück, der nur eine kurze Strecke über 1000 m hoch ist und steil gegen das Neißethal bei Neiße abfällt. In der Längenachse der Gebirgsmasse nach NW. streicht das Reichensteiner Gebirge, mit dem Jauersberg (882 m), bis zu dem Warthaberg (619 m), wo das Durchbruchstal der Glatzer Neiße (280-290 m) diesen Gebirgszug begrenzt. Von dem Knotenpunkt des Hunsrücks nach SW. zieht sich längs der böhmisch-schlesischen Grenze das Glatzer Schneegebirge, mit dem Großen oder Spieglitzer Schneeberg (1424), dann von dem südlichen Ende der Grafschaft Glatz das Habelschwerdter Gebirge, mit dem Kohlberg (963 m), nach NW., und von diesem durch das Thal der Erlitz geschieden, laufen die Böhmischen Kämme oder das Adlergebirge, mit der Hohen Mense (1085 m), beinahe parallel. Nördlich von letztgenannter Kuppe trennt ein tief einschneidender Paß die an ihrem Nordende durch die sumpfige Hochfläche der Seefelder (784 m) verbundenen Habelschwerdter Gebirge und Böhmischen Kämme, zusammen auch Erlitzgebirge genannt, von dem scharf begrenzten Sandsteinplateau der Heuscheuer, auf dessen bewaldeter, 750 m hoher Fläche sich die Kuppe der Großen Heuscheuer (920 m) erhebt. Weiter nach NW. liegt ein andres zerklüftetes Sandsteinplateau, das Adersbacher Gebirge (780 m). Von dem Durchbruch der Neiße bei Wartha aber gegen NW. erstreckt sich in der Längenachse des südlichen Sudetenzugs das Eulengebirge, mit der Hohen Eule (1000 m), bis an die Weistritz, und aus dem nördlichen Vorland desselben steigt der Zobten (718 m) empor. Westlich von der Weistritz breitet sich eine Berglandschaft aus, die mit dem Gesamtnamen Niederschlesisches Steinkohlengebirge, in einzelnen Teilen auch Waldenburger und Schweidnitzer Gebirge benannt wird, im Hochwald 840, im Sattelwald 778, im Heidelberg 954 m erreicht und im. W. in das bis zum Bober reichende Katzbachgebirge (Hohe Kullge 740 m) übergeht. Der bedeutend niedergedrückte und verbreiterte Hauptkamm zieht sich nach NW. im Überschargebirge (640 m) bis an die Boberquelle fort. Dann folgen von Süden nach N. sich aneinander reihend das Rabengebirge, der Schmiedeberger Kamm, mit dem Forstberg (982 m), und der Landeshuter Kamm, mit dem Friesenstein (800 m), sämtlich mit breiten, dicht bewaldeten, abgerundeten Kuppen. Da, wo das Rabengebirge und der Schmiedeberger Kamm bei den Grenzbauden zusammentreffen, beginnt das Riesengebirge, das eigentliche Hochgebirge des Systems, mit der 1603 m hohen Schneekoppe, dem südlich parallel der Böhmische Kamm (Brunnberg 1502 m) zieht, und an das sich im NW. das Isergebirge, mit der 1123 m hohen Tafelfichte, anschließt. Das Ende des ganzen Gebirgssystems bildet das Lausitzer Gebirge, im Jeschken 1013, in der Lausche 796 m hoch, welches sich links der Neiße und an der sächsisch-böhmischen Grenze hinzieht. Von diesem, als dem letzten Gliede des ganzen Gebirgssystems, treten einzelne Vorhöhen, darunter die vulkanische Landskrone (432 m) bei Görlitz, auf preußisches Gebiet über. Näheres s. die einzelnen Artikel.
Südfall, eine der nordsriesischen Inseln im schleswigschen Wattenmeer, südöstlich von Pellworm.
Südfrüchte, aus Südeuropa, bez. Nordafrika frisch, trocken oder eingemacht eingeführte, den dortigen Ländern eigenartige Fruchtsorten, wie z. B. Apfelsinen, Zitronen, Datteln, Feigen, Traubenrosinen etc.
Sudhaus, der Teil einer Bierbrauerei, in welchem die Würze gekocht wird.
Südhollaud, Provinz, s. Holland, S. 655.
Sudler, bei den Landsknechten (s. d.) der Koch; Sudlerin, die Marketenderin.
Südliche Krone, Sternbild, s. Krone, S. 248.
Südlicher Kontinent, s. Südpolarländer.
Südliches Dreieck, Sternbild der südlichen Hemisphäre, zwischen Paradiesvogel, Altar, Lineal und Winkelmaß, Zirkel und Kentaur, nahe der Milchstraße, mit einem Stern zweiter, zwei dritter Größe.
Südliches Eismeer, s. Eismeer, S. 487.
Südliches Kreuz, kleines Sternbild der südlichen Halbkugel, im engsten Teil der Milchstraße, rechts neben der dunkeln Region des sogen. Kohlensacks, unweit des Pols der Ekliptik gelegen. Es wird gebildet durch vier helle Sterne, welche in den Ecken
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Südliches Kreuz (Orden) - Südpolarländer.
eines Vierecks stehen,dessen Diagonalen das Kreuz darstellen; der eine Arm des letztern, an dessen Ende der Hauptstern erster Größe steht, ist länger als der andre (s. Figur). Schon Vespucci gedenkt desselben auf seiner dritten Reise (1501), und von Corsali (1517) wird es bereits als "Wunderkreuz" bezeichnet. Dante (im Eingang seines "Fegfeuers") kannte es wahrscheinlich aus arabischen Quellen. Das Sternbild ist Flaggenzeichen der Deutschen Ostafrikanischen Gesellschaft (s. Tafel "Flaggen II"). Danach ist auch benannt der Orden vom südlichen Kreuz, höchster brasilischer Orden, gestiftet 1. Dez. 1822 vom Kaiser Dom Pedro I. zur Erinnerung an seine Berufung auf den Thron und so benannt mit Anspielung auf die geographische Lage des Reichs, in welchem sich das Sternbild des südlichen Kreuzes zeigt. Der Orden hat vier Klassen: Großkreuze, Dignitäre, Offiziere und Ritter. Die Dekoration besteht in einem fünfarmigen, weiß emaillierten Goldkreuz, durchwunden von einem Kranz aus Kaffee- und Tabaksblättern, an einer goldenen Kaiserkrone hängend. Der goldene Mittelavers zeigt Dom Pedros Bild mit der Umschrift : "Petrus I., Brasiliae Imperator", der blaue Revers ein Kreuz aus 19 Sternen mit der Umschrift: "Bene merentium Praemium". Die Großkreuze, Dignitäre und Offiziere tragen das Kreuz und eine Plaque, bestehend aus dem Kreuz mit goldenen Strahlen zwischen den Armen, dem Mittelrevers und der Krone, die Dignitäre das Kreuz am Hals, die beiden letzten Klassen auf der Brust. Das Band ist himmelblau. Die Großkreuze sind Exzellenzen, den Dignitären gebührt die Senhoria. Auch sind Pensionen mit dem Orden verknüpft.
Südlicht, s. Polarlicht.
Süd-Nordkanal, Kanal in der Provinz Hannover, der bedeutendste unter den neuen Anlagen in den Mooren auf der linken Emsseite (Bourtanger Moor), zum Zweck der Kultivierung derselben. Er hat eine Länge von 71 km, eine Breite von 15,7 m und wird zu beiden Seiten (wie der Ems-Vechtekanal) von Wegen begleitet. Der Kanal verläßt bei Nordhorn den Ems-Vechtekanal und zieht sich nach N. durch die großen Moore in geringer Entfernung von der niederländischen Grenze bis Rhede, wo er sich mit dem Rhede-Bellingwolder Kanal verbindet und mit diesem zur Ems geht. Zahlreiche Seitenkanäle sind aus ihm in die Moore geführt, auch mehrfach Verbindungen mit dem niederländischen Kanalsystem hergestellt.
Sudogda (Ssudogda), Kreisstadt im russ. Gouvernement Wladimir, am Flusse S., mit (1885) 1987 Einw. Im Kreise sind 15 Fabriken, welche Kristall- und Glaswaren liefern.
Sudorifera (lat.), s. Schweißtreibende Mittel.
Südpol, s. Pol und Magnetismus.
Südpolarexpeditionen, s. Südpolarländer.
Südpolarländer (antarktische Länder), alle diejenigen Länder und Inseln, welche innerhalb oder in der Nähe des südlichen Polarkreises liegen. Manche nehmen das Vorhandensein eines großen Festlandes oder antarktischen Kontinents im S. an, andre bezweifeln die Existenz eines solchen und denken an größere oder kleinere Inselgruppen. Was man bis jetzt entdeckt hat, ist folgendes: Südsüdöstlich von der Südspitze Amerikas liegen zwischen 63 1/2 und 65° südl. Br. Trinity- und Palmerland, 1821 von Powell und Palmer entdeckt; weiter südlich in der Breite des Polarkreises das 1832 von Biscoe entdeckte Adelaiden- und Grahamsland und aus der Ostseite des Trinitylandes das 1838 von Dumont d'Urville entdeckte Louis-Philippeland nebst der Insel Joinville. Von der schon 1599 von Dirk Gerrits gesehenen, aber erst 1819 von W. Smith wirklich entdeckten Inselkette Südshetland ist jener Teil des antarktischen Landes durch die Bransfieldstraße geschieden. Südwestlich davon liegt die Alexanderinsel und unter derselben Breite die hohe Peterinsel, beide 1821 von Bellingshausen entdeckt. Weiter westlich ist nur Wasser und Eis, kein Land gesehen worden. Erst unter 170-160° östl. L. v. Gr. entdeckte James Clark Roß (1841-42) die hohe Küste eines schneebedeckten Landes, welches er Victorialand nannte, und welches zahlreiche Berge von 3000 bis 4000 m Höhe trägt, darunter die Vulkane Erebus (3770 m), Terror (3318 m) und den 4570 m hohen Melbourne als höchsten der gesehenen Gipfel. Zwischen 165-95° östl. L. v. Gr., unter dem Polarkreis, verzeichneten Dumont d'Urville, Balleny und Wilkes (1839-40) eine Reihe Inseln und unzusammenhängender Küstenstrecken, die unter dem Namen Wilkesland zusammengefaßt werden; einzelne Strecken sind: Adélieland, Clarieland, Sabrinaland, Knoxland, Terminationinsel. Weiter westlich von Wilkesland liegt Kempland sowie das 1831 von Biscoe entdeckte Enderbyland, beides wahrscheinlich nur Inseln. Auch die schon weiter nördlich liegende, von Cook 1775 entdeckte, 1819 von Bellingshausen untersuchte Sandwichgruppe, das ebenfalls von Cook untersuchte, schon 1675 von Laroche entdeckte Südgeorgien und die 1821 von Palmer und Powell aufgefundenen, 1822 von Weddell besuchten Südorkneyinseln werden hierher gerechnet. Man schätzt das Areal der S. auf 660,000 qkm (12,000 QM.). Falls ein antarktischer Kontinent wirklich vorhanden ist, kann derselbe höchstens an einer Stelle (Australien gegenüber) den 70. Breitengrad wesentlich überschreiten und muß aus der atlantischen Seite weit von demselben entfernt bleiben. Hier erreichte Weddell im Februar 1823 unter 33° 20' westl. Länge in fast eisfreiem Meer die Breite von 74° 15'. - Die eisige Öde der antarktischen Felseninseln beschränkt das Pflanzen- und Tierleben fast ganz auf den Ozean; doch sind Klippen und Berghänge mit zahllosen Vögeln bedeckt. Thätiger Vulkanismus tritt besonders im Bereich des Victorialandes in großartigster Weise auf. Die Temperaturbeobachtungen weisen naturgemäß auf die niedrige Sommerwärme und geringe Winterkälte eines durchaus ozeanischen Klimas hin. Seitdem die Challenger-Expedition 1874 über den Polarkreis vordrang und Dallmann 1873-74 Grahamsland untersuchte, und seit der Fahrt der Gazelle (1874-75) ist die Erforschung der S. wiederholentlich von Deutschland aus angeregt worden. Namentlich aber war man in Australien dafür thätig, und die dortigen geographischen Gesellschaften erlangten die Bewilligung einer namhaften Summe durch die dortigen Regierungen; da die englische Regierung aber ihre Beihilfe versagte, so kam ein Unternehmen nicht zu stande.
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Südpreußen - Suetonius.
Südpreußen, ehemalige Provinz des Königreichs Preußen, aus dem 1793 zu Preußen geschlagenen Teil Großpolens bestehend, umfaßte die frühern Woiwodschaften Posen, Gnesen, Kalisch, Sieradz, Lentschiza, Rawa und Plozk, zusammen 60,570 qkm (1100 QM.) mit 1,335,000 Einw. (s. "Geschichtskarte von Preußen"). 1795 kam noch ein Teil der Erwerbungen der dritten polnischen Teilung mit Warschau hinzu. Im Frieden von Tilsit (1807) wurde S. zu dem Großherzogtum Warschau geschlagen, nach dessen Auflösung Preußen 1815 das jetzige Großherzogtum Posen zurückerhielt, der übrige größere Teil aber zu Rußland kam. Vgl. Holsche, Geographie und Statistik von West-, Süd- und Neuostpreußen (Berl. 1804, 3 Bde.).
Südpunkt (Mittagspunkt), derjenige der beiden Schnittpunkte des Meridians mit dem Horizont, welcher dem Südpol näher liegt.
Sudra, die vierte und unterste Klasse in der altindischen Kastenordnung, welche die verschiedenen Handwerker, Pachtbauern, Tagelöhner, Diener etc. umfaßte. In der Gegenwart gehen die S. in den Mischkasten auf, stehen jedoch noch innerhalb der Kastenordnung. Sie bilden die große Mehrzahl des indischen Volkes, gelten auch den orthodoxen Hindu als rein, wohnen deswegen innerhalb der Ortschaften, gehen aber nicht unter dem Namen S., sondern unter den besondern Kastenbezeichnungen, die sich jede der vielen Gruppen der S. beilegte.
Sudsalz, das in den Salinen gewonnene Kochsalz im Gegensatz zum Steinsalz.
Südsee, s. Stiller Ozean.
Südseegesellschaft, s. Handelskompanien, S.86.
Südseeinsulaner, die Bewohner der Inseln der Südsee, die Polynesier, Mikronesier, Melanesier (s. Ozeanien, S. 584 ff.), welche eine Abteilung der großen malaiischen Rasse bilden und (wahrscheinlich im 1. Jahrh. unsrer Zeitrechnung) von W. nach O. sich über alle Inselgruppen verbreiteten. Nach allem, was vorliegt, dürfen wir annehmen, daß in den Samoa- und Tongainseln der Ursitz dieser östlichen Abteilung der malaiischen Rasse nach ihrer Absonderung von der westlichen zu suchen ist. Von diesem Zentrum aus scheinen sie dann sämtliche polynesische Inseln der Südsee bevölkert zu haben.
Südseeschwindel, s. Handelskrisis, S. 88.
Südseethee, s. Ilex.
Sudsha (Ssudsha), Kreisstadt im russ. Gouvernement Kursk, am Flusse S., mit (1885) 4979 Einw. In der Nähe Sandsteinbrüche.
Südslawen, Gruppe der slawischen Völker in Südosteuropa. Dazu gehören die Slowenen in den Ostalpen Österreichs, die Serben und Bosniaken, Kroaten, Slawonier und die Bulgaren (s. Slawen und Slawische Sprachen).
Sudur (arab., Mehrzahl von Sadr, s. d.), Rangbezeichnung der hohen geistlichen Würdenträger im türkischen Staat.
Südwestinseln (Serwatty), eine zur niederländ. Residentschaft Amboina gehörige Inselgruppe des Indischen Archipels, erstreckt sich von den Kleinen Sundainseln und Timor an östlich bis Timorlaut und umfaßt die größere Insel Wetter und die kleinern Kisser, Damma, Roma, Moa, Sermattan, Lakor, Baber u. a. mit einem Gesamtumfang von 5236 qkm (95 QM.) und etwa 47,000 Einw. (meist Malaien). Für den Handel liefern sie Wachs, Schildpatt, Trepang, Sago, Holz.
Süd-Wilhelmskanal (Zuid-Willemsvaart), Kanal in den niederländ. Provinzen Nordbrabant und Limburg, 122 km lang, 1822-26 gegraben, führt von Herzogenbusch über Helmond und Weert, dann durch belgisches Gebiet nach Maastricht. Zweige dieses Kanals sind: der Kanal nach Eindhoven und der Helenavaart nach den Fehnen des Peel.
Sue (spr. ssüh), Joseph Marie, genannt Eugène, franz. Romandichter, geb. 10. Dez. 1804 zu Paris, machte als Militärarzt 1823 den Feldzug nach Spanien, dann mehrere Fahrten nach Amerika und Westindien mit, besuchte 1827 Griechenland und nahm an der Schlacht bei Navarino teil. Hierauf trat er aus dem Militärdienst, um zur Malerei überzugehen, veröffentlichte aber auf Zureden von Freunden eine Romandichtung: "Kernock le pirate" (1830), ward durch den günstigen Erfolg des Buches veranlaßt, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen, und wurde der Begründer des Seeromans in Frankreich. Nachdem er noch eine Reihe Werke in diesem Genre, besonders die unhistorischen "Histoire de la marine française" (1835-37, 5 Bde.) und "Histoire de la marine militaire chez tous les peuples" (1841), veröffentlicht, wandte er sich dem Sittenroman zu, wobei er sich besonders in greller Ausmalung sittlichen Verderbnisses gefiel; so in den durch zahllose Übersetzungen verbreiteten "Mystères de Paris" (1842, 10 Bde.). Der beispiellose Erfolg dieses Produkts führte den Verfasser dem sozialen Roman zu. Hierher gehören: "Le Juif errant" (1845, 10 Bde.; von gleichem Erfolg wie die "Mystères"); "Martin, l'enfant trouvé" (1846, 12 Bde.); "Les sept péchés capitaux" (1847 bis 1849, 16 Bde.); "Les mystères du peuple" (1849, 16 Bde.), vor den Assisen in Paris als unmoralisch und aufrührerisch verurteilt; "La famille Jouffroy" (1854, 7 Bde.); "Les secrets de l'oreiller" (1858, 7 Bde.) u. a. 1850 zum Deputierten erwählt, hielt er sich zur äußersten Linken, wurde nach dem Staatsstreich 1851 aus Frankreich verbannt und lebte seitdem zu Annecy in Savoyen, wo er 3. Aug. 1859 starb. Auch als dramatischer Dichter für die Boulevardstheater hatte er sich versucht, doch ohne besonderes Glück. Auf dem Gebiet des Romans hat S. in Bezug auf Phantasie, sprudelnde Erfindungskraft und Erzählertalent wenige Rivalen unter seinen Landsleuten. Seine Mittel sind zwar teilweise zu tadeln und sein Realismus oft mehr als derb; aber seiner unwiderstehlichen Macht, den Leser gefangen zu halten, kann man die Bewunderung doch nicht versagen.
Suecia, neulat. Name für Schweden.
Suedoise (franz., spr. sswedoahs'. "Schwedin"), eine in Frankreich sehr beliebte süße Speise aus Apfelmarmelade.
Sues, Stadt, s. Suez.
Suessouer (Suessones), tapferes und mächtiges Volk in Gallia belgica, das über 50,000 Bewaffnete stellte, und dessen König Divitiacus vor Cäsars Zeiten der mächtigste unter den Fürsten Galliens war, bewohnte einen ausgedehnten und fruchtbaren Landstrich zwischen Seine und Aisne und besaß zwölf Städte, unter welchen Noviodunum, später Augusta Suessonum (Soissons), die Hauptstadt war.
Suetonius, Gajus S. Tranquillus, röm. Geschichtschreiber, lebte um 70-140 n. Chr., widmete sich zu Rom rhetorischen und grammatischen Studien, trat dann daselbst als gerichtlicher Redner auf, ward unter Hadrian zum Magister epistolarum ernannt, verlor aber diese Stelle wieder und scheint sich von nun an ausschließlich der schriftstellerischen Thätigkeit gewidmet zu haben. Er verfaßte 120 die fast vollständig erhaltenen Biographien der zwölf Kaiser von Julius Cäsar bis Domitian ("De vita Caesarum"), welche in einfacher und klarer Sprache eine
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Sueven - Suezkanal.
Menge wertvoller Notizen über die betreffenden Kaiser enthalten. Außerdem besitzen wir noch Teile einer Schrift: "De grammaticis et rhetoribus" (hrsg. von Osann, Gieß. 1854), und Biographien des Terenz, Horaz, Lucanus (letztere unvollständig) sowie Reste einer Biographie des ältern Plinius, alles wahrscheinlich Überreste eines größern von ihm verfaßten Werkes: "De viris illustribus". Von andern Schriften sind nur die Namen und unbedeutende Fragmente erhalten; die ebenfalls seinen Namen führenden Biographien des Vergilius und Persius sind wahrscheinlich unecht. Ausgaben lieferten Burmann (Amsterd. 1735, 2 Bde.), Oudendorp (Leid. 1751), Ernesti (Leipz. 1748, 2. Aufl. 1772), Wolf (das. 1802, 4 Bde.) und Roth (das. 1858); neuere Übersetzungen Reichardt (Stuttg. 1855 ff.), Stahr (2. Aufl., das. 1874, 2 Bde.) und Sarrazin (das. 1883, 2 Bde.). Des S. übrige Schriften außer den "Vitae" sind besonders herausgegeben von Reifferscheid (Leipz. 1860).
Sueven (Suevi), Name eines german. Völkerbundes, welcher wohl die im Osten der Elbe vorhandenen, weniger von Ackerbau als von Jagd und Viehzucht lebenden kriegerischen, wanderlustigen ("schweifenden") Stämme umfaßte, später Name eines einzelnen Volkes. Cäsar, welcher die nach Gallien eingedrungenen S. unter Ariovist 58 v. Chr. besiegt hatte, begreift unter diesem Namen die hinter den Ubiern und Sigambern wohnenden Germanen und berichtet, daß sie 100 Gaue mit je 10,000 streitbaren Männern gezählt, aber sich bei seinem Rheinübergang weit, nach dem Wald Bacenis, zurückgezogen hätten. Sie sollen keine festen Wohnsitze gehabt haben, sondern alljährlich zum Teil auf kriegerische Unternehmungen ausgezogen sein. Tacitus nennt das ganze östliche Germanien von der Donau bis zur Ostsee Suevia. Die Hermunduren gelten ihm als das vorderste, die Semnonen als das angesehenste, die Langobarden als das kühnste unter den suevischen Völkern. Der Dienst der Nerthus (Hertha) war allen S. gemeinschaftlich. Der Markomanne Marbod vereinigte suevische Völker unter seinem Zepter, und noch später, zu Marcus Aurelius' Zeiten, werden Markomannen und Quaden als S. bezeichnet. In der Zeit der Völkerwanderung beschränkte sich der Name S. auf die Semnonen. Ein Teil derselben nahm 406 an dem Verwüstungszug des Radagaisus teil. 409 drangen sie dann mit den Vandalen und Alanen über die Pyrenäen nach Spanien vor und breiteten sich unter Rechila nach Süden über Lusitanien und Bätica aus. Rechilas Sohn Rechiar verlor 456 gegen den westgotischen König Theoderich II. Sieg und Leben, und sein Nachfolger Remismund wurde von Eurich zur Anerkennung der Oberhoheit der Westgoten gezwungen. König Theodemir trat vom Arianismus zum Katholizismus über. 585 ward das suevische Reich dem westgotischen einverleibt. In Deutschland hat sich der Name S. in dem der Schwaben erhalten.
Suez (Sues), Stadt in Ägypten, an der Nordspitze des Roten Meers, welches hier in den Golf von S. ausläuft, an der Mündung des Suezkanals (s. d.) in denselben und der Eisenbahn Kairo-Ismailia-S., mit (1882) 10,919 Einw., worunter 1183 Ausländer. Die Stadt besteht aus dem arabischen Viertel und dem regelmäßig angelegten europäischen Viertel mit großen Warenlagern, Magazinen der Peninsular and Oriental-Dampfergesellschast und einer vizeköniglichen Villa. Nordöstlich die Mündung des hier 2 m ü. M. liegenden Süßwasserkanals mit großem Schleusenwerk, nordwestlich ein großes englisches Hospital. Zu den Hafenanlagen, welche in S. weit ins Meer hinausgebaut sind, führt ein 3 km langer Damm; auf diesem läuft die Eisenbahn zum Bassin der Kanalgesellschaft mit Leuchtturm und der Statue des Leutnants Waghorn. Das große Hafenbassin, Port Ibrahim genannt, wird durch eine mächtige Mauer in den Kriegs- und den Handelshafen geschieden und kann 500 Schiffe fassen. Der Handel hat sich aber nicht hier konzentriert, sondern mehr nach Port Said und Alexandria gezogen, und S. ist mehr ein Durchgangspunkt geblieben. 1886 betrug die Einfuhr 594,385, die Ausfuhr 42,697 ägyptische Pfund. Die Stadt ist Sitz eines deutschen Konsuls. Wahrscheinlich steht S. auf der Stätte des alten Klysma, von den Arabern Quolzum genannt. Es war vor der Entdeckung des Seewegs nach Indien um das Kap als Hauptniederlage europäischer und indischer Waren ein blühender Platz, verfiel aber danach und zählte bei Beginn der Kanalbauten nur 1500 Einw.
Suezkanal, Seekanal zur Verbindung des Mittelländischen und des Roten Meers mittels Durchschneidungen der nur 113 km breiten Landenge von S. (s. das Nebenkärtchen auf der Karte "Mittelmeerländer"). Dieser Kanal ist gleichsam von der Natur vorgezeichnet, indem der Isthmus selbst nur als eine den Golf von S. fortsetzende Bodensenkung zu betrachten ist, die an ihrer höchsten Stelle, bei El Gisr, nur 16 m ü. M. liegt, und deren Durchstechung durch drei Seen (Ballah-, Timsah- und Bittersee) nochwesentlich erleichtert werden mußte. Bereits im 14. Jahrh. v. Chr. wurde der Bau eines vom Nil zum Timsahsee und von da zum Roten Meer führenden Kanals durch die beiden großen Herrscher Sethos I. und Ramses II. ausgeführt, um ihre Flotte aus dem einen ins andre Meer bringen zu können. Dieser Kanal (altägypt. ta tenat, "der Durchstich") ging wahrscheinlich durch Vernachlässigung zu Grunde, und erst gegen Ende des 7. Jahrh. v. Chr. unternahm es Necho (616-600), ein Sohn Psammetichs I., einen neuen Kanal vom Nil ins Rote Meer zu bauen, der aber durch Orakelspruch (weil er nur den "Fremden" nützen würde) gehemmt wurde, nachdem sein Bau schon 120,000 Menschen das Leben gekostet hatte. Erst Dareios Hystaspis (521-486) vollendete das Werk des Necho, welches unter den Ptolemäern dann noch bedeutend verbessert wurde. Doch schon zu Kleopatras Zeit war der Kanal teilweise wieder versandet, und was unter den Römern, namentlich unter Kaiser Trajan (98-117 n. Chr.), für den Kanal geschah, scheint nicht von großer Bedeutung gewesen zu sein. Nachdem die Araber Ägypten erobert hatten, war es Amr, der Feldherr des Kalifen Omar, welcher im 7. Jahrh. den Kanal von Kairo nach dem Roten Meer wiederherstellte und zu Getreidetransporten benutzte; im 8. Jahrh. aber war er schon wieder gänzlich unbrauchbar, und heute bezeichnen nur noch schwache Spuren das alte Werk, an dem einst Pharaonen, Perser, Ptolemäer, römische Kaiser und arabische Kalifen bauten. Das Verdienst, zuerst wieder auf die Vorteile eines maritimen Kanals zwischen dem Mittel- und dem Roten Meer hingewiesen zu haben, gebührt Leibniz, der in diesem Sinn 1671 an Ludwig XIV. schrieb. Bonaparte ließ gelegentlich seiner Expedition nach Ägypten 1798 durch den Ingenieur Lepère Vermessungen zum Bau eines direkten Kanals machen. Leider gelangte Lepère zu dem schon damals als falsch bezeichneten Ergebnis, daß der Spiegel des Roten Meers 9,908 m höher liege als der des Mittelmeers. Dies schreckte von weitern Versuchen ab. Als endlich 1841 durch barometrische Messungen englischer Offiziere der Irrtum nachgewiesen werden war, versuchte Metternich 1843 vergeblich, Mehemed Ali dafür zu
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Suffeten - Suffolk.
interessieren, bis endlich 1854 Ferdinand v. Lesseps (s. d.) bei dem Vizekönig Said Unterstützung fand. Nach Überwindung von mancherlei Schwierigkeiten erhielt dieser endlich 5. Jan. 1856 von der Pforte einen Ferman zur Konzession des Kanalbaues und zur Bildung einer Aktiengesellschaft. Diese Gesellschaft trat unter dem Namen Compagnie universelle du canal maritime de Suez zusammen und erhielt ein Privilegium auf 99 Jahre, nach welcher Zeit der Kanal an Ägypten fällt. Am 25. April 1859 erfolgte zu Port Said, am Nordende des Kanals, der erste Spatenstich. Das Maß der zu bewältigenden Schwierigkeiten war ein ungeheures. Alles Material, alle Werkzeuge, Maschinen, Kohlen, Eisen, jedes Stück Holz mußte aus Europa geholt werden. 1862 waren von den 1800 Lastkamelen der Kompanie allein 1600 zum täglichen Transport des Trinkwassers für 25,000 Arbeiter in Anspruch genommen, so daß die tägliche Ausgabe für Trinkwasser 8000 Frank betrug. Es war also vor allen Dingen erst nötig, den Süßwasserkanal zu vollenden, welcher vom Nil Trinkwasser nach dem Isthmus führen sollte. Bei Sagasig zweigt derselbe sich vom Nil ab, führt zunächst in östlicher Richtung nach Ismailia und von da südlich bis Suez; Schleusenwerke geben die Möglichkeit, ihm eine größere oder geringere Wassermenge zuzuführen. Auf dem Spiegel erreicht er eine Breite von 17, am Grund von 8 m; doch ist er nur 2 1/2 m im Durchschnitt tief. Seine Vollendung erfolgte 29. Dez. 1863, wodurch eine Jahresausgabe von 3 Mill. Fr. erspart wurde. Mit Maschinenkräften, die bis 22,000 Pferdekräfte repräsentierten, wurde trotz mancher Unglücksfälle (Ausbruch der Cholera und darauf folgende Desertion sämtlicher Arbeiter), trotz diplomatischer und finanzieller Schwierigkeiten rüstig weitergearbeitet, so daß schon 18. Nov. 1862 die Wasser des Mittelmeers in den Timsahsee einströmen konnten, zu dessen Ausfüllung 80 Mill. cbm notwendig waren. Am nordwestlichen Gestade dieses Sees entstand die Residenz der Kanalverwaltung, die Stadt Ismailia, zu welcher die neue Eisenbahn von Kairo und Alexandria hingeführt wurde, während die alte Wüstenbahn Kairo-Suez aufgegeben ward. Am 18. März 1869 erfolgte der Einlaß der Mittelmeerwasser in den Bittersee, und 16. Nov. 1869 fand im Beisein vieler Fürstlichkeiten und einer ungeheuern Schar geladener Europäer die Eröffnung des Kanals unter Festlichkeiten statt, die dem Chedive 20 Mill. Fr. gekostet haben sollen. Die Länge des Kanals beträgt 160 km, die Breite am Wasserspiegel 58-100 m, an der Sohle 22 m, die Tiefe 8 m. Er beginnt am Mittelmeer bei Port Said mit zwei ungeheuern in das Meer hinausgebauten Molen von 2250 und 1600 m Länge, welche den Vorhafen von Port Said bilden und den durch westliche Strömungen herbeigeführten Nilschlamm abhalten. Der Kanal tritt dann in südlicher Richtung in den Menzalehsee ein, wo er an beiden Seiten von Dämmen eingerahmt ist, verläßt denselben bei Kilometer 45 und erreicht die El Kantara genannte Bodenerhebung, welche er durchschneidet, um 4 km weiter in den Ballahsee einzutreten. Nachdem er aus diesem wieder ausgetreten, folgen die Stationen El Ferdane und El Gisr; dann tritt der Kanal in die weite, blaue Fläche des Timsahsees ein, an dessen Nordwestende Ismailia liegt, und den er bei Tusûn verläßt, um die 16 km lange Felsenschwelle des Serapeums zu durchbrechen. Die nun bei Kilometer 95 folgenden Bitterseen bilden eine schöne, etwa 220 qkm große Wasserfläche, die rings von Wüsten umgeben und am Ein- und Austritt des Kanals mit Leuchttürmen versehen ist. Bei El Schaluf, am Südende der Bitterseen , machen sich bereits Ebbe und Flut des Roten Meers bemerkbar, das bei Kilometer 156 erreicht wird. Südöstlich von der Stadt Suez ist die Kanalrinne noch 4 km weit in das Meer geführt, um endlich bei 9 m Tiefe die Reede von Suez zu erreichen. Die Baukosten des Kanals beliefen sich auf etwa 19 Mill. Pfd. Sterl., von denen 12,800,000 durch Aktienzeichnungen aufgebracht wurden, während den Rest der Chedive deckte. Letzterm kaufte England 1875 die übernommenen, noch unplacierten Aktien (177,602 Stück im Wert von 3,5 Mill. Pfd. Sterl.) ab. Bis Ende 1884 wurden mit Einschluß der Verbesserungen für den Kanal verausgabt 488 Mill. Fr., wogegen die Aktiva 76,7 Mill. Fr. betrugen. Die Einnahmen der Gesellschaft ergaben 1872 zum erstenmal einen Überschuß von 2 Mill. Fr., der 1887 auf 29,7 Mill. Fr. stieg. Auch der Schiffsverkehr beweist den vollständigen Erfolg des Unternehmens. Es benutzten den Kanal 1887: 3137 Schiffe von 5,903,024 Nettotonnengehalt, davon 2330 englische, 185 französische, 159 holländische, 159 deutsche, 82 österreichisch-ungarische, 138 italienische etc. Die Zahl der Reisenden betrug 182,998 mit Einschluß von Soldaten. Die Einnahmen bezifferten sich auf 60,5, die Ausgaben auf 30,8 Mill. Fr. Was die Abkürzung der Entfernungen zwischen Europa und den östlichen Ländern betrifft, so beträgt dieselbe für die Dampferfahrt nach Bombay von Brindisi 37, von Triest 37, von Genua 32, von Marseiile 31, von Bordeaux 24, von Liverpool 24, von London 24, von Amsterdam 24, von Hamburg 24 Tage. Danach lassen sich die Zeitersparnisse in der Fahrt nach andern Häfen berechnen. Freilich ist auch in Rücksicht zu ziehen, ob die zu transportierenden Waren den kostspieligen Kanalzoll (10 Fr. pro Tonne Nettogewicht) zu tragen vermögen. Manufakturen, Stahl, feine Metallwaren, Seide, Thee, Kaffee, Baumwolle etc. dürfen als unbedingt kanalfähige Güter gelten, während eine lange Fracht vertragende Güter vorteilhafter den Weg um das Kap nehmen. Vgl. Lesseps, Lettres, journal et documents à l'histoire du canal de Suez (Par. 1881, 5 Bde.); Volkmann, Der S. und seine Erweiterung (in "Kanäle", Berl.1886); Krukenberg, Die Durchflutung des Isthmus von S. (Heidelb. 1888).
Suffeten ("Richter"), die obersten Magistratspersonen in Karthago (s. d., S. 566).
Sufficit (lat.), es genügt, reicht hin.
Suffisance (franz., spr. ssüffisängs), Selbstgefälligkeit, dünkelhafte Selbstgenügsamkeit; süffisant, gegenügend; selbstgefällig, eingebildet.
Suffix (lat.), Nachsilbe, am Ende eines Wortes angehängte Silbe; s. Flexion.
Suffizient (lat.), genügend, ausreichend.
Sufflenheim, Flecken im deutschen Bewirk Unterelsaß, Kreis Hagenau, am Eberbach, hat Fabriken für Töpferwaren und feuerfeste Steine, Bauholzhandel und (1885) 3158 meist kath. Einwohner.
Suffocatio (lat.), Erstickung (s. d.).
Suffolk (spr. ssöffok), engl. Grafschaft, an der Nordsee, 3820 qkm (69,4 QM.) groß mit (1881) 356,893 Einw., ist im allgemeinen wellenförmig und meist sandig und verflacht sich nach der Küste, wo Strecken von Marschland vorkommen. Die bedeutendsten Flüsse sind: der Stour (Grenzfluß gegen Essex), Orwell, Wavenay (Grenzfluß gegen Norsolk) und Ouse mit dem Lark. Ackerbau und Viehzucht stehen auf hoher Stufe. Man hält hier eine Rasse von ungehörnten Kühen, welche ungemein viel Milch geben; das Suf-
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Suffolk - Suggestion.
folkschaf gibt kurze, aber sehr feine Wolle. 63 Proz. der Oberfläche sind unter dem Pflug, 18 Proz. bestehen aus Wiesen. 1888 zählte man 41,534 Ackerpferde, 63,258 Rinder, 422,150 Schafe und 130,887 Schweine. Im Bau landwirtschaftlicher Maschinen leistet S. Bedeutendes, andre Zweige der Industrie sind ohne Belang. Hauptstadt ist Ipswich.
Suffolk (spr. ssöffok), engl. Adelstitel, zuerst der Familie Clifford als Grafen, seit dem 14. Jahrh. der Familie Pole als Herzöge von S. Der letzte aus diesem Haus ward 1513 hingerichtet. Heinrich VIII. verlieh den Titel seinem Günstling Charles Brandon, dem Gemahl seiner Schwester Maria, dessen Schwiegersohn Henry Gray von Eduard VI. 1551 zum Herzog von S. erhoben wurde. Derselbe ward nebst seiner Tochter Johanna Gray (s. Gray 1) 1554 enthauptet. Demnächst erhielt Lord Thomas Howard, Sohn des vierten Herzogs von Norfolk, der 1597 zum Baron Howard ernannt war, 1603 den Titel eines Grafen von S. Schon in dem Kampf gegen die unüberwindliche Flotte Philipps II. hatte er sich ausgezeichnet, unter Jakob I. wurde er 1603 Geheimrat und 1605 Lord-Oberkämmerer, in welcher Eigenschaft er sich bei der Entdeckung der Pulververschwörung hervorthat. 1614-18 war er Lord-Großschatzmeister, wurde aber 1618 entlassen, wegen Bestechlichkeit angeklagt und in den Tower gesetzt, aus dem er jedoch nach einigen Tagen wieder befreit wurde. Er starb 1626. Sein zweiter Sohn wurde 1626 zum Grafen von Berkshire erhoben und ist Stammvater der jetzigen Grafen von S. und Berkshire; gegenwärtiger Chef des Hauses ist Charles John Howard, Graf von S. und Berkshire, geb. 7. Nov. 1804.
Suffragan (lat.), jedes zu Sitz und Stimme (suffragium) berechtigte Mitglied eines Kollegiums von Geistlichen; insbesondere der (einem Erzbischof untergeordnete) Diözesanbischof.
Suffrage universel (franz., spr. ssüffrahsch üniwersséll), s. Allgemeines Stimmrecht.
Suffragium (lat.), die Stimme, die der röm. Bürger in den Komitien (s. d.) oder als Richter in Kriminalprozessen (judicia publica) abgab; auch die Abstimmung im ganzen und das Stimmrecht selbst.
Suffrutex (lat.), s. Halbstrauch.
Suffusion (lat., Hyphämie), diffuse Blutunterlaufung von größerer Ausdehnung in die Gewebsmaschen, wie sie namentlich unter der Haut bei Quetschungen, Schlägen mit stumpfen Instrumenten in seltenen Fällen spontan vorkommen, z. B. bei Blutfleckenkrankheit, Skorbut u. dgl.
Sûfismus (Sofismus), der Mystizismus der Mohammedaner, nach welchem der Mensch ein Ausfluß (Emanation) Gottes ist und zur Wiedervereinigung mit demselben zurückstrebt. Seine Anhänger heißen Sufi ("Wollbekleidete"), da sie nach der Sitte der ersten Gründer im 3. Jahrh. nach Mohammed nur wollene Kleidung trugen, was aber heute nicht mehr der Fall ist. Die Sûfi unterscheiden drei Stationen in ihrem Orden: die der Methode, auf welcher der Moslem die vorgeschriebenen Reinigungen und Gebete äußerlich vollbringt; die der Erkenntnis, auf der er erkennt, daß alle äußerliche Religionsübung keinen wahren Wert hat, und sich vielmehr dem Studium der heiligen sûfistischen Schriften und beschaulichem Versenken in die Gottheit widmet; endlich die der Gewißheit, auf welcher er sich als eins mit der Gottheit weiß und daher über alle Askese erhaben ist. Als Stifter des S., der namentlich in Kleinasien und Persien, auch in Indien Ausbreitung fand, wird ein arabischer Perser aus Irak genannt; für seine bedeutendsten Vertreter gelten der persische Dichter Dschelal eddin Rumi und Frerid eddin Attar aus Nischabur wie auch die berühmten Dichter Hafis und Saadi. Vgl. Tholuck, S., sive Theosophia Persarum pantheistica (Berl. 1821); Kremer, Geschichte der herrschenden Ideen des Islams (Leipz. 1868); Palmer, Oriental mysticism (Lond. 1867); Gobineau, Les religions et les philosophes dans l'Asie Centrale (2. Aufl., Par. 1866).
Suganathal (Val Sugana),Flußthal der Brenta, soweit sie tirolisches Gebiet durchströmt, zieht sich von den Quellen der Brenta ab über 50 km bis zur italienischen Grenze, wo es bei Tezze in eine wilde Schlucht übergeht, enthält die Seen von Caldonazzo und Levico, hat südliche Vegetation, Wein- und Seidenkultur und ca. 70,000 Bewohner. Wichtige Orte sind Pergine, Levico, Borgo und der Badeort Roncegno. Der Name wird von dem Volksstamm der Euganeer abgeleitet, welche hier angesiedelt waren.
Sugatag (spr. schú-), Dorf im ungar. Komitat Marmaros, bei Marmaros-Sziget, mit großem Salinenwerk (jährliche Produktion 165,000 metr. Ztr. Salz). Vom Bergwerk führt eine 20 km lange schmalspurige Bahn nach Marmaros-Sziget.
Suger (spr. ssühsche), franz. Kirchenfürst und Staatsmann, geb. 1081 zu St.-Omer, seit 1122 Abt zu St.-Denis, hatte unter Ludwig VI. und Ludwig VII. bedeutenden Einfluß auf das Staatswesen, verbesserte die Justiz, beförderte Ackerbau, Handel und Gewerbe, begünstigte die Städte, war während Ludwigs VII. Kreuzzug 1147-49 Reichsregent, hob die Macht des Königtums und starb 12. Jan. 1151. Er schrieb unter anderm: "Vita Ludovici VI." (hrsg. von Molinier, Par. 1887) und "De rebus in sua administratione gestis" (bei Duchesne, "Scriptores", Bd. 5). Sein Leben beschrieben Combes (Par. 1853) und Nettement (3. Aufl., das. 1868).
Suggerieren (lat.), einem etwas eingeben, ihn beeinflussend zu etwas veranlassen.
Suggestion (franz., "Eingebung"), die Einflößung bestimmter Vorstellungen in der Hypnose (s. Hypnotismus). Die Erfahrungen der letzten Jahre haben bewiesen, daß die geistige Beeinflussung der durch die Hypnotisierung ihres selbständigen und logischen Denkens beraubten Personen viel weitere Ausdehnung zuläßt, als man bis dahin geneigt war, zu glauben, und daß dadurch erstaunliche Wirkungen erzielt werden können. Richet in Paris will einer Dame von mittlern Jahren nacheinander suggeriert haben, sie sei eine Bäuerin, eine Schauspielerin, ein alter General, ein Prediger, eine Nonne, eine alte Frau, ein kleines Kind, ein junger Mann etc., und sie habe sich jedesmal der eingebildeten Rolle gemäß betragen. In einem kürzlich zu Pforzheim verhandelten Prozeß handelte es sich um Personen, die in der künstlich erregten Wahnvorstellung, Hunde zu sein, auf andre gehetzt worden waren. Der bekannte Psycholog J. Delboeuf in Lüttich hat einer Person sogar mit Erfolg vorgeredet, sie sei ein geheizter eiserner Ofen oder eine brennende Petroleumlampe. Dem Träumenden mangelt eben jede Logik und Fähigkeit, sich durch eignes Denken einer gebieterischen Wahnvorstellung zu entreißen. Man begreift die Gefährlichkeit der Macht eines gewissenlosen Hypnotiseurs über seine Opfer, und es sind bereits mehrere Fälle vor die Gerichte gekommen, in denen Frauen unter dem Vorgeben, mit ihrem Gatten zu verkehren, gemißbraucht oder zu schriftlichen Schenkungen veranlaßt worden sind. Es ist somit höchst bedenklich, sich ohne Beisein einer Vertrauensperson hypnotisierenzu lassen. Einige
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Suggestion mentale - Suifon.
forscher, namentlich Charkot in Paris, dem aber auch Krafft-Ebing in Graz, Obersteiner in Wien und andre deutsche Autoritäten in neuerer Zeit beigestimmt haben, gehen noch weiter und behaupten, es ließen sich durch S. Eindrücke aus Körper- und Gemütsleben hervorbringen, die über die Hypnose hinauswirken und so Heilwirkungen, Charakteränderungen, erziehliche Einflüsse etc. befördern könnten. Krafft-Ebing will einer Person die Körpertemperatur, die sie am nächsten Morgen zeigen sollte, und ein französischer Arzt einer andern durch die Eingebung, sie werde mit glühendem Eisen gebrannt, sogar Brandblasen erzeugt haben. Auch zu persönlichen Angriffen, Verbrechen etc. nach der Hypnose soll durch S. ein Anstoß gegeben werden können. Diese Angaben bedürfen aber noch sorgfältiger Prüfung. Vgl. Obersteiner, Der Hypnotismus mit besonderer Berücksichtigung seiner klinischen und forensischen Bedeutung (Wien 1887); v. Krafft-Ebing, Eine experimentelle Studie auf dem Gebiet des Hypnotismus (Stuttg. 1888); Bernheim, Die S. und ihre Heilwirkung (Wien 1888).
Suggestion mentale (franz., spr. ssüggschestióng mang-tall), die angebliche Gedankenübertragung ohne Berührung; s. Gedankenlesen, S. 990.
Suggestivfragen (eingebende Fragen), verfängliche Fragen des Richters an den Angeklagten oder an Zeugen, welche so gestellt werden, daß die von letztern erst anzugebenden Thatsachen schon von dem Richter in die Frage hineingelegt werden; nach moderner Rechtsanschauung unstatthaft.
Sughlio, stark gewürzte Fleischbrühe, welche mit Weißwein statt Wasser bereitet wird, dient zum Kochen von Maccaroni, Geflügel und Wild.
Sugillation (lat.), der Austritt von Blut in die Gewebe nach Zerreißung kleinerer Gefäße. Der Ausdruck ist aus den Worten sub ciliis ("unter den Augenlidern") entstanden und bedeutet ursprünglich als Succiliatio die so häufigen bei Schlägerei vorkommenden roten Flecke der Augenlider, welche später alle Regenbogenfarben durchmachen und in der Volkssprache schlechtweg als blaues Auge bekannt sind.
Suheir, arab. Dichter, s. Sohair.
Suhl (Suhla), Stadt im preuß. Regierungsbezirk Erfurt, Kreis Schleusingen, an der Südseite des Thüringer Waldes im Thal der Hasel und an der Linie Plaue-Ritschenhausen der Preußischen Staatsbahn, 438 m ü. M., hat 2 evang. Kirchen, ein Amtsgericht, eine Oberförsterei, eine Reichsbanknebenstelle und (1885) 10,602 meist evang. Einwohner. Hauptnahrungszweig derselben ist Eisenwaren- und Gewehrfabrikation, welch letztere seit Jahrhunderten in großem Ruf steht und nicht nur Kriegswaffen aller Art, sondern auch Jagdgewehre und die verschiedensten Luxuswaffen liefert. Andre Gewerbe sind: Barchentweberei, Holzwaren-, Porzellan-, Lederfabrikation, Maschinenbau etc. Über der Stadt erhebt sich der Domberg mit dem Ottilienstein (520 m), einem aussichtsreichen Porphyrfelsen. S. wird urkundlich zuerst 1330 als Dorf erwähnt, das durch Kauf an die Grafen von Henneberg kam und 1527 Stadtrecht erhielt; seit 1815 gehört es zu Preußen. Vgl. Werther, Chronik der Stadt S. (Suhl 1846-47, 2 Bde.).
Suhle, morastige Vertiefung, in welche sich Rot- und Schwarzwild, besonders bei trocknem, heißem Wetter, niederlegt, um sich darin zu kühlen und vom Ungeziefer, namentlich den Hirschlausfliegen, zu reinigen. Der Hirsch schlägt gewöhnlich zuerst mit dem Vorderlauf den Morast zu einer breiartigen Masse, legt sich dann hinein und wälzt sich behaglich darin umher. Beim Austreten aus der S. schüttelt er sich den Schmutz ab und reibt (marlt) sich dabei, wie namentlich auch die Sauen, an Bäumen. In Revieren, in welchen es an natürlichen Suhlen fehlt, schlägt man muldenförmige Vertiefungen mit strengem Letten aus, damit das darin zusammenlaufende Wasser nicht in den Boden einsickern kann.
Suhler Weißkupfer, s. Nickellegierungen.
Suhm, Ulrich Friedrich von, Freund Friedrichs d.Gr., geb. 29. April 1691 zu Dresden, studierte in Genf, kam 1720 als kursächsischer Gesandter an den Berliner Hof, trat hier mit dem damaligen Kronprinzen (Friedrich II.) in enge Verbindung und stand mit demselben auch nach seinem Abgang von Berlin (1730) noch in philosophischem Briefwechsel, der nach dem Tode des Königs unter dem Titel: "Correspondance familiaire de Frédéric II avec U. F. de S." (2 Bde.) erschien. 1737 ward S. Gesandter am russischen Hof; er starb im November 1740.
Sühneverfahren, gerichtliches Verfahren zum Zweck der gütlichen Beilegung eines Rechtsstreits. Nach der deutschen Zivilprozeßordnung (§ 268) kann das Gericht in jeder Lage eines bürgerlichen Rechtsstreits die gütliche Beilegung desselben oder einzelner Streitpunkte versuchen oder die Parteien zum Zweck des Sühneversuchs vor einen beauftragten oder ersuchten Richter verweisen. Auch kann zum Zweck des Sühneversuchs das persönliche Erscheinen der Parteien vor Gericht angeordnet werden. In Ehesachen muß dem Verfahren vor dem Landgericht in der Regel ein Sühnetermin vor dem Amtsgericht vorhergehen, bei welchem der Ehemann seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Die Parteien müssen zu diesem Sühneversuch persönlich erscheinen (§ 570 ff.). Handelt es sich ferner um eine geringfügigere Rechtssache, welche im einzelrichterlichen Verfahren vor dem Amtsgericht zu verfolgen ist, so kann der Kläger zunächst seinen Gegner zum Zweck eines Sühneversuchs vor das Amtsgericht laden lassen. Kommt hier ein Vergleich nicht zu stande, so wird auf Antrag beider Parteien sofort zur Verhandlung des Rechtsstreits geschritten, indem alsdann die Klagerhebung durch den mündlichen Vortrag der Klage erfolgt (§ 471). Bei einfachen Beleidigungen ist nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 420) die Erhebung der Klage erst dann zulässig, wenn vor der zuständigen Vergleichsbehörde die Sühne fruchtlos versucht worden ist. Hierüber hat der Kläger mit der Klage eine Bescheinigung einzureichen. Die Vergleichsbehörde ist in den meisten deutschen Staaten der Schiedsmann (s. d.), der auch die gütliche Beilegung von privatrechtlichen Streitigkeiten versuchen kann.
Suicidium (lat.), Selbstmord.
Suidas, griech. Lexikograph, um 970 n. Chr., Verfasser eines Worterklärungen und Notizen (namentlich biographische) über die alten Schriftsteller enthaltenden lexikalischen Werkes. Eilig und ohne Kenntnis und Kritik aus ältern Wörterbüchern, Scholien und grammatischen Schriften zusammengeschrieben, leidet es an zahlreichen schweren Mangeln und Irrtümern, ist aber dennoch durch die Fülle nur hier erhaltener Nachrichten besonders für die Litteraturgeschichte von unschätzbarem Wert. Neuere Ausgaben besorgten Gaisford (Oxford 1834, 3 Bde.), Bernhardy (Halle 1834-53, 2 Bde.) und Beker (Berl. 1854). Vgl. Daub, De Suidae biographicorum origine et fide (Leipz. 1880).
Suifon (Suifun), Fluß im Südussuriland (ostsibirisches Küstengebiet), welcher in der Mandschurei entspringt und sich im Sichota Alin durch eine Felsspalte in die Peters d. Gr.-Bai Bahn bricht. Die
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Sui juris - Suleiman Pascha.
Mündung des S. ist nur für Schiffe von 1,5 m Tiefgang zugänglich.
Sui juris (lat.), sein eigner Herr, mündig.
Suina (Schweine), Familie der paarzehigen Huftiere.
Suinter, s. v. w. Wollschweiß.
Suir (spr. schuhr), Fluß in Irland, entspringt in der Grafschaft Tipperary, fließt an Thurles, Caher, Carrick und Clonmel vorbei und vereinigt sich unterhalb Waterford mit dem Barrow (s. d.).
Suite (franz., spr. sswiht), Folge, Gefolge, besonders von Militärpersonen, welche den Landesherrn oder höhere Vorgesetzte bei Besichtigungen begleiten; Offiziere, welche zu Dienststellungen außerhalb der Truppe berufen sind, wie z. B. Lehrer an den Militärbildungsanstalten, werden "à la s." ihres Truppenteils geführt, d. h. sie bleiben in dessen Listen, bis ihre Wiedereinrangierung in denselben oder einen andern Truppenteil erfolgt. - In der Musik ist S. (Partie, Partita) eine der ältesten mehrsätzigen (cyklischen) Formen, die ihren Ursprung in den Musikvorträgen der Kunstpfeifer hat, welche schon im 16.-17. Jahrh. Tänze verschiedener Nationalität, kontrastierend in Tempo und Takt, aber in der Tonart zusammenstimmend, nacheinander vortrugen und eine solche Folge Partie benannten. Der Name und die Form wurden im 17. Jahrh. von den deutschen Klavierkomponisten aufgegriffen, welche auch die in ähnlicher Weise aus mehreren Stücken zusammengesetzten Variationen (Doubles) als Partie bezeichneten. Durch diese sowie durch die Violinkomponisten (Corelli) wurden allmählich die Formen der Tanzstücke erweitert, es begannen aber bald die verschiedenen Teile durch überhandnehmende Figuration, wie sie der Violine gemaß war, ihre charakteristischen Merkmale zu verlieren, und es ist das Verdienst der französischen Klavierkomponisten (Couperin), die Rhythmik wieder schärfer präzisiert zu haben. Ihre letzte Ausbildung erfuhr die Kammersuite durch J. S. Bach. Neben den Tanzstücken fanden später auch die Introduktion, das Präludium, die Fuge, die Tokkata, der Marsch und das Thema mit Variationen Aufnahme in die S. In neuerer Zeit ist die S. auf volles Orchester übertragen und zu großem Umfang ausgestaltet worden, besonders durch Franz Lachner, der in seinen Suiten große kontrapunktische Meisterleistungen hingestellt hat. Die vier charakteristischen Teile der ältern S. sind: Allemande, Courante, Sarabande und Gigue; wurden mehr Sätze eingeschoben (Intermezzi: Gavotte, Passepied, Branle, Bourrée, Menuett, auch Doubles über ein Tanzstück), so geschah das in der Regel zwischen Sarabande und Gigue. Selten erscheint ein eingeschobener Satz vor der Sarabande. über den Charakter der einzelnen Sätze s. die Spezialartikel.
Suiten (vulgär Schwieten gesprochen), mutwillige, lose Streiche; Suitier (Schwietjeh), Streichemacher, lustiger Bruder.
Sujet (franz., spr. ssüscheh), s. v. w. Subjekt; Gegenstand, besonders Stoff einer Rede etc.
Sukkade (ital.), kandierte Schale verschiedener Citrus-Arten, besonders Zitronat.
Sukkador, Holzart, s. Jacaranda.
Sukkuba (lat.), nach dem mittelalterlichen Volksglauben ein dem Inkubus (s. d.) ähnlicher weiblicher Nachtgeist (vgl. Alp).
Sukkulent (lat.), saftig, kraftvoll, nahrhaft; Sukkulenz, Saftfülle, Nahrhaftigkeit.
Sukkulenten (Succulentae), 1) Fettpflanzen, im allgemeinen alle Gewächse mit fetten, saftreichen Blättern oder mit sehr dicken, fleischigen, grünen Stengeln mit rudimentären Blättern oder ganz ohne solche, daher die meisten aus den Familien der Krassulaceen, Kakteen, Mesembryanthemeen und den Gattungen Aloe, Agave etc. Die oberirdischen Stengel dieser Pflanzen sterben meist nicht, wie die der echten Kräuter, alljährlich ab, sondern dauern mit ihren Blättern mehrere, oft viele Jahre. Sie können Trockenheit der Umgebung länger als andre Gewächse schadlos ertragen, weil ihre Transpiration äußerst gering ist, so daß ihr ungewöhnlicher Wasserreichtum in den voluminösen Organen zurückgehalten wird. -
2) (Opuntinae) Ordnung im natürlichen Pflanzensystem unter den Dikotyledonen, Choripetalen mit dicken, fleischigen Blättern oder, wenn diese nicht ausgebildet sind, mit fleischigem, kugeligem bis säulenförmigem oder zusammengedrücktem, grünem Stamm, die Blüten mit Kelch- und Blumenblättern, welche, meist in großer Anzahl, bald in Quirlen, bald in Spiralen geordnet sind, ebenso gestellten Staubgefäßen und unter-, seltener oberständigem Fruchtknoten mit meist wandständiger Placenta, umfaßt die Familie der Kakteen und in einigen Systemen auch die der Mesembryanthemeen. S. Tafel "Kakteen".
Sukkumbeuzgeld, Buße, welche im bürgerlichen Rechtsstreit der mit einem Rechtsmittel (Berufung, Revision etc.) Abgewiesene an die Staatskasse zu entrichten hat. Wo partikularrechtlich in Deutschland ein S. vorkam, ist es durch die deutsche Zivilprozeßordnung beseitigt. Das französische Recht kennt dagegen das S. in der Form eines Einsatzes, welchen der Beschwerdeführer an die Staatskasse verliert, wenn seine Beschwerde abgewiesen wird. Das S. bezweckt die Verhütung des leichtfertigen Gebrauchs von Rechtsmitteln.
Sukkumbieren (lat.), unterliegen, verlieren; Sukkumbenz, das Unterliegen.
Sukkurrieren (lat.), beispringen, zu Hilfe eilen.
Sukkurs (lat.), Hilfe, Beistand, Unterstützung; Sukkursale, Filiale eines Handlungshauses etc.
Sulamith (hebr., d. h. Mädchen aus Sulem oder Sunem), die Braut im Hohenlied Salomos (7, 1).
Suleika, pers. Frauenname, unter welchem Goethe im "Westöstlichen Diwan" seine Freundin Marianne v. Willemer (s. d.) verherrlicht.
Suleiman, s. Soliman.
Suleimankette (Suleimankoh), Meridiangebirge im östlichen Afghanistan, an der Grenze gegen Indien, erreicht im Takht i Suleiman 3441 m Höhe, geht im W. in ein Hochland über, fällt steil gegen Indien ab und ist von hier nur in tief eingeriffenen, schwer zugänglichen Flußthälern zu übersteigen.
Suleiman Pascha, türk. General, geb. 1838 in Thrakien, wurde in der Militärschule erzogen, trat 1854 in die Armee, ward schon 1862 Kapitän und kämpfte mit Auszeichnung in Montenegro, wurde darauf als Bataillonskommandeur in die Kaisergarde versetzt und 1867 nach Kreta gesandt, wo er namentlich bei Erstürmung des Bergs Rova ein hervorragendes strategisches Talent entwickelte, und, nach Konstantinopel zurückgekehrt, Professor der Litteratur an der Kriegsschule. Er schrieb in dieser Zeit mehrere wissenschaftliche Werke, namentlich eine allgemeine Geschichte in drei Bänden und eine Grammatik der türkischen Sprache, kämpfte unter Redif Pascha in Jemen, avancierte dann zum Generalmajor und Unterdirektor der Militärschule, endlich zum Direktor derselben, die er nach europäischem Muster erweiterte und verbesserte, und nahm an der Verschwörung zur Entthronung Abd ul Asis' teil. 1875 zum
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Sulfat - Sulla.
Divisionsgeneral (Ferik) befördert, befehligte er im serbischen Krieg 1876 zuerst eine Division, dann ein Korps, nahm Knjaschewatz und die Höhen von Djunis und drang als einer der ersten in Alexinatz ein. 1877 ward er zum Muschir und Oberkommandanten von Bosnien und der Herzegowina ernannt, verproviantierte Nikschitz und rückte in Montenegro ein, wurde aber im Juli, als die Russen in Rumelien eindrangen, zurückgerufen. Er warf dieselben bei Eski Zagra zurück, griff sie 21.-26. Aug. vergeblich im Schipkapaß an, wobei er seine vortreffliche Armee zu Grunde richtete, setzte auch im September seine Angriffe hartnäckig fort, ward 2. Okt. Oberbefehlshaber der Donauarmee, richtete aber nichts aus und ging im Januar 1878 mit einem Teil derselben über den Balkan zurück. Bei Philippopel ward 16. und 17. Jan. sein Heer völlig zersprengt, S. im März zu Konstantinopel verhaftet und vor ein Kriegsgericht gestellt und 2. Dez. besonders wegen seines Verfahrens in Rumelien zur Degradation und zu 15 Jahren Festung verurteilt, aber vom Sultan begnadigt. Er starb 15. April 1883. Vgl. Macrides, Procès de S. (Konstant. 1879).
Sulfat, s. v. w. schwefelsaures Natron; in der Färberei s. v. w. schwefelsaure Thonerde; Sulfate, s. v. w. Schwefelsäuresalze; z. B. Kaliumsulfat, schwefelsaures Kali.
Sulfatofen, s. Soda, S. 1047.
Sulfide, s. Schwefelmetalle.
Sulfindigosäure, s. Indigo, S. 919.
Sulfite, s. v. w. Schwefligsäuresalze; z. B. Natriumsulfit, schwefligsaures Natron.
Sulfobasen, s. Schwefelmetalle.
Sulfocarbonate, s. Schwefelkohlenstoff.
Sulfocyan, s. v. w. Rhodan.
Sulfonal (Diäthylsulfondimethylmethan), ein Oxydationsprodukt einer Verbindung von Äthylmerkaptan mit Aceton, bildet farb-, geruch- und geschmacklose, gut lösliche Kristalle und kann als schlafbringendes Mittel dem Morphium und Chloral an die Seite gestellt werden, ja es übertrifft dieselben in mancher Hinsicht, da es deren nachteilige Wirkung auf Puls, Atmung und Körpertemperatur nicht teilt. Bei Schlaflosigkeit durch Herzfehler, fieberhafte Krankheiten, welche die Anwendung von Morphium oder Chloral ausschließen, leistet S. ausgezeichnete Dienste, ebenso besonders bei Schlaflosigkeit aus nervösen Ursachen, bei Geisteskrankheiten und bei Kindern. Der Schlaf tritt erst nach einer halben bis ganzen Stunde ein, aber er ist tief, dauert 6-8 Stunden, und Nebenwirkungen, wie Kopfschmerz etc., treten selten ein.
Sulfopurpursäure, s. Indigo, S. 919.
Sulfosalze, s. Salze, S. 245, u. Schwefelmetalle.
Sulfosäuren, s. Säuren und Schwefelmetalle.
Sulfostannat, s. Zinnsulfide.
Sulfozon, mit schwefliger Säure imprägnierte Schwefelblumen, dient als Desinfektionsmittel und gegen Parasiten auf Pflanzen.
Sulfur (Sulphur, lat.), Schwefel; S. auratum Antimonii, S. stibiatum aurantiacum, Goldschwefel, s. Antimonsulfide; S. depuratum, gewaschene Schwefelblüte, s. Schwefel, S. 724; S. jodatum, Jodschwefel, aus 1 Teil Schwefel und 4 Teilen Jod zusammengeschmolzen; S. praecipitatum, Schwefelmilch, s. Schwefel, S. 725; S. stibiatum rubeum, Stibium sulfuratum rubeum, Mineralkermes, s. Antimonsulfide; S. sublimatum, Schwefelblumen.
Sulfüre, Sulfurete, s. Schwefelmetalle.
Sulfuröl, s. Olivenöl.
Sulina, der zweite Hauptmündungsarm der Donau (s. d., S. 54 u. 55). An der Südseite desselben liegt im rumänischen Kreis Tultscha (Dobrudscha) die Stadt S., mit Leuchtturm und 5000 Einw., Sitz eines Pilotenkorps, Freihafen (seit 1879) und Hauptstationsort für die Dampsschiffahrt nach Odessa. S. wurde 8. Okt. 1877 von den Russen beschossen und arg verwüstet.
Sulingen (Suhlingen), Flecken und Kreishauptort im preuß. Regierungsbezirk Hannover, hat eine evang. Kirche, ein Amtsgericht, bedeutende Sensenfabrikation und (1885) 1645 Einw. Hier 3. Juni 1803 Konvention zwischen Franzosen und Hannoveranern.
Sulioten, albanes. Volksstamm im Südendes Paschaliks Janina, dem alten Epirus, leitet seinen Ursprung von einer Anzahl Familien ab, welche im 17. Jahrh. vor dem türkischen Druck in den Gebirgen von Suli in der Nähe der Stadt Parga eine Zuflucht suchten. Sie bekennen sich zur griechisch-katholischen Kirche und sprechen als Muttersprache das Griechische, zugleich aber auch das Albanesische. Neben Viehzucht und etwas Ackerbau war ihr Hauptgewerbe das der Klephthen und Armatolen, worin sie sich vorzüglich durch List und Ausdauer hervorthaten; besonders galten ihre Angriffe den benachbarten Türken, gegen deren Übermacht sie bei einem einfachen, aber ausharrenden Verteidigungssystem geraume Zeit standhielten. Sie erlagen erst 1803 und verließen nun ihre bisherigen Wohnsitze, indem sie erst nach Parga, dann, durch die Drohungen und Intrigen Ali Paschas auch von da vertrieben, nach den Ionischen Inseln sich wandten. Hier traten sie in den Militärdienst der verschiedenen Mächte (Rußlands, Frankreichs, Englands), welche damals nacheinander diese Inseln besaßen. Ali Pascha, 1820 in Janina von den Türken unter Churschid Pascha eingeschlossen und von den Albanesen verlassen, suchte bei den S. Hilfe und räumte ihnen die Festung Kiagha ein. Die S. folgten seiner Einladung, gerieten aber durch den Übertritt der albanesischen Häuptlinge zu Churschid Pascha und den unglücklichen Ausfall des im Sommer 1822 von Griechenland aus zu ihrer Unterstützung unternommenen Feldzugs in große Bedrängnis und mußten im September ihre Feste Suli den Türken einräumen. Gegen 3000 S. wurden damals auf englischen Schiffen nach Kephalonia gebracht, während sich die übrigen in die Gebirge zerstreuten. Viele von ihnen beteiligten sich tapfer an dem griechischen Freiheitskampf und gelangten in Griechenland später zu Ansehen und Würden, so die Botzaris und Tzavellas. Vgl. Perräbos, Geschichte von Suli und Parga (neugriech., Vened. 1815, 2 Bde.; engl., Lond. 1823); Lüdemann, Der Suliotenkrieg (Leipz. 1825).
Sulkowski, eine aus Polen stammende, den Adelsfamilien Lodzia und Sulima von Haus aus angehörige, seit 1752 reichsfürstliche Familie in Posen und Österreichisch-Schlesien, blüht in den beiden Linien von Reisen und von Bielitz, welche beide vom Grafen, seit 1752 Fürsten Alex. Jos. v. S. (gest. 1762) abstammen. Ersterer gehörte an Anton Paul, Fürst S., geb. 31. Dez. 1785, der nach Poniatowskis Tod einige Zeit die Reste der polnischen Armee kommandierte und dann Generaladjutant des Kaisers Alexander I. ward; starb 13. April 1836. Ihm folgte sein Sohn August Anton, Fürst S., geb. 13. Dez. 1820, im Ordinat Reisen und in der Grafschaft Lissa, und nach dessen Tod (20. Nov. 1882) Fürst Anton, geb. 6. Febr. 1844. Herzog von Bielitz ist gegenwärtig Fürst Joseph S., geb. 2. Febr. 1848.
Sulla, 1) Lucius Cornelius, röm. Diktator, geb. 138 v. Chr. als der Sprößling einer der Gens
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Süllberg - Sullivan.
Cornelia angehörigen patrizischen Familie, war nach einer teils in leichtsinnigen Vergnügungen, teils in litterarischen Beschäftigungen verbrachten Jugend 107 im Jugurthinischen Krieg Quästor des Konsuls Marius und trug dadurch wesentlich zur glücklichen Beendigung des Kriegs bei, daß er den König Bocchus von Mauritanien durch geschickte Unterhandlungen zur Auslieferung des Jugurtha bewog. Er wurde darauf 93 Prätor, und nachdem er sich im Marsischen Krieg als Führer einer Abteilung des römischen Heers besonders ausgezeichnet hatte, ward er für 88 zum Konsul erwählt und mit der Führung des (ersten) Mithridatischen Kriegs beauftragt. Als er sich bereits nach Nola in Kampanien zu seinem Heer begeben hatte, wurde in Rom durch die Volkspartei unter Führung des Volkstribunen P. Sulpicius Rufus der Oberbefehl im Mithridatischen Krieg Marius übertragen. S. kehrte daher an der Spitze seines Heers nach Rom zurück, schlug seine Gegner und ächtete die hervorragendsten unter denselben, traf auch einige Anordnungen, die dazu dienen sollten, die Ruhe in der Stadt zu sichern, widmete sich dann aber zunächst völlig der Führung des ihm aufgetragenen Kriegs, ohne sich um die Vorgänge in Rom zu bekümmern, wo sich seine Gegner bald unter den größten Grausamkeiten der Gewalt bemächtigten, Marius 86 zum siebentenmal Konsul wurde und große Heere gesammelt wurden, um den gefürchteten Kampf mit S. bestehen zu können. Als dieser den Krieg mit Mithridates glücklich beendigt hatte (s. Mithridates), kehrte er an der Spitze von 40,000 Mann nach Italien zurück, überwand in einer Reihe von Schlachten seine Gegner, zuletzt den jüngern Gajus Marius bei Sacriportus und ein hauptsächlich aus Samnitern bestehendes Heer unter den Mauern von Rom, und wurde dann 82 zum Diktator auf unbestimmte Zeit ernannt. Als solcher suchte er zunächst seine Stellung zu sichern, indem er eine große Menge seiner Gegner proskribierte, d. h. ihre Namen durch Proskriptionslisten bekannt machte und auf ihren Kopf einen Preis setzte, und indem er die Ländereien der in dem blutigen Bürgerkrieg Umgekommenen unter seine Veteranen verteilte und 10,000 Sklaven die Freiheit schenkte, die ihm als ihrem Patron gewissermaßen als Leibwache dienten. Dann aber erließ er, hauptsächlich zu dem Zweck, der Republik eine aristokratische Verfassungsform zu geben, eine Reihe von Gesetzen (Leges Corneliae), unter denen die Zurückgabe der Gerichte an den Senat und die Herabsetzung der Macht der Volkstribunen auf ihr ursprüngliches geringes Maß besonders hervorzuheben sind. Als er aber sein Ziel erreicht zu haben glaubte (er liebte es, sein Gelingen nicht seinem Verdienst, sondern seinem Glück beizumessen, und ließ sich daher gern den Glücklichen, Felix, nennen), legte er 79 die Diktatur nieder und zog sich nach Puteoli zurück, wo er, ohne sich jedoch den öffentlichen Angelegenheiten völlig zu entziehen, hauptsächlich seinem Vergnügen lebte, starb jedoch schon 78. Er schrieb in lateinischer Sprache Denkwürdigkeiten seines Lebens, deren letztes Buch sein Freigelassener Epicadus vollendet und die Plutarch in seiner Biographie des S. benutzt hat. Neuere Biographien lieferten Zachariä (Heidelb. 1834) und Lau (Hamb. 1855).
2) Faustus Cornelius, Sohn des vorigen, geboren um 88 v. Chr., diente im dritten Mithridatischen Krieg unter Pompejus und war der erste, der 63 die Mauern des Tempels von Jerusalem erstieg; 54 bekleidete er die Quästur. Im Bürgerkrieg stand er auf seiten des Pompejus, mit dessen Tochter er verheiratet war. Nach der Schlacht bei Pharsalos floh er nach Afrika; nach der Schlacht bei Thapsos (46) fiel er in Cäsars Hände und ward von dessen Soldaten ermordet.
3) Publius Cornelius, Bruderssohn des Diktators S., ward 66 v. Chr. zum Konsul für das folgende Jahr gewählt, aber, bevor er sein Amt antrat, wegen Amtserschleichung (ambitus) angeklagt und verurteilt. Dann wurde er 62 wieder wegen Teilnahme an der Catilinarischen Verschwörung angeklagt, aber von Hortensius und Cicero verteidigt und freigesprochen. Im Bürgerkrieg war er Legat Cäsars und befehligte bei Pharsalos den rechten Flügel. Er starb 45.
Süllberg, s. Blankenese.
Sülldorf, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Magdeburg, Kreis Wanzleben, hat eine evang. Kirche, eine Zucker- und eine Thonwarenfabrik, Kalk- und Ziegelbrennerei, ein Solbad und (1885) 1133 Einw.
Sulliv., bei naturwissenschaftl. Namen Abkürzung für William S. Sullivant, geb. 1803 zu Franklinton, gest. 1873 in Columbus (Bryolog).
Sullivan (spr. ssölliwän), 1) Timothy Daniel, irischer Politiker, geb. 1827 zu Bantry in der Grafschaft Cork, nahm als Herausgeber und Eigentümer der Zeitung "Nation" sowie andrer der irischen Nationalpartei als Organe dienender Zeitschriften an den politischen Kämpfen seiner Landsleute in den letzten Jahrzehnten hervorragenden Anteil. 1850-85 war er für Westmeath Mitglied des Parlaments, welchen Sitz er 1885, für Dublin gewählt, seinem jüngern Bruder, Donal S., überließ. 1886 wurde er Lord-Mayor von Dublin und 1887 einstimmig wieder- und 1880-82 als Parlamentsmitglied für Meath gewählt. Auch ein dritter Bruder, Alexander Martin S., geb. 1830, seit 1855 Mitarbeiter an der "Nation", seit 1876 Parlamentsmitglied für Louth und in demselben Jahr Lord-Mayor von Dublin, seit 1876 irischer und seit 1877 englischer Rechtsanwalt, gest. 17. Okt. 1884, hat in der irischen Partei eine bedeutende Rolle gespielt.
2) Arthur, engl. Komponist, geb. 13. Mai 1842 zu London, war Chorknabe in der königlichen Vokalkapelle, als er zum Stipendiaten der Mendelssohn-Stiftung erwählt wurde (1856). Seine fernere musikalische Ausbildung erhielt er zunächst in der Royal Acaderny of music in London, wo besonders Bennett sein Lehrer war, und 1858-61 am Konservatorium in Leipzig. Er wurde darauf 1861 Nachfolger Bennetts als Kompositionsprofessor an der Akademie, 1876 Direktor der National training school for music in London und 1880 Vorstandsmitglied des Royal college of music daselbst. S. ist der hervorragendste unter den jüngern englischen Komponisten, hat jedoch weniger originelle Erfindungstraft als wohlgeschulte Gestaltungskunst. Seine bekanntesten Werke sind die Musik zu Shakespeares "Sturm", "Kaufmann von Venedig" und "Heinrich VIII.", das Ballett "L'île enchantée" (1864), die Ouvertüren: "The sapphire necklace" und "In memoriam", eine Symphonie in E dur, die Oratorien: "The light of the world", "The prodigal son" und "The martyr of Antioch", mehrere Kantaten, Kammermusikstücke und Klavierkompositionen sowie zahlreiche Lieder und Operetten, wie: "Cox and Box" (1866), "The contrabandista", "Her Majesty's ship Pinafore", "Jolanthe", "The pirates of Penzance". "The Mikado", "The golden legend" (1887) u. a., die namentlich in England und Amerika großen Erfolg hatten. 1883 wurde S. von der Königin in den Ritterstand erhoben.
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Süllö - Sulpicius.
Süllö, s. Sander.
Sully (spr. ssülli), Maximilian von Béthune, Baron von Rosny, Herzog von, franz. Staatsmann, geb. 13. Dez. 1560 zu Rosny bei Nantes, ward in der reformierten Kirche erzogen und zugleich mit Heinrich von Navarra unterrichtet. Er nahm mit Auszeichnung an den Feldzügen des jungen Königs von Navarra teil und kämpfte bei Coutras (1587) und bei Ivry (1590) mit. Ein strenger Calvinist, stolz und schroff, trat er auch seinem königlichen Freund, besonders seiner Verschwendung und Ausschweifung, wiederholt mit Energie entgegen; doch vereinte beide bald wieder die gemeinsame Liebe zum Vaterland. Deswegen riet er auch 1593 Heinrich zur Annahme des Katholizismus, um den Bürgerkrieg zu beendigen. 1597 an die Spitze der Finanzen gestellt, tilgte er eine Staatsschuld von 200 Mill. Livres, erwarb den größten Teil der verschleuderten Domänen zurück, hob eine Menge überflüssiger Ämter auf, ordnete und vereinfachte das Steuerwesen, baute Straßen, führte die Seidenkultur und andre Erwerbszweige ein und begünstigte den Ackerbau; diesen und die Viehzucht erklärte er für die Brüste, von denen Frankreich sich nähre. Seit 1601 auch Großmeister der Artillerie und Oberaufseher über alle Befestigungen des Landes, stellte er in kurzem die öffentliche Ruhe wieder her, namentlich durch Vernichtung vieler Räuberbanden. Auf Heinrichs Zug nach Savoyen (1600) eroberte S. die für unüberwindlich gehaltenen Festungen Montmelian und Bourg. Nach dem Frieden übernahm er unter dem Titel eines erblichen Kapitäns der Häfen, Flüsse und Kanäle das Departement der öffentlichen Bauten, hob Zölle auf, erklärte den Getreidehandel für frei, legte Kanäle an und leistete in dieser Stellung viel für Verbesserung der Kommunikationsmittel des Landes. Zugleich leitete er auch die auswärtigen Verhandlungen. 1604 wurde er zum Gouverneur von Poitou und 1606 für sein Gut Sully an der Loire zum erblichen Herzog ernannt. Dabei erwarb er für sich selbst ein bedeutendes Vermögen. Nach der Ermordung Heinrichs IV. (14. Mai 1610) ward er seiner Stellung am Hof entbunden und von diesem auf sein Schloß S. verwiesen; doch bediente sich auch Ludwig XIII. öfters seines Rats und ernannte ihn 1634 zum Marschall; er starb 21. Dez. 1641. Wichtig für die Geschichte seiner Zeit, obwohl nicht durchaus zuverlässig, sind seine in Stil und Form ungenießbaren "Memoires" (Amsterd. 1634, 2 Bde.; 2 Supplementbände 1662), die vom Abbé L'Ecluse (das. 1745, 8 Bde.) modernisiert, aber auch sehr verändert und gefälscht wurden. Vgl. die biographischen Schriften von Legouvé (Par. 1873), Gourdault (3. Aufl., Tours 1877), Bouvet de Cresse (das. 1878), Dussieux (Par. 1887) und Chailley (das. 1888); Ritter, Die Memoiren Sullys (Münch. 1871).
Sully - Prudhomme (spr. ssülli-prüdómm), Rene Francois Armand, franz. Dichter, geb. 16. März 1839 zu Paris, wurde nach dem frühen Tod seines Vaters von einem Oheim, dem Notar Sully, an Kindes Statt angenommen, widmete sich dem Studium der Rechtswissenschaft, lebte dann aber ganz seinen litterarischen Neigungen und veröffentlichte 1865 seine ersten Gedichte: "Stances et poèmes", die das Glück hatten, von Sainte-Beuve bemerkt zu werden, der namentlich auf das formell vollendete und eine tiefe Innigkeit des Gefühls bekundende Gedicht "Le vase brise" aufmerksam machte. Als weitere Sammlungen folgten: "Les épreuves", "Les écuries d'Augias", "Croquis italiens", "Les solitudes", "Impressions de la guerre", "Les destins", "Les vaines tendresses", "La France" (Sonette), "La revolte des fleurs" u. a. S. ist in diesen Dichtungen den Idealen seiner Jugend treu geblieben; die Reinheit, die ihn kennzeichnete, die Tiefe der Empfindung, der Adel des Gedankens wurden nie durch Mißklänge getrübt, und die philosophierende Richtung, die in seinen letzten Werken den Vorrang behauptet, hat in ihrem Streben nach Aussöhnung zwischen einer schmerzvollen Wirklichkeit und einer höhern Gerechtigkeit ebenfalls etwas Wohltuendes. S. schrieb außerdem ein Lehrgedicht: "La Justice" (1878), übersetzte den Lukrez (neue Ausg. 1886) und veröffentlichte ein kunsthistorisches Werk: "L'expression dans les beaux arts". Seine "OEuvres complètes" erschienen 1882-88 in 5 Bänden. Seit 1881 ist S. Mitglied der französischen Akademie.
Sully sur Loire (spr. ssülli ssürr loahr), Stadt im franz. Departement Loiret, Arrondissement Gien, an der Loire und der Eisenbahn von Argent nach Beaune la Rolande, hat ein schönes Schloß (mit Statue Sullys, der hier 1604-41 wohnte) und (1881) 2037 Einw.
Sulmirschütz (Sulmirzyce), Stadt im preuß. Regierungsbezirk Posen, Kreis Adelnau, hat (1885) 3130 meist kath. Einwohner.
Sulmo, Stadt, s. Solmona.
Sulphur (lat.), s. Sulfur.
Sulpicia, röm. Dichterinnen: 1) S., s. Tibullus;
2) S., unter Domitian lebende Verfasserin von erotischen Gedichten, die bis auf wenige Reste verloren sind; eine ihren Namen tragende "Satira" von 70 Versen, eine ziemlich frostige Betrachtung der traurigen Lage der Gelehrten unter Domitian, ist ein ihr untergeschobenes Machwerk aus spätrömischer Zeit (hrsg. von Bährens in "De Sulpiciae quae vocatur satira. Jena 1873, und in den "Poetae latini minores", Bd. 5, Leipz. 1883; auch häufig in Verbindung mit Persius und Juvenal).
Sulpicius, angesehenes röm. Geschlecht, aus mehreren Familien mit verschiedenen Beinamen (Camerinus, Galba, Gallus, Longus, Paterculus Peticus, Prätextatus, Rufus und Saverrio) bestehend. Publius S. Galba befehligte 210 v. Chr. und in den folgenden Jahren die gegen König Philipp III. von Makedonien, den Verbündeten Hannibals, ausgesandte Flotte und führte als Konsul 200 und dann auch noch einen Teil des Jahrs 199 gegen denselben Philipp den Oberbefehl. Servius S. Galba erlitt 151 als Prätor eine Niederlage in Lusitanien, ließ im folgenden Jahr viele tausend Lusitanier niederhauen, nachdem er sie unter der Vorspiegelung, ihnen fruchtbare Ländereien anzuweisen, zur Ergebung verlockt hatte, wurde deshalb 149 angeklagt, wandte aber durch seine Beredsamkeit die Verurteilung von sich ab. 144 bekleidete er das Konsulat. Sein gleichnamiger Enkel war einer der Verschwornen gegen Cäsar und wurde nebst den übrigen Mördern Cäsars 43 von Oktavian geächtet; er ist der Urgroßvater des Kaisers Galba. Publius S. Rufus, geb. 124, wird von Cicero als Redner gerühmt, zeichnete sich 89 im Bundesgenossenkrieg durch die Unterwerfung der Marruciner auch als Feldherr aus und wurde für das Jahr 88 zum Volkstribun erwählt. Sein Gesetzvorschlag, die mit dem Bürgerrecht ausgestatteten Bundesgenossen in alle Tribus zu verteilen, fand auf seiten der von den Konsuln Sulla und Quintus Pompejus Rufus geführten Optimatenpartei den heftigsten Widerstand. Hierdurch wurde er bewogen, sich an Gajus Marius anzuschließen, und brachte daher ein Gesetz durch, daß der Oberbefehl gegen Mithridates
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Sultan - Sulze.
von Sulla (s. d. 1) auf Marius übertragen werden sollte. Sulla aber schlug seine Gegner innerhalb der Mauern Roms und ächtete die vornehmsten derselben, darunter auch S., der auf seiner Villa entdeckt und getötet wurde. Der Sklave, der ihn verraten, ward von Sulla zwar freigelassen, aber darauf vom Tarpejischen Felsen gestürzt.
Sultan (arab., "Herr, Mächtiger"), gewöhnlicher Titel mohammedan. Herrscher im Orient, besonders des osmanischen Reichs. Auch den Frauen der Sultane wird der Titel Sultanin beigelegt, in der Türkei aber nur der wirklichen Gemahlin des Sultans sowie seinen Töchtern, welche Chanimsultaninnen ("Frauen von Geblüt") genannt werden. Die Mutter des Großherrn heißt Walide S.
Sultanabad, Hauptstadt der pers. Provinz Irak Adschmi, 1844 m ü. M., wurde erst zu Anfang dieses Jahrhunderis gegründet, hat die Form eines Rechtecks, durch zahlreiche Türme verstärkte Mauern und treibt lebhaften Handel mit Teppichen, von denen die meisten nach Europa gehen; der Wert dieser Ausfuhr belief sich 1877 auf 1,600,000 Mk.
Sultanshuhn, s. Purpurhuhn.
Sultepec, Bergwerksort im mexikan. Staat Mexiko, 2340 m ü. M., in engem Thal, mit (1880) 7613 Einw. Dabei kamen Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Blei, Zinn, Antimon, Zinnober und andre Metalle vor.
Sulu (Joloinseln), eine Gruppe kleiner gebirgiger, aber fruchtbarer Inseln im Ostindischen Archipel zwischen der Nordostspitze von Borneo und der Südwestspitze von Mindanao, 2456 qkm (45 QM.) groß mit 75,000 malaiischen Bewohnern, die sich zum Islam bekennen und früher als kühne Seeräuber weithin berüchtigt waren. Trotzdem sie mehrmals durch französische, spanische und niederländische Schiffe, auch vom Radscha Brooke von Borneo, schwer gezüchtigt wurden, hörten ihre Seeräubereien nicht auf, bis Spanien von den Philippinen aus 1876 die Hauptinsel S. besetzte und den ganzen Archipel dem Generalkapitanat der Philippinen einverleibte. Das Recht Spaniens auf den Archipel wurde auch 1885 vertragsmäßig von Deutschland und England anerkannt. Seitdem bilden das Einsammeln eßbarer Vogelnester und die Perlenfischerei die ergiebigste Einnahmequelle der Insulaner, deren geringer Handel fast ganz in den Händen von Chinesen aus Manila ruht. Die Stadt S. wurde bei ihrer Einnahme 1876 durch die Spanier niedergebrannt, aber von spanischen Genieoffizieren neu aufgebaut und durch Sträflingsarbeit befestigt. Nach dem Archipel führt der südlich bis Celebes sich erstreckende Meeresteil den Namen Sulusee. S. Karte "Hinterindien".
Sulz, 1) Oberamtsstadt im württemberg. Schwarzwaldkreis, am Neckar und an der Linie Plochingen-Villingen der Württembergischen Staatsbahn, 427 m ü. M., hat eine evang. Kirche, ein Amtsgericht, ein Hauptsteuer- und ein Kameralamt, eine Saline, ein Solbad und (1885) 1895 meist evang. Einwohner. -
2) (Obersulz, franz. Soultz) Stadt und Kantonshauptort im deutschen Bezirk Oberelsaß, Kreis Gebweiler, an der Eisenbahn Gebweiler-Lautenbach, hat eine alte kath. Kirche, ein Amtsgericht, eine Oberförsterei, Seidenspinnerei, Seiden- und Baumwollweberei, Eisengießerei und (1885) 4511 meist kath. Einwohner. Westlich der 1432 m hohe Sulzer Belchen, der höchste Gipfel der Vogesen. -
3) (S. unterm Wald) Stadt und Kantonshauptort im deutschen Bezirk Unterelsaß, Kreis Weißenburg, an der Eisenbahn Straßburg-Weißenburg, hat eine evangelische und eine kath. Kirche, ein Amtsgericht, Bergbau auf Petroleum, Asphalt und Eisen, eine Petroleumraffinerie, Hopfenbau und (1885) 1566 Einw. -
4) Bad, s. Schongau.
Sülz, Dorf im preuß. Regierungsbezirk und Landkreis Köln, 2 km südwestlich von Köln, hat Spinnerei, Fabrikation von Maschinen, Goldleisten, Buchdruckerschwärze, Bürsten und Lack, Ziegelbrennerei und (1885) 2496 Einw.
Sulza (Stadtsulza), Stadt im sachsen-weimar. Verwaltungsbezirk Weimar II (Apolda), an der Ilm, Knotenpunkt der Linie Neudietendorf-Weißenfels der Preußischen Staatsbahn und der Eisenbahn Straußfurt-Großheringen, 134 m ü. M., hat eine evang. Kirche, eine Baugewerkschule, ein besuchtes Solbad (1887: 2225 Kurgäste), Wollwarenfabrikation und (1885) 2105 Einw. Dabei die zu Meiningen gehörige Saline Neusulza mit drei Gradierwerken. Vgl. Rost, Führer und Ratgeber durch Bad S. (Sulza 188l).
Sulzbach, 1) Bezirksamtsstadt im bayr. Regierungsbezirk Oberpfalz, an der Linie Nürnberg-Furth i. W., 400 m ü. M., hat 3 Kirchen, ein Schloß (jetzt Gefängnis für weibliche Sträflinge), ein Amtsgericht, starken Hopfenbau und (1885) mit der Garnison (ein Infanteriebataillon Nr. 6) 4670 meist kath. Einwohner. In der Nähe die Wallfahrtskirche Annaberg, zahlreiche Eisensteingruben und ein großes Eisenhüttenwerk. Das ehemalige gleichnamige deutsche Fürstentum, dessen Hauptstadt S. war, und das 1028 qkm (19 QM.) mit 32,000 Einw. umfaßte, erscheint am Ende des 11. Jahrh. als Grafschaft, kam 1305 an Bayern und fiel dann mit der Oberpfalz an die Pfalz. Die Pfalzgrafen von S. waren eine Nebenlinie derer von Pfalz-Neuburg (seit 1614) und folgten unter Karl Theodor 1742 in der Kurpfalz, 1777 in Bayern (vgl. Pfalz, S. 933). -
2) Flecken im württemberg. Neckarkreis, Oberamt Backnang, an der Murr und der Linie Waiblingen-Hessenthal der Württembergischen Staatsbahn, 260 m ü. M., zur Grafschaft Löwenstein gehörig, hat eine evang. Kirche, ein Schloß (Lautereck), Gerberei, Schuhmacherei, Holzhandel, Viehzucht und (1885) 2660 Einw. -
3) Dorf im deutschen Bezirk Oberelsaß, Kreis Kolmar, in einem Thal der Vogesen, hat eine kath. Kirche, eine Mineralquelle mit Bad und (1885) 756 Einw. -
4) Dorf im preuß. Regierungsbezirk Trier, Kreis Saarbrücken, an der Linie Wellesweiler-Saarbrücken der Preußischen Staatsbahn und einer Industriebahn, hat eine evangelische und eine kath. Kirche, ein Amtsgericht, eine Steinkohlengrube, Eisenerzbergbau, Koks- und Glasfabrikation, eine chemische Fabrik und (1885) 11,177 meist kath. Einwohner.
Sulzbacher Alpen, s. Steiner Alpen.
Sulzbad, Dorf im deutschen Bezirk Unterelsaß, Kreis Molsheim, an der Eisenbahn Zabern-Schlettstadt, hat eine kath. Kirche und (1885) 772 Einw. In der Nähe das Bad S. mit zwei Mineralquellen, welche Chlor, Soda, Brom, Jod und Eisenoxyd enthalten und namentlich gegen Hautkrankheiten und Rheumatismus angewendet werden, sowie der besuchte Wallfahrtsort Avolsheim. Vgl. Eissen, Soultzbad près Molsheim (Par. 1857).
Sulzberg (Val di Sole), s. Noce.
Sulzburg, Stadt im bad. Kreis Lörrach, am Sulzbach und am Fuß des Schwarzwaldes, 339 m ü. M., hat eine evang. Kirche, ein altes Schloß, eine Bezirksforstei, vortrefflichen Weinbau, Weinhandel, eine Dampfsägemühle und (1885) 1152 meist evang. Einwohner. Nahebei in einem hübschen Waldthal das Bad S. mit alkalischer Kochsalzquelle von 15° C.
Sulze, s. Salzlecke.
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Sülze - Sumatra.
Sülze, kalte Fleischspeise, bereitet aus in säuerlicher, stark gewürzter Brühe gekochtem und fein geschnittenem Fleisch, welches mit der durchgeseihten, zu Gelee eingedickten Brühe vermischt wird. Das Ganze läßt man in einer Schüssel erstarren.
Sülze, Stadt im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, Herzogtum Güstrow, an der Recknitz, hat eine evang. Kirche, ein Amtsgericht, eine Dampfmolkerei, eine Saline, ein Solbad und (1885) 2342 fast nur evang. Einwohner.
Sulzer, 1) Johann Georg, Ästhetiker, geb. 5.Okt. 1720 zu Winterthur, erhielt seine Bildung in Zürich und ging 1742 nach Berlin, wo er mit Euler und Maupertuis in nähere Verbindung trat und 1747 die Professur der Mathematik am Joachimsthaler Gymnasium, 1763 an der neugestifteten Ritterakademie erhielt und auch in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen ward. Durch Kränklichkeit 1773 genötigt, seine Professur niederzulegen, starb er 27. Febr. 1779. Sein Hauptwerk ist die einst vielbenutzte "Allgemeine Theorie der schönen Künste" (neue Ausg., Leipz. 1792-94, 4 Bde.), zu welcher Blankenburg "litterarische Zusätze" (das. 1796-98, 3 Bde.) sowie Dyk und Schulze "Nachträge" (das. 1792-1808, 3 Bde.) lieferten. S. suchte darin die Wolfsche Philosophie mit den Ansichten der Franzosen und Engländer eklektisch in Übereinstimmung zu bringen. Vgl. seine "Selbstbiographie" (Berl. 1809).
2) Salomon, Begründer des modernen Synagogengesangs, geb. 30. März 1804 zu Hohenems in Vorarlberg, lebt als emeritierter Oberkantor der israelitischen Gemeinde und Professor am Musikkonservatorium in Wien. S. veröffentlichte eine Sammlung gottesdienstlicher Gesänge: "Schir Zion" (Wien 1845-66, 2 Bde.), die sich in allen Synagogen einbürgerten. Vgl. "Gedenkblätter an Oberkantor S. S." (Wien 1882).
Sulzer Belchen, s. Belchen 2) und Sulz 2).
Sulzmatt, Flecken im deutschen Bezirk Oberelsaß, Kreis Gebweiler, in einem engen Thal der Vogesen, hat eine kath. Kirche, Baumwollspinnerei und -Webe-rei, Spinnerei von Flockseide, guten Weinbau und (1885) 2807 Einw. In der Nähe das Bad S. mit mehreren Mineralquellen, darunter einem Sauerbrunnen und einer Schwefelquelle, die bei Gliederschmerzen und Hautkrankheiten zu Bädern gebraucht wird. Vgl. Bach, Des eaux alcalines de Soultzmatt (Straßb. 1853).
Sumach, Pflanzengattung , s. Rhus.
Sumarokow, Alexander Petrowitsch, russ. Dichter, geb. 14. Nov. (a. St.) 1718 zu Moskau, versuchte sich in fast allen Gattungen der Poesie, besonders in der Satire, und gilt als Schöpfer des russischen Dramas, insofern er zuerst nationale Lust- und Trauerspiele (nach dem pseudoklassischen Muster der Franzosen) lieferte. Er wurde von der Kaiserin Katharina II. zum Staatsrat erhoben und starb 1. Okt. (a. St.) 1777 in Moskau. S. war auch der erste Direktor des russischen Hoftheaters. Von seinen Dramen, die mehr nach ihrem sittlichen Gehalt und historischen Wert als nach Form und Konzeption zu beurteilen sind, stehen die Tragödien: "Horew", "Sinaw und Trubor" und "Mstislaw" oben an. Unbedeutend sind seine Komödien wie seine Epen etc.; dagegen zeichnen sich viele seiner Satiren durch Kühnheit und Energie der Gedanken aus und lassen in S. einen feurigen Verfechter des Rechts und der Wahrheit erkennen. Seine gesammelten Werke erschienen zuletzt in St. Petersburg 1787. Vgl. Bulitsch, Sumarokow (Petersb. 1854).
Sumatra, die westlichste und nächst Borneo die größte der Sundainseln (s. Karte "Hinterindien"), wird durch die Sundastraße von Java, durch die Straße von Malakka von der Halbinsel Malakka getrennt und vom Äquator mitten durchschnitten. Die von NW. nach SO. langgestreckte Insel hat ein Areal, das offiziell auf 406,705 qkm (7386,2 QM.) angegeben wird, nach Behm und Wagner aber 428,813 qkm (7787,7 QM.) beträgt, ohne die Inseln an der Westküste (Babi, Nias, die Batu-, Mantawi-, Poggiinseln, Engano) mit einem Areal von 14,421 qkm (261,9 QM.), welche, in derselben Richtung wie die Hauptinsel streichend, wie die Trümmer einer zweiten Insel erscheinen. Die Westküste ist hoch, und unter ihren zahlreichen Buchten und Ankerplätzen ist die Bai von Tapanuli die geräumigste und sicherfte; dagegen ist die Ostküste niedrig und mit Strandmorästen bedeckt; nach innen zu steigt das Land ganz allmählich auf, um sich endlich in Hügelreihen an die Gebirgskette Boukit-Barissan anzuschließen, welche S. in ihrer ganzen Länge durchzieht. Durch dieselbe wird S. in einen schmalen, gebirgigen westöstlichen und einen größern, von Tiefland erfüllten östlichen Teil geschieden. Aus dem Gebirge erheben sich 19 Vulkane, darunter 6 noch thätige: der Indrapura (3833m), Dempo (3200m), Ophir oder Pasaman (2927 m), Merapi (2660 m), Salasi und Ipo, zugleich die beträchtlichsten Bodenerhebungen auf der Insel. Verheerende Ausbrüche (wie der des Tambora, der über 12,000 Menschen das Leben kostete) haben wiederholt stattgefunden. Am Südostende bilden die Ausläufer der Parallelketten des Gebirges drei Landspitzen, zwischen denen die Lampong- und die Kaiserbucht ins Land hineintreten. Infolge der orographischen Verhältnisse sind die Flüsse der Westküste unbedeutend, doch kann der Singkel 20 km von seiner Mündung aufwärts durch einheimische Boote befahren werden. Dagegen wird die Ostseite von einer Anzahl wasserreicher Flüsse (Rokan, Siak, Indragiri, Jambi, Palembang oder Musi, Tulan-Bawan) durchzogen, die teilweise 150 km und weiter aufwärts selbst von größern Kriegsschiffen befahren werden können. Unter den Seen ist der Sinkara der bedeutendste. Das Klima ist heiß und in den sumpfigen Niederungen bei 27-32° C. Maximaltemperatur ungesund, in 1200 m hohen Lagen aber bei einem Maximum von 24° C. zuträglich. Der Wechsel des Monsuns ist auf den beiden Seiten des Äquators ein entgegengesetzter. Die Tierwelt zeigt mehr Verwandtschaft mit der von Borneo als der von Java. Affenarten sind zahlreich, sehr häufig ist der Königstiger; sonst sind noch zu erwähnen der Elefant, zwei Rhinozerosarten, der Tapir, Nebelpanther; die Flüsse wimmeln von Kaimans (Crocodilus biporcatus). Die Pflanzenwelt ist außerordentlich reichhaltig und üppig. Als Repräsentant derselben kann die dort heimische Rafflesia Arnolda gelten, ein Schmarotzergewächs mit der größten Blüte der Welt (bis 1 m im Durchmesser und über 5 kg schwer). S. hat in seinen ungeheuern Wäldern eine Fülle von nutzbaren Holzarten und erzeugt zugleich durch Kultur eine Reihe von Massenprodukten zur Ausfuhr, wie Reis, Zucker, Tabak, Indigo, Baumwolle, Katechu, Kautschuk, Guttapercha, Benzoe, Rotang, Kampfer, Betel- und Kokosnüsse, eingeführt ist die Kultur von Kaffee, Muskatnüssen u. a. An Metallen finden sich, und zwar reichlich, Gold, Kupfer, Zinn, Eisen, auch Steinkohlen. Die Bevölkerung, deren Zahl man auf 3,8 Mill. berechnet, gehört zur malaiischen Rasse; im SO. wohnen die Lampong, in der Mitte die Passumah und Redschang, nach N. hin
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Sumatrakampfer - Sumerier.
die Batta und Atschinesen. Als besonderer Stamm hausen, abgeschieden von der übrigen Bevölkerung, noch die Orang-Kubu ohne feste Wohnsitze. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Völkerschaften sind hauptsächlich bedingt durch das Maß, in welchem arabisch-islamitische, indo-javanische und europäische Einflüsse nacheinander auf dieselben eingewirkt haben. Die Mehrzahl der Bewohner bekennt sich zum Islam, und zwar sind sie meist fanatische Mohammedaner; die Batta dagegen sind Heiden, die Passumah und Redschang zwar nicht dem Namen, aber der That nach. Ackerbau und Schiffahrt sind Hauptbeschäftigungen; Seeräuberei und Menschenraub waren früher eingebürgert. Die industrielle Thätigkeit beschränkt sich auf das Weben baumwollener Kleiderstoffe und Arbeiten in Gold, mit Benutzung sehr einfacher Geräte. Ihr Gemeinwesen ist sehr zersplittert. Die wichtigsten Ausfuhrhäfen sind Padang und Palembang. Die Insel wurde seit der Eroberung von Atschin und Siak fast ganz den Niederländern unterworfen. Sie teilen dieselbe administrativ ein wie folgt:
QKilom. QMeilen Bevölkerung 1885
Gouvernement Westküste 121171 2200,6 1192661
Benkulen 25087 455,6 149923
Lampongsche Distrikte 26155 475,0 118889
Palembang 140873 2558,4 627914
Ostküste 42321 768,6 171399
Atschin 51098 928,0 544634
Unter dieser gezählten Bevölkerung von 2,805,420 Seelen, welche gegen die oben angeführte Berechnung um 1 Mill. zurücksteht, wurden 3944 Europäer, 62,053 Chinesen und 2549 Araber ermittelt. überall, wohin die Macht der Holländer reicht, sind seit 1876 Sklaverei und Leibeigenschaft aufgehoben worden. S. ward den Europäern durch den Portugiesen Lopez de Figueira 1508 zuerst bekannt. Die Portugiesen errichteten daselbst Handelsfaktoreien, wurden aber zu Ende des 16. Jahrh. von den Holländern verdrängt, die 1620 auf der Insel festen Fuß faßten. Neben dem Sultan von Bantam auf Java hatte damals der Herrscher von Atschin (Atjeh) die meiste Macht auf S. Zwischen 1659 und 1662 gelang es den Niederländern, die Südwestküste ihrer Schutzherrschaft zu unterwerfen, und 1664 bemächtigten sie sich Indrapuras, Salidas und mehrerer andrer Plätze, 1666 auch Padangs. Weiter im Süden hatten sich seit 1685 die Engländer zu Benkulen festgesetzt, und zwischen beiden regte sich bald lebhafte Eifersucht. 1803 fiel der ganze südliche Teil der Ostküste mit Palembang ebenfalls unter niederländische Herrschaft. Die Niederländer und Engländer schlossen 1824 einen Vertrag, wonach diese gegen Einräumung der niederländischen Besitzungen auf der Halbinsel Malakka auf ihre Niederlassung auf S. zu gunsten der Niederländer verzichteten. 1835 unterwarfen sich letztere auch die Fürsten von Dschambi, und in einem Kriege gegen die Atschinesen erweiterten sie ihren Besitz an der Westküste, wie sie auch das malaiische Oberland des Reichs Menangkabu und zugleich einen Teil der Battaländer unter ihre Botmäßigkeit brachten. Es bestehen seitdem neben ihrem Reich nur noch die beiden Reiche Atschin und Siak; auch ist ein Teil der Korintjier und Batta im Innern noch unabhängig. Nachdem sich die Niederländer durch die Abtretung Guineas an England dessen Zustimmung zur Unterwerfung Atschins gesichert, begannen sie 1873 einen Krieg gegen dies Reich (s. Atschin), der aber nur langsam und unter großen Verlusten fortschritt. Vgl. Miquel, S., seine Pflanzenwelt und deren Erzeugnisse (Leipz. 1862); Mohnike, Bangka und Palembang, nebst Mitteilungen über S. (Münst. 1874); Rosenberg, Der Malaiische Archipel (Leipz. 1878) ; Bock, Unter den Kannibalen auf Borneo etc. (Jena 1882); Marsden, History of S.(3. Ausg., Lond. 1811); Marre, S. Histoire des rois de Pasey (Par. 1875); Bastian, Indonesien, Teil 3 (Berl. 1886); Verbeek, Topographische en georgische beschrijving van een gedeelte Van Sumatra's westkust (1886).
Sumatrakampfer, s. v. w. Borneokampfer, s. Kampfer.
Sumatrawachs (Geta-Lahoe), der eingedickte Milchsaft von Ficus ceriflua Jungh., ist aschgrau, härter als Bienenwachs, spez. Gew. 0,963 bei 16°, fast vollständig löslich in Äther, wenig in kaltem Alkohol, schmilzt bei 61°.
Sumba (auch Sandelbosch, "Sandelholzinsel"), eine der Kleinen Sundainseln, durch die Sandelboschstraße von Floris und Sumbawa geschieden, im Besitz der Holländer, aber unter einheimischen Häuptlingen und zur Residentschaft Timor gehörig, hat mit dem südwestlich gelegenen kleinen Savu ein Areal von 11,360 qkm (206 QM.) und etwa 200,000 Einw. Das Innere ist ein Tafelland von 1000 m Höhe mit gesundem Klima. Produkte sind: Baumwolle, Sandelholz, Pferde, Geflügel. An der Westküste der Ort Manukaka
Sumbawa (Sumbaua), eine der Kleinen Sundainseln, zwischen Lombok und Floris, 13,980 qkm (254 QM.) groß, mit gebirgigem und vulkanischem Boden, gut bewässert und sehr fruchtbar (Sandelholz, Baumwolle, Tabak, Reis), hat etwa 150,000 Einw. malaiischer Rasse und Bekenner des Islam. Die Insel bildet einen Teil des niederländischen Gouvernements Celebes und zerfällt in drei unter Radschas stehende Reiche: S., Bima und Dompo; Sitz des niederländischen Residenten ist Bima. Vom 5. bis 11. April 1815 fand hier ein Ausbruch des 4300 m hohen Vulkans Tambora (Temboro) statt, welcher dabei zusammenstürzte, so daß er jetzt nur noch 2339 m Höhe hat. Ein großer Teil des umliegenden Landes wurde mit Asche bedeckt, und über 12,000 Menschen kamen ums Leben.
Sumbulwurzel, s. Ferula.
Sümeg (spr. schü-), Markt im ungar. Komitat Zala, mit Sommerschloß des Veszprimer Bischofs, Franziskanerkloster, (1881) 5029 ungar. Einwohnern, Weinbau und Bezirksgericht.
Sumerier (Akkadier), altes Volk, welches in frühster Zeit das Euphrat- und Tigrisland ("Land Sumir und Akkad") bewohnte und eine nicht flektierende, agglutinierende Sprache redete, also nicht semitischen Ursprungs war. Sie besaßen bereits eine bedeutende Kultur, welche die Semiten, Babylonier und Assyrer, die spätern Einwohner jenes Gebiets, neben denen sich aber die S. noch lange behaupteten, von ihnen annahmen, und von der uns in den bilinguen (assyrisch-sumerischen) Thontäfelchen der Bibliothek Assurbanipals ansehnliche Reste, Lieder, Hymnen, Gesetzsammlungen, astronomische und astrologische Schriften etc., erhalten sind. Ihre ältesten Herrschaftssitze und Priesterstädte befanden sich im untern Euphratgebiet, das nach einem ihrer Stämme auch Chaldäa genannt wurde (vgl. Babylonien). Die S. besaßen die Keilschrift (s. d.), welche nicht bloß Babylonier und Assyrer, sondern auch Meder und Perser von ihnen überkamen, beobachteten die Himmelskörper, Sonne, Mond und fünf Planeten, welche sie als Götter verehrten, und nach denen sie die sieben Tage der Woche,
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Sumiswald - Sumpfbiber.
deren Einteilung von ihnen herrührt, benannten; die Namen der Göttin Istar (Astarte), des Mondgottes Sin, des Löwengottes Nergal u. a. sind in die semitische Religion übergegangen. Ihre religiösen Hymnen, mitunter von tiefem Gefühl, sind den Psalmen der Bibel ähnlich. Ihren Rechnungen legten sie das Sexagesimalsystem zu Grunde, welches sich bei der Einteilung unsrer Tagesstunden in Minuten und Sekunden, der Grade etc. bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Vgl. Lenormant, Études accadiennes (Par. 1872-80); Derselbe, Études cunéiformes (das. 1878-80); Derselbe, La langue primitive de la Chaldée et les idiomes touraniens (das. 1875) ; Haupt, Die sumerischen Familiengesetze (Leipz. 1879); Derselbe, Die akkadische Sprache (Berl. 1883).
Sumiswald, Gemeinde im schweizer. Kanton Bern, Bezirk Trachselwald, im untern Emmenthal, am Grünenbach, hat eine schöne Kirche aus dem 16. Jahrh. und (1888) 5738 Einw., welche Landwirtschaft, Viehzucht, Fabrikation von Leinwand und Uhren und Handel mit Käse betreiben. Unweit das Schloß Trachselwald, ehemals Sitz einer Deutschordens-Kommende, jetzt Armenhaus.
Summarischer Prozeß, diejenige Prozeßart, bei welcher zum Zweck der Beschleunigung des Verfahrens Abweichungen von dem regelmäßigen Prozeßgang und Abkürzungen des letztern statuiert sind. Den Gegensatz bildet der ordentliche bürgerliche Prozeß, und zum Unterschied wird der summarische auch der "außerordentliche Prozeß" genannt. Die moderne Gesetzgebung, welche für alle Rechtsstreitigkeiten ein schleunigeres Verfahren an Stelle des schwerfälligen gemeinrechtlichen Prozeßganges einführte, hat die Fälle des summarischen Prozesses wesentlich eingeschränkt. So kennt die deutsche Zivilprozeßordnung als eigentlichen summarischen Prozeß nur noch den Exekutiv- oder Urkundenprozeß (s. d.) und den Wechselprozeß (s. d.); außerdem gehören noch das sogen. Mahnverfahren (s. d.) hierher sowie der Arrest (s. d.) und die "einstweiligen Verfügungen" (s. d.). Auch im Strafprozeß ist in geringfügigen Fällen ein summarisches Verfahren gestattet (s. Mandatsprozeß). Vgl. Deutsche Zivilprozeßordnung, (§ 555-567, 628-643; Deutsche Strafprozeßordnung, § 447-452.
Summarium (lat.), kurz gefaßter Hauptinhalt einer Schrift etc.; daher summarisch, dem Hauptinhalt nach zusammengefaßt.
Summation (lat.), s. Addition.
Summe (lat. Summa), in der Arithmetik das Resultat einer Addition (s. d.). Summenformel oder summarisches Glied einer Reihe nennt man den algebraischen Ausdruck, der die S. einer bestimmten Anzahl von Gliedern der Reihe in allgemeinen Zeichen (Buchstaben) ausdrückt.
Summis desiderantes affectibus (lat.), Bulle des Papstes Innocenz VIII. von 1484 zu gunsten der Hexenprozesse (s. Hexe, S. 103).
Summisten, im Gegensatz zu den Sententiariern Bezeichnung der spätern Scholastiker, welche sogen. Summen (summae theologiae), d. h. selbständige Lehrgebäude der Theologie, lieferten, wie Alexander von Hales, Albertus Magnus, Thomas von Aquino u. a.
Summitates (lat.), pharmazeut. Bezeichnung der blühenden Stengelspitzen oder auch der ganzen obern Teile der Pflanzen; S. Sabinae, Sadebaumspitzen.
Summum bonum (lat.), s. Höchstes Gut.
Summumjus summa injuria (lat.), röm. Rechtssprichwort: "das höchste Recht (d. h. das Recht, wenn es auf die Spitze getrieben wird) ist die höchste Ungerechtigkeit".
Sumner (spr.ssömmner), Charles, am erikan. Staatsmann, geb. 6. Jan. 1811 zu Boston, studierte an der Harvard-Universität, dann an der juristischen Akademie in Cambridge, ward 1834 Advokat in Boston, dann Referent des Bezirksgerichtshofs der Vereinigten Staaten, lehrte auch an der Universität Cambridge Staats- und Völkerrecht, bereiste 1837-40 Europa und gab Veseys "Reports" mit Anmerkungen heraus (1844-46, 20 Bde.). In der Politik schloß er sich zuerst der Whigpartei, 1848 aber, da er mit der Kriegserklärung gegen Mexiko nicht einverstanden war und schon damals die Aufhebung der Sklaverei verlangte, der Freibodenpartei an. 1850 wurde er in den Bundessenat gewählt, wo er sich als hervorragender Redner und heftiger Gegner der Sklaverei auszeichnete. Infolge einer glänzenden, aber scharfen Rede gegen die Sklaverei aus Anlaß des Kansas-Nebraskakonflikts (19. und 20. Mai 1856) ward er 22. Mai von einem Repräsentanten aus Südcarolina, Preston Brooks, körperlich gemißhandelt, so daß er erkrankte und in Europa Erholung suchen mußte. 1859 nahm er seinen Sitz im Senat wieder ein, ward einer der Führer der neuen republikanischen Partei, unterstützte mit Eifer und Erfolg die Wahl Lincolns und nahm unter dessen Präsidentschaft als Vorsitzender des Senatskomitees für auswärtige Angelegenheiten eine hervorragende Stellung in den öffentlichen Angelegenheiten der Union ein. Auch die Rechte des Kongresses Johnson gegenüber hatten an ihm einen energischen Verteidiger. Ebenso trat er mutig und offen gegen Grant auf, dessen Wahl er unterstützt hatte, als derselbe in der Domingofrage eine Annexionspolitik verfolgte und die schändlichste Korruption in der Verwaltung einreißen ließ. S. verlor daher 1871 den Vorsitz im auswärtigen Komitee, obwohl er das Recht der Union in der Alabamafrage noch zuletzt ausführlich verteidigt hatte ("The case of the United States", 1872). 1872 unterstützte er Greeleys Kandidatur und starb 11. März 1874 in Washington. Er schrieb: "White slavery in the Barbary States" (Bost. 1853). Gesammelt erschienen seine Werke in 12 Bänden (Bost. 1871-75), seine Reden Boston 1851, 2 Bde., und 1855. Vgl. Lester, Life and public services of Charles S. (New York 1874); Pierce, Life and letters of Ch. S. (Lond. 1877, 2 Bde.).
Sumpf, ein Gebiet mit stagnierendem Wasser, welches durch Gegenwart von Schlamm und Vegetation nicht schiffbar ist, aber auch nicht betreten werden kann und niemals austrocknet. Am häufigsten finden sich Sümpfe an Ufern solcher Flüsse, welche mit geringem Gefälle große Ebenen durchlaufen (Oder, Warthe, Netze, Theiß, Deltasümpfe), ferner auf großen, wenig geneigten, waldbedeckten Ebenen, wo Quell- und Regenwasser keinen genügenden Abfluß haben, und an Küsten (Maremmen und Valli in Italien, Swamps in Nordamerika). Die Vegetation der Sümpfe (vgl. Sumpfpflanzen) ist verschieden, je nachdem Wasser oder Erde vorherrschen; oft finden sich große Strecken mit Wald bedeckt, und die absterbenden Pflanzen bilden mächtige Torflager. Meist sind die Sümpfe berüchtigt durch ihre gesundheitsschädlichen Ausdünstungen; kulturfähig werden sie erst, wenn eine hinreichende Ableitung des stagnierenden Wassers gelingt; andernfalls verwertet man sie nur durch Rohrnutzung und Erlenwuchs. - Im Bergbau heißt S. der tiefste Teil des Schachts, in welchem die Wasser behufs Hebung und Entfernung aus dem Bergwerk gesammelt werden.
Sumpfbiber (Schweifbiber, Myopotamus
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Sumpfbussard - Sundainseln.
Geoffr.), Säugetiergattung aus der Ordnung der Nagetiere und der Familie der Trugratten (Echimyina). Der Koipu (M. Coypu Geoffr., s. Taf. "Nagetiere II"), 40-45 cm lang, mit fast ebenso langem, drehrundem, geschupptem und borstig behaartem Schwanz, untersetztem Leib, kurzem, dickem Hals, dickem, langem, breitem, stumpfschnäuzigem Kopf, kleinen, runden Ohren, kurzen, kräftigen Gliedmaßen, fünfzehigen Füßen, an den hintern Füßen mit breiten Schwimmhäuten und stark gekrümmten, spitzigen Krallen, ist oberseits dunkelbraun, an den Seiten rot-, unterseits schwarzbraun, an der Nasenspitze und den Lippen weiß oder hellgrau. Er bewohnt das gemäßigte Südamerika vom 24.-43.° südl. Br., vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean und lebt paarweise an Seen und Flüssen in selbstgegrabenen Höhlungen, fast ausschließlich im Wasser. Auf dem Land bewegt er sich langsam, dagegen schwimmt er vortrefflich, taucht aber schlecht. Er nährt sich hauptsächlich von Gras, frißt aber auch Wurzeln, Blätter, Körner. Das Weibchen wirft 4-6 Junge. Man jagt den S. des kostbaren Pelzes halber, welcher als Rakunda Nutria (amerikanisches Otterfell) in den Handel kommt, und in manchen Gegenden ist das Tier fast schon ausgerottet. Das weiße Fleisch wird an vielen Orten von den Eingebornen gegessen. Alt eingefangene S. gehen bald zu Grunde, jung eingefangene sind sehr lebhaft.
Sumpfbussard, s. Weihen.
Sumpfkresse, s. Taxodium.
Sumpfdlstel, s. Cirsium.
Sumpfeiche, s. Casuarina.
Sumpferz, s. v. w. Raseneisenerz.
Sumpffieber, diejenigen schweren Formen des Wechselfiebers, welche in Sumpfgegenden endemisch vorkommen und durch das sogen. Malariagift bedingt werden. S. Malaria und Wechselfieber.
Sumpfgarbe, s. Ptarmica.
Sumpfgas, s. Methan.
Sumpfgras, s. Cladium.
Sumpfmiasma, s. v. w. Malaria.
Sumpfotter, s. Nörz.
Sumpfpflanzen, diejenigen Pflanzen, welche im sumpfigen oder mit Wasser bedeckten Boden wurzeln, mit dem übrigen Teil in der Luft wachsen. Dies sind besonders: Phragmites communis, Glyceria spectabilis und fluitans, Phalaris arundinacea, Scirpus lacustris, viele Arten Riedgräser (Carex), Eriophorum, Typha, Sparganium, Alisma plantago, Sagittaria sagittaefolia, Acorus Calamus, Iris Pseudacorus, Hippuris vulgaris, Rumex hydrolapathum, Nasturtium palustre, N. amphibium, Cicuta virosa, Sium, Oenanthe, Epilobium palustre, E. pubescens, Lythrum salicaria, Caltha palustris, Myosotis palustris, Pedicularis palustris, Veronica Beccabunga. Menyanthes trifoliata, Equisetum limosum.
Sumpfporst, s. Ledum.
Sumpfrodel, s. Pedicularis.
Sumpfsassafras, s. Magnolia.
Sumpfseidelbast, s. Dirca.
Sumpfvögel, s. v. w. Watvögel (s. d.).
Sumpfzeder, s. Taxodium.
Sumter (spr. ssömmtter), Fort auf einer künstlichen Insel am Eingang des Hafens von Charleston im nordamerikan. Staat Südcarolina, 1845-55 erbaut, wurde 14. April 1861 vom Konföderiertengeneral Beauregard genommen, womit der Bürgerkrieg begann, und, obwohl im August 1863 durch ein Bombardement zerstört, bis 14. April 1865 gegen die Unionstruppen verteidigt. Vgl. Crawfurd, Story of S. (New York 1888).
Sumtion (Sumption, lat.), Annahme, hypothetischer Satz; in der katholischen Kirche das Nehmen und Genießen der Hostie.
Sumtum (lat.), genommene Abschrift.
Sumtus (lat.), Aufwand, Kosten; sumtibus publicis. auf Staatskosten; sumtuös, kostspielig.
Sumy (Ssumy), Kreisstadt im russ. Gounernement Charkow, am Pfiol und der Sumyer Bahn (Linie Merefa-Woroschba), hat 9 Kirchen, ein Gymnasium, eine Realschule, ein Mädchengymnasium, Fabriken für Zucker, Talg, Lichte und Leder und (1885) 15,831 Einw. An der Grenze von Groß- und Kleinrußland gelegen, bildet S. einen wichtigen Verkehrspunkt für die Ukraine und treibt namentlich Handel mit Pferden, Getreide und Sandzucker. S. wurde im 17. Jahrh. an Stelle der alten Ansiedelung Lipenski von Kleinrussen gegründet.
Sun, s. v. w. Sunnhanf.
Sunbury (spr. ssönnberi). 1) Dorf in der engl. Grafschaft Middlesex, an der Themse, oberhalb Hampton Court, mit (1881) 4297 Einw.; dabei Pumpwerke und großartige Filtrierbecken von zwei Londoner Wassergesellschaften sowie Brutteiche des Vereins zum Schutz der Themsefischerei. -
2) Stadt im nordamerikan. Staat Pennsylvanien, bei der Vereinigung der zwei Arme des Susquehanna, mit lebhaftem Kohlenhandel und (1880) 4077 Einw.
Sund (Öresund), Meerenge zwischen der dän. Insel Seeland und der schwedischen Landschaft Schonen, die gewöhnliche Durchfahrt aus der Nordsee in die Ostsee (s. Karte "Dänemark"), ist 67 km lang, an der schmälsten Stelle zwischen Helsingborg und Helsingör ungefähr 4 km breit und wird von der dänischen Festung Kronborg auf Seeland beherrscht. Seit dem Anfang des 15. Jahrh. erhob Dänemark bei Helsingör von allen vorüberfahrenden Schiffen einen Zoll, den Sundzoll, dessen Berechtigung durch Verträge von den andern Seemächten anerkannt war. Völlig befreit von demselben waren nur die sechs Hansestädte Lübeck, Hamburg, Rostock, Stralsund, Wismar und Lüneburg sowie Stettin, Kolberg und Kammin, während einzelnen Staaten, wie Schweden, Holland, England und Frankreich, eine Ermäßigung bewilligt war. Der Sundzoll zerfiel in die Schiffsabgabe von durchschnittlich mindestens 12 Speziesthlr. und den Warenzoll, der 1-1 1/2 Proz. betrug, und brachte Dänemark 1853 (bei 21,000 passierenden Schiffen) eine Einnahme von 2,530,000 Thlr. Nachdem die Vereinigten Staaten 1855 ihren mit Dänemark bestehenden Vertrag gekündigt und erklärt hatten, den Sundzoll nicht mehr zu zahlen, trat im Januar 1856 zu Kopenhagen eine von fast allen europäischen Staaten beschickte Konferenz zusammen, durch welche laut Vertrags vom 1. April 1857 der bisherige Sundzoll gegen eine Entschädigungszahlung von 30,476,325 dän. Reichsthlr. abgeschafft wurde. Vgl. Scherer, Der Sundzoll, seine Geschichte etc. (Berl. 1845).
Sund., bei naturwissenschaftl. Namen Abkürzung für C. I. Sundevall, geb. 22. Okt. 1801 zu Högestad bei Ystad, gest. 5. Febr. 1875 als Professor und Direktor des Museums in Lund (Zoolog).
Sundainseln, ostind. Archipel zwischen dem Chinesischen Meer und dem Indischen Ozean, erstreckt sich vom Südwesten der Halbinsel Malakka bis zu den Molukken und dem Nordwesten Australiens, umfaßt ein Areal von 1,626,669 qkm (29,542 QM.) mit 28 Mill. Einw. und zerfällt in die sogen. Großen S.: Sumatra, Java, Borneo und Celebes, und die Kleinen S., als deren wichtigste Bali, Lombok, Sumbawa, Floris, Sumba und Timor zu nennen sind. Diese
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Sundalselv - Sundwig.
Zusammenfassung von Inselgruppen und Inseln ist aber weder geographisch noch ethnographisch voll berechtigt, man hat daher die Bezeichnung S. auf die von der Makassar- und der Sapistraße (zwischen Sumbawa und Komodo) westlich gelegenen Inseln beschränken wollen. Der weitaus größte Teil der S. steht unter mittelbarer oder unmittelbarer Herrschaft der Niederländer; nur das nordöstliche Timor sowie Solor beanspruchen die Portugiesen. S. Karte "Hinterindien".
Sundalselv, norweg. Fluß, entspringt am Fuß der Snehätta im Dovrefjeld und mündet im Amt Romsdal in die Südostspitze des Tingvolds- oder Sundalsfjords. Sein Thal, Sundalen genannt, gehört unter die wildesten Felsenthäler Norwegens.
Sundanesen, malaiischer Volksstamm, im westlichen Teil von Java, der als Mittelglied zwischen den Malaien der Halbinsel Malakka, den Javanen und Batta gelten kann.
Sundasee (Meer von Java), der Teil der südasiat. Gewässer, welcher sich zwischen Sumatra, Java, Borneo und Celebes erstreckt.
Sundastraße, Meerenge zwischen den Inseln Sumatra und Java in Ostindien, verbindet den Indischen Ozean mit der Sundasee. In dieser Straße liegen mehrere vulkanische Inseln: Prinzeninseln, Thwart de Way, die durch die in neuester Zeit erfolgten Ausbrüche bekannt gewordene Insel Krakatau u. a.
Sünde, die sittliche Abnormität unter religiösem Gesichtspunkt, jede mit Freiheit geschehene Abweichung von dem erkannten göttlichen Gesetz. Obwohl Paulus, welcher die Lehre von der S. begründet hat, als Anfang der allgemeinen Sündhaftigkeit nach jüdischer Weise den Sündenfall Adams voraussetzt, so leitet er doch zugleich die S. spekulativ aus dem Fleisch (s.d., S. 363 f.) ab. Damit war das Problem gegeben, an dessen Auflösung die Kirchenlehre sich zerarbeitete, indem sie den historischen Anfang mit dem moralischen Ursprung in Einklang zu bringen suchte. Übrigens unterscheidet sie: Erbsünde (s.d.) und die aus dieser erst hervorgehende Thatsünde (peccatum actuale); rücksichtlich der Form, unter welcher das Gesetz auftritt, Begehungssünde (p. commissionis), die Übertretung des Verbots, und Unterlassungssünde (p. omissionis); rücksichtlich der Handlung selbst innere Sünden (peccata interna), unerlaubte Gedanken und Entschließungen, und äußere Sünden (p. externa), unerlaubte Reden und Thaten; nach dem Grade der in ihr liegenden Verkehrtheit vorsätzliche oder Bosheitssünden (p.voluntaria), die unmittelbar aus einem bösen Entschluß hervorgehenden Handlungen, und unvorsätzliche oder Schwachheits-, übereilungssünden (p. involuntaria. ex infirmitate, temeritate oriunda). Unter der Matth. 12, 31 f. erwähnten unvergeblichen S. wider den Heiligen Geist versteht man den definitiven Unglauben der im Bösen verhärteten, eigne bessere Überzeugung erstickenden Persönlichkeit. Darauf und auf 1. Joh. 5, 16. 17 beruht die besonders in der katholischen Praxis bedeutungsvolle Einteilung der Sünden in vergebliche oder büßliche (peccata remissibilia sive venialia) und unvergebliche oder Todsünden (p. irremissibilia sive mortalia), die den Verlust des Gnadenstandes nach sich ziehen, ohne daß sie jedoch von der katholischen Lehre in einem bestimmten Katalog zusammengestellt worden wären. Vgl. Jul. Müller, Die christliche Lehre von der S. (6. Aufl., Bresl. 1878, 2 Bde.).
Sündenbock, s. Asasel und Transplantation.
Sündenfall, die erste Sünde, die nach dem mosaischen Bericht Adam (s. d.) und Eva begingen. Über ihre Folgen s. Erbsünde.
Sündenvergebung (Remissio s. Condonatio peccatorum), die von Gott ausgehende Wiederherstellung des durch die Sünde gestörten Verhältnisses des Menschen zu ihm. Vgl. Sünde und Beichte.
Sunderbands (Sunderbans), Name für das sumpfige, von unzähligen Kanälen durchzogene Inselgewirr des untersten Gangesdelta, zwischen Hugli, Meghna und Bengalischem Meerbusen, an dem es sich 264 km lang hinzieht, 15,477 qkm (281 QM.) groß. Bewohnt sind nur die höhern westlichen und östlichen Teile, wo die Einwohner in kleinen Weilern leben und namentlich Reis, aber auch Zuckerrohr und Jute bauen. Das durchaus ebene Land ist namentlich nach der Meeresseite zu von undurchdringlichem Dschangelwald bedeckt, ein vorzüglicher Schutz gegen die häufigen Sturmfluten, die dennoch zuweilen große Verheerungen anrichten. Der Wald, meist Staatseigentum, liefert große Mengen von Nutz- und Brennholz (jährlich für 590,000 Pfd. Sterl.).
Sünderhanf, die männliche Hanfpflanze.
Sunderland (spr. ssonderländ), Seestadt in der engl. Grafschaft Durham, an der Mündung des Wear in die Nordsee, hat mit den Vorstädten Bishop's Wearmouth, Monk Wearmouth und Southwick (1881) 116,542 Einw. Eine eiserne Brücke von 30 m Höhe verbindet die beiden von großartigen Docks eingefaßten Flußufer. Der Eingang zum Hafen wird durch zwei Dämme (594 und 539 m lang) gebildet und durch Batterien geschützt. Die neuern Stadtteile sind meist geschmackvoll gebaut; die Altstadt aber, besonders nach dem Hafen zu, ist eng und winkelig. S. hat eine Börse, ein theologisches Methodistenseminar, Athenäum mit Museum, Theater, einen Park mit Statue des hier gebornen Generals Havelock, großartige Schiffswerften (2600 Arbeiter), Maschinenbauwerkstätten, Glashütten, Töpfereien, Eisengießereien etc. Zum Hafen gehörten 1887: 329 Schiffe von 227,301 Ton. Gehalt und 52 Fischerboote. 1887 wurden Waren im Wert von 633,691 Pfd. Sterl. nach dem Ausland ausgeführt und für 441,281 Psd. Sterl. von dort eingeführt. S. ist Sitz eines deutschen Konsuls. Dicht dabei liegt Southwick (8178 Einw.) mit Kohlengruben und Eisenwerken.
Sundewitt, Halbinsel in der preuß. Provinz Schleswig-Holstein, durch den Alsener Sund von der Insel Alsen geschieden, hat fruchtbaren Boden und eine hügelige Oberfläche; sie war in den deutsch-dänischen Kriegen von 1848 bis 1849 und 1864 wiederholt Kriegsschauplatz (s. Düppel). Vgl. Döring, Führer durch Alsen und S. (Sonderb. 1877).
Sündflut, s. Sintflut.
Sundgau (Südgau), ehemals s.v.w. Oberelsaß, im Gegensatz zum Nordgau (Unterelsaß); insbesondere die Umgegend von Mülhausen.
Sundsvall, Hafenstadt im schwed. Län Westernorrland, nahe der Mündung des Indalself, Ausgangspunkt der Eisenbahn S.-Drontheim, in welche bei Ange die von Stockholm kommende Nordbahn mündet, hat Eisenindustrie, Sägemühlen, bedeutende Ausfuhr von Holz und Eisen und (1887) 10,726 Einw. 1887 sind im Zollbezirk von S. vom Ausland angekommen 1139 Schiffe von 413,695 Ton., abgegangen 1453 Schiffe von 544,827 T. Im Juni 1888 wurde S. durch eine Feuersbrunst fast ganz eingeäschert. S. ist Sitz eines deutschen Konsuls.
Sundwig, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Arnsberg, Kreis Iserlohn, hat Eisengießerei, ein Messingwalzwerk, Drahtzieherei, Fabrikation von Drahtstif-
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Sundzoll - Superga.
ten, Nägeln etc. und (1885) 877 meist evang. Einwohner. Dabei das Felsenmeer, ein Kesselthal mit großen Felsen aus devonischem Kalk, und die Sundwiger Höhle.
Sundzoll, s. Sund.
Suñer (spr. ssunjer), Luigi, ital. Lustspieldichter, von spanischer Abkunft, geboren um 1832 zu Havana, kam noch im kindlichen Alter nach Florenz, wo er eine zweite Heimat fand. Sein erstes Lustspiel: "I gentiluomini speculatori" (1859 zu Florenz aufgeführt), fußte auf der Idee, die damals auf dem Schlachtfeld besiegelte Allianz Frankreichs und Italiens in zwei Hauptpersonen des Stückes symbolisch zu verkörpern. Durchgreifend wirkten aber erst die folgenden Komödien: "I legitimisti" (1861) und "Spinte o sponte". Einen Fortschritt bekundete er dann in den Lustspielen: "L'ozio" (1863), "Una piaga sociale", "Caleche" (später mit dem Titel: "Ogni lasciata è persa") und besonders "Le amiche" (1873). Mit "Una legge di Licurgo" (1869) begann er sich ernstern sozialen Problemen zuzuwenden. Es folgten das Proverb "Chi ama teme", das Lustspiel "La gratitudine" und ein in Beziehung auf Plan und Komposition vorzügliches Werk, welches einen Vers des Dante zum Titel hat: "Amor ch'a nullo amato amar perdona".
Sungari, rechter mächtiger Nebenfluß des Amur in der chinesischen Mandschurei.
Sunion (Sunium), die 60 m hohe Südspitze des alten Attika, mit berühmtem Tempel der Athene, wovon noch 9 (Ende des 17. Jahrh. noch 19) Säulen stehen, daher das Vorgebirge jetzt KapKolonnäs heißt; war seit 413 v. Chr. zum Schutz der nach Athen bestimmten Getreideschiffe mit Mauern umgeben, welche diese Landspitze zu einer Art Festung machten.
Sunn, s. v. w. Sunnhanf.
Sunna (arab., "Weg, Richtung"), die Tradition, welche auf ein Wort oder eine That des Propheten Bezug hat und in solchen Fällen als Gesetz gilt, wo der Koran sich entweder gar nicht oder in zweideutiger Weise ausspricht. Später mehrfach gesichtet und in besondern Büchern niedergelegt, bildet die S. jetzt neben dem Koran die hauptsächlichste Religionsquelle für den rechtgläubigen Moslem. Die berühmteste unter den sechs anerkanntesten Sammlungen ist die von El Bochari um 840 n. Chr. unter dem Titel: "Eddschâmi essahîh" ("Zuverlässige Sammlung") veranstaltete, 7275 Überlieferungen enthaltend, welche Bochari aus einer Anzahl von 600,000 als die am meisten beglaubigten ausgewählt hatte (hrsg. von Krehl, Leiden 1862-72, 3 Bde.).
Sunnar (arab.), Ordensgürtel christlicher Mönche, bei den Mohammedanern als Zeichen des Unglaubens verpönt.
Sunnhanf (Madras-, Bombayhanf, ostindischer Hanf), die Faser der über ganz Indien und die Sundainseln verbreiteten und vielfach kultivierten Crotalaria juncea, wird in sehr roher Weise zubereitet und hat deshalb, obwohl die Faser an und für sich sehr fein ist, einen verhältnismäßig nur geringen Wert. Das Handelsprodukt ist blaßgelblich, mit lebhaftem Seidenglanz, und dem Hanf sehr ähnlich. Man benutzt den S. zu Seilerwaren, Packtuch etc., in England auch zur Papierfabrikation.
Sunniten, diejenigen Mohammedaner, welche neben dem Koran die Sunna (s. d.) als Religionsquelle annehmen und die ersten Kalifen, Abu Bekr, Omar und Othman, als rechtmäßige Nachfolger Mohammeds anerkennen, während die Schiiten (s. d.) diese Würde nur Ali und dessen Nachkommen beilegen. Das geistliche Oberhaupt der S. unter dem Titel Kalif ist der türkische Sultan. Zu ihnen gehören fast sämtliche Moslems in Afrika, Ägypten, Syrien, der Türkei, in Arabien und der Tatarei. Vgl. Mohammedanische Religion.
Süntel, Teil des Wesergebirges, nördlich von Hameln, erreicht in der Hohen Egge 441 m Höhe.
Suomi, s. Finnische Sprache.
Suovetaurilia (lat.), das große Sühnopfer am Schluß des Lustrum in Rom, wobei auf dem Marsfeld ein Schwein (sus), ein Schaf (ovis) und ein Stier (taurus) geschlachtet wurden.
Supan, Alexander, Geograph, geb. 3. März 1847 zu Innichen in Tirol, studierte zu Graz, Wien, Halle und Leipzig, wurde 1871 Realschullehrer in Laibach, habilitierte sich 1877 als Privatdozent der Geographie an der Universität Czernowitz, wurde 1880 Professor und siedelte 1884 nach Gotha über, wo er seitdem die Redaktion von "Petermanns Mitteilungen" führt, um welche er sich besonders durch die Begründung des geographischen Litteraturberichts verdient machte. Er schrieb: "Lehrbuch der Geographie für österreichische Mittelschulen" (6. Ausl., Laib. 1888); "Studien über die Thalbildung in den Tiroler Zentralalpen und in Graubünden" (in den "Mitteilungen der Wiener Geographischen Gesellschaft" 1877) ; "Statistik der untern Luftströmungen" (Leipz. 1881); "Grundzüge der physischen Erdkunde" (das. 1884); "Archiv für Wirtschaftsgeographie", 1. Teil: Nordamerika 1880-85 (als Ergänzungsheft zu "Petermanns Mitteilungen" 1886).
Superarbitrium (lat.), ein Schiedsspruch oder Gutachten höherer, bez. höchster Instanz.
Superb (lat.), stolz, prächtig, herrlich; Superbiloquenz, Großsprecherei, übermütig stolze Sprache.
Supercherie (franz., spr. ssupärsch'rih), Überlistung, hinterlistiger Streich.
Superchloride, Superchlorüre, s. Chlormetalle.
Supercilia (lat.), Augenbrauen.
Superdividende (lat.), derüber den erwarteten oder durch Zinsgarantie festgesetzten Betrag hinausgehende Teil der Dividende (s. d.). Vgl. Aktie, S. 263.
Supererogationes, s. Opera supererogationis.
Superfizies (lat.), Oberfläche, in der Rechtssprache dasjenige, was auf fremdem Grund und Boden erbaut oder auf solchem gepflanzt ist. Der Regel nach erstreckt sich das Eigentum an dem Grund und Boden auch auf die S. (superficies solo cedit). Ferner wird mit S. (superfiziarisches Recht, Gebäuderecht, Baurecht, Platzrecht) das erbliche und veräußerliche dingliche Recht an einem auf fremdem Grund und Boden stehenden Gebäude verstanden, vermöge dessen dem Berechtigten (Superfiziar) während der Dauer des Rechts die Ausübung der Befugniffe des Eigentümers zusteht. Der Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 961 ff.) gebraucht statt dessen die Ausdrücke Erbbaurecht und Erbbauberechtigter und versteht unter Erbbaurecht das veräußerliche und vererbliche Recht, auf oder unter der Oberfläche eines Grundstücks ein Bauwerk zu haben. Hiernach gehört auch das vererbliche und veräußerliche Kellerrecht mit zu dem superfiziarischen Recht.
Superflua non nocent (lat., "das Überflüssige schadet nicht"), besser zu viel als zu wenig.
Superfoecundatio (Superfoetatio) . s. Überfruchtung.
Superga, La, die 10 km von Turin gelegene Grabeskirche der Könige des Hauses Savoyen, welche König Amadeo I. 1717-37 durch Juvara in Form eines elliptischen Rundbaues mit achtsäuliger Vor-
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Superintendent - Suppé.
halle und hoher Kuppel auf einem 678 m hohen Berg erbauen ließ.
Superintendent (lat.), Oberaufseher, Inspektor; besonders in evangelischen Landeskirchen der erste Geistliche einer Ephorie, welcher Wirksamkeit und Wandel der Geistlichen sowie die Verwaltung der Kirchenärare etc. zu überwachen hat. Über sämtlichen Superintendenten einer Provinz oder einer Landeskirche steht der Generalsuperintendent. In Süddeutschland wird der S. Dekan genannt.
Superior (lat.), der Obere, Vorsteher.
Superior City (spr. ssjupíhriör ssitti), Dorf im nordamerikan. Staat Wisconsin, im Hintergrund des Obern Sees, 11 km von Duluth und eine der Kopfstationen der Nord-Pacificbahn, schon 1854 gegründet, aber trotz seines guten Hafens mit nur (1880) 655 Einwohnern.
Superiorsee (Lake Superior), s. Oberer See.
Superkargo, s. Kargo.
Superlativ (lat.), s. Komparation.
Supernaturalismus (Supranaturalismus, lat.), in der Theologie im allgemeinen der Glaube an eine unmittelbare, der natürlichen Vernunft, welche von der Sünde verfinstert ist, durchaus unerreichbare Offenbarung Gottes. In dieser Form ist er hauptsächlich durch Augustin begründet worden und bildet den allgemeinen Schematismus für die gesamte christliche, insonderheit für die altprotestantische Dogmatik, der zufolge durch die Erbsünde alle moralische Kraft im Menschen vernichtet, die Vernunft unfähig ist, in Sachen des Heils (in rebus spiritualibus) zu entscheiden, und nur zur Erfüllung der bürgerlichen Gerechtigkeit (justitia civilis) hinreicht. Insbesondere wird mit dem Namen S. in der Theologie diejenige Richtung bezeichnet, welche sich zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts gegenüber dem Rationalismus (s. d.) konstituierte, mit welchem sie übrigens die fehlerhafte Auffassung der Religion als einer gleichartigen Fortsetzung des Welterkennens über die Schranken des Sichtbaren hinaus teilte.
Supernumerarius (lat.), ein Überzähliger, über die gewöhnliche (Beamten-) Zahl Angestellter.
Superoxyd, s. Oxyde.
Superphosphat, saurer phosphorsaurer Kalk, ein Düngerpräparat, welches aus verschiedenen Rohmaterialien mit hohem Gehalt an unlöslichem basisch phosphorsauren Kalk dargestellt wird, indem man das letztere Salz durch Behandeln mit Schwefelsäure in löslichen sauren phosphorsauren Kalk überführt, wobei sich außerdem schwefelfaurer Kalk (Gips) bildet. Bleibt hierbei wegen unzureichender Schwefelsäure ein Teil des basischen Phosphats unzersetzt, so bildet dies mit dem sauren Phosphat unlösliches neutrales Phosphat; ähnlich wird auch bei Gegenwart von Thonerde und Eisenoxyd ein Teil der Phosphorsäure wieder unlöslich (Zurückgehen des Superphosphats), und da nun das Präparat hauptsächlich durch seinen Gehalt an löslicher Phosphorsäure Wert erhält, so sind von dessen Bereitung eisenoxyd- und thonerdereiche Materialien auszuschließen, und man muß hinreichend Schwefelsäure anwenden, um das basische Phosphat vollständig in saures überzuführen. Man verarbeitet auf S. namentlich Knochenmehl, Knochenkohle, Knochenasche, Koprolithen, Phosphorit, Baker- und Sombreroguano etc. und benutzt zum Aufschließen derselben Kammersäure, Pfannensäure oder auch die Schwefelsäure, welche bei der Bereitung des Nitrobenzols zurückbleibt, oder solche, die zum Reinigen des Solaröls gedient hat. 1 Teil Phosphorsäure erfordert zum Aufschließen 1,72 Teile Schwefelsäure von 60° B., und reiner basisch phosphorsaurer Kalk gibt, mit solcher Säure zersetzt, ein S. mit 25,6 Proz. löslicher Phosphorsäure. Zur Vermischung der nötigen Falls staubfein zerkleinerten Materialien mit der Säure benutzt man mit Blei ausgeschlagene hölzerne Kasten oder gemauerte Behälter, oft unter Anwendung eines mechanischen Rührwerkes, läßt dann das Präparat liegen, bis es durch Bindung des Wassers abgetrocknet ist, worauf es zerkleinert und gesiebt wird. Namentlich bei Verarbeitung von Phosphoriten müssen die Behälter mit einem hölzernen Mantel bedeckt werden, um Dämpfe von Chlor- und Fluorwasserstoffsäure in die Esse leiten zu können. Mineralische Phosphate werden viel leichter aufgeschlossen, wenn man 7-10 Proz. der Schwefelsäure durch Salzsäure ersetzt oder Kochsalz hinzufügt. Häusig mischt man auch das S. mit stickstoffhaltigen Substanzen, wie schwefelsaurem Ammoniak oder Chilisalpeter, ferner Horn, Leder, Lumpen, welche gedämpft und dann gemahlen werden, auch mit Leimbrühe vom Dämpfen der Knochen etc. Vgl. Marek, Über den relativen Düngewert der Phosphate (Dresd. 1889).
Superporte (neulat., ital. soprapporto), ein über einer Zimmerthür angebrachtes, mit dieser gleich breites, aber niedriges Bild in Malerei, Stuck, Weberei etc.; besonders bei den Dekorateuren des Barock- und Rokokostils beliebt.
Superrevision (lat.), nochmalige Prüfung.
Supersedeas (lat., "laß ab"), in England Befehl, das Verfahren einzustellen.
Superstition (lat.), Aberglaube; superstitiös, abergläubisch.
Supertara, s. Tara.
Suphan, Bernhard Ludwig , Literarhistoriker, geb. 18. Jan. 1845 zu Nordhausen, studierte in Halle und Berlin Altertumswissenschaft und veröffentlichte die preisgekrönte Schrift "De Capitolio romano commentarius" (1867), wandte sich dann aber dem Studium der deutschen Litteratur, besonders des 18. Jahrh., zu und war in dieser Richtung ein eifriger Mitarbeiter der "Preußischen Jahrbücher" und des "Goethe-Jahrbuchs". Seit 1868 lebte er, im höhern Lehrfach beschäftigt, in Berlin, bis er 1887 einem Ruf als Direktor des Goethe-Archivs nach Weimar folgte. Große Verdienste hat sich S. um die Wiedererweckung Herders erworben, von dessen "Sämtlichen Werken" er eine kritische und mustergültige Ausgabe in 33 Bänden (Berl. 1877 ff.) veranstaltete.
Supination (lat.), s. Pronation.
Supinum (lat.), in der lat. Sprache eine besondere Form des Zeitwortes, eigentlich ein Verbalsubstantiv der vierten Deklination, wovon jedoch nur zwei Kasus gebräuchlich sind. Das S. auf um drückt den Zweck aus ("um zu"), das S. auf u den Inhalt oder Betreff eines Adjektivums u. dgl. (schwer "zu" sagen). Vgl. Jolly, Geschichte des Infinitivs im Indogermanischen (Münch. 1874).
Suppé, Franz von, Komponist, geb. 18. April 1820 zu Spalato (Dalmatien), studierte auf der Wiener Universität, um sich dem Staatsdienst zu widmen, folgte aber seiner überwiegenden Neigung zur Musik und bildete sich unter Leitung Seyfrieds in der Komposition aus. Später bekleidete er nacheinander die Kapellmeisterstellen am Josephstädter Theater, am Theater an der Wien und zuletzt am Carl-Theater u. komponierte gleichzeitig Quartette, Ouvertüren, Symphonien, Lieder und Operetten, von denen namentlich letztere wegen ihres populären, gefälligen Wesens allgemeine Verbreitung gefunden haben. Man könnte S. den "deutschen Offenbach" nennen.
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Suppeditieren - Surate.
jedoch ist er in seiner Musik gemütvoller als letzterer. Die bekanntesten Operetten von S. sind: "Flotte Bursche", "Die schöne Galathea", "Zehn Mädchen und kein Mann", "Franz Schubert", "Fatinitza", "Boccaccio" und "Donna Juanita".
Suppeditieren (lat.), Unterstützung gewähren.
Suppenkräuter, Kräuter, welche zum Würzen der Suppen verwendet werden: Petersilie, Kerbel, Portulak, Schnittlauch, junge Sellerieblätter, Sauerampfer, Spinat.
Suppentafeln, s. v. w. Bouillontafeln; auch Konserven, welche neben löslichen Fleischbestandteilen Hülsenfrüchte etc. enthalten.
Suppléant (franz., spr. ssüppleang), Aushelfer, stellvertretender Ersatzmann, Substitut.
Supplement (lat.), Nachtrag, Ergänzung, besonders Nachtrag zu einem Buch. In der Mathematik heißt S. eines Winkels seine Ergänzung zu 180°, S. eines Bogens seine Ergänzung zu einem Halbkreis. Zwei sphärische Dreiecke heißen Supplementar- oder Polardreiecke, wenn die Seiten eines jeden die Supplemente der Winkel des andern sind. Supplementar, auch suppletorisch, s. v. w. ergänzend.
Supplicium (lat.), Todesstrafe.
Supplieren (lat.), ergänzen, ausfüllen; daher Supplent, in Österreich s. v. w. Hilfslehrer.
Supplik (lat.), Bittschrift; Supplikant, derjenige, von welchem eine solche ausgeht.
Supplikationen (lat.), bei den Römern öffentliche Buß-, Dank- oder Betfeste, wobei in feierlicher Prozession die Tempel der Götter besucht und an diese Gebete gerichtet zu werden pflegten. Die Anordnung derselben besorgten die Pontifices.
Süpplingenburg (Suplinburg), Pfarrdorf im braunschweig. Kreis Helmstädt, an der Schunter, hat (1885) 574 Einw. Das alte Schloß S. ist das Stammhaus der Grafen von S., die schon zur Zeit Karls d. Gr. als eins der angesehensten sächsischen Dynastengeschlechter erwähnt werden, und denen Kaiser Lothar (1125-1137) angehörte.
Supplizieren (lat.), um etwas nachsuchen, bitten.
Supponieren (lat.), unterschieben, unterstellen.
Support (franz., spr. ssüppor. "Stütze, Träger"), bei Drehbänken oder Hobelmaschinen die Vorrichtung, durch welche das Werkzeug eine feste Stellung und sichere Führung erhält.
Supposition (lat.), Annahme, Voraussetzung; Unterschiebung, z. B. eines Testaments, eines Kindes etc.
Suppofitum (lat.), Unterlage, das Vorausgesetzte.
Supprimieren (lat.), unterdrücken; Suppression, Unterdrückung; Verheimlichung.
Suppuratio (lat.), Eiterung.
Supputation (lat.), Überrechnung, Überschlag.
Supralapsarii (lat.) , s. Infralapsarii.
Supranaturalismus, s. Supernaturalismus.
Suprasl, Flecken im russ. Gouvernement Grodno, am Flusse S. (zum Bug), mit 2000 Einw. In der Nähe lag einst das griechisch-kathol. Mönchskloster S., mit bedeutender Bibliothek, wovon jetzt noch die Klosterkirche vorhanden ist.
Supremat (lat., "Obergewalt"), die päpstliche Machtvollkommenheit, namentlich gegenüber den Bischöfen (s. Primat). Supremateid (oath of supremacy) hieß in England der ehedem von allen Parlamentsmitgliedern abzuleistende Eid, worin der Krone die oberste Kirchengewalt zugesprochen, der katholische Glaube und der Primat des Papstes negiert und die alleinige Berechtigung der protestantischen Thronfolge ausgesprochen ward; eingeführt von Heinrich VIII., 1791 wieder aufgehoben.
Süptitz, Dorf, 5 km westlich von Torgau, mit 769 Einw., war der Mittelpunkt der Schlacht bei Torgau (s. d.) 3. Nov. 1760.
Sur, Hafenstadt im asiatisch-türk. Wilajet Scharm, am Mittelländischen Meer, nördlich von Akka, mit Überresten des alten Tyros (darunter eine alte Kreuzfahrerkirche, angeblich Barbarossas Grabstätte) und 5000 Einw.
Sura (Ssura), rechtsseitiger Nebenfluß der Wolga, entsteht im Gouvernement Simbirsk, strömt nördlich durch die Gouvernements Saratow, Pensa, Simbirsk und Kasan, hat teils steile, teils flache Ufer und mündet bei Wassil im Gouvernement Nishnij Nowgorod. Er ist 1038 km lang, von Pensa an schiffbar und wird viel mit Flößen befahren.
Surabaja (Soerabaya), niederländ. Residentschaft an der Nordküste der Insel Java, Madura gegenüber, 6029 qkm (109,5 QM.) groß mit (1885) 1,856,635 Einw., darunter 7607 Europäer, 15,077 Chinesen und 2304 Araber, besteht größtenteils aus fruchtbarem, von den Flüssen Brantes und Solo bewässertem und gut kultiviertem Boden, der Reis, Zucker, Kaffee und Baumwolle produziert. An der Südostgrenze erhebt sich der Pananggungan zu 1685 m. Die gleichnamige Hauptstadt an der Meerenge von Madura, durch Industrie und Handel gleich bedeutend, hat einen schönen, durch zwei Forts verteidigten Hafen, ein Seearsenal, Maschinenfabriken, Werften, Metallgießereien, eine Kanonenbohrerei, 36 Zuckerfabriken, mehrere Möbelfabriken, eine Münze, ist Sitz des obersten Gerichtshofs für die östlichen Residenzien und der Kommandos für die östliche Militärdivision sowie eines deutschen Konsuls und hat 127,403 Einw., worunter 6317 Europäer, 7436 Chinesen und 1443 Araber. Eine Eisenbahn führt von S. nach Pasuruan und Malang, eine andre über Surakarta und Samarang nach Dschokdschokarta. Bedeutende Ausfuhr von Zucker, Kaffee, Häuten, Tabak, Kapokwolle.
Surakarta (Solo), niederländ. Residentschaft auf der Insel Java, 5677 qkm (113,1 QM.) groß mit (1885) 1,053,985 Einw., darunter 2694 Europäer und 7543 Chinesen. Das Land ist zum Teil sehr gebirgig (höchste Spitzen auf der Ostgrenze der 3.269 m hohe Lawu, im W. der 3115 m hohe Merbabu und der 2806 m hohe Merapi), zum Teil sehr fruchtbar und reich bewässert; Hauptfluß ist der Solo. Die Residentschaft ist im Besitz des Susuhanan, d. h. Kaisers, von S. und des Fürsten Paku Allam. Diese haben gegen bedeutende Jahresgehalte ihre Rechte an die niederländische Regierung abgetreten, welche einen Residenten in der Hauptstadt S. (1880: 124,041 Einw.) unterhält, wo auch die beiden genannten Fürsten wohnen. Die Stadt hat mit Samarang, Dschokdschokarta und Surabaja Eisenbahnverbindung.
Surash (Ssurash), 1) Kreisstadt im russ. Gouvernement Tschernigow, am Iput, mit (1886) 4825 Einw. Im Kreis lebhafte Tuchfabrikation und Strumpfwirkerei. -
2) Stadt im russ. Gouvernement Witebsk, an der Düna, mit (1885) 5085 Einw., wurde 1564 auf Befehl des polnischen Königs Siegmund August aus strategischen Rücksichten erbaut und diente namentlich als Festung an der Düna zum Schutz Weißrußlands gegen das Moskowiterreich.
Surate, Distriktshauptstadt in der britisch-ind. Präsidentschaft Bombay, 22 km von der Mündung des Tapti, hat (1881) 109,844 Einw., lebhaften Handel sowie eine evangelische Mission und war der erste Ort an der Westküste, wo 1612 die Englisch-Ostindische Kompanie eine Faktorei und Citadelle anlegte.
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Surbiton - Surrogat.
Surbiton (spr. ssörbit'n), Stadt in der engl. Grafschaft Surrey, an der Themse, dicht bei Kingston, hat zahlreiche Landsitze und (1881) 9406 Einw.
Surburg, Flecken im deutschen Bezirk Unterelsaß, Kreis Weißenburg, im N. des Hagenauer Waldes und an der Eisenbahn Straßburg-Weißenburg, hat eine kath. Kirche, Wollspinnerei, 2 Mühlen und (1885) 1298 Einw. Nahebei ein Oratorium an der Stelle, wo der heil. Arbogast im 7. Jahrh. als Einsiedler wohnte, bevor er Bischof von Straßburg wurde.
Surcot (franz., spr. ssürkoh, auch Surcotte), s. v. w. Cotte-hardie.
Surdität (lat.), s. v. w. Taubheit.
Sure (arab.), Bezeichnung der einzelnen Kapitel des Korans, welche angeblich durch den Engel Gabriel an Mohammed gesondert abgeliefert worden sind. Jede S. zerfällt in mehrere Ajes (Koransätze).
Sure (spr. ssühr), Fluß, s. Sauer.
Surenen, Hochgebirgspaß im östlichen Flügel der Berner Alpen (2305 m), zwischen Uri-Rothstock und Titlis, beginnt im Unterwaldner Thal Engelberg (1010 m) und senkt sich mit steilem Abstieg zum Urner Reußthal (Attinghausen, 451 m ü. M.).
Surenrinde, s. Cedrela.
Suresnes (spr. ssürähn), Flecken im franz. Departement Seine, Arrondissement St.-Denis, an der Seine, über welche vom Boulogner Wäldchen eine Brücke herüberführt, am Fuß des Mont Valérien und an der Bahnlinie Paris-St.-Cloud-Versailles , mit Villen, Bleicherei, Färberei und Druckerei und (1886) 7683 Einw.
Surettahorn, Berggipfel, s. Err, Piz d'.
Surgères (spr. ssürschähr), Stadt im franz. Departement Niedercharente, Arrondissement Rochefort, an der Eisenbahn Niort-La Rochelle, hat ein altes Schloß, eine interessante Kirche, Geldschrankfabrikation, Branntweinbrennerei und (1881) 3203 Einw.
Surinam, Küstenfluß im holländ. Guayana, mündet unterhalb Paramaribo und ist in der Küstenebene für große Boote schiffbar.
Surinam, Land, s. v. w. Niederländisch-Guayana, s. Guayana, S. 895.
Surja, in der wed. Mythologie die Personifikation der Sonne, der Sonnengott. Er fährt auf einem goldenen Wagen mit drei Sitzen und drei Rädern, den die kunstfertigen Ribhu, die sich mit den Zwergen der nordischen und deutschen Sage vergleichen lassen, geschaffen haben. Er schaut auf Recht und Unrecht bei den Menschen, behütet den Gang der Frommen und beachtet das Treiben eines jeden. In den wedischen Liedern wird seine Thätigkeit unter verschiedenen Namen gepriesen, die vielleicht ursprünglich die Sonnengötter verschiedener Stämme bezeichneten.
Surlet de Chokier (spr. ssürlä d' schockjeh), Erasmus Louis, Baron, belg. Staatsmann, geb. 27. Nov. 1769 zu Lüttich, war unter der französischen Regierung Maire in Ginglom bei St.-Trond, 1800-1812 Mitglied des Großen Rats, dann des Gesetzgebenden Körpers und nach der Bildung des neuen Königreichs der Niederlande durch königliche Wahl Mitglied der Zweiten Kammer. 1818 durch die Regierung entlassen, ward er in der Provinz Limburg wieder gewählt und gehörte von 1828 bis 1830 zu den hervorragendsten Mitgliedern der Opposition. Nach dem Ausbruch der belgischen Revolution begab er sich mit den übrigen Abgeordneten der südlichen Provinzen nach dem Haag, bestand jedoch auf Trennung beider Länder hinsichtlich der Verwaltung, ward zum Abgeordneten des Nationalkongresses erwählt, im November 1830 Präsident desselben und, als der Herzog von Nemours die Krone ausschlug, 26. Febr. 1831 provisorischer Regent von Belgien. Nachdem der Prinz Leopold 21. Juli 1831 seinen Einzug in Brüssel gehalten, legte S. seine Gewalt in die Hände des Präsidenten des Kongresses nieder. Er lebte seitdem zurückgezogen in Ginglom und starb 7. Aug. 1839. Vgl. Juste, Surlet de Chokier (Brüssel 1865).
Surmulet, s. Seebarbe.
Surnia, s. Eulen, S. 905.
Surone, Gewicht in Santo Domingo, à 100 Libra = 46 kg; in Mittelamerika à 150 Libra = 69 kg; s. auch Seronen.
Surplus (franz., spr. ssürplüh), Überschuß, Rest; im Handel auch s. v. w. Deckung (s. d.).
Surrah, Stadt, s. Mogador.
Surre (arab.), die auf Kosten der türkischen Regierung ausgerüstete, unter Leitung des S.-Emini stehende Karawane, welche die vom Sultan und den Landesgroßen für die Kaaba und die heilige Stadt Mekka bestimmten Geschenke alljährlich befördert.
Surrey (spr. ssörri), engl. Grafschaft zwischen den Grafschaften Middlesex, Kent, Sussex, Southampton und Berks, hat 1963 qkm (35,6 QM.) Areal mit (1881) 1,436,899 Einw., wovon 980,522 auf London kommen. Die Grafschaft ist zum größten Teil fruchtbares Hügelland; die Mitte wird von Kreidehügeln (Downs) durchzogen, der hügelige Süden kulminiert im Leith Hill (303 m). Nördlich bildet die Themse die Grenze und nimmt hier den Wey und Mole auf. Ackerbau und Viehzucht bilden die Haupterwerbszweige der außerhalb Londons lebenden Einwohner. Außer Getreide werden namentlich Hopfen und Gemüse gezogen. 32,2 Proz. der Oberfläche sind unter dem Pflug, 29,2 Proz. bestehen aus Wiesen. 1888 zählte man 13,057 Ackerpferde, 45,864 Rinder, 81,982 Schafe und 25,238 Schweine. Hauptstadt ist Guildford.
Surrey (spr. ssörri), Henry Howard, Earl of, engl. Dichter, geb. 1517 zu Kenning Hall in Suffolk, ältester Sohn des Herzogs von Norfolk, trat 1540 in den Kriegsdienst und befehligte bereits 1544 das englische Heer als Feldmarschall auf dem Zug nach Boulogne, ward aber dann von dem argwöhnischen König Heinrich VIII. ohne allen Grund des Hochverrats angeklagt und trotz seiner männlichen und begeisterten Selbstverteidigung 21. Jan. 1547 im Tower zu London enthauptet. S. war seit Chaucer der erste bedeutendere Dichter der Engländer. Seine Gedichte sind selbständige Nachahmungen Petrarcas, weniger durch hohen Flug der Phantasie als durch Anmut und Zartheit sowie durch Reinheit und Eleganz der Sprache ausgezeichnet; unter ihnen stehen die Liebesgedichte an Geraldine (nach H. Walpole wahrscheinlich die noch sehr jugendliche Lady Elizabeth Fitzgerald) obenan. S. führte das Sonett und die ungereimten fünffüßigen Jamben in die englische Sprache ein. Auch vermied er die vielen Latinismen seiner Vorgänger aus der Schule Chaucers und Dunbars. Seine "Songs and sonnets" erschienen, mit denen seines Freundes Thomas Wyatt u. a., zuerst 1557 u. öfter; eine neue Ausgabe besorgte Bell (1871).
Surrogat (lat.), Ersatzmittel, besonders für einen Rohstoff oder ein Fabrikat, welches meist der Wohlfeilheit halber Anwendung findet und möglichst annähernd die Eigenschaften der Substanz besitzen soll, welche es zu ersetzen bestimmt ist. Häufig ist die Anwendung von Surrogaten durch die Verhältnisse geboten, weil der ursprünglich angewandte Rohstoff zu teuer geworden oder überhaupt nicht in genügender Quantität zu beschaffen ist (Anwendung von Esparto, Holzstoff etc. statt Hadern in der Papierfabrikation),
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Sursee - Susdal.
in der Regel aber bedeutet die Anwendung von Surrogaten eine Verminderung der Qualität des Fabrikats (wie in dem angeführten Beispiel Surrogierung der Hadern durch Thon, Schwerspat etc., der Wolle durch Kunstwolle, des Malzes durch Stärkezucker, Glycerin) und oft geradezu eine Fälschung. Insofern aber Surrogate immer Ersatzmittel sind, dürfen sie doch nicht mit den Fälschungsmitteln verwechselt werden. Gefärbte Steinchen in Kleesaat sind kein S. der Kleesaat, denn sie sind völlig wertlos, während z. B. Kaffeesurrogate, wie Zichorie, Runkelrübe, Getreide, Hülsenfrüchte, zwar nicht den Kaffee ersetzen können, wohl aber wie dieser ein Getränk liefern, welches in mancher Hinsicht dem Kaffee ähnlich ist. Aber auch diese Surrogate werden Fälschungsmittel, wenn der Händler sie gemahlenem Kaffee beimischt und die Mischung als Kaffee verkauft.
Surfee, Bezirkshauptstadt im schweizer. Kanton Luzern, am Sempacher See, unweit der Bahnlinie Olten-Luzern, mit (1888) 2135 Einw.
Sursum (lat.), aufwärts, empor; S. corda! Empor die Herzen! im katholischen Kult Aufforderung an das Volk, welches darauf antwortet: Habemus ad dominum, d. h. wir haben sie zu dem Herrn (gerichtet).
Surtaxe (frz., spr. ssürtax), Nachsteuer, Steuerzuschlag, insbesondere Zollzuschlag (im Gegensatz zu Detaxe, Zollherabsetzung). Über S. d'entrepôt und S. de pavillon s. Zuschlagszölle.
Surtout (franz., spr. ssürtuh), Überrock, Überzieher, kam gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts in Gebrauch und wurde später, ähnlich dem englischen Reitrock, mit mehreren übereinander hängenden Schulterkragen versehen; dann ein größerer, mit Blumenvasen und Fruchtschalen geschmückter Tafelaufsatz aus Silber oder Kristall.
Surtur, in der nord. Mythologie ein Riese, welcher, mit glühendem Schwert bewaffnet, in Muspelheim als unversöhnlicher Feind der Asen herrscht und beim Weltuntergang eine große Rolle spielt; s. Götterdämmerung.
Surukuku, Schlange, s. Lachesis.
Surville (spr. ssürwill), Clotilde de, geb. 1405 zu Vallon in Languedoc, wurde lange für die Verfasserin einer 1803 von Vanderburg herausgegebenen Sammlung sehr graziöser Gedichte, meist lyrischen Inhalts, gehalten; aber Anachronismen in Form und Inhalt machen es wahrscheinlich, daß dieselben von Jos. Etienne de S. herrühren, der 1798 wegen royalistischer Umtriebe erschossen wurde, und welcher sich durch diese Mystifikation für die Verschmähung seiner Poesien am Publikum rächen wollte. Auch Nodier mißbrauchte den Namen der S. ("Poésies inédites de C. de S.", 1826). Vgl. Vaschalde, C. de S. et ses poésies (Valence 1873); König, Étude sur l'au- thenticité des poésies de Clotilde de S. (Halle 1875).
Survilliers (spr. ssürwiljeh), Graf von, der von Joseph Bonaparte (s. d. 1, S. 183) 1815 angenommene Name.
Sus (lat.), Schwein.
Süs, Gustav, Maler, geb. 10. Juni 1823 zu Rumbeck in Kurhessen, widmete sich auf der Kasseler Akademie, später im Städelschen Institut in Frankfurt a. M. bei Professor Passavant und Jakob Becker der Malerei. Um seine Existenz zu fristen, schrieb er Kindermärchen, die er selbst illustrierte. Sie fanden großen Beifall und wurden zum Teil ins Englische und Französische übersetzt. Hervorzuheben sind: "Der Kinderhimmel" , "Hähnchen und Hühnchen", "Der Wundertag", "Das Kind und seine liebsten Tiere", "Was der Nußbaum erzählt", "Das Wettlaufen zwischen dem Hasen und Igel", "Froschküster Quack" u. a. Von 1848 bis 1850 malte er in der Heimat Studien und Porträte. Seitdem lebte er in Düsseldorf, wo er noch ein Jahr die Akademie besuchte. Hier machte er die Darstellung von Tieren, namentlich Geflügel, zu seiner Hauptaufgabe. Manche seiner trefflichen Bilder, die meist von einem humoristischen Grundgedanken ausgehen, sind durch Farbendruck und Photographie weit verbreitet, wie: der erste Gedanke und die Kükenpredigt. Er starb 23. Dez. 1881.
Sufa (Schuschan, "Lilienstadt", heute Ruinen Sûs), Hauptstadt der altpers. Provinz Susiana, seit Kyros Winterresidenz der persischen Könige, lag mitten im Land zwischen den Flüssen Choaspes (Kercha) und Kopratas (Dizful Rud) und hatte eine stark befestigte Burg, welche den königlichen Palast und eine Hauptschatzkammer der persischen Könige enthielt. In ihr feierten Alexander und seine Feldherren ihre Vermählung mit Perserinnen. Dareios, Xerxes und ihre Nachfolger bis auf Artaxerxes II. haben nach den dort gefundenen Inschriften die Prachtsäle erbauen lassen, in deren Trümmern seit 1850 von Williams, Loftus und Churchill, neuerdings (seit 1885) von Dieulafoy gegraben worden ist. Vgl. Oppert, Les inscriptions susiennes (Par. 1873); Dieulafoy, L'acropole de Suse (das. 1888).
Susa, Kreishauptstadt in der ital. Provinz Turin, an der Dora Riparia, der Mont Cenisstraße und durch die Zweiglinie Bussoleno-S. mit der Mont Cenisbahn verbunden, ist Sitz eines Bischofs und eines Hauptzollamts, hat eine Kathedrale (aus dem 11. Jahrh.), ein Gymnasium, eine technische und eine Notariatsschule, starken Obst- und Weinbau, Industrie in Eisen, Leder und Seide und (1881) 3305 Einw. S. ist das römische Segusio. Dabei die Ruinen des Stammschlosses der Markgrafen von S., das Fort La Brunette und ein dem Augustus 8 v. Chr. vom König Cottius errichteter Triumphbogen.
Susandschird (arab.), Nadelmalerei, die älteste, in Persien geübte Art der Teppichfabrikation, bei welcher die Fäden nicht mit den Händen geknüpft, sondern mit der Nadel zu einem Gewebe verarbeitet wurden. Vgl. Karabacek, Die persische Nadelmalerei S. (Leipz. 1881).
Susanna, Hebräerin zu Babylon, die nach dem apokryphischen Buch "Historie von S. und Daniel" von zwei Ältesten aus Israel, die sie vergebens zu verführen gesucht, des Ehebruchs mit einem Unbekannten angeklagt und zum Tod verurteilt, im letzten Augenblick aber durch die Eingebung und den Scharfsinn des jungen Daniel, den spätern Propheten, errettet wurde. Ihre Geschichte wurde namentlich im 16. Jahrh. vielfach dramatisch behandelt, so in dem an zahlreichen Orten gegebenen Magdeburger "Schönen Spiel von der S." (1534), von P. Rebhuhn (1534), v. Bartfelt (1559), Nik. Frischlin (1589), Herzog Heinrich Julius von Braunschweig (1593), Hans Sachs (1557) u. a., in neuester Zeit von K. L. Werther (1855). Vgl. Brüll, Das apokryphische Susannabuch (Frankf. 1877); Pilger, Die Dramatisierungen der S. im 16. Jahrhundert (Halle 1879).
Suscipere et finire (lat.), "beginnen und zu Ende führen", Wahlspruch des Hauses Hannover.
Suscitieren (lat.), erregen, aufmuntern; Suscitation, Erweckung, Ermunterung.
Susdal (Ssusdal), Kreisstadt im russ. Gouvernement Wladimir, hat 25 griechisch-russ. Kirchen, 4 Klöster, bedeutende Baumwollweberei, Gemüsebau und (1885) 6668 Einw. S., schon 1024 erwähnt, war bis 1170 Hauptstadt eines Fürstentums (s. Wladi-
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Susemihl - Sussex.
mir, Gouvernement) und kann als die Wiege des nachmaligen Staats Moskau betrachtet werden. Die Stadt wurde mehrmals von den Tataren zerstört.
Susemihl, Franz, namhafter Philolog, geb. 10. Dez. 1826 zu Laage in Mecklenburg-Schwerin, studierte 1845-48 zu Leipzig und Berlin, wirkte als Lehrer in Güstrow und Schwerin, habilitierte sich 1852 in Greifswald und wurde daselbst 1856 außerordentlicher, 1863 ordentlicher Professor der klassischen Philologie. Seine Hauptwerke sind: "Die genetische Entwickelung der Platonischen Philosophie" (Leipz. 1855-60, 2 Bde.); "Aristoteles über die Dichtkunst" (griech. und deutsch, das. 1865, 2. Aufl. 1874); "Aristotelis Politicorum libri VIII cum vetusta translatione G. de Moerbeka" (das. 1872); "Aristoteles' Politik" (griech. und deutsch, das. 1879, 2 Bde.); ferner zu Aristoteles Textausgaben der "Ethica Nicomachea" (das. 1880), der "Magna Moralia" (das. 1883), der "Ethica Eudemia" (das. 1884), der "Oeconomica" (das. 1887). Außerdem hat er mehrere Platonische Dialoge übersetzt und zahlreiche Abhandlungen, besonders über die alten Philosophen, geschrieben.
Susiana, altpers. Landschaft, am Persischen Meerbusen zwischen Medien, Persis und Babylonien gelegen, das jetzige Chusistan, wurde vom Choaspes (Kercha), Euläos (Kuren) und Kopratas (Dizful Rud) bewässert und von den Kossäern, Elymäern, Susianern und Uxiern bewohnt. Hauptstadt war Susa. S. Karte "Reich Alexanders d. Gr.".
Suso (Seuse), Heinrich, Mystiker, geb. 1295 zu Überlingen, nannte sich nach der Mutter (der Vater war ein Herr v. Berg), studierte in Köln Theologie und widmete sich seit 1308 in einem Kloster zu Konstanz einem streng asketischen Leben mit schweren Kasteiungen, durchzog, 40 Jahre alt, Schwaben, gewann in den Frauenklöstern vielen Anhang und lebte etwa seit 1348 in Ulm, wo er 1366 starb. Sein Hauptwerk ist das "Buch von der ewigen Weisheit". Seine Mystik zeigt weder reformatorische Tendenzen noch selbständige Spekulation, doch ist er wegen des Vorwiegens des sinnig-poetischen Elements als "Minnesinger in Prosa und auf geistlichem Gebiet" bezeichnet worden. Seine Werke (zuerst Augsb. 1482 u. 1512) wurden von Diepenbrock (4. Aufl., Regensb. 1884) und von Denifle (deutsche Schriften, Augsb. 1878-80) neu herausgegeben. Vgl. Preger, Die Briefe Heinrich Susos (Leipz. 1867); Denifle in der "Zeitschrift für deutsches Altertum" (1875); Preger (das. 1876); Derselbe, Geschichte der deutschen Mystik, Bd. 2 (Leipz. 1882).
Suspekt (lat.), verdächtig.
Suspendieren (lat.), zeitweilig aufheben, einstellen; zeitweilig außer Wirksamkeit, Amtstätigkeit setzen.
Suspension (lat.), Dienstenthebung (s. Disziplinargewalt, S. 5).
Suspensiv (lat.), aufschiebend; daher suspensive Rechtsmittel, solche, welche den Eintritt der Rechtskraft eines Urteils und die zwangsweise Vollstreckung desselben verhindern; Suspensivbedingung, eine aufschiebende Bedingung, von welcher der Beginn eines Rechtsverhältnisses abhängt.
Suspensorium (lat., Tragbeutel), Verbandstück, vorzüglich eine gewisse Art von Tragbinden, bestimmt, einen hängenden Teil des Körpers in einer gewissen Höhe zu halten und zu tragen, wird besonders angewendet bei Entzündungen des Hodensacks und der Hoden sowie der weiblichen Brust.
Suspicion (lat.), Verdacht, Argwohn; suspiciös, argwöhnisch, mißtrauisch.
Susquehanna, der Hauptstrom des nordamerikan. Staats Pennsylvanien, entsteht aus zwei Quellflüssen, von denen der östliche aus dem Otsegosee im Staat New York kommt, während der westliche auf dem Alleghanygebirge in Pennsylvanien entspringt. Nach der Vereinigung beider (bei Sunbury) strömt der Fluß südlich, dann südöstlich und fällt bei Havre de Grace im Staat Maryland in die Chesapeakebai des Atlantischen Ozeans. Seine bedeutendsten Nebenflüsse sind: der Chenango, Tioga und Juniata. Der S. hat mehrere Wasserfälle und Stromschnellen, richtet oft große Überschwemmungen an, wird aber im Sommer öfters ziemlich seicht und hat daher ungeachtet seines 650 km langen Stromlaufs und 62,000 qkm großen Stromgebiets als Wasserstraße nur eine geringe Bedeutung; doch begleiten denselben fast seiner ganzen Länge nach schiffbare Kanäle.
Sueß, Eduard, Geolog, geb. 20. Aug. 1831 zu London, studierte in Prag und Wien, wurde 1852 Assistent am Hofmineralienkabinett zu Wien, erhielt 1857 die Professur der Geologie daselbst, war 1863 bis 1873 Mitglied des Wiener Gemeinderats und Referent der Wasserversorgungskommission, wurde 1869 Mitglied des niederösterreichischen Landtags, 1870-74 Mitglied des Landesausschusses und als solcher mit der tatsächlichen Durchführung der neuen Volksschulgesetzgebung in Niederösterreich beschäftigt. 1873 in den Reichsrat gewählt, bewährte er sich als glänzender Redner der Linken, namentlich in dem Kampf gegen den Ultramontanismus. Er schrieb : "Böhmische Graptolithen" (Wien 1852); "Brachiopoden der Kössener Schichten" (das. 1854); "Brachiopoden der Hallstätter Schichten" (das. 1855); "Der Boden der Stadt Wien" (das. 1862); "Über den Löß" (das. 1866); "Charakter der österreichischen Tertiärablagerungen" (das. 1866, 2 Hefte); "Äquivalente des Rotliegenden in den Südalpen" (das. 1868); "Lagerung des Steinsalzes von Wieliczka" (das. 1868); "Die tertiären Landfaunen Mittelitaliens" (das. 1871); "Bau der italienischen Halbinsel" (das. 1872); "Erdbeben des südlichen Italien" (das. 1874); "Der Vulkan Venda bei Padua" (das. 1875); "Die Entstehung der Alpen" (das. 1875); "Die Zukunft des Goldes" (das. 1877) und als Hauptwerk "Das Antlitz der Erde" (1883-88, Bd. 1-2), in welchem er namentlich für die Lehre von der Gebirgsbildung neue Bahnen eröffnete.
Sussanin, Iwan, ein Bauer aus Kostroma, soll 1613 dem Zaren Michail Romanow das Leben gerettet haben, als die Polen demselben nachstellten, verlor aber dabei das Leben; seine Nachkommen erhielten allerlei Vorrechte (s. Belopaschzen). Er ist der Held von Glinkas Oper "Das Leben für den Zaren". Kostomarow wies die Unzuverlässigkeit der historischen Tradition in betreff Sussanins nach.
Süßbohne, s. v. w. Apios tuberosa.
Süßerde, s. v. w. Berylliumoxyd, s. Beryllium.
Süßer See, s. Salziger See.
Sussex (spr. ssöss-) engl. Grafschaft zwischen den Grafschaften Kent, Surrey und Hampshire, mit 3777 qkm (68,6 QM.) Areal und (1881) 490,505 Einw. Die Kreidehügel der Southdowns mit dem 269 m hohen Butser Hill durchziehen die Grafschaft von W. nach O. und endigen, allmählich der Küste nähertretend, im steilen Beachy Head. Nördlich von diesem Weideland liegt der Bezirk der Wealds und Forest Hills, früher mit ausgedehnten Waldungen bedeckt. Der Strich längs der Küste ist meist eben und ungemein fruchtbar. Die wichtigsten Flüsse sind: Arun, Adur-Ouse und Rother. Viehzucht und Ackerbau sind Haupt-
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Sussex - Süßwasserformationen.
erwerbszweige. Von der Oberfläche bestehen 35,5 Proz. aus Ackerland, 37,3 aus Wiesen u. 16 Proz. aus Wald; 1888 zählte man 24,789 Ackerpferde, 105,470 Rinder, 476,986 Schafe und 42,501 Schweine. Die Industrie ist ohne Bedeutung. Die Eisengewinnung hat seit 1809 aufgehört. Hauptstadt ist Lewes. - S. war der Landungsplatz der meisten Völker, welche England heimsuchten. Julius Cäsar landete bei Pevensey, der Angelsachse Ella unfern Chichester; letzterer gründete 477 das Reich Suth - sex ("Südsachsen"), welches 688 an Wessex fiel; Wilhelm der Eroberer erkämpfte hier den Sieg von Hastings (1066).
Sussex (spr. ssöss-) Augustus Frederick, Herzog von, sechster Sohn Georgs III. von England, geb. 27. Jan. 1773, studierte zu Göttingen, hielt sich dann vier Jahre in Rom auf und heiratete daselbst im April 1793 Augusta Murray, die Tochter des katholischen Grafen von Dunmore in Schottland. Wiewohl er dabei seinen Familienrechten entsagt hatte, erklärte doch Georg III. auf Grund eines Hausgesetzes der englischen Dynastie diese ohne seine Erlaubnis geschlossene Ehe für ungültig. Nachdem sich der Prinz 1801 von seiner Gemahlin, welche ihm zwei Kinder, die den Namen Este (s. d.) erhielten, geboren, getrennt hatte, wurde er 1801 zum Peer von England mit dem Titel eines Herzogs von S., Grafen von Inverneß und Baron von Arklow ernannt. Im Parlament hielt er sich meist zur Oppositionspartei und wirkte im liberalen Sinn für die Emanzipation der Katholiken, die Abschaffung des Sklavenhandels, die Parlamentsreform etc. Obgleich auf den Genuß seiner Apanage beschränkt, sammelte er doch eine besonders an Ausgaben und Übersetzungen der Bibel sowie an Handschriften sehr reichhaltige Bibliothek, welche Th. Jos. Pettigrew (Lond. 1827, 2 Bde.) beschrieben hat. Auch war er eine Zeitlang Präsident der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften. Nach dem Tod seiner ersten Gemahlin heiratete er 1831 gleichfalls ohne königliche Genehmigung Lady Cecily Underwood, Tochter des irischen Grafen von Arran, Witwe von Sir George Buggin, die 1840 zur Herzogin von Inverneß erhoben wurde. Er starb 21. April 1843 im Kensingtonpalast.
Süßgras, s. Glyceria.
Süßgräser, s. v. w. Gramineen, s. Gräser.
Süßholz, Pflanzengattung, s. v. w. Glycyrrhiza; indisches oder amerikanisches S., s. Abrus; wildes S., s. v. w. Astragalus glycyphyllus oder Polypodium vulgare.
Süßholzpasta, s. Lederzucker.
Süßholzsaft, s. Lakritzen.
Süßklee, s. v. w. Esparsette, s. Onobrychis.
Sußmann-Hellborn, Louis, Bildhauer, geb. 20. März 1828 zu Berlin, war daselbst fünf Jahre lang Schüler von Wredow, studierte von 1852 bis 1856 in Rom, machte dann längere Reisen und ließ sich 1857 in Berlin nieder, wo er unter anderm von 1882 bis 1887 als artistischer Leiter der königlichen Porzellanmanufaktur fungierte. Auf einen schon in Rom entstandenen trunkenen Faun (1856, Nationalgalerie in Berlin) folgten andre Genre- und mythologische Gestalten, z. B. eine haarflechtende Italienerin, ein Amor in Waffen, eine verlassene Psyche und ein Knabe als Kandelaberträger. Später wandte er sich auch der monumentalen Porträtstatue zu und schuf das Marmorstandbild eines jugendlichen Friedrich d. Gr. (1862) für das Rathaus in Breslau und einen schon bejahrten Friedrich d. Gr. (1869) sowie Friedrich Wilhelm III. für das Rathaus in Berlin, eine 1878 enthüllte Bronzestatue Friedrichs d. Gr. für die Stadt Brieg und die sitzenden Statuen von Hans Holbein und Peter Vischer für das Kunstgewerbemuseum in Berlin, zu dessen Begründern er gehört. Unter seinen Genrefiguren der spätern Zeit sind noch ein Fischer mit der Laute, der Volksgesang und Dornröschen (in der Berliner Nationalgalerie) hervorzuheben.
Süßmayer, Franz Xaver, Komponist, geb. 1766 zu Steyr, erhielt seine Ausbildung als Zögling der Benediktinerabtei zu Kremsmünster sowie später in Wien durch Mozart und Salieri, wurde 1792 zweiter Kapellmeister am dortigen Hoftheater und starb als solcher 7. Sept. 1803 mit Hinterlassung zahlreicher, zu seiner Zeit geschätzter Vokal- und Instrumentalwerke. Mit Mozart intim befreundet, erhielt er kurz vor dessen Tod von ihm den Auftrag, einige Arien zur Oper "Titus" zu vollenden; auch gab er nach Mozarts Tode dem berühmten "Requiem" desselben den vollständigen Abschluß, indem er einzelnes in der Instrumentation, was Mozart nur angedeutet hatte, ausführte und die erste Fuge: "Kyrie", auf die Worte: "cum sanctis tuis in aeternum" wiederholte und zum Schlußchor des Werkes machte.
Süßmilch, Name für eine Abart des Pharospiels, welches sich vom eigentlichen Pharo dadurch unterscheidet, daß keiner der Spieler ein eignes "Buch" bekommt, dagegen ein Buch offen auf den Tisch gebreitet wird, von dessen 13 Blättern jeder Spieler eins beliebig besetzt.
Süß Oppenheimer, Joseph, berüchtigter württemberg. Finanzminister, ein Jude, geb. 1692 zu Heidelberg, widmete sich dem Handelsstand und trat durch verschiedene Geldgeschäfte mit dem Herzog Karl Alexander von Württemberg in Verbindung, der ihm erst die Direktion des Münzwesens übertrug und ihn endlich bis zum Geheimen Finanzrat und Kabinettsminister erhob. Als solcher besetzte S. alle Stellen mit seinen Kreaturen, ließ 11 Mill. Gulden falsches Geld prägen, errichtete ein Salz-, Wein- und Tabaksmonopol, verkaufte um große Summen Privilegien, zog eine große Menge Juden ins Land und drückte das Volk mit Abgaben aller Art. Durch dies alles zog er den allgemeinen Haß auf sich, und nach dem Tode des Herzogs (12. März 1737) wurde er verhaftet, vor ein Gericht gestellt und als Staatsverbrecher in seinem Staatsgewand 4. Febr. 1738 in einem besondern Käfig aufgehängt. Hauff machte sein Leben zum Gegenstand einer Novelle ("Jud Süß"). Vgl. Zimmer, Joseph S. (Stuttg. 1873).
Süßwasser, das reine Quellwasser und die aus diesem sich bildenden Bäche, Flüsse, Teiche, Seen etc., im Gegensatz zu dem salzigen Wasser der Meere, einzelner Salzseen und der Solquellen. Charakteristisch ist nicht sowohl das gänzliche Fehlen als der sehr geringe Gehalt (z. B. im Rheinwasser 0,14 Teile Chlornatrium in 10,000 Teilen Wasser) an Salzen, besonders Chlornatrium.
Süßwasserformationen, in der Geologie Ablagerungen, die aus ihren organischen Resten schließen lassen, daß sie aus Süßwasser sich niederschlugen. Die Reste der Bewohner von süßem Wasser müssen in solchen Ablagerungen entschieden vorherrschen und sichere Anzeichen an sich tragen, daß sie keinem weitern Transport unterlegen sind, da Süßwasserformen jedenfalls häufiger in die See als umgekehrt Seebewohner in süßes Wasser eingeschwemmt werden. Reine S. sind für jüngere Formationen charakteristisch und reichen vermutlich nicht über die Wealdenzeit zurück, werden aber von einigen Geologen selbst noch in der Steinkohlenformation angenommen, in-
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Süßwasserkalk - Sutsos.
dem die Anthrakosien als Süßwasserformen gedeutet werden, während die Gegner echte Süßwasserkonchylien erst aus dem braunen Jura gelten lassen.
Süßwasserkalk, s. Kalktuff.
Süßwassermolasse, s. Tertiärformation.
Süßwasserpolyp, s. Hydra.
Süßwasserquarz, s. Quarzit.
Süßwurzel, indianische, s. Cyperus.
Susten, Hochgebirgspaß im östlichen Flügel der Berner Alpen (2262 m), zwischen Titlis und Sustenhorn (s. Dammastock), verbindet das bernerische Gadmenthal (Gadmen 1202 m) mit dem Urner Mayenthal (Wasen 847 m).
Sustentation (lat.), Unterhalt, Versorgung; daher Sustentationskosten, der Aufwand, welchen die Verpflegung einer auf öffentliche Kosten zu versorgenden Person verursacht. S. heißt auch die Apanage (s. d.) einer Prinzessin.
Susu, Negerstamm in Westafrika, zwischen dem Rio Nuñez und Scarcias, und im Innern. Die S. sind Verwandte der Mandingo, ihre Sprache ist die allgemeine Handelssprache in den Faktoreien der Europäer.
Suszipieren (lat.), unter-, auf sich nehmen; Suszeption, An-, Übernahme, besonders der geistlichen Weihen; suszeptibel, empfänglich; reizbar.
Sutherland (spr. ssötherländ, "Südland", mit Bezug auf Norwegen), eine der nördlichen Grafschaften Schottlands, vom Atlantischen Ozean und der Nordsee bespült, 5451 qkm (99 QM.) groß mit (1881) 23,370 Einw., ist mit Ausnahme eines kleinen Gebiets an der Ostküste durchaus rauh und gebirgig und erreicht unweit der Westküste im Ben Hope 926, im Ben More Assynt 1000 m, während das Innere ein von tief eingeschnittenen Thälern durchzogenes Tafelland mit vereinzelten Bergen (Ben Klibreck 964 m) bildet. Die bedeutendsten Flüsse sind: Oykill (mit dem Shin), Brora und Ullie an der Ostküste, Halladale, Strathie und Naver an der Nordküste; keiner derselben ist schiffbar, alle aber sind lachsreich. Von den zahlreichen Landseen sind Loch Shin, Loch Naver und Loch Laoghall (Loyal) die größten. Das Klima ist rauh und nebelig, der Boden nur auf kleinen Küstenstrecken zum Ackerbau geeignet; nur 1,69 Proz. der Oberfläche sind unterdem Pflug, 0,58 Proz. sind Weide, 1,17 Proz. Wald. Indes läßt der Herzog von S. seit einer Reihe von Jahren große Strecken Moorlandes urbar machen. Von größerer Bedeutung sind die Viehzucht (Rinder, Schafe) und die Fischerei. Das Mineralreich bietet Halbedelsteine und Steinkohlen (bei Brora an der Ostküste). Die Industrie beschränkt sich auf Verfertigung von Wollenzeugen. Hauptstadt ist Dornoch.
Sutherland (spr. ssötherländ), einer der ältesten schott. Adelstitel, zuerst verliehen 1228 an William, Grafen von S., der Sage nach Sohn des durch Macbeth ermordeten Allan, Than von S. Durch Vermählung kam der Titel 1515 an die Familie Gordon, deren letzte Erbin sich mit George Granville Leveson-Gower, Marquis von Stafford, vermählte. Dieser, einer der größten Grundeigentümer in Großbritannien, wurde 1833 zum Herzog von S. erhoben und starb 19. Juli 1833. Gegenwärtiger Chef des Hauses ist sein Enkel George Granville, dritter Herzog von S., geb. 19. Dez. 1828.
Sutinsko, Bad im kroatisch-slawon. Komitat Warasdin (in Zagorien), mit einer besonders bei Frauenleiden wirksamen indifferenten Therme von 37,4° C.
Sutorina, zur Herzegowina gehöriges Gebiet, das in Form einer schmalen Zunge zwischen dalmatischem Territorium an die Bocche di Cattaro reicht.
Sûtra, s. Weda.
Sutri, Stadt in der ital. Provinz Rom, Kreis Viterbo, das altetruskische Sutrium, ist Bischofsitz, hat noch aus der ältesten Zeit erhaltene Thore, ein antikes Amphitheater, etruskische Gräber und (1881) 2318 Einw. In S. fand 1046 eine Kirchenversammlung in Heinrichs III. Gegenwart statt.
Sutschawa (rumän. Suceava), Kreis in der nördlichen Moldau, mit der Hauptstadt Foltitscheni.
Sutschou, eine große Stadt in der chines. Provinz Kiangsu, am Kaiserkanal, auf Inseln erbaut und von Kanälen durchschnitten, berühmt wegen der Schönheit und Intelligenz seiner Bewohner. Es ist der Sitz des chinesischen Buchhandels, namentlich in Bezug auf die massenhafte Verbreitung mittelguter Ausgaben klassischer und sonst vielgelesener Schriften. Auch standen von alters her gewisse Industrien dort in großer Blüte, wie die Anfertigung roter Lacksachen. Die Taipingrebellion hat jedoch den Wohlstand der Stadt bedeutend verringert, und das neue S. läßt sich mit dem alten nicht vergleichen. Auch eine katholische und eine evangelische Mission befinden sich daselbst.
Sutsos, Alexandros und Panagiotis, zwei hervorragende neugriech. Dichter, Neffen von Alexandros S., Fürsten der Walachei, geb. 1803 und 1806 zu Konstantinopel, wurden auf dem Gymnasium in Chios gebildet, setzten ihre Studien in Frankreich und Italien fort und lebten seit 1820 in Paris im Umgang mit Korais und andern hervorragenden Männern. Erfüllt von lebhafter Liebe zu ihrem Vaterland, aber unklar in ihren politischen Anschauungen, traten beide, besonders Alexandros, als erbitterte Gegner des Präsidenten Kapo d'Istrias und später des Königs Otto auf. Alexandros gab die Stellung eines Professors an der Universität Athen und eines Historiographen des Königreichs, die ihm nacheinander übertragen worden, auf, um sich als Misanthrop ganz von der Öffentlichkeit zurückzuziehen und als Verbannter im eignen Vaterland 1863 im Krankenhaus zu Smyrna zu sterben. Panagiotis folgte ihm 1868 zu Athen im Tod nach. Des letztern ältestes und bestes Gedicht ist "Der Wanderer" ("Hodoiporos"), ein lyrisches Drama in fünf Akten, voll von Sentimentalität und unnatürlichen Situationen, aber von großen Schönheiten der Sprache und des Versbaues. Ein mythisch-historischer Roman, "Leandros" (Nauplia 1834), schildert das Unterliegen höherer, besonders politischer, Interessen in dem Kampf mit individueller Leidenschaft. Reich an lyrischen Schönheiten ist die Tragödie "Messias" (Athen 1839); weniger bedeutend sind drei andre Dramen: "Vlachavas", "Karaiskakis" und "Der Unbekannte" (das. 1842). Auf der Höhe seines Talents steht er in seinen Oden (Hydra 1826; wiederholt als "Odes d'un jeune Grec", Par. 1828). Außerdem erschienen: erotische Lieder und politische Gedichte als Anhang zum "Wanderer" ; ein weiterer Band Gedichte unter dem Titel: "Kithara" (Athen 1835, 1851); eine Fabelsammlung (das. 1865) sowie eine (unvollständige) Gesamtausgabe der Dichtungen (das. 1851, neue Ausg. 1883). Seine puristischen Grundsätze in Bezug auf sprachliche Darstellung hat er in der Schrift "Nea schole" (Athen 1853) und in der Zeitschrift "Helios" entwickelt. Weniger ideal angelegt, aber bedeutend geistvoller als Panagiotis, begann Alexandros seine poetische Laufbahn 1824 mit satirischen Gedichten gegen die damalige Zerfahrenheit der griechischen Zustände, schrieb 1829 in Paris seine "Histoire de la révolution grecque" (deutsch, Berl. 1830) und war nach seiner Rückkehr nach Griechenland un-
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Sutti - Suworow.
erschöpflich in den bittersten Angriffen gegen Kapo d'Istrias, die in dem "Panorama tes Hellados" (Nauplia 1833, 2 Bde.) gesammelt sind. Seine weitern politischen Gedichte (1845) geben namentlich seinem Haß gegen die Bayern Ausdruck. Auch seine andern Werke verleugnen den satirischen Grundzug nicht, so besonders die Komödie "Der Verschwender" ("Asotos", 1830), mit starkem Anschluß an Molière; der politische Roman "Der Verbannte" ("Exoristos", Athen 1835; deutsch, Berl. 1837) und vor allen die nach Byrons "Childe Harold" gearbeitete Dichtung "Der Umherschweifende" ("Periplanomenos", 4 Gesänge, Athen 1839-52). Vgl. über Alexandros S. Queux de Saint-Hilaire im "Annuaire pour l'encouragement des études grecques" (Par. 1874).
Sutti (Satti), in Indien Bezeichnung einer Witwe, die sich mit der Leiche ihres Gatten verbrennen läßt. Der Gebrauch ist den ältesten heiligen Schriften der Inder fremd, obwohl die Brahmanen, als die englische Regierung 1830 diesen Gebrauch verbot, denselben durch Fälschung einer Stelle des Rigweda zu verteidigen suchten. Die Witwenverbrennung kommt nur noch selten in Vasallenstaaten vor. Vgl. H. Wilson in "Miscellaneous essays etc." (Lond. 1862); I. Bushby, Über die Witwenverbrennung (das. 1855); M. Müller, Essays (Bd. 2, S. 30 ff.).
Sutton in Ashfield (spr. ssött'n in äschfild), Stadt in Nottinghamshire (England), 4 km südwestlich von Mansfield (s. d. 1), mit Strumpfwirkerei, Kohlengruben und (1881) 8523 Einw.
Sutura (lat.), Naht, Knochennaht.
Suum cuique (lat.), "jedem das Seine", Devise des preuß. Schwarzen Adlerordens.
Süvern, Johann Wilhelm, Philolog und einflußreicher preuß. Schulmann, geb. 1775 zu Lemgo, Schüler F. A. Wolfs und Fichtes, dann Mitglied des Gedikeschen Seminars für Gelehrtenschulen und Lehrer am Köllnischen Gymnasium zu Berlin, 1800-1803 Rektor des Gymnasiums zu Thorn, 1804-1807 in gleicher Eigenschaft zu Elbing, dann Professor der Philologie in Königsberg, wo er namentlich mit Herbart in Verkehr stand. 1809 trat S. als Referent in die Unterrichtssektion des preußischen Ministeriums ein und gehörte seit 1817 dem neugebildeten Kultusministerium als Geheimer Staatsrat und Mitdirektor an. Er starb 2. Okt. 1829 in Berlin. An der einheitlichen Organisation des preußischen Schulwesens, namentlich des höhern, nach dem Frieden von Tilsit und nach den Freiheitskriegen hat S. wesentlichen Anteil. Er ist der Verfasser des Reglements für die wissenschaftliche Lehramtsprüfung von 1810, der Reifeprüfungsordnung von 1812 sowie des Normallehrplans für die preußischen Gymnasien von 1816, den er bereits 1811 ausgearbeitet hatte. Unter seinem Vorsitz entstand durch Kommissionsberatungen das Unterrichtsgesetz von 1817, das jedoch wie der Normallehrplan Entwurf blieb. Auch lieferte er Ausgaben und Übersetzungen von Äschylos, Sophokles, Aristophanes und geschätzte Abhandlungen über die dramatische Kunst der Griechen, z. B. über Aristophanes.
Süvernsche Masse, s. Abwässer, S. 71.
Suwalki (Ssuwalki), russisch-poln. Gouvernement, grenzt im W. an Preußen, im N. an das Gouvernement Kowno, im O. an die Gouvernements Wilna und Grodno, im Süden an Lomsha und umfaßt 12,551 qkm (228 QM.). Das Land ist eben und wird im O. und N. von dem Niemen als Grenzfluß umflossen, neben welchem die zum Flußsystem der Weichsel gehörenden Bobr, Netta, Stawiska, Jastrzebianka zu nennen sind. Die Zahl der Seen ist 480. Das Klima ist gemäßigt, aber infolge der nördlichen Lage rauher als in den andern polnischen Gouvernements. Die mittlere Temperatur ist +6,8° C. Die Bevölkerung betrug 1885: 624,579 Seelen (49 pro QKilometer) und bekennt sich vorherrschend zur römisch-katholischen Konfession (71 Proz.). Der Rest entfällt auf Juden, Lutheraner und Reformierte, Griechisch-Orthodoxe, Altgläubige und Mohammedaner. Die Altgläubigen (Starowierzen), an Zahl 5000, haben sich vor mehreren hundert Jahren im südlichen Teil des Gouvernements niedergelassen, bewohnen fünf Dörfer und genießen vollständige Freiheit in Bezug auf die Ausübung ihres Kultus. Die Zahl der Eheschließungen war 1885: 3569, der Gebornen 20,094, der Gestorbenen 15,558. Der Ackerbau, welcher vier Fünfteln der Bewohner den Unterhalt gewährt, steht auf einer niedrigen Entwicklungsstufe. Obst- und Gemüsegärten sind gänzlich vernachlässigt. Der Betrieb von Branntweinbrennereien bildet eine bedeutende Aushilfe der Landwirtschaft, namentlich der größern Güter. Erheblich ist die Pferdezucht (fünf Privatgestüte). Die Zucht der wilden Waldbienen liefert schönen, weißen Honig. Die Forsten bedecken den vierten Teil des Areals und gehören zum größern Teil der Regierung, welche sie rationell verwalten läßt, während die Privatwälder völlig verwahrlost sind. Die Industrie ist unbedeutend, der Wert ihrer Produktion beziffert sich auf 1 1/3 Mill. Rubel. Ebenso unbedeutend ist der Handel, der in den Händen der jüdischen Bevölkerung ist. Haupthandelspunkte sind: Suwalki, Augustowo, Aleksota. Für die Volksbildung sind (1885) 203 Lehranstalten thätig (darunter 3 Mittelschulen und 2 Fachschulen [ein geistliches und ein Lehrerseminar]) mit 13,316 Schülern. Die Zahl der Kreise ist sieben: Augustowo, Kalwary, Mariampol, Seyny, Suwalki, Wladislawow, Wolkowyschky. S. Karte "Polen und Westrußland". - Die gleichnamige Hauptstadt, unweit des Wigrischen Sees, zur Zeit der ersten Teilung Polens angelegt, ist schön und regelmäßig erbaut, hat ein Knaben- und ein Mädchengymnasium, lebhaften Grenzverkehr mit Preußen und (1886) 19,367 Einw.
Suwanee (spr. ssuwáni), Fluß in Nordamerika, entspringt im Staat Georgia in dem Okeesinokeesumpf und mündet nach einem Laufe von 320 km im Staat Florida in den Golf von Mexiko. An seinen Ufern mehrere geschätzte Schwefelquellen.
Suworow, Alexander Wasiljewitsch, Graf von S.-Rimnikskij, Fürst Italijskij, berühmter russ. Feldherr, geb. 24. Nov. 1729 zu Moskau, begann im Siebenjährigen Krieg seine kriegerische Laufbahn, ward 1762 zum Obersten des Astrachanschen Grenadierregiments ernannt, befehligte beim Ausbruch der polnischen Insurrektion 1768 den Sturm auf Krakau, drang siegreich bis Lublin vor und kehrte nach der ersten Teilung Polens als Generalmajor nach Petersburg zurück. Im Türkenkrieg siegte S. 1774 bei Turtukai und bei Hirsowa und focht mit Auszeichnung unter Komenskij bei Kosludschi. Hierauf war er im Kampf gegen Pugatschew thätig. Sodann kämpfte er in der Krim. Mit der Beförderung zum Generalleutnant erhielt er 1780 zugleich den Befehl, gegen die aufständischen Völker am Kaukasus zu marschieren, und unterwarf dort die Lesghier nach blutigen Kämpfen, wofür er zum General der Infanterie und Gouverneur jener Provinzen ernannt wurde. Am 1. Okt. 1787 siegte er bei Kinburn und 1788 mit den Österreichern unter dem Prinzen von Sachsen-Koburg bei Fokschani sowie 1789 am Rimnik über die Türken, wofür er den Beinamen Rim-
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Suworowinseln - Svendsen.
nikskij erhielt und zum deutschen und russischen Reichsgrafen erhoben wurde. Am 22. Dez. 1790 erstürmte er die Festung Ismail, deren Einwohner er niedermetzeln ließ. Den polnischen Aufstand von 1794 beendigte er rasch durch die Erstürmung von Praga und die Besetzung von Warschau, wofür er zum Generalfeldmarschall befördert ward. Hierauf zog er sich auf sein Landgut Kantschanski im Gouvernement Nowgorod zurück, bis ihm 1799 Kaiser Paul den Oberbefehl über die Truppen übertrug, welche mit den Österreichern vereint in Italien gegen die Franzosen fechten sollten. Er schlug die letztern 27. April bei Cassano, 17., 18. und 19. Juli an der Trebbia und 15. Aug. bei Novi, eroberte Alessandria und warf binnen 5 Monaten den Feind aus ganz Oberitalien. Hierauf zog er nach der Schweiz, um sich mit Korssakow zu vereinigen. Sein Zug über den St. Gotthard war mit unbeschreiblichen Anstrengungen verknüpft und kostete ihm den dritten Teil seines Heers, den größten Teil der Pferde, alle Lasttiere nebst Geschütz und Gepäck. Als er endlich das vordere Rheinthal betrat, fand er die Verbündeten inzwischen von Massena bei Zürich, von Soult an der Linth, von Molitor bei Mollis geschlagen. Er trat daher den Rückmarsch durch Graubünden nach Italien und von da, inzwischen zum Generalissimus aller russischen Armeen ernannt, im Januar 1800 nach Rußland an. Noch vor seiner Rückkehr aber fiel er infolge angeblicher Nichtbeachtung kleinlicher kaiserlicher Dienstbefehle in Ungnade. Krank kam er 2. Mai 1800 in Petersburg an und starb daselbst 18. Mai. Alexander I. ließ ihm 1801 auf dem Marsfeld zu Petersburg eine kolossale Statue setzen. Vgl. Anthing, Kriegsgeschichte des Grafen S. (Gotha 1796-99, 3 Bde.); v. Smitt, Suworows Leben und Heerzüge (Wilna 1833-34); Derselbe, S. und Polens Untergang (Leipz. 1858, 2 Bde.). Neuere Biographien Suworows lieferten Polewoi (deutsch, Mit. 1853) und Rybkin (russ., Mosk. 1874). Suworows "Korrespondenz über die russisch-österreichische Kampagne im Jahr 1799" wurde von v. Fuchs herausgegeben (deutsch, Glog. 1835, 2 Bde.). - Suworows Sohn Arkadij Alexiewitsch, geb. 1783, that sich im Feldzug von 1807 hervor, ward Generalleutnant, befehligte eine Division der Donauarmee unter Kutusow und ertrank 1811 im Rimnik, wo sein Vater den Sieg über die Türken erfochten hatte. Dessen Sohn Alexander Arkadjewitsch S.-Rimnikskij, Fürst Italijskij, geb. 1. Juli 1804, russ. Diplomat und General, diente im Kaukasus und in Polen, wurde mehrmals zu diplomatischen Missionen an deutsche Höfe verwandt, ward 1848 Generalgouverneur der Ostseeprovinzen, die er vortrefflich verwaltete, 1861 Generalmilitärgouverneur von Petersburg, dann, als im Mai 1866 dies Amt in Wegfall kam, Generalinspektor der Infanterie. Er starb 12. Febr. 1882 in Petersburg.
Suworowinseln, kleine, nur 5 km große Gruppe auf einem eine Lagune einschließenden, mit Wasser bedeckten Riff, zur polynesischen Gruppe der Manihikiinseln gehörig, unter 13° 20' südl. Br. und 163° 30' östl. L. v. Gr. Die nahe aneinander liegenden Eilande sind mit Gebüsch bedeckt, haben einige Kokospalmen, aber kein Trinkwasser. Ein tiefer Kanal führt in das Innere der seichten Lagune. Die Gruppe wurde Anfang 1889 von England in Besitz genommen.
Suzeränität (franz.), Oberhoheit (s. d.).
Svarez (Suarez, eigentlich Schwartz), Karl Gottlieb (nicht von spanischer Abkunft), der Schöpfer des preußischen Landrechts, geb. 27. Febr. 1746 zu Schweidnitz, studierte 1762-65 in Frankfurt a. O. trat hierauf als Auskultator bei der Oberamtsregierung zu Breslau in den praktischen Justizdienst, ward 1771 Rat daselbst und wirkte bei Neugestaltung der Verhältnisse Schlesiens unter dem Provinzialminister v. Carmer wesentlich mit zur Begründung des landschaftlichen Kreditsystems, zur Reorganisation der höhern Schulen wie zur Anbahnung einer Prozeßreform, welch letztere indessen, durch den Großkanzler v. Fürst bekämpft, ins Stocken geriet. Als Carmer an Fürsts Stelle berufen wurde, folgte ihm S. 1780 als vortragender Rat nach Berlin, um dessen legislatorische Pläne auszuführen. Auf Grund des Prozeßentwurfs von 1775 bearbeitete er das 1781 publizierte erste Buch des "Corpus juris Fridericianum" (von der Prozeßordnung), woraus später die "Allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten" (Berl. 1794-95, 3 Tle.), ebenfalls sein Werk, hervorging. Auch in der Gesetzkommission für das allgemeine Gesetzbuch fiel ihm die Hauptarbeit zu. Er schuf den "Entwurf eines Allgemeinen Gesetzbuchs" (Berl. 1784-88, 6 Abtlgn.), ebenso die Schlußredaktion des am 20. März 1791 zur Publikation gelangten Gesetzbuchs selbst. Nachdem dasselbe infolge von Gegenströmungen 18. April 1792 auf unbestimmte Zeit wieder suspendiert war, besorgte S. die durch Kabinettsorder vom 17. Nov. 1793 angeordnete Revision, welche in dem "Allgemeinen Landrecht für die königlich preußischen Staaten", publiziert 5. Febr. 1794, mit Gesetzeskraft vom 1. Juni, ihren endlichen Abschluß fand. 1787 zum Geheimen Oberjustizrat befördert und noch in demselben Jahr zum Obertribunalsrat ernannt, starb S. 14. Mai 1798 in Berlin. Vgl. Stölzel, K. G. S. (Berl.1885).
Svealand (Svearike), historische Bezeichnung für das mittlere Schweden mit der Hauptstadt Stockholm.
Svegliato (ital., spr. sweljato), aufgeweckt, munter.
Svendborg, dän. Amt, den südöstlichen Teil der Insel Fünen nebst den Inseln Taasinge, Langeland, Aeroe und vielen andern umfassend, 1643 qkm (29,8 QM.) mit (1880) 117,577 Einw. - Die gleichnamige Hauptstadt, in schöner Lage am Svendborgsund, Endpunkt der Eisenbahnlinie Odense-S., hat 2 Kirchen und (1880) 7184 Einw. Der Hafen ist etwa 4,5 m tief. Schiffahrt und Schiffbau sind von großer Bedeutung. Die Handelsflotte zählte 1886: 286 Schiffe von 26,907 Registertonnen. 1886 liefen 4744 Schiffe mit einer Warenmenge von 51,399 Registertonnen ein und aus. S. ist Sitz eines deutschen Konsulats.
Svendsen, Johann Severin, norweg. Komponist, geb. 30. Sept. 1840 zu Christiania, erhielt von seinem Vater den ersten Unterricht im Violinspiel und ging 1862 als Mitglied einer ambulanten Musikgesellschaft nach Hamburg, setzte nach Auflösung derselben, mit einem königlichen Stipendium versehen, seine Studien in Leipzig fort und widmete sich hier, da er infolge einer Fingerkrankheit das Violinspiel aufgeben mußte, ausschließlich der Komposition. 1867 machte er eine Reise nach Island, lebte dann 1868-1869 in Paris, hierauf wieder in Leipzig und begab sich 1872 in seine Heimat, von wo aus er im Herbst 1877, abermals mit einem königlichen Stipendium ausgerüstet, zu weitern Kunststudien nach Italien ging. Über London und Paris, wo er wieder anderthalb Jahre verweilte, nach Christiania zurückgekehrt, dirigierte er hier wieder die schon früher von ihm geleiteten Musikvereinskonzerte, bis er 1883 einem Ruf als Hofkapellmeister nach Kopenhagen folgte. Von seinen Kompositionen sind hervorzuheben: ein Konzert für Violine, eins für Violoncello, ferner zwei Quar-
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Sverdrup - Swan's-down.
tette, ein Quintett und ein Oktett für Streichinstrumente, eine Einleitung zu Björnsons Tragödie "Sigurd Slembe", zwei Symphonien, von denen besonders die zweite (in B dur) günstige Aufnahme fand, "Hochzeitsfest" für Orchester, Ouvertüre zu "Romeo und Julie" u. a.
Sverdrup, Johan, norweg. Politiker, geb. 1816 auf dem Schloß Jarlsberg, wo sein Vater die Güter des Grafen Wedel-Jarlsberg verwaltete, studierte die Rechte, machte 1841 sein Examen und ließ sich in Laurvik als Anwalt nieder. 1851 wurde er in das Storthing gewählt, dem er seitdem ununterbrochen angehörte. Radikalen Anschauungen huldigend, gewann er für dieselben mehr und mehr Anhänger und bildete sich durch unermüdliche Thätigkeit eine Partei, welche besonders in der Landbevölkerung vorherrschte (Bauernpartei) und allmählich die Majorität im Storthing erlangte. An ihrer Spitze begann er, zum Präsidenten des Storthings gewählt, den Kamps gegen das Königtum, das er zu einer bloßen Ehrenstellung herabdrücken wollte, mit dem Streit über die Zulassung der Minister zum Storthing, aus dem sich dann der weitere über das königliche Veto entwickelte, in welchem S. 1883 den Sieg davontrug, indem das Ministerium verurteilt wurde. S. wurde 1884 an die Spitze des Ministeriums gestellt, befriedigte aber durch seine Thätigkeit den radikalen Teil seiner Anhänger nicht, welche sich von ihm lossagten, und sah sich aus Rücksicht aus die Konservativen, von deren Stimmen er abhängig war, zu einer gemäßigten Politik veranlaßt.
Sverige (schwed.), Schweden.
Sverker, König von Schweden, Enkel Svens des Opferers, stritt nach dem Erlöschen des Hauses König Stenkils (1129) mit Magnus um den Besitz der Krone und kam endlich in den alleinigen Besitz derselben. Nach seiner Ermordung (1155) versuchten seine Nachkommen vergeblich, sich dauernd auf dem Thron zu behaupten. Mit Johann Sverkerson erlosch 1222 sein Geschlecht.
Svetla, Karoline, böhm. Schriftstellerin (eigentlich Frau Professor Muzak), geb. 24. Febr. 1830 zu Prag, gilt als die hervorragendste Romanschriftstellerin. Unter ihren zahlreichen Erzählungen sind die besten: "Vesnicky roman" ("Dorfroman") und "Kriz a potoka" ("Das Kreuz am Bach"). Eine Gesamtausgabe ihrer zahlreichen Romane erscheint in der "Narodni bibliotheka". S. schrieb außerdem viele Aufsätze über Erziehung und Litteratur; ihre "Memoiren" erfreuen sich der allgemeinen Aufmerksamkeit. Einige ihrer Werke wurden ins Deutsche, Französische, Polnische und Russische übersetzt.
Sw., bei botan. Namen Abkürzung für O. Swartz, geb. 1760, gest. 1818 als Professor in Stockholm; Kryptogamen, westindische, schwedische Flora.
Swaga, s. Borax.
Swains., bei naturwissenschaftl. Namen Abkürzung für William Swainson, geb. 1789 zu Liverpool, gest. 1855 auf Neuseeland (Zoolog).
Swammerdam, Jan, Naturforscher, geb. 12. Febr. 1637 zu Amsterdam, studierte seit 1661 in Leiden Medizin, ging auf einige Jahre nach Saumur und Paris, kehrte 1665 nach Amsterdam, 1666 nach Leiden zurück, erwarb dort 1667 die medizinische Doktorwürde und lebte dann in Amsterdam ausschließlich seinen schon bisher mit großem Eifer betriebenen planmäßigen anatomischen Studien. Körperlich leidend und von einer pietistisch-schwärmerischen Gemütsstimmung ergriffen, vertiefte er sich später in die Schriften der chiliastischen Schwärmerin Bourignon, ging 1675 zu ihr nach Schleswig und geleitete sie nach Kopenhagen, kehrte dann krank nach Amsterdam zurück und starb daselbst 17. Febr. 1680. S. war als Erforscher der kleinern Tierformen von epochemachender Bedeutung; er erfand auch die Methode, die Blutgefäße durch Ausspritzung mit Wachs haltbar und der Untersuchung zugänglich zu machen. In seiner "Allgemeene verhandeling van bloedeloose diertjens" (Utr. 1669; lat., Leid. 1685) legte er die Grundlage für die erste naturgemäße Klassifikation der Insekten, und seine anatomischen Arbeiten über die Insekten, veröffentlicht in der "Biblia naturae" (hrsg. von Boerhaave, das. 1737-38, 2 Bde.; deutsch, Leipz. 1752), sind die bedeutendste Erscheinung auf diesem Felde der Zootomie bis in die neuere Zeit geblieben. Auch beschäftigte er sich mit der Metamorphose der Insekten und suchte die Gleichartigkeit der Zeugungsweise bei Tieren aller Klassen nachzuweisen, indem er die Rolle des Samens feststellte. Er schrieb noch "Miraculum naturae, seu uteri muliebris fabrica" (Leid. 1672).
Swampies, Indianer, s. Kri.
Swamps (engl.), Moräste, Sümpfe in Nordamerika, speziell die am Albemarlesund.
Swamy, Sir Mutu Coomara, gelehrter Ceylonese, geb. 1836 zu Kolombo auf Ceylon, studierte englisches Recht und erlangte als der erste Nichtchrist in England die Würde eines Barristers (Anwalts), wurde dann in seiner Heimat Mitglied des Legislative Council und heiratete eine englische Dame. Seine verdienstlichen Arbeiten zur Quellenkunde des südlichen Buddhismus: "History of the tooth relic of Buddha" und "Sutta Nipata, the dialogues and discourses of Gotama Buddha" (Pâlitexte, mit engl. Übersetzung, Lond. 1874), trugen ihm die Erhebung in den englischen Adelstand ein. Er starb 4. Mai 1879 in Kolombo.
Swaneten, zum kartwelischen Stamm gehöriges Volk in Transkaukasien, das, 12,000 Köpfe stark, die obern Thäler des Ingur und der Tskenis im Gouvernement Kutais bewohnt. Aus den Ebenen Mingreliens vertrieben, haben sie sich in eine fast unzugängliche Gebirgswelt zurückgezogen, wo sie in Verwilderung und nach dem Gesetz der Blutrache sich beständig befehdend ein elendes Dasein führen. Not trieb bei ihnen zur Sitte des Mädchenmordes; Christen sind sie nur dem Namen nach, ebenso ist ihre Abhängigkeit von Rußland (seit 1853) nur nominell.
Swanevelt, Herman, holländ. Maler, geboren um 1600 zu Woerden bei Utrecht, begab sich 1623 nach Paris, von da nach Rom, wo er bis um 1637 lebte, und ließ sich dann, nach kurzem Aufenthalt in der Heimat, 1652 in Paris nieder, wo er 1653 Mitglied der Akademie wurde und 1655 starb. Er hat italienische Landschaften in der Art des Claude Lorrain gemalt, die man zumeist in den Galerien von Rom und Florenz, aber auch in denen von Paris, Frankfurt a. M., München und des Haag findet. Hervorragender sind seine landschaftlichen Radierungen, deren er 116 hinterlassen hat.
Swanhild, nach nord. Sage Sigurds Tochter von Gudrun, wurde am Hof ihres Stiefvaters, des Königs Jonakur (den Gudrun geheiratet, nachdem sie vergeblich den Tod in den Wellen gesucht), erzogen und sollte König Jormunrekr (d. h. Ermanarich, den Ostgotenkönig) heiraten. Weiteres s. Jormunrekr.
Swan River, s. Schwanenfluß.
Swan's-down (engl., spr. swónns-daun, "Schwanendaunen"), eine Art feinen Wollenzeugs, das mit Seide und Baumwolle gemischt ist.
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Swansea - Swedenborg.
Swansea (spr. sswónssih), Stadt in Glamorganshire (Wales), an der Mündung des Tawe in die Swanseabai des Bristolkanals, mit (1881) 65,597 Einw. S. ist eine wenig anziehende Stadt, und die den Schlöten seiner zahlreichen Kupferschmelzhütten entsteigenden Dämpfe verhindern den Pflanzenwuchs in der ganzen Gegend. Es verdankt seine Blüte den reichen Kohlenlagern, die es in den Stand setzen, die ihm aus Cornwall und allen Teilen der Welt zugeschickten Kupfer- und Zinkerze zu verschmelzen. Außerdem hat es Töpfereien und Porzellanwerke, Blechfabriken und Schiffbau. Sein Handel ist bedeutend und wird gefördert durch die im Ästuar des Tawe angelegten großartigen Docks. Es gehörten zum Hafen 1888: 166 Seeschiffe von 58,727 Ton. Gehalt und 45 Fischerboote. Die Einfuhr vom Ausland belief sich auf 1,593,752 Pfd. Sterl., die Ausfuhr dorthin (meist Steinkohlen) auf 2,868,612 Pfd. Sterl. An öffentlichen Anstalten verdienen Erwähnung die Royal Institution (mit Museum und Bibliothek), ein Lehrerseminar, eine Lateinschule, eine Kunstschule und ein Taubstummeninstitut. S. ist Sitz eines deutschen Konsuls. Dicht dabei liegt Landore mit den ehemals Siemensschen Stahlwerken.
Swanskin (engl., spr. sswonn-, "Schwanfell"), eine Art Fanell.
Swantewit (Swentowit), eine slaw. Gottheit, ursprünglich wohl lichter Sonnen- (und Tages-) Gott gegenüber Tschernebog (s. d.). Besonders berühmt war sein Tempel zu Arkona auf Rügen, den König Waldemar I. 1168 zerstörte. S. wurde vierköpfig (nach den vier Weltgegenden blickend) dargestellt, mit Bogen und Füllhorn (was beides auf den Regenbogen nach verschiedener Auffassung desselben als Bogen oder Horn geht). Beim Erntefest wurde das Horn mit Met gefüllt; aus dem Rest, welcher vom vorigen Jahr in demselben übriggeblieben, schloß man auf gute oder schlechte Ernte. Man hielt ihm auch heiige Pferde (zum Zweck der Weissagung).
Swat (serb.), Hochzeitsgast.
Swat, kleiner Gebirgsstaat nordwestlich von Peschawar, an der Grenze von Britisch-Indien, mit 100,000 Einw., Afghanen vom Jusufzaistamm, die sich im 16. Jahrh. hier niederließen und die ältern arischen Bewohner verdrängten, in einem der äußern Thäler, die vom Hindukusch nach dem Kabulfluß sich herabziehen, hat warmes Klima, dichte Waldungen und trägt Reis, Olivenbäume etc. Europäern ist das Bereisen des Thals nur in Verkleidung mit Lebensgefahr möglich. Hauptort ist Allahdand. Alexander d. Gr. durchzog den untern Teil des Thals. Zu einem gewissen Ruf gelangte S. durch seinen Akhund (d. h. Lehrer) Namens Abd ul Ghafar, der in Indien, Zentralasien, Arabien, ja bis Konstantinopel im Ruf eines Weisen von übernatürlicher Begabung stand, von Privaten als Schiedsrichter, von mohammedanischen Fürsten um Beirat in politischen Fragen angegangen wurde und noch 1877 einen Gesandten des Sultans der Türkei erhielt. Der Akhund verkehrte nicht mit Europäern, drang auch in Afghanistan auf Abschließung und bezeigte insbesondere England wie Rußland gleichmäßig Mißtrauen. 1846 hatte er unter den Afghanen, die damals vorübergehend Peschawars sich bemächtigt hatten, den Glaubenskrieg gepredigt; seitdem aber erkannte der Akhund rückhaltlos die Überlegenheit der Europäer an und riet im russisch-türkischen Krieg 1877 sowohl seinen Landsleuten als dem Sultan der Türkei davon ab, die Fahne des Propheten zu entfalten. Dieser einflußreiche religiöse Führer der Moslems Zentralasiens starb Ende 1877.
Swatau (Schateu), dem europäischen Handel seit 1869 geöffnete Handelsstadt in der chines. Provinz Kuangtung, an der Mündung des Han in die Fukienstraße, Sitz eines deutschen Konsuls, einer katholischen und evangelischen Mission, mit etwa 30,000 Einw.
Swatopluk (Zwentibold), Herzog von Mähren, kam zur Herrschaft über dieses Land, nachdem er seinen Oheim Rastislaw gefangen genommen und dem ostfränkischen König Ludwig dem Deutschen ausgeausiefert hatte, und sicherte sich 871 durch einen verräterischen Überfall des bayrischen Heers, welches vernichtet wurde, seine Unabhängigkeit. Er breitete nun sein Reich nach allen Seiten hin aus. Den Plan seines Oheims Rastislaw, mit Hilfe des Methodius ein von Deutschland unabhängiges slowenisches Kirchenwesen in Mähren zu begründen, gab er später preis, indem er nach Methodius' Tod sich wieder der bayrischen Kirche zuwandte. Er starb 894, und nach seinem Tod ging sein Reich zu Grunde.
Sweaborg, Festung im finn. Gouvernement Nyland, am Finnischen Meerbusen, 5 km südlich von Helsingförs, dessen Hafen sie deckt, seit 1749 von dem schwedischen Feldmarschall Grafen A. Ehrenswärd erbaut, liegt auf sieben Felseninseln, hat ein Zeughaus, bombenfeste Magazine, 2 Schiffsdocks, Werften, ein Monument des Grafen Ehrenswärd etc. und ohne die Garnison ca. 1000 Einw. - Am 7. April 1808 ging die Festung durch verräterische Kapitulation des schwedischen Kommandanten, Admirals Cronstedt, an die Russen über. Während des Krimkriegs wurde S. von der englisch-französischen Flotte 8.-11. Aug. 1855 bombardiert und niedergebrannt.
Sweater (engl., spr. sswetter, "Schwitzer"), in England Bezeichnung der Vermittler, welche Arbeiten von größern Unternehmern übernehmen und dieselben unmittelbar an Arbeiter gegen Lohn vergeben, um aus deren Schweiß (daher Sweating-System) einen Gewinn herauszuschlagen. Der Ausdruck wird besonders von Schneidern gebraucht, welche selbständig für große Magazine arbeiten.
Swedenborg (eigentlich Swedberg), Emanuel von, schwed. Gelehrter und Theosoph, geb. 29. Jan. 1688 zu Stockholm, Sohn Jesper Swedbergs, Bischofs von Westgotland, studierte zu Upsala Philologie und Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften, daneben auch Theologie, bereiste 1710-14 England, Holland, Frankreich und Deutschland und ward 1716 Assessor des Bergwerkskollegiums zu Stockholm, in welcher Stellung er sich durch mechanische Erfindungen hervorthat. Zur Belagerung von Frederikshall schaffte er 1718 sieben Schiffe mittels Rollen fünf Stunden weit über Berg und Thal. Dies sowie seine Schriften über Algebra, Wert der Münzen, Planetenlauf, Ebbe und Flut etc. hatten zur Folge, daß die Königin Ulrike ihn 1719 unter dem Namen S. adelte. In den folgenden Jahren bereiste er die schwedischen, sächsischen sowie später auch die böhmischen und österreichischen Bergwerke. Seine "Opera philosophica et mineralogica" (1734, 3 Bde. mit 155 Kupferstichen) gaben auf der Grundlage ausgedehnter Studien über Gegenstände der Naturwissenschaft und der angewandten Mathematik ein System der Natur, dessen Mittelpunkt die Idee eines notendigen mechanischen und organischen Zusammenhangs aller Dinge ist. Nach neuen Reisen (1736-1740) durch Deutschland, Holland, Frankreich, Italien und England wendete er sein Natursystem in den Schriften: "Oeconomia regni animalis" (Lond. 1740-41), "Regnum animale" (Bd. 1 u. 2, Haag 1744; Bd. 3, Lond. 1745) und "De cultu et amore
Meyers Konv.-Lexikon, 4. Aufl., XV. Bd.
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Sweepstake - Swieten
Dei<< (das. 1740, 2 Bde.) auch auf die belebte Schöpfung, namentlich den Menschen, an. Aber schon das letztgenannte Werk war nicht mehr streng wissenschaftlich gehalten, wie sich denn S. von jetzt an ausschließlich theosophischen Studien hingab, um sich für seinen, wie er behauptete, von Gott selbst ihm eingegebenen Beruf vorzubereiten, der in nichts Geringerm bestand als in der Gründung der Neuen Kirche, wie sie in der Offenbarung St. Johannis verheißen ist. S. glaubte diese Mission zu erfüllen, indem er das Wort Gottes in der (nach seinem Sinn) wahren Bedeutung auslegte, ein vollständiges System einer neuen Religionslehre aufstellte und die Natur des Geisterreichs und dessen Zusammenhang mit der Menschenwelt in seltsamen Visionen enthüllte, von denen mehrere die Aufmerksamkeit Kants erregten und denselben veranlaßten, S. in seinen "Träumen eines Geistersehers" (1766) für einen "Schwärmer" zu erklären (vgl. Rob. Zimmermann, Kant und der Spiritismus, Wien 1879). Die hauptsächlichsten Werke, welche diese Lehre behandelten, waren: "Arcana coelestia" (Lond. 1749-56, 8 Bde.; hrsg. von Tafel, Tübing. 1833-42, 13 Bde.; deutsch, das. 1842-70, 16 Bde.); "De coelo et inferno" (Lond. 1758; deutsch von Tafel, 3. Aufl., Tübing. 1873); "De nova Hierosolyma et ejus doctrina" (Lond. 1758; deutsch von Tafel, Tübing. 1860); "Apocalypsis explicata" (Lond. 1761; deutsch von Tafel, Tübing. 1824-31, 4 Bde.) und "Vera christiana religio" (Lond. 1771; hrsg. von Tafel, Stuttg. 1857; deutsch von demselben, Tübing. 1855-58, 3 Bde.). Um seinen religiösen Bestrebungen ungestört leben zu können, hatte er schon 1747 seine amtliche Stellung aufgegeben, bezog jedoch eine königliche Pension. Während einer Reise, welche er 1771 im Interesse seiner Lehre unternommen hatte, erkrankte er in London und starb daselbst 29. März 1772. Die Zahl seiner Anhänger (Swedenborgianer) nahm langsam zu; sie verbreiteten sich, wenn auch nur sporadisch, über Schweden, Polen, England und Deutschland; am meisten faßte die "neue Kirche" oder das "neue Jerusalem" (New Jerusalem church) in England festen Fuß, wo es jetzt 50 Gemeinden geben mag, sowie in der neuern Zeit auch in Nordamerika. Vgl. Richer, La nouvelle Jerusalem (Par. 1832-35, 8 Bde.); Tafel, Sammlung von Urkunden über Swedenborgs Leben und Charakter (Tübing. 1839-42, 3 Bdchn.) ; Derselbe, Abriß von Swedenborgs Leben (das. 1845); die Biographien von Schaarschmidt (Elberf. 1862), Matter (Par. 1863) und White (2. Aufl., Lond. 1874), die anonyme Schrift "E. Swedenborgs Leben und Lehre" (Frankf. 1880); Potts, S. Concordance (Lond. 1889, Bd. 1).
Sweepstake (engl., spr. sswihp-stehk), Einsatzrennen, dessen Preis nur aus den Einlagen und Reugeldern der Teilnehmer (mindestens drei) besteht.
Sweersinsel, s. Wellesleyinseln.
Sweet, bei botan. Namen für R. Sweet, Handelsgärtner in London, gest. 1839. Geraniaceen, Cistineen. Flora australasica.
Swell (engl.), s. Dandy.
Swenigorod, Kreisstadt im russ. Gouvernement Moskau, an der Moßkwa, mit (1885) 2288 Einw.
Swenigorodka, Kreisstadt im russ. Gouvernement Kiew, am Fluß Tikitsch, hat 3 griechisch-russische und eine kath. Kirche und (1885) 11,562 Einw.
Swenziany, Kreisstadt im russ. Gouvernement Wilna, eine der ältesten Ortschaften Litauens, hat eine griechisch-russische, eine kath. Kirche und (1885) 8517 Einw. (meist Juden).
Swert, Jules de, Violoncellist und Komponist, geb. 16. Aug. 1843 zu Löwen in Belgien, erhielt von früher Kindheit an gründlichen Unterricht von seinem Vater, der Kapellmeister an der Kathedrale zu Löwen war, und machte schon im 10. Jahr Kunstreisen durch Belgien und Holland, wo er Servais' Aufmerksamkeit erregte und, nachdem er ins Brüsseler Konservatorium eingetreten war, von diesem ausgebildet wurde. 1858 mit dem ersten Preis gekrönt, begab er sich zunächst nach Paris, von da nach Schweden, Dänemark und Deutschland, wo er überall mit glänzendem Erfolg konzertierte, und wurde 1865 in Düsseldorf, später in Weimar, bald darauf aber als Konzertmeister am Hoftheater und zugleich als Lehrer an der Hochschule zu Berlin angestellt. Diese Stellung verließ er Anfang der 70er Jahre, um sich ausschließlich der Komposition zu widmen, und verlegte seinen Wohnsitz nach Wiesbaden. Ende 1888 wurde er zum Professor am königl. Konservatorium zu Gent, zugleich zum Direktor der Musikakademie und Kapellmeister der Kursaal-Symphonie-Konzerte zu Ostende ernannt. Seine bisher in die Öffentlichkeit gedrungenen Werke bestehen in zahlreichen beachtenswerten Arbeiten für sein Instrument (darunter drei Konzerte, eine Violoncelloschule. "Gradus ad parnassum"), einer Symphonie ("Nordseefahrt") und den Opern: "Die Albigenser" (1880, Wiesbaden) und "Graf Hammerstein" (Mainz, 1884).
Swerts, Jan, belg. Maler, geb. 1825 zu Antwerpen, Schüler N. de Keysers daselbst, machte sich um die monumentale Kunst Belgiens dadurch verdient, daß er die Regierung zu einer Ausstellung von Kartons deutscher Meister in Brüssel und Antwerpen (1859) veranlaßte. Mit Godefried Guffens hat er eine Reihe von Wandbildern religiösen und historischen Inhalts geschaffen, welche sich an die Richtung der neudeutschen Klassiker anschließen (näheres s. bei Guffens). Seit 1874 Direktor der Kunstakademie zu Prag, starb er 11. Aug. 1879 in Marienbad.
Sweynheym, Konrad, mit Arnold Pannartz (s. d.) erster Buchdrucker zu Subiaco bei Rom 1464.
Swiaschsk, Kreisstadt im russ. Gouvernement Kasan, an der Mündung der Swiaga in die Wolga, hat einige alte Kirchen und Klöster und (1885) 2883 Einw.
Swiedack, Karl, unter dem Pseudonym Karl Elmar bekannter österreich. Volksdramatiker, geb. 23. Mai 1815 zu Wien, war erst Kaufmann, dann eine Zeitlang Artillerist und versuchte sich endlich als Schauspieler wie auch als Theaterdichter. Sein erstes Stück: "Die Wette um ein Herz" (1841), hatte einen ungewöhnlichen Erfolg. Es folgten dann: "Der Goldteufel", in welchem namentlich der Schauspieler Kunst glänzte, "Dichter und Bauer" und "Unter der Erde", welch letzteres Stück sich auf dem Repertoire erhalten hat. In allen bewährte S. ein glückliches Nachstreben auf der Bahn Raimunds, ebenso nach 1848 in den Dramen: "Des Teufels Brautfahrt" und "Paperl" sowie in den realistisch angelegten Volksstücken: "Unterthänig und unabhängig" und "Liebe zum Volk". Dem Meister Ferdinand Raimund brachte S. seine besondere Huldigung dar in dem gleichnamigen Charakterbild, das sehr gefiel; auch "Das Mädchen von der Spule" und andre Volksstücke bewährten noch seine dichterische Kraft. Als dann das französische Gesangs- und Ausstattungsstück zur Herrschaft kam, zog sich S. von der Bühne zurück und wandte sich der humoristisch-satirischen Journalistik zu. Er starb 2. Aug. 1888 in Wien.
Swieten, Gerard van, Arzt, geb. 7. Mai 1700 zu Leiden, studierte daselbst und in Löwen, ward Professor der Medizin in Leiden, 1745 Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia, Vorsteher der k. k. Bibliothek,
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Swietenia - Swift.
Präsident der medizinischen Fakultät zu Wien, Direktor des Medizinalwesens in der Monarchie und Bücherzensor. Er starb 18. Juni 1772 in Schönbrunn. Er schrieb: "Commentarii in Boerhaavii aphorismos de cognoscendis et curandis morbis" (Leid. 1741-42, 5 Bde.; neue Ausg., Tübing. 1790, 8 Bde.). Vgl. Beer, Friedrich II. und van S. (Leipz. 1873); Fournier, Gerh. van S. als Zensor (Wien 1877); W. Müller, Gerh. van S. (das. 1883). - Sein Sohn Gottfried van S., geb. 1734 zu Leiden, gestorben als Direktor der kaiserlichen Hofbibliothek zu Wien 29. März 1803, war ein vertrauter Freund Haydns und Mozarts und bearbeitete für erstern die Texte zur "Schöpfung" und den "Jahreszeiten".
Swietenia L. (Mahagonibaum), Gattung aus der Familie der Meliaceen, mit der einzigen Art S. Mahagoni L. (gemeiner Mahagonibaum), einem 25-30 m hohen Baum mit weit ausgebreitetem, dicht belaubtem Wipfel, drei- bis fünfpaarig gefiederten Blättern, eirund-lanzettlichen, zugespitzten, lederigen Blättchen, kleinen, weißlichgelben Blüten in reichen axillären Rispen und braunen, faustgroßen Samenkapseln. Dieser in Westindien und auf der Landenge von Panama auf felsigem Boden wachsende Baum liefert das wegen seiner Polierfähigkeit, Härte und Dauer als Furnierholz sehr geschätzte Mahagoniholz. Im Handel unterscheidet man dasselbe teils nach dem Vaterland, teils nach dem Ansehen. Am geschätztesten ist das aus Jamaica, welche Insel aber infolge des schonungslosen Fällens der Bäume jetzt nur noch geringe Quantitäten liefert; das meiste, aber auch geringwertigste, weil schrammige, grobfaserige Holz kommt von den Küsten der Hondurasbai. Härter und schöner gefärbt ist das Mahagoniholz von Haiti, Cuba und den Bahamainseln (das Inselholz geht im Handel als spanisches Mahagoni). Es ist schön braun, dunkelt stark an der Luft, spaltet sehr schwer, spez. Gew. 0,56-0,88, schwindet sehr wenig, nimmt schöne Politur an und verträgt auch gut Temperaturwechsel. Da das Mahagoniholz nicht von Würmern angegriffen wird und im Wasser von ungewöhnlicher Dauer ist, so ist es auch zum Schiffbau sehr geeignet; außerdem dient es zu Lagern für Maschinenbestandteile. Es ist seit dem Ende des 16. Jahrh. in Europa bekannt, wohin es von Trinidad gebracht wurde; aber erst ein Jahrhundert später wurde es für unsern Weltteil Handelsgegenstand. Während die Spanier es schon im 16. Jahrh. zum Schiffbau verwendeten, datiert seine Benutzung als Möbelholz erst von 1724. Die bitter adstringierende Rinde (Amarantrinde) wird in Jamaica gegen Wechselfieber und Durchfälle angewendet und dient auch zur Verfälschung der Chinarinde. Nach Einschnitten liefert der Baum ein Gummi, das als Acajougummi in den Handel kommt. Afrikanisches Mahagoniholz (Madeiramahagoni), s. v. w. Kailcedraholz; weißes Mahagoniholz, das Holz von Anacardium; neuholläindisches Mahagoni, das rote, veilchenartig riechende Holz von einigen Eucalyptus-Arten.
Swift, Jonathan, polit. Satiriker der Engländer, geb. 30. Nov. 1667 zu Dublin, zeigte bereits als Knabe jene Misanthropie und stolze Selbstgenügsamkeit, welche S. als Mann charakterisieren und ihn zu einer der originellsten, aber auch abstoßendsten litterarischen Erscheinungen gemacht haben. Drei Jahre seiner Kindheit brachte er in England zu, kam dann auf die Schule zu Kilkenny, studierte seit 1682 im Trinity College zu Dublin und ward 1688 Sekretär Sir William Temples zu Norr Park in Surrey. Als Temple 1699 starb, gab S. dessen politische Schriften heraus und ging dann als Kaplan des Earl Berkeley, Vizekönigs von Irland, dorthin zurück. Seine Pfarrstelle zu Laracor brachte ihm 400 Pfd. Sterl. jährlich ein. Bis 1710 lebte er daselbst, machte aber alljährlich Besuche in England und zugleich die Bekanntschaft der leitenden Staatsmänner der Whigpartei, welche damals das Ministerium in Händen hatten. Zu gunsten der Whigminister veröffentlichte er 1701 das Pamphlet "A discourse of the contests and dissensions between the nobles and commons of Athens and Rome". 1710 unterhandelte S. im Auftrag des Erzbischofs King, Primas von Irland, über die Abschaffung der seitens der Iren an die englische Regierung zu zahlenden Zehnten, und seine Bemühungen waren so erfolgreich, daß er bei seiner Rückkehr nach Irland mit Glockengeläute empfangen wurde. Indes sehnte er sich nach England zurück, um dem Herde der hohen Politik näher zu sein, und da er bei den Whigs nicht reüssiert hatte, machte er sich kein Gewissen daraus, nunmehr zu den Tories überzugehen und seine frühern Parteigenossen mit noch heftigerer Satire zu befehden als zuvor die Tories. Das Ziel seines Ehrgeizes war ein englischer Bischofsitz; die Minister waren auch nicht abgeneigt, ihm einen solchen zu verschaffen, allein ihre Bemühungen blieben fruchtlos, und S. wurde zu seiner höchsten Enttäuschung nur mit dem Dekanat von St. Patrick in Dublin bedacht. Während seines nun folgenden Aufenthalts in Irland (1714-26) wußte er von neuem den höchsten Grad der Popularität zu erlangen, indem er in heftigen Pamphleten, besonders in den "Drapier's letters" ("Tuchhändlerbriefe", 1723), gegen die englischen Minister die Lage des unglücklichen Landes darlegte, was ihm mannigfache Verfolgungen seitens der Regierung zuzog. Zu seinem Groll über die Vernichtung seiner ehrgeizigen Hoffnungen kam um jene Zeit der tragische Ausgang einer Doppelliebe. S. hatte längst ein inniges Verhältnis mit Esther Johnson (Stella genannt), die er in Sir Temples Haus hatte kennen lernen, faßte dann eine zweite Neigung zu einer andern jungen Dame in London, Esther van Homrigh (Vanessa), der er aber sein Verhältnis zu Stella nicht zu gestehen wagte. Nach der Entdeckung starb Vanessa aus Gram (1723) und einige Jahre später (1728) auch Stella, mit der er sich kurz vorher noch heimlich hatte trauen lassen (vgl. sein "Journal to Stella". deutsch, Berl. 1866). Allmählich schwanden seine Geisteskräfte; er starb 19. Okt. 1745 in Dublin und wurde in der Kathedrale von St. Patrick begraben. Als Schriftsteller wurde S. berühmt durch die zuerst anonym herausgegebenen Schritten: "Battle of the books" (1697) und "The tale of a tub" (1704; deutsch von Boxberger, Stuttg. 1884). Letzteres ist ein beißendes Pasquill gegen Papismus, Luthertum und Calvinismus; in den Abenteuern der drei Helden Peter, Jack und Martin werden die Streitigkeiten jener drei Kirchen veranschaulicht. Die "Bücherschlacht" ist der Form nach eine Art Parodie der Homerischen Schlachten und behandelt eine Frage, die damals das ganze litterarische Europa beschäftigte, nämlich die Überlegenheit der Alten (Griechen und Römer) über die Modernen. S. entschied sich für die erstern und entfaltete dabei, wie im "Märchen von der Tonne", einen Sarkasmus, der ihn zum gefürchtetsten Pamphletisten seiner Zeit machte. Seit 1724 war S. mit der Abfassung seines berühmtesten Werkes: "Travels of Lemuel Gulliver", beschäftigt, das 1726 erschien und allgemein die höchste Bewunderung er-
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Swilajinatz - Swir.
regte, auch in fast alle zivilisierten Sprachen übersetzt wurde. Es enthält in einfacher und natürlicher Sprache und unter der Miene der größten Ernsthaftigkeit eine ergötzliche Satire auf menschliche Thorheit und Schwäche im allgemeinen, mit zahlreichen Schlaglichtern auf die politischen, religiösen und sozialen Zustände des damaligen England, ist aber auch nicht frei von manchem Verletzenden, wozu namentlich die von Swifts Menschenhaß eingegebene Schilderung der Yahoo gehört. Von Schriften sind noch anzuführen: die im Verein mit Pope herausgegebenen "Miscellanies" (1727, 3 Bde.) und die posthume "History of the four last years of Queen Anne". Seine Werke wurden herausgegeben von Hawkesworth (Lond. 1755, 14 Quartbände, Oktavausgabe in 24 Bänden), Sheridan (das. 1784, 17 Bde.), Walter Scott (mit Biographie, das. 1814, 19 Bde.; neue Ausg. 1883, 10 Bde.), Roscoe (das. 1853, 2 Bde.), Purves (das. 1868). Sein Briefwechsel erschien in 3 Bänden (Lond. 1766) und in Auswahl von Lane Pool (das. 1885). Eine Übersetzung der humoristischen Werke lieferte Kottenkamp (Stuttg. 1844, 3 Bde.). Aussprüche von S. sammelte Regis ("Swiftbüchlein", biographisch-chronologisch geordnet, Berl. 1847). Vgl. auch R. M. Meyer, I. S. und G. Lichtenberg (Berl. 1886). Sein Leben beschrieben S. Johnson, Sheridan (Dubl. 1787), Forster (unvollendet; Bd. 1, bis 1711 reichend, Lond. 1875), H. Craik (das. 1882); kürzer L. Stephen (das. 1882).
Swilajinatz, Flecken im serb. Kreis Tschupria, an der Resawa, Sitz des Bezirkshauptmanns, mit Kirche, Untergymnasium und (1884) 4563 Einw. Hier stand die römische Station Idimus.
Swinburne (spr. sswinnbörn), Algernon Charles, engl. Dichter, geb. 5. April 1837 zu Henley an der Themse (Oxfordshire) aus einer ursprünglich dänischen Familie, erhielt seine Bildung in Eton und Oxford und schloß sich schon auf der Hochschule einer Gruppe junger Männer an, die den Zweck verfolgte, die englische Kunst umzugestalten. Ohne seine Universitätsstudien zu beenden, begab er sich dann auf Reisen und brachte einige Zeit in Florenz bei dem greisen Dichter W. Savage Landor zu, welchem er seitdem die größte Bewunderung erwies. Ähnliche Bewunderung hat er immer für Victor Hngo und für Mazzini ausgesprochen. Er trat zuerst 1860 mit den Dramen: "The queen mother" und "Rosamond" auf, die aber kaum Beachtung fanden. Dagegen erregte er bald darauf durch seine von glühender Sinnlichkeit und politischem und religiösem Radikalismus erfüllten, aber vom höchsten Wohllaut getragenen Dichtungen ("Poems and ballads", 1866) einen Sturm ebensowohl ästhetischer Bewunderung wie sittlicher Entrüstung, welch letztere sich so entschieden aussprach, daß S. sich in einer besondern Schrift: "Notes on poems and reviews" (1866), verteidigte, sein Buch aber dem fernern Vertrieb durch den Buchhandel entzog. Gegenwärtig zählt ihn die Kritik, die ihn zuerst niederzuschlagen versuchte, zu den hervorragendsten Erscheinungen der Litteratur Englands. Seine Dramen, deren Stoff bald dem Altertum, bald der neuern Geschichte entlehnt und deren Form teils den Griechen, teils Shakespeare nachgeahmt ist, sind ihres hohen Schwunges, ihrer kraftvollen Schilderung und ihrer reichen poetischen Einbildungskraft ungeachtet teils durch antike Fremdartigkeit, teils durch übermäßige Länge zur Aufführung ungeeignet. Es sind: die Tragödie "Atalanta in Calydon" (1864; deutsch von A. Graf Wickenburg, Wien 1878), die Trilogie "Chastelard" (1865; deutsch von Horn, Brem. 1873), "Bothwell" (1874, 3. Aufl. 1882), "Erechtheus" (1876) und "Mary Stuart" (1881), "Marino Faliero" (1885) und "Locrine", Tragödie (1887). Außerdem hat S. auf dichterischem Gebiet veröffentlicht: "A song of Italy", ein Mazzini gewidmeter dithyrambischer Hymnus in republikanischem Sinn" (1867); "Siena, a poem" (1868); "Ode on the proclamation of the French republic" (Victor Hugo gewidmet, 1870); die vortrefflichen "Songs before sunrise" (1871), die zu seinen reifsten Schöpfungen gehören, und "Songs of two nations" (1875); die "Songs of the springtides" (1875), welche seine "Birthday ode" an Victor Hugo enthalten; zwei neue Folgen von "Poems and ballads" (1878 u. 1889), das epische Gedicht "Tristram of Lyoness" (1882), eine Sammlung lyrisch-didaktischer Gedichte: "A century of roundels (1883), und "A midsummer holiday" (1884). In den "Notes of an English republican on the Muscovite crusade" (1876) trat er Gladstone und seinem russenfreundlichen Anhang mit Wucht entgegen. Ebenso bewährte er sich als scharfer Kritiker in einer Reihe von Schriften, wie: "William Blake" (1868), "Under the microscope", eine Verteidigung gegen die Anklage der Begründung einer "fleischlichen Schule der Poesie" (1872), "George Chapman" (1875), "A note on Charlotte Bronte" (1877), "A study of Shakespeare" (1879), "Studies in song" (1881), "Study of Victor Hugo" (1886), "Miscellanies" (1886) u. a. Eine Sammlung seiner kleinern Prosaschriften erschien unter dem Titel: "Essays and studies" (1875, 3. Aufl. 1888). S. schreibt auch französische Verse und hat den altfranzösischen Dichter Villon durch Übersetzungen in England eingeführt. Vgl. "Bibliography of A. C. S." (Lond. 1887).
Swindon (spr. sswinnd'n), Stadt in Wiltshire (England), hat eine Kornbörse, einen Park, großartige Werkstätten der Westbahn und (1881) 22,374 Einw.
Swinemünde, Stadt im preuß. Regierungsbezirk Stettin, auf der Insel Usedom, an der Mündung der Swine und an der Linie Ducherow-S. der Preußischen Staatsbahn, hat eine evangelische und eine altluther. Kirche, eine altkatholische Kapelle, ein israelitisches Bethaus, einen Hafen (Vorhafen von Stettin), welcher an der Seeseite durch einige Forts befestigt ist, einen Leuchtturm, elektrische Straßenbeleuchtung, ein Amtsgericht, ein Hauptzollamt, ein Lotsenkommando, ein Seebad (1887: 3941 Badegäste), lebhafte Schiffahrt, Fischerei und (1885) mit der Garnison (ein Füsilierbat. Nr. 34 und ein Bat. Fußartillerie Nr. 2) 8626 meist evang. Einwohner. Im Hafen von S. liefen 1886 beladen ein: 557 Schiffe von 270,114 Ton., aus: 240 Schiffe von 71,462 T. S. besaß 1887: 26 Schiffe von 4245 T. Der Ort wurde 1748 von Friedrich d. Gr. an Stelle des Dorfs Westswine angelegt und erhielt 1765 Stadtrechte. In der Nähe der Ziroberg mit Aussichtsturm.
Swinton (spr. sswinnt'n), Stadt im westlichen Yorkshire (England), 8 km nordöstlich von Rotherham, hat Glashütten und Töpfereien und (1881) 7612 Einw.
Swinton mit Pendlebury (spr. péndelböri), Fabrikstadt in Lancashire (England), unfern Manchester, mit Baumwollmanufaktur, Ziegeleien und (1881) 18,107 Einw.
Swir, schiffbarer Fluß im russ. Gouvernement Olonez, der Abfluß des Onegasees in den Ladogasee, ist 214 km lang und gehört zu dem großen Wassersystem, welches die Newa mit der Wolga und dem Weißen Meer verbindet, indem er zunächst das Verbindungsglied zwischen dem Tichwinschen Kanal-
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Swischtow - Sydenham.
system und dem Marienkanalsystem bildet. Der Swirkanal führt aus dem S. in den Sjas.
Swischtow (Sistov), Kreishauptstadt in Bulgarien, rechts an der Donau, zwischen Nikopoli und Rustschuk, hat Baumwollweberei, Gerberei, Schifffahrt, Handel, Weinbau und (1887) 12,482 Einw. Hier 30. Dez. 1790 Friedenskongreß und 4. Aug. 1791 Definitivfriede zwischen Österreich und der Türkei. 1810 durch die Russen zerstört und durch Auswanderung vieler Bulgaren herabgekommen, gelangte S. erst durch die Donaudampfschiffahrt zu neuer Blüte. Am 22. Juni 1877 gingen die Russen von Zimnitza nach S. über die Donau und schlugen darauf eine Schiffbrücke bei S., über welche ihre Armee in Bulgarien einrückte.
Swjatoi-Noß, niedriges Vorgebirge im ruff. Gouvernement Archangel, auf der Halbinsel Kola, westlich am Eingang in das Weiße Meer.
Swod Sakonow (russ., "Sammlung von Gesetzen"), russisches Gesetzbuch, enthaltend das in den Ukasen gegebene Recht; publiziert 1833 und seitdem wiederholt herausgegeben.
Syagrius, letzter röm. Statthalter in Gallien, Sohn des Ägidius, der seit 461 Beherrscher eines Landstrichs im nordwestlichen Gallien mit der Hauptstadt Soissons gewesen war, erbte nach des Vaters Tod 476 jenes Gebiet, erweiterte dasselbe und be-herrschte es, bis er 486 von dem Frankenkönig Chlodwig bei Soissons besiegt und hingerichtet wurde.
Sybaris, berühmte, von Achäern und Trözenern um 720 v. Chr. gegründete griech. Pflanzstadt in der Landschaft Chonia (Lukanien), am Tarentinischen Meerbusen, gelangte durch die Fruchtbarkeit ihres Gebiets und ihren blühenden Handel bald zu bedeutender Macht und Größe. Zu ihrem Gebiet gehörte zur Zeit ihrer Blüte die ganze Westhälfte des spätern Lukanien, doch ist ihre Geschichte ziemlich unbekannt. Infolge ihres großen Reichtums ergaben sich die Bewohner (Sybariten) einem so üppigen und weichlichen Leben, daß das "Sybaritenleben" sprichwörtlich wurde. Nachdem die Stadt 510 von den Krotoniaten zerstört worden, legten 443 die Reste der vertriebenen Sybariten, durch neue Kolonisten aus Griechenland (darunter Herodot und der Redner Lysias) verstärkt, weiter landeinwärts von der zerstörten Stadt eine neue an, die sie nach einer nahen Quelle Thurii nannten. Hannibal ließ dieselbe 204 plündern; 194 wurde sie römische Kolonie. Die Zeit ihres Untergangs ist nicht bekannt. Im Winter 1887/88 hat die italienische Regierung mit der Ausgrabung der Ruinen von S. begonnen.
Sybel, Heinrich von, deutscher Geschichtschreiber, geb. 2. Dez. 1817 zu Düsseldorf, studierte in Berlin, namentlich von Ranke angeregt, Geschichte, habilitierte sich 1841 als Privatdozent der Geschichte zu Bonn, ward 1841 Professor daselbst und 1846 in Marburg. Er war 1848-49 Mitglied der hessischen Ständeversammlung und 1850 des Erfurter Staatenhauses, ward 1856 Professor in München, 1857 Mitglied der dortigen Akademie und 1858 Sekretär der Historischen Kommission. Seit 1861 Professor in Bonn, war er 1862-64 Mitglied des preußischen Landtags, in welchem er namentlich die polnische Politik Bismarcks tadelte, ward 1867 nationalliberales Mitglied des konstituierenden Reichstags des Norddeutschen Bundes, 1874 wieder Mitglied des Abgeordnetenhauses, in welchem er auf Grund seiner Erfahrungen am Rhein besonders die Ultramontanen bekämpfte, 1875 Direktor der Staatsarchive in Berlin, 1876 Mitglied der dortigen Akademie und 1878 Geheimer Oberregierungsrat. Sein Abgeordnetenmandat legte er 1880 nieder. Er veranlaßte die "Publikationen aus den preußischen Staatsarchiven", die Herausgabe der "Politischen Korrespondenz Friedrichs d. Gr.", die Gründung der preußischen historischen Station und ward Mitglied der Direktion der "Monumenta". Er schrieb: die durch kritische Schärfe und geistvolle Darstellung ausgezeichnete "Geschichte des ersten Kreuzzugs" (Düsseld. 1841, 2. Aufl. 1881); "Die Entstehung des deutschen Königtums" (Frankf. 1844, 2. Aufl. 1881), über welche er mit Waitz in eine lange litterarische Fehde geriet; "Geschichte der Revolutionszeit von 1789 bis 1795" (Marb. 1853-58, 3 Bde.; 4. Aufl., Düsseld. 1877), welche auf Grund eingehender Studien die französische Revolution namentlich im Zusammenhang mit der damaligen europäischen Politik beleuchtet, S. aber wieder in einen heftigen Streit mit Hüffer, Herrmann und Vivenot verwickelte, da S. die preußische Politik, besonders den Baseler Frieden, verteidigte, dagegen die österreichische Politik seit 1792 scharf verurteilte. Es folgten: die "Geschichte der Revolutionszeit von 1795 bis 1800" (Düsseldorf 1872-74, 2 Bde.; 2. Aufl. 1878-79); "Die deutsche Nation und das Kaiserreich" (das. 1862). Seine "Kleinen historischen Schriften" (Münch. 1863-81, 3 Bde.) enthalten auch seine vorzüglichen Vorträge. 1856 gründete er die noch unter seiner Leitung stehende "Historische Zeitschrift". S. ist ein ebenso gründlicher, methodischer Forscher wie glänzender, wirkungsvoller Darsteller.
Syceesilber (Sissisilber), hochfeines (0,960) Silber in schuhähnlichen Barren (daher shoes), dient in China als Tausch- und Zahlungsmittel für den größern Verkehr. Das große Sissi wiegt 50, das kleine 7,10 oder 19 Taels.
Sydenham (spr. ssíddenhäm), eine der südlichen Vorstädte Londons, an der Grenze der Grafschaften Kent und Surrey, berühmt durch den 1853-54 von Sir Joseph Paxton errichteten Glaspalast (Crystal Palace), bei dessen Bau die Materialien (ausschließlich Glas und Eisen) des 1851 im Hyde Park erbauten Ausstellungsgebäudes Verwendung fanden. Nachdem das nördliche Querschiff 30. Dez. 1866 durch eine Feuersbrunst zerstört worden, hat der Bau eine Gesamtlänge von 324 m. Das Mittelschiff ist 22 m breit und 32 m hoch, das mittlere Querschiff 118 m lang, 36,5 m breit und 51,2 m hoch. Vier Galerien laufen um dasselbe herum. Am westlichen Ende steht das Händel-Orchester mit Raum für 4000 Künstler und einer Orgel mit 4598 Pfeifen. Ein Konzertsaal und Theater schließen sich an dasselbe an. Im nördlichen Teil des Palastes findet man Nachbildungen verschiedener Baustile, meist in verjüngtem Maßstab, als: einen ägyptischen Tempel, griechische und römische Wohnhäuser, einige Räumlichkeiten der Alhambra und Höfe im byzantinischen, gotischen und italienischen Stil. Das ehemalige "tropische Departement" ist leider ein Raub der Flammen geworden. Südlich vom Händel-Orchester liegen vier sogen. Industrial courts, für den Verkauf von Glas, Kurzwaren, Kunstgegenständen etc., und die Nachbildung eines pompejanischen Hauses. Im südlichen Querschiff befinden sich ein von reizenden Blumenbeeten umgebener Springbrunnen, eine Sammlung ethnologischer Modelle, Abgüsse einiger der berühmtesten Bildhauerwerke der Welt etc. Die geräumigen Galerien bieten Raum für eine Gemäldeausstellung, Lesezimmer, Verkaufsbuden etc. Im Unterstock endlich liegt ein Aquarium. Großartig sind auch die Gartenanlagen und die Wasserkünste, welche alle ähnlichen Werke weit
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Sydenham - Sydow.
übertreffen; der bedeutendste Wasserstrahl erreicht eine Höhe von 75 m. Der Kristallpalast, dessen Baukosten sich auf 1 1/2 Mill. Pfd. Sterl. beliefen, ist Eigentum einer Privatgesellschaft und wird jährlich von über 2 Mill. Menschen besucht.
Sydenham (spr. ssídenhäm), Thomas, Arzt, geb. 1624 zu Windford-Eagle in Dorsetshire, studierte seit 1642 zu Oxford und London, erwarb dann in Oxford das Bakkalaureat, promovierte in Cambridge und ließ sich als Arzt in London nieder. Er gilt Paracelsus gegenüber, welcher immer nur umzustürzen bestrebt war, als der "positive" Reformator der praktischen Medizin. Die Bedeutung der Thatsachen und direkten Beobachtungen stellte er obenan; die Krankheiten faßte er auf als Prozesse, die Symptome derselben als etwas rein Äußerliches, das nach der Konstitution wechseln kann; er suchte namentlich die verschiedenen Krankheitsformen bestimmt abzugrenzen, zunächst um für die Anwendung spezifischer Heilmittel sichere Anhaltspunkte zu gewinnen. Hierbei geriet er jedoch in eine rein ontologische Auffassung hinein, die ihn sogar dahin bringt, die Krankheiten nach einem botanischen Schema zu klassifizieren. S. huldigte im allgemeinen einer energischen Therapie, in welcher China und Opium und namentlich der Aderlaß eine hervorragende Rolle spielten. Er starb 29. Dez. 1689. Gesammelt erschienen seine durchweg in lateinischer Sprache abgefaßten Schriften als "Opera omnia" London 1685 (zuletzt, das. 1844; in engl. Übersetzung, das. 1848-50, 2 Bde.; deutsch, Wien 1786-87, 2 Bde.). Vgl. Jahn, Sydenham (Eisenach 1840); Brown, Locke and S. (Edinb. 1866).
Sydney (spr. ssíddni), 1) Hauptstadt der britisch-austral. Kolonie Neusüdwales, am südlichen Ufer des Port Jackson und 6 km vom Stillen Ozean, unter 33° 51' südl. Br. und 151° 11' östl. L. v. Gr. Die Stadt ist mit Ausnahme des ältesten Teils regelmäßig angelegt, hat Gas- und Wasserleitung, Dampftrambahnen und besitzt viele schöne Bauten, wie die Universität, die anglikanische und die katholische Kathedrale, den Palast des Gouverneurs, die 13 Bankgebäude, Börse, Generalpostamt, Rathaus, Museum, Regierungsgebäude, 5 Theater. Von den öffentlichen Anlagen sind der schöne botanische Garten, die "Domäne", Hydepark, Prince Alfred-Park u. a. zu nennen, mit Statuen Sir Richard Bourkes, Cooks und Prinz Alberts. Die Stadt hatte 1800 erst 200, Ende 1887 aber mit den Vorstädten bereits 348,695 Einw., welche schon lebhafte Industrie treiben. Es bestehen großartige Leder-, Schuhzeug- und Wollzeugfabriken, 50 Kleiderfabriken, große Dampftischlereien, Wagen- und Maschinenbauaustalten, Eisengießereien, Brauereien etc. Auf mehreren mit allen modernen Hilfsmitteln ausgerüsteten Werften mit Docks werden große Dampfer gebaut. Eine nach dem Innern führende Eisenbahn verzweigt sich wenige Kilometer von der Stadt. Der Hafen ist vorzüglich, die größten Schiffe können an den Kais anlegen; 1887 liefen ein: 1665 Schiffe von 2,109,830 Ton. Zum Hafen von S. gehören 576 Segelschiffe von 63,121 T. und 403 Dampfer von 47,675 T. S. ist Endstation für die Postdampfer des Norddeutschen Lloyd, der Messageries maritimes, der großen englischen Postdampferlinien durch den Suezkanal und über San Francisco nach Europa und vieler andrer Dampfergesellschaften. Von Bildungsanstalten besitzt S. außer einer Universität mit 3 theologischen Seminaren mehrere höhere Schulen, eine Kunstschule mit Bibliothek von 25,000 Bänden und Museum, öffentliche Bibliothek mit 70,000 Bänden, Handwerkerinstitut mit 20,000 Bänden. Es erscheinen 6 Zeitungen täglich, 15 wöchentlich, 10 monatlich. Die Stadt hat zahlreiche Wohlthätigkeitsanstalten und ist Sitz des Gouverneurs, des Parlaments und der Regierung, eines katholischen Erzbischofs und eines englischen Bischofs, des obersten Gerichtshofs, eines deutschen Berufskonsuls (für Australien und die Südsee) und eines Konsuls, einer Handelskammer u. Münzstätte. Stadt und Hafen sind durch eine Reihe von Forts geschützt; außer einem Freiwilligenkorps besitzt die Stadt kein Militär, ist aber Hauptquartier für die neun britischen Kriegsschiffe der australischen Station. -
Situationsplan von Sydney
2) Hauptort von Cape Breton Island (s. d.).
Sydow, 1) Karl Leopold Adolf, protestant. Theolog, geb. 23. Nov. 1800 zu Charlottenburg, einer der treuesten Schüler Schleiermachers, wurde 1836 zum Hofprediger in Potsdam, 1846 zum Prediger an der Neuen Kirche in Berlin berufen. Von Friedrich Wilhelm IV. nach England zur Beobachtung der dortigen kirchlichen Zustände geschickt, gab er ein von der Königin Viktoria veranlaßtes Gutachten über die schottische Kirchentrennung heraus: "Die schottische Kirchenfrage" (Potsd. 1845). Bekannt ist er namentlich durch die infolge eines 12. Jan. 1872 im Unionsverein von ihm gehaltenen Vortrags: "Über die wunderbare Geburt Jesu" (gedruckt in der Sammlung "Protestantischer Vorträge", Berl. 1873), gegen ihn eingeleitete Disziplinaruntersuchung geworden, die 5. Juli 1873 mit einem "geschärften Verweis" endete (vgl. darüber die von S. veröffentlichten "Aktenstücke", 2. Aufl., Berl. 1873). Bald darauf trat er in den Ruhestand und starb 22. Okt. 1882. Sein Leben beschrieb seine Tochter Marie S. (Berl. 1883).
2) Emil von, hervorragender Geograph, geb. 15. Juli 1812 zu Freiberg in Sachsen, trat 1830 als Leutnant in die preußische Armee, ward 1843 als Mitglied der Militärexaminationskommission nach Berlin berufen, wo er später auch Vorlesungen an der Kriegsakademie hielt, lebte 1855-60 in Gotha und starb 13. Okt. 1873 in Berlin als Oberst und Abteilungschef im Nebenetat des Großen Generalstabs. Seine Aufsätze und kritischen Arbeiten über Kartographie in "Petermanns Mitteilungen", seine zahlreichen Kartenwerke: "Wandkarten", "Methodischer Hand-
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Syene - Sylt.
atlas" (4. Aufl., Gotha 1867; neu bearbeitet von H. Wagner, 2. Aufl. 1889), "Schulatlas in 42 Blättern" (28. Aufl., das. 1876), "Hydrographischer Atlas" u.a., ebenso seine Aussätze in den "Mitteilungen", "Unsere Zeit" und namentlich in militärischen Zeitschriften sind zu ihrer Zeit von großem Wert gewesen. Auch veröffentlichte S.: "Grundriß der allgemeinen Geographie" (Gotha 1862, 1. Abt.) und "Übersicht der wichtigsten Karten Europas" (Berl. 1864). Vgl. "Emil v. S., ein Nachruf" (Berl. 1874).
Syene, Stadt, s. Assuân.
Syenit, gemengtes kristallinisches Gestein, in seinen typischen Varietäten aus Orthoklas und Hornblende bestehend. Mit dem Granit (s. d.) ist der S. vermittelst Übergänge, welche durch Zurücktreten der Hornblende und Ausnahme von Quarz und Glimmer hervorgerufen werden, eng verknüpft (Syenitgranit). Neben Orthoklas tritt mitunter gleichzeitig auch Oligoklas in das Gemenge, der sich dann von dem Orthoklas häufig durch leichtere Verwitterbarkeit und dadurch bedingte Trübung unterscheidet. Von accessorischen Bestandteilen ist außer Magneteisen, Eisenkies, gediegenem Kupfer und Kupferverbindungen als besonders charakteristisch Titanit aufzuführen. S. besitzt gewöhnlich mittelkörnige Struktur; eine porphyrartige entsteht, wenn einzelne Orthoklase in großern Individuen entwickelt sind, schieferige durch lagenweise Verteilung der Hornblende oder auch des Glimmers in den granitischen Varietäten. Absonderungsformen sind selten, doch kennt man von einzelnen Lokalitäten kugelige und säulenförmige, erstere namentlich bei beginnender Verwitterung hervortretend. Die mittlere chemische Zusammensetzung schwankt zwischen 50-62 Proz. Kieselsäureanhydrid, 15-20 Thonerde, 6-14 Eisenoxydul, 1-6 Magnesia, 4-9 Kalk, 2-5 Natron und 3-7 Proz. Kali. Das spezifische Gewicht ist 2,7 bis 2,9. Hinsichtlich der Altersverhältnisse und der Hypothesen über Bildung des Syenits ist auf das, was über Granit gesagt worden ist, zu verweisen. Die Verwitterung des Syenits führt häufig zur Blockbildung, deren Residua, lokal aufgehäuft, sogen. Felsenmeere darstellen. Eins der berühmtesten ist dasjenige bei Auerbach an der Bergstraße (s. Felsberg). Als letztes Produkt der Verwitterung bildet sich ein ockergelber eisenschüssiger Lehm, oft mit Splittern von Hornblende oder mit aus derselben entstandenen Chloritschüppchen gemengt. Dem Vorkommen nach ist der S. gewöhnlich wiederum mit granitischen Gesteinen eng verknüpft. Besonders entwickelt ist er in Sachsen (Umgegend von Dresden und Meißen), Thüringen, im Odenwald, in Mähren, Norwegen, Irland und Nordamerika. Er dient, wie schon im alten Ägypten, zu architektonischen Zwecken, Säulen, Obelisken, Vasen etc. Sein Magneteisengehalt, infolge von natürlichen durch Anlage von Fanggruben unterstützten Schlämmungsprozessen lokal aufgehäuft, versieht am Vitosgebirge in der Türkei eine kleine Eisenindustrie mit Erz. Verwandte Gesteine, teilweise nur als lokale Varietäten des Syenits zu betrachten, sind: der Monzonit (nach dem Berg Monzoni in Südtirol so genannt), aus Orthoklas, Oligoklas u. Augit, accessorisch auch Hornblende, bestehend ; der Zirkonsyenit Norwegens und Grönlands, welcher neben Orthoklas und Hornblende Eläolith (s. Nephelin) und Zirkon führt und sich im Gegensatz zu dem normalen S. durch seinen Reichtum an accessorischen Bestandteilen (mehr als 50 zum Teil sehr seltene Mineralspezies) auszeichnet; der Foyait (vom Berg Foya in Portugal), aus Orthoklas, Hornblende und Eläolith zusammengesetzt; der Miascit (von Miask im Ilmengebirge), von Orthoklas, Glimmer und Eläolith, mitunter auch Sodalith, gebildet.
Syenitgranit (Hornblendegranit), s. Granit und Syenit.
Syke, Kreisstadt im preuß. Regierungsbezirk Hannover, an der Linie Wanne-Bremen der Preußischen Staatsbahn, hat eine evang. Kirche, ein Amtsgericht, Schweinehandel und (1885) 1118 Einw.
Sykomore, s. v. w. Maulbeerfeigenbaum, s. Ficus, auch s. v. w. Platane und gemeiner Bergahorn.
Sykophanten (griech.), in Athen diejenigen, welche jemand wegen verbotener Ausfuhr von Feigen denunzierten; sodann die Denunzianten, welche ein Gewerbe daraus machten, durch Androhung von falschen Anklagen, Verleumdungen und Schikanen aller Art die Begüterten zu brandschatzen. Die strengsten Strafen vermochten in der Zeit der politischen Entartung das Unwesen nicht auszurotten.
Sykosis, s. Bartfinne.
Sylburg, Friedrich, Philolog, geb. 1536 zu Wetter bei Marburg, lehrte an den Schulen zu Neuhaus bei Worms und zu Lich in der Wetterau, ward 1582 Korrektor bei dem Buchdrucker Wechel in Frankfurt a. M., 1591 bei Commelin in Heidelberg und Bibliothekar der Universität daselbst; starb dort 17. Febr. 1596. Er war ein eifriger Förderer des Griechischen. Seine Ausgaben des Pausanias, Aristoteles, Dionysios von Halikarnaß, Clemens von Alexandria, des "Etymologicum magnum" u. a. sind ausgezeichnet durch Genauigkeit der kritischen Methode. Auch bearbeitete er des Clenardus "Institutiones linguae graecae" (Frankf. 1580) und war Mitarbeiter des H. Stephanus am "Thesaurus linguae graecae". Vgl. F. G. Jung, Lebensbeschreibung Fr. Sylburgs (Berleburg 1745); Creuzer, Opuscula selecta, S. 196 ff.
Syllabarium (lat.), ABC-Buch.
Syllabieren, Buchstaben, richtiger: Laute, zusammen in Silben aussprechen; syllabisch, silbenweise. Syllabiermethode, wobei nach Aussprechen der einzelnen Buchstaben die einzelnen Silben und zuletzt die ganzen Wörter ausgesprochen werden, wie es z. B. in den Anstalten Pestalozzis geschah.
Syllabus (griech.), Verzeichnis; bekannt besonders der der päpstlichen Encyklika vom 8. Dez. 1864 beigegebene S., eine Aufzählung und Verdammung aller mit der streng römischen Auffassung nicht verträglichen Prinzipien und Formen des modernen Lebens (s. Pius 9).
Syllepsis (griech., "Zusammenfassung"), Zusammenziehung zweier Silben in eine; auch grammatische Figur, durch welche ein Prädikat auf zwei oder mehrere Subjekte bezogen wird, die in Bezug auf Person, Numerus und Genus verschieden sind (s. Zeugma).
Syllogismus (griech.), in der Logik der einfache Schluß, in welchem die Gültigkeit eines Urteils (Schlußsatz) durch zwei andre (Vordersätze oder Prämissen) begründet wird. S. Schluß.
Sylochelidon, Raubseeschwalbe, s. Seeschwalbe.
Sylphen (griech.), im System des Paracelsus Elementargeister, deren Wohnort die Luft war, und die zum Dienste der Menschen bereit waren. Ein solcher war z. B. Oberon (s. d.). Sylphiden heißen die weiblichen Luftgeister.
Sylt (Silt, v. altfries. Silendi, "Seeland"), Insel in der Nordsee, zum Kreis Tondern der preuß. Provinz Schleswig-Holstein gehörig, 12-22 km von der schlesischen Küste entfernt, ist von N. nach Sü-
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Sylva - Symbiose.
den 36 km lang, 1-14 km breit und zählt 3410 Einw. Der nördliche Teil der Insel heißt List, die südliche Halbinsel Hörnum. In der Mitte ragt gegen SO. in das Wattenmeer ("Haff") eine breite Halbinsel hinein, deren äußerste Spitze Nösse heißt. Sandklittern oder Dünen erfüllen die südliche Halbinsel, ebenso die nördliche Hälfte der nördlichen Halbinsel, während der mittlere Hauptteil, auf der Tertiärformation aufgebaut (Morsumkliff am Wattenmeer, Rotes Kliff an der Seeseite), Geest- und Marschland enthält, von denen das letztere sich durch Absetzung von Schlamm in das Wattenmeer hinein beständig vergrößert, während auf der Seeseite Stürme und die Wellen der Nordsee der Insel ebenso stetig Abbruch thun, so daß die teilweise bis 30 m hohen Sandberge, in beständiger Wanderung begriffen, immer mehr landeinwärts rücken. Im Januar 1300 wurde der Flecken Wenningstadt an der Westküste, 1362 das Dorf Steidum von den Fluten verschlungen. Die wichtigsten Orte auf S. sind: Keitum (s. d.) mit 853 Einw., Tinnum mit Amtsgericht und 162 und Morsum mit 671 Einw. auf der östlichen, Rantum auf der südlichen Halbinsel mit 260, Westerland (s. d.) an der See mit Seebad, Krankenisolierhaus und 899 und Norddörfer mit 295 Einw. Ein Leuchtturm befindet sich auf einem Hügel südlich von Kampen, Leuchtfeuer an verschiedenen Stellen der Küste. Die Bewohner sind Friesen, nur in List Dänen; Kirchen-, Unterrichts- und Gerichtssprache war von jeher deutsch. In der Nähe des Lenchtturms wurden neuerlich altheidnische Grabstätten von bedeutendem Umfang aufgefunden. S. ward im Krieg von 1864 durch den dänischen Kapitän Hammer schwer heimgesucht, von den Preußen aber 13. Juli in Besitz genommen. Seitdem hat die preußische Regierung größere Summen zum Schutz der Westseite der Insel gegen die gefahrdrohenden Abspülungen durch das Meer verwendet. Der Besuch des Seebades ist in steter Zunahme begriffen. Regelmäßige Dampferverbindungen finden von Hoyer nach Keitum statt, von wo jetzt aus Munkmarsch eine Dampfstraßenbahn nach Westerland führt. Ferner hat S. Dampferverbindung mit Hamburg über Helgoland. Vgl. Hansen, Die nordfriesische Insel S. (Leipz. 1859); Meyn, Geologische Beschreibung der Insel S (Berl. 1876); Kunkel, Der Kurort S. und seine Heilwirkung (Kiel 1878); Hepp, Wegweiser auf S. (3. Aufl., Tondern 1885).
Sylva (lat.), s. Silva.
Sylva, Carmen, Pseudonym der Königin Elisabeth von Rumänien (s. Elisabeth 10).
Sylvanerz, Sylvanit, s. v. w. Schrifterz (s. d.).
Sylvester, s. Silvester.
Sylvester, James Joseph, Mathematiker, geb. 3. Sept. 1814 zu London, studierte in Cambridge, wurde 1837 Professor der Physik am University College in London, 1840 Professor der Mathematik an der Universität von Virginia, 1855 an der Militärakademie in Woolwich, 1870 an der John Hopkin's University in Baltimore und 1883 Professor der Geometrie in Oxford. Er erfand mehrere geometrische Instrumente, wie den Plagiographen, den geometrischen Fächer etc., 1885 veröffentlichte er die "Theorie der Reciprozienten", durch welche die frühern Hilfsquellen der modernen Algebra mehr als verdoppelt wurden. S. stellte auch eine Theorie der Verifikation auf.
Sylvesterorden, s. Goldener Sporn.
Sylvia, Grasmücke.
Sylviidae (Sänger), Familie der Sperlingsvögel (s. d.); Sylviinae, echte Sänger.
Sylvin (Hövellit, Schätzellit), Mineral aus der Ordnung der einfachen Haloidsalze, kristallisiert tesseral, findet sich meist in körnigen oder stängeligen Aggregaten, auch derb und eingesprengt, ist farblos oder gefärbt, glasglänzend, durchsichtig, Härte 2, spez. Gew. 1,9-2,0, besteht aus Chlorkalium und findet sich in größter Menge in linsenförmigen Einlage-rungen von 3-5 cm Dicke und 2-4 m Länge im salzführenden Thon bei Kaluschin und wird hier bergmännisch gewonnen. In Staßfurt findet sich S. im Kieserit, auch kommt er als vulkanisches Sublimat am Vesuv vor. Er dient zur Darstellung von Kalisalzen.
Sylvius, 1) Jacob (Dubois), Anatom, geb. 1478 zu Amiens, studierte in Paris, hielt dort bis zu seinem Tod 1555 unter großem Beifall anatomische Vorlesungen und bereicherte die Anatomie durch wichtige Entdeckungen und Erfindungen. Nach ihm sind die Sylviussche Grube und die Sylviussche Wasserleitung im Gehirn (s. d., S. 2) benannt. Seine "Opera medica" erschienen in Genf 1630.
2) Franz, Mediziner, s. Boe.
3) Pseudonym, s. Texier 2).
Symbiose (griech.), nach einem von dem Botaniker A. de Bary eingeführten Kunstausdruck das engere Zusammenleben mehrerer, gewöhnlich zweier Lebewesen verschiedener Art, die einander wechselseitig nützen und zusammen besser gedeihen als jeder der Genossenschafter für sich. Der letztere Umstand unterscheidet die S. vom Parasitismus, bei welchem der Schmarotzer (s. d.) einseitig Vorteil zieht und der Wirt einzig Nachteil hat. Einen Übergang zwischen beiden Verhältnissen macht das durch I. van Beneden als Mutualismus bezeichnete Verhältnis, bei welchem z. B. Hautschmarotzer ihrem Wirte durch Verzehren von Hautabfällen und Absonderungsprodukten Säuberungsdienste leisten, ein näheres Ineinanderleben und gegenseitiges Anpassen aber nicht stattgefunden hat. Man kann drei Hauptfälle der S. unterscheiden: 1) zwischen Pflanzen unter sich, 2) zwischen Tieren unter sich und 3) zwischen Tier und Pflanze. Von dem Zusammenleben zweier niederer Pflanzen geben die aus Pilzen und einzelligen Algen bestehenden Flechten (s. d.) das lehrreichste und am längsten bekannte Beispiel; die Algen bereiten dabei im Licht Nahrungsstoffe aus der Luft, während die davon mitzehrenden Pilzfäden Nahrung aus der Unterlage ziehen und eine geeignete, Feuchtigkeit zurückhaltende Hülle bilden. Ein andres derartiges Beispiel bietet die Mycorhiza (s. d.). Zu der S. zwischen Tieren gehört als das am längsten bekannte Beispiel das Wohnen des Muschelwächters (Pinnoteres veterum), einer kleinen Krabbenart, in den Schalen der Steckmuscheln (Pinna). Die Alten glaubten, der an der Schalenöffnung liegende Krebs benachrichtige das Muscheltier durch Kneipen mit den Scheren von nahender Gefahr oder Beute und erhalte dafür seinen Anteil an der letztern. Sicherer festgestellt ist der gegenseitige Vorteil bei dem oft geschilderten "Freundschaftsverhältnis" der Einsiedlerkrebse mit den Aktinien oder Seerosen, die sich auf den von jenen bewohnten Schneckenhäusern ansiedeln. Denn die Seerosen sind wegen der von ihnen ausgeschleuderten Nesselorgane gefürchtete Meerestiere, die dem namentlich von Sepien verfolgten Einsiedlerkrebs Schutz gewähren und dafür von ihm an günstige Beuteplätze geführt werden sowie auch dreist zulangen, wenn der Krebs ein gutes Beutestück erwischt hat. Man hat in Aquarien festgestellt, daß Krebse, die man aus ihren mit Seerosen besetzten Schalen vertrieben, auch die befreundete
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Symbiotes - Symbolik.
Seerose zur Übersiedelung veranlassen. Dagegen gehört das Besetzen der Schalen andrer Krebsarten mit Schwammtieren, Polypen und Algen mehr unter den Gesichtspunkt des Maskierens (s. d.). Von den Landbewohnern hat besonders das Wohnen vieler Tiere in Ameisennestern zahlreiche Studien veranlaßt. Manche Käfer, wie der blinde Keulenkäfer (Claviger), bringen ihre ganze Lebenszeit im Ameisennest zu und werden von den Einwohnern sorgsam gepflegt und behütet, andre, wie der bekannte Rosengoldkäfer, verleben nur ihre Larvenzeit bei den Ameisen; die Brut gewisser Blattläuse wird im Winter dort aufgenommen. Wahrscheinlich sind die meisten dieser sehr mannigfachen Gäste der Ameisen denselben durch ihre Absonderungen angenehm, wie dies von den Blattläusen, den "Milchkühen" der Ameisen, bekannt ist, andre mögen die Abfälle fressen, und noch andre, zu denen sowohl zahlreiche Insekten als selbst Amphibien und Vögel gehören, sind wohl nur geduldete Genossen. Von besonderm Interesse ist die S. zwischen Pflanzen und Tieren, weil dadurch dauernde organische Veränderungen sowohl in der äußern Gestalt und Färbung als in der Lebensweise hervorgebracht und neue Arten gezüchtet wurden. Dabei kann nun entweder die Pflanze oder das Tier als Quartiergeber auftreten. Schon längst hatte man im Körper sowohl der Protisten, wie z. B. der Radiolarien , als in demjenigen wirbelloser Tiere gewisse gelbe, bräunliche oder grüne Zellen entdeckt, die denselben, da sie meist nahe an der Oberhaut liegen, ihre gelbliche, bräunliche oder grünliche Hautfarbe geben, ohne daß man über ihre eigentliche Bedeutung für das Leben klar wurde. Ihre Rolle wurde um so unverständlicher, als Häckel Stärkemehl in ihnen nachwies, und endlich wurde durch die Untersuchungen von Geza Enz, O. Hertel, Brandt u. a. nachgewiesen, daß es sich um einzellige Algen handelt, die in die Körper von Protisten, Süßwasserpolypen, Seeanemonen und Korallen, Seewürmern, Quallen und andern Tieren eindringen, in dem durchsichtigen Gewebe derselben Nahrungsstoffe bilden, sich vermehren und auch isoliert weiterleben. Daher haben diese durch einzellige Algen gefärbten Wassertiere die Gewohnheit, ihren Körper zeitweise dem Sonnenschein oder hellem Tageslicht auszusetzen, und scheiden dann einen Überschuß von Sauerstoff, wie Pflanzen, aus, obwohl die Tiere sonst Sauerstoff als Atmungsstoff verbrauchen. Im beständigen Dunkel gehalten, siechen diese Tiere dahin, weil sie von den in ihrem Körper lebenden und nunmehr absterbenden Algen sowohl Sauerstoff als auch zubereitete Nahrung empfingen. Da die Tiere ihrerseits Kohlensäure und andre Stoffe ausscheiden, von denen die Algen leben, so ist hier im engsten Bezirk ein Austausch und Kreislauf der Lebensstoffe hergestellt, wie er sonst erst im weitern Umkreis zwischen der Gesamtheit der Tiere und Pflanzen stattfindet. Unter den umgekehrten Fällen, in denen die Pflanzen ihnen nützlichen Tieren Obdach und Nahrung darbieten, ist die Gegenseitigkeit und das Ineinanderleben bei Pflanzen und Ameisen am auffallendsten. In den Tropen bedürfen zahlreiche Pflanzen einer beständigen Schutzwache von Ameisen gegen die Angriffe der sogen. Blattschneider- oder Sonnenschirmameisen, welche die Blätter niedriger Pflanzen und Bäume rauben und in wenigen Stunden ganze Baumwipfel entlauben. Pflanzen und Bäume können sich ihrer nur erwehren, indem sie gewissen kleinen, mit einem Stachel bewaffneten Ameisen, welche die grimmigsten Feinde der erstern sind, Wohnung und Kost gewähren. Die sogen. Ochsenhornakazie und andre Akazienarten beherbergen sie in ihren vergrößerten hohlen Dornen, die Armleuchterbäume (Cecropia-Arten) in den hohlen Internodien des Stammes, an denen sich eine besondere Durchbruchsstelle für die Weibchen ausgebildet hat, noch andre Pflanzen in beulen- oder blasenförmigen Austreibungen des Stammes, der Äste oder Blattstiele. In neuerer Zeit sind sehr zahlreiche, gewissen Ameisen ständige Wohnung bietende Pflanzen bekannt geworden, und man hat auch angefangen, gewisse Wucherungen und Haarbüschel in den Nervenwinkeln der Blätter (z. B. unsrer Linden) für ähnliche, den Milben als Wohnung dienende Gebilde ("Acaro-Domatien") anzusehen. Im weitern Sinn würden hierher auch alle die zahllosen gegenseitigen Anpassungen der Blüten an Insektenbesuch und der Insekten an Honig- und Pollenraub gehören (s. Blütenbestäubung). Vgl. de Bary, Die Erscheinung der S. (Straßb. 1879); O. Hertwig, Die S. (Jena 1883); Huth, Ameisen als Pflanzenschutz (Berl. 1886); Derselbe, Myrmekophile und myrmekophobe Pflanzen (das. 1887); Schimper, Die Wechselbeziehungen zwischen Pflanzen und Ameisen im tropischen Amerika (Jena 1888).
Symbiotes, s. Milben, S. 606.
Symblepharon (griech.), Verwachsung des Augenlides mit dem Augapfel, entsteht meist durch ausgedehnte Verbrennungen oder Ätzungen der Bindehaut und muß operativ beseitigt werden.
Symbol (griech., lat. symbolum), Erkennungs- oder Merkzeichen; daher auch s. v. w. Parole, meist aber gleich Sinnbild (s. d.) gebraucht. Im heidnischen Kultus war S. ein für den Geheimdienst gewähltes Sinnbild, besonders eine Formel oder ein Merkwort, woran sich die in die Mysterien Eingeweihten erkannten; daher in der christlichen Kirche s. v. w. Sakrament und insbesondere die sinnlichen Zeichen, welche bei den Sakramenten gebraucht werden (Wasser, Brot, Wein); endlich auch s. v. w. Glaubensbekenntnis, als Erkennungszeichen der zu einer Religionspartei Gehörigen (s. Symbolische Bücher).
Symbolik (griech.), Wissenschaft und Lehre von den Symbolen (Sinnbildern), insbesondere den religiösen. Die S. lehrt uns, den hinter einem Zeichen oder Sinnbild verborgenen tiefern Sinn erkennen, welchem etwas Geistiges, Unsichtbares oder Undarstellbares zu Grunde liegt. Der Ursprung der S. ist auf die Hieroglyphen- oder Bilderschrift der alten Ägypter zurückzuführen, von denen sie durch Vermittelung der Juden auf die ältesten Christen übergegangen ist. Die Ägypter symbolisierten ihre Götter durch Tiere, Verbindungen von menschlichen und tierischen Gestalten oder Gliedern, Hieroglyphen oder durch mystische Zeichen, welche sich auf ihren Kult bezogen. So ist z. B. die geflügelte Sonnenscheibe das Symbol des Siegs des Guten über das Böse, der Sperber das Sinnbild des Horus, die Uräusschlange das Zeichen der königlichen Würde. Die ältesten Christen bedienten sich der Sinnbilder, um sich durch nicht jedermann verständliche Zeichen vor Verfolgungen zu schützen. Sie entnahmen dieselben sowohl dem Tier- und Pflanzenreich als dem Alten und Neuen Testament. Das Lamm war z. B. das Symbol für den Opfertod Christi, das Kreuz und der Gute Hirt für Christus selbst, der Weinstock das Sinnbild der christlichen Verheißung und die Palme das Siegeszeichen der Märtyrer. Die Zahlensymbolik gehörte im Altertum mehr zur Astrologie; doch gab es auch bei Juden, Heiden und Christen gewisse heilige Zahlen. Die Sieben war z. B. die heilige Zahl der
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Symbolik - Symbolische Bücher.
Juden (siebenarmiger Leuchter), und die Christen deuteten sie später auf die sieben letzten Worte am Kreuz, auf die sieben Sakramente, die sieben Werke der Barmherzigkeit etc. Die Drei war das Zeichen der heiligen Dreieinigkeit und der drei christlichen Tugenden (Glaube, Liebe, Hoffnung), die Vier das Symbol der vier weltlichen Tugenden, der vier Elemente etc., die Fünf das Sinnbild der Wundenmale Christi. Die Tiersymbolik wurde im Mittelalter sehr umständlich ausgebildet, indem namentlich die naturwissenschaftlichen Lehrbücher, die sogen. Bestiarien (s. Bestiaire), gewisse Tiere zu Vertretern besonderer Eigenschaften, Tugenden und Lastern machten, für welche sie von der bildenden Kunst als Symbole benutzt wurden. Die vier Evangelisten hatten schon frühzeitig ihre Symbole (Matthäus einen Engel, Markus einen Löwen, Lukas einen Ochsen, Johannes einen Adler). Der Löwe war das Sinnbild der Stärke und des Edelmuts, der Adler das der königlichen Würde, der Pfau das des Hochmuts, das Einhorn das der Unschuld, der Hund das der Treue, das Schwein das der Völlerei etc. Auf mittelalterlichen Grabsteinen ist der Löwe sehr häufig das Attribut der Männer, der Hund das der Frauen. Die geläufigsten Tier- und Pflanzensymbole wurden auch von der Kunst der Renaissance übernommen und haben sich bis auf die Gegenwart in der Kunst und im Gebrauch des gewöhnlichen Lebens erhalten. So sind z. B. Kreuz, Herz und Anker die Symbole von Glaube, Liebe und Hoffnung. Neben der Tier-, Pflanzen- und Zahlensymbolik gibt es noch eine Farbensymbolik, die ebenfalls alten Ursprungs ist. Weiß gilt als Symbol der Unschuld, Grün als das der Hoffnung, Blau als das der Treue, Rot als das der Liebe etc. Vgl. Creuzer, S. und Mythologie der alten Völker (3. Aufl., Leipz. 1836-43, 4 Bde.); Bahr, S. des mosaischen Kultus (Heidelb. 1837-39, 2 Bde.; Bd. 1, 2. Aufl. 1874); Münter, Sinnbilder der alten Christen (Altona 1825); Piper, Mythologie und S. der christlichen Kunst (Weim. 1847-51, 2 Bde.); W. Menzel, Christliche S. (Regensb. 1854, 2 Bde.). Im engern Sinn versteht man unter S. oder symbolischer Theologie diejenige Disziplin, welche sich mit den kirchlichen Bekenntnisschriften und deren Lehrinhalt unter beständiger Vergleichung der Lehrbegriffe der verschiedenen Kirchen und Konfessionen beschäftigt. Je nachdem bei der Aufstellung und Beleuchtung dieser Gegensätze das rein historische oder das dogmatisch-polemische Interesse vorwaltet, ist die S. ein integrierender Teil der Dogmengeschichte, oder sie fällt mit der Polemik (s. d.) zusammen. Eine S. aller christlichen Kirchenparteien lieferten: Marheineke (Heidelb. 1810-14, 3 Bde.; 1848), Winer (4. Aufl. von P. Ewald, Leipz. 1882), Köllner (Hamb. 1837-44, 2 Bde.), Guericke (3. Aufl., Leipz. 1861), Matthes (das. 1854), Hofmann (das. 1857), Plitt (Erlang. 1875), Reiff (Basel 1875), Öhler (Tübing. 1876), Scheele (Upsala 1877 ff.; deutsch, 2. Aufl., Leipz. 1886, 3 Bde.), Wendt ("S. der römisch-katholischen Kirche", Gotha 1880 ff.), Philippi (Gütersl. 1883), Graul ("Die Unterscheidungslehren der verschiedenen christlichen Bekenntnisse", 11. Aufl., Leipz. 1884) und namentlich der katholische Theolog Möhler (s. d.), dessen Werk eine große Reihe protestantischer Entgegnungen, besonders von Nitzsch und Baur, hervorgerufen und das Interesse an der katholisch-protestantischen Streitsache neu belebt hat, während die hierher gehörigen Untersuchungen von Matth. Schneckenburger (s. d.) neue Bahnen für das Verständnis der innerprotestantischen Lehrgegensätze eröffnet haben.
Symbolische Bücher, Schriften, durch welche eine Kirche den Glauben, an dessen Bekenntnis ihre Mitglieder sich teils untereinander erkennen, teils von andern religiösen Genossenschaften unterscheiden, urkundlich bezeugt. Schon die alte katholische Kirche legte ihren Taufbekenntnissen den aus der Mysteriensprache entlehnten Namen Symbol bei, da ja auch die Taufe als ein Mysterium galt. Die theologischen Streitigkeiten des 4. und der folgenden Jahrhunderte mußten die Zahl der Symbole noch erhöhen, und dreien von ihnen, dem sogen. Apostolischen (s. d.), dem Nicäisch-Konstantinopolitanischen (s. d.) und dem sogen. Athanasianischen (s. d.), verschafften als sogen. allgemeinen oder ökumenischen Symbolen die weltliche Macht der Kaiser und das Ansehen der Konzile absolute Geltung in der Kirche. Die Reformatoren des 16. Jahrh. haben diese allgemeinsten Grundlagen der christlich-katholischen Weltanschauung nicht angetastet; zugleich machte sich jedoch das Bedürfnis geltend, ein gemeinsames Bekenntnis des evangelischen Glaubens abzulegen und die Unterscheidungslehren, welche zur Trennung von der römischen Kirche geführt hatten, klar und bestimmt hinzustellen. In den auf Luthers Tod folgenden theologischen Streitigkeiten wurde das Unterschreiben derselben insbesondere für die Geistlichen obligatorisch, namentlich seit 1580 beim Erscheinen des Konkordienbuchs von den sich dazu bekennenden Fürsten und Ständen bestimmt ausgesprochen worden war, daß bei der darin enthaltenen Lehre allenthalben beharrt werden sollte. Gleichwohl tauchte schon im 17. Jahrh. der Gedanke auf, daß die Verpflichtung auf s. B. eine unevangelische Beschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit sei; das folgende Jahrhundert regte die Frage an, ob man die Geistlichen auf sie verpflichten solle, nicht "weil" (quia), sondern "inwiefern" (quatenus) sie mit der Heiligen Schrift übereinstimmten, und mit der letztern Formel behalf sich namentlich der Rationalismus. In unserm Jahrhundert gewann der Grundsatz, daß sich die Geistlichen streng an die Lehrformen der symbolischen Bücher zu halten hätten (Symbolzwang), besonders in Norddeutschland neue Geltung. Selbst wo, wie in Preußen, die Union herrscht, will man doch bald in der Augsburgischen Konfession, bald in dem sogen. Apostolikum eine unantastbare Autorität erkennen, ohne welche eine die Gemüter der Gemeinden verwirrende Lehrwillkür einreißen müsse. Die Gegner des Symbolzwanges machen geltend, daß derselbe den Protestantismus im Prinzip bedrohe und durch Aufhebung der Lehrfreiheit (s. d.) den Fortschritt in der Wissenschaft beeinträchtige; sie wollen daher den protestantischen Geistlichen nur eine pietätvolle, von pädagogischem Takt geleitete Berücksichtigung der symbolischen Bücher und ihres Lehrgehalts zur Pflicht gemacht wissen. Fast bei allen kirchlichen Streitigkeiten der neuern Zeit stand die Frage des Symbolzwangs im Vordergrund. Über die symbolischen Bücher der verschiedenen christlichen Religionsparteien s. die besondern Artikel: Glaubensbekenntnis, Griechische Kirche, Römisch-katholische Kirche, Lutherische Kirche, Reformierte Kirche etc. Vgl. Schleiermacher, Über den eigentlichen Wert und das bindende Ansehen symbolischer Bücher (Frankf. 1819); Johannsen, Die Anfänge des Symbolzwanges unter den deutschen Protestanten (Leipz. 1847); Scheurl, Sammlung kirchenrechtlicher Abhandlungen, Abteil. 1 (Erlang. 1872); Winer, Komparative Darstellung des Lehrbegriffs der verschiedenen christlichen Kirchenparteien (4. Aufl. von Ewald, Leipz. 1882).
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Symi - Sympathie.
Symi (im Altertum Syme, türk. Sumbeki), kleine türk. Insel an der Südwestküste Kleinasiens, 79 qkm (1,43 QM.) groß mit der Stadt S., die angeblich 16,000 ausschließlich christliche Einwohner zählt, welche berühmte Schwammfischer sind.
Symmachie (griech.), Schutz- und Trutzbündnis, von den griechischen Staaten untereinander geschlossen und zwar meist so, daß ein mächtigerer (z. B. Athen) die Hegemonie hatte. Berühmt ist namentlich die S. (Seebund) Athens mit den Städten und Inseln des Ägeischen Meers 476-404 v. Chr.
Symmachus, 1) von Geburt ein Samaritaner, später Jude, vielleicht auch Christ, verfaßte eine griechische Übersetzung des Alten Testaments.
2) Quintus Aurelius, röm. Redner und Epistolograph, um 340-402 n. Chr., bekleidete unter Theodosius d. Gr. wichtige Staatsämter, wie die Präfektur 384 und das Konsulat 391, und war ein unerschrockener Vorkämpfer des sinkenden Heidentums, dem jedoch selbst seine christlichen Gegner wegen der Reinheit seines Lebens und seiner Gelehrsamkeit die Achtung nicht versagen konnten. Außer drei unvollständigen Lobreden auf Valentinian I. und dessen Sohn Gratian aus dem Jahr 369 und Bruchstücken von fünf Senatsreden besitzen wir von ihm eine für die Kenntnis der Zeit und Persönlichkeit des Verfassers nicht unwichtige Briefsammlung in zehn Büchern, deren letztes wie bei Plinius die amtliche Korrespondenz (relationes) des S. und seines Sohns mit den Kaisern enthält. Eine treffliche Gesamtausgabe seiner Schriften besorgte Seeck (in den "Monumenta Germaniae historica", Bd. 6, Berl. 1883).
3) Cölius, Papst seit 498, aus Sardinien gebürtig, ließ 502 auf einer Synode zu Rom jede Einmischung von Laien in die Angelegenheiten der römischen Kirche verpönen und starb 19. Juli 514.
Symmelie (griech.), Verwachsung von Gliedern; angeborne Mißbildung, die an einfachen und Doppelmißbildungen angetroffen wird, meist an nicht lebensfähigen. Das gewöhnlichste Beispiel der S. ist die Sirenenbildung (s. d.).
Symmetrie (griech.), das Ebenmaß oder die Übereinstimmung bei der Anordnung der Teile eines Ganzen in Hinsicht auf Maß und Zahl. Die S. zeigt sich besonders darin, daß sich das Ganze in zwei hinsichtlich der Anordnung des Einzelnen übereinstimmende Hälften teilen läßt. S. in diesem Sinn zeigt in der anorganischen Natur die Kristallform, im Pflanzenreich namentlich die Bildung der Blüten und Früchte, vorzugsweise aber der Körper der höhern Tierklassen, bei welchem im normalen Zustand die gleichen oder ähnlichen Teile an jeder Hälfte dieselbe Stelle einnehmen. Die Wahrnehmung dieser S. oder ebenmäßigen Anordnung der gleichartigen Teile wird durch Hervorhebung eines Mittel- oder Augenpunkts unterstützt und erleichtert. Doch ist diese strenge S. keineswegs bei allen Kunstwerken zu beobachten, da sie oft den Eindruck des Steifen, Unnatürlichen und Gezwungenen hervorbringen würde, wie in der Stellung und Gruppierung der Figuren in der Malerei und Plastik, bei Anordnung theatralischer Szenen etc. Am meisten eignet sie sich für die Architektur, indem das mangelnde symmetrische Verhältnis der einzelnen Teile eines Bauwerks einen mehr oder weniger störenden Eindruck hervorbringt. In der Gartenkunst, wo früher ebenfalls symmetrische Anordnung üblich war, ist dieser Zwang durch Auskommen der sogen. englischen Anlagen, welche die Natur nachzuahmen suchen, meist beseitigt worden. Vom meßbaren Räumlichen ist der Ausdruck S. auch auf zeitliche Verhältnisse übertragen worden, doch ist hier der Ausdruck Eurhythmie zutreffender (vgl. Rhythmus). In der Mathematik ist S. die Übereinstimmung der Teile eines Ganzen untereinander. Symmetrisch ist z. B. jeder Kreis, jede Ellipse, jede Parabel und Hyperbel gebildet, auch jedes gleichseitige Dreieck, Viereck etc. Symmetrische Funktionen mehrerer unbestimmter Größen, z. B. a, b, c, sind algebraische Ausdrücke, worin jene Größen alle auf ganz gleiche Art vorkommen, so daß man sie beliebig miteinander vertauschen kann, ohne daß dadurch der Wert des Ausdrucks geändert wird: a+b, ab+ac+bc.
Symmikta (griech., "Vermischtes"), Titel für Sammlungen von allerhand Aufsätzen etc.
Sympathetisch (sympathisch, griech.), mitleidend, mitfühlend, auf Sympathie (s. d.) beruhend, seelenverwandt, gleichgestimmt.
Sympathetische Kuren, Heilungen von Krankheiten, die nicht durch die Einwirkung von Arznei- oder andern allgemein bekannten Heilmitteln, sondern durch eine geheimnisvolle Kraft solcher Körper geschehen, die mit dem Kranken oft gar nicht in unmittelbare Berührung zu kommen brauchen. Als die hier wirksame Kraft nahm man eine Sympathie des Menschen- oder Tierkörpers mit Geistern, Sternen, andern Menschen, Tieren, Pflanzen, Steinen an, wofür man jedoch die Beweise schuldig blieb. Man hängt dem Kranken Amulette um, nimmt mit gewissen Gegenständen Handlungen vor, die auf den entfernten Kranken einwirken sollen, oder "bespricht" die kranke Stelle durch Beschwörungen und Gebete. Die Wirksamkeit aller sympathetischen Mittel ist nicht nur nicht erwiesen, sondern auch im höchsten Grad unwahrscheinlich; doch ist der Glaube an die Heilkraft derselben im Volk noch überaus verbreitet. Die Wirksamkeit sympathetischer Kuren, wenn eine solche überhaupt vorhanden ist, scheint vornehmlich darauf zu beruhen, daß in dem Kranken der feste Glaube erweckt werde, daß das Mittel helfen werde; denn durch diesen wird die Hoffnung auf Genesung und dadurch die Lebensthätigkeit des Organismus, die "Naturheilkraft", angeregt, durch welche dann die Krankheit überwunden wird, wenn dies überhaupt möglich ist. Am leichtesten wird dies bei Krankheiten geschehen, die im Nervensystem oder im Seelenleben ihren Sitz haben. S. K. feiern namentlich auch in solchen Fällen Triumphe, bei welchen oft eine plötzliche Heilung ohne äußeres Zuthun erfolgt. So sieht man häufig Warzen in ganz kurzer Zeit vollständig verschwinden, und wenn gegen dieselben vorher zufällig eine sympathetische Kur angewandt worden war, so erscheint dem urteilslosen Beobachter deren Wirksamkeit erwiesen
Sympathetisches Gefühl, s. Mitgefühl.
Sympathetische Tinte, s. Tinte.
Sympathie (griech., "Mitempfindung"), unwillkürliche und daher grundlos scheinende Zuneigung zu andern, auch wohl zu lebendigen oder leblosen Gegenständen, die entweder physiologische (angeborne S.) oder psychologische (entstandene S.) Gründe haben und im letztern Fall auf ganz zufälligen und deshalb den Schein der Grundlosigkeit der S. erzeugenden Assoziationen beruhen kann (vgl. Antipathie). In der Physiologie versteht man unter S. (consensus) die Eigenschaft eines Organismus, vermöge deren durch die gesteigerte oder herabgestimmte Thätigkeit eines Organs auch die eines andern gesteigert oder herabgestimmt wird. Diese Erscheinung wird durch das Nervensystem, das Gefäßsystem oder das Zellgewebe vermittelt, und zwar wirkt das erstere
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Sympathikus - Symphoricarpus.
besonders durch psychische Vermittelung oder Reflex. Zu den Erscheinungen der S. rechnet man die Ausbildung der Stimme mit eintretender Mannbarkeit, die gleichzeitige Steigerung der Thätigkeit der Leber, Speicheldrüsen, des Pankreas etc. zur Zeit der Verdauung, das Niesen bei Einwirkung von Licht auf das Auge etc. Häufiger aber werden die Erscheinungen der S. in Krankheiten beobachtet. So ruft die Erkrankung des einen Auges eine "sympathische" Affektion des andern hervor. Vorzugsweise schreibt man derartige Verbindungen dem Sympathikus zu. Andre Arten der Übertragung von Krankheiten, welche früher auch wohl unter den Gesichtspunkt der S. fielen, werden zur Metastase gerechnet. Vgl. Idiopathie und Sympathetische Kuren.
Sympathikus (sympathischer Nerv, Eingeweide- oder sympathisches Nervensystem), derjenige Teil des Nervensystems, welcher die unwillkürlichen Thätigkeiten des sogen. vegetativen Lebens regelt und so im Gegensatz zu dem animalen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) steht. Die zu ihm gehörigen Nerven verzweigen sich hauptsächlich an den Eingeweiden. Auch bei niedern Tieren findet sich vielfach ein S. vor, steht aber immer mit dem animalen Nervensystem an irgend einer Stelle in Zusammenhang. Letzteres ist auch bei den Wirbeltieren der Fall, doch wird die Verbindung nicht direkt mit dem Gehirn oder Rückenmark, sondern mit den Rückenmarksnerven getroffen. Zu beiden Seiten der Wirbelsäule (s. Tafel "Nerven des Menschen II", Fig. 5) verläuft nämlich je ein Strang, der sogen. Grenzstrang oder Stamm des S., welcher aus einer Kette von Ganglien besteht, von Wirbel zu Wirbel durch einen feinen Nerv mit dem benachbarten Rückenmarksnerv verbunden ist und mit dem Steißbeinknoten endet. Vom Grenzstrang gehen dann die peripherischen Nerven des S. aus und vereinigen sich in der Nähe der größern Eingeweide zu Geflechten, in welche, wie überhaupt in den Verlauf dieser Nerven, zahlreiche kleinere Ganglien eingelagert sind. Ein besonders großes Geflecht dieser Art ist der Plexus solaris, das Sonnengeflecht, das unmittelbar unter dem Zwerchfell liegt. Die Herznerven des S. entspringen bei den höhern Wirbeltieren vom Hals. Auch im Kopf liegen sympathische Ganglien und Geflechte, so z. B. in den Speichel- und Thränendrüsen. Die Endungen der sympathischen Nervenfasern in den von ihnen versorgten Organen (Herz-, Darm-, Harn-, Geschlechtswerkzeuge etc.) sind noch wenig bekannt. Gewöhnlich treten sie an die glatten Muskelfasern heran und veranlassen deren vom Willen unabhängige Zusammenziehungen. Da sie auch die Muskulatur in den Wandungen der Blutgefäße als sogen. Gefäßnerven (s. d.) innervieren, so verengern sie durch ihre Thätigkeit deren Weite und sind daher von großem Einfluß auf den Blutzufluß , somit auf die Ernährung der Organe.
Sympathisch (griech.), s. Sympathetisch.
Sympathische Färbung, s. Schutzeinrichtungen.
Sympathisieren (franz.), mit jemand gleich empfinden, gleiche Neigung haben.
Sympetalae (griech.-lat.), s. Monopetalen.
Symphonie (griech., ital. Sinfonia), ein in Sonatenform geschriebenes Werk für großes Orchester. Das griechische Symphonia ("Zusammenklang") ist im Altertum Bezeichnung für das, was wir jetzt Konsonanz der Intervalle nennen. Als zu Anfang des 17. Jahrh. in Florenz sich die Oper entwickelte, erhielt die (sehr kurze) Instrumentaleinleitung den Namen S., welcher jedenfalls auch schon den Instrumentalstücken der im Madrigalenstil komponierten Pastorales eigen war. Die S. entwickelte sich zunächst besonders in der neapolitanischen Oper. Ihre Vorgeschichte ist durchaus die der Ouvertüre (s. d.), welche bekanntlich außer in Frankreich auch den Namen S. weiterführte. Je ausgeführter ihre Form wurde, desto mehr eignete sie sich zum Vortrag als selbständiges Stück (sie wurde dann zur Kammermusik gerechnet, da Orchestermusik als deren Gegensatz noch nicht existierte); um die Mitte des vorigen Jahrhunderts begannen die Komponisten (Grétry, Gossec, Sammartini, Stamitz, Cannabich) besondere Symphonien für allmählich vergrößertes Orchester zu schreiben und trennten die drei bis dahin noch lose zusammenhängenden Teile der Ouvertüre. Haydn vollendete die Form durch Übertragung der indes durch D. Scarlatti und Ph. E. Bach entwickelten Form des Sonatensatzes, welcher seinerseits erst kurz vorher von der Ouvertüre den Gegensatz mehrerer Themen angenommen hatte; Haydn war es auch, der zwischen den langsamen und den Schlußsatz das Menuett einschob (ebenfalls im Anfchluß an die Sonate). Viel höher aber steht noch das Verdienst Haydns, die Orchesterinstrumente nach ihrer Klangfarbe individualisiert zu haben; damit hat er erst die S. zu dem gemacht, was sie heute ist. Was Mozart und besonders Beethoven hinzugebracht haben, ist hauptsächlich die Verschiedenheit ihrer eignen Natur: der jovialere Haydn scherzt und neckt in seinen Symphonien, der sinnige Mozart schwärmt, und der finstere, leidenschaftliche Beethoven grollt oder reißt mit sich fort. Zudem hat Beethoven das Orchester erheblich vergrößert (vgl. Orchester). Eine Neuerung von ihm ist auch die Ersetzung des Menuetts durch das Scherzo sowie in der neunten S. die Einführung des Chors und die Umstellung der Sätze Adagio und Scherzo, die seitdem mehrfach nachgeahmt wurde. Beethoven hat den Inhalt der S. im ganzen bedeutungsvoller, die tiefsten Tiefen des Seelenlebens ergreifend gestaltet, die einzelnen Sätze zu längerer Dauer ausgeführt und dem Finale statt der rondoartigen mehr eine an Form und Charakter dem ersten Satz nahekommende Gestalt gegeben. Die Symphoniker seit Beethoven haben die Form nicht mehr weiter zu entwickeln vermocht; nichtsdestoweniger würde es ein arger Fehlschluß sein, wollte man sie als ausgelebt ansehen; die Symphonien von Schumann, von Brahms und Raff beweisen, daß sie noch zur Füllung mit immer neuem Inhalt tauglich sein wird. Die symphonischen Dichtungen der neuesten Zeit (Berlioz, Liszt, Saint-Saëns) sind nicht eigentliche Fortbildungen der Form der S.; der Gedanke ist schon dadurch ausgeschlossen, daß sie eine eigentliche definierbare Form überhaupt nicht haben. Sie gehören zur Kategorie der sogen. Programmmusik (s. d.), deren wesentlichste Repräsentanten sie sind. Die Programmmusik ist aber eine gemischte Kunstform, deren Gestaltungsprinzipien nicht musikalischer, sondern poetischer Natur sind; in erhöhtem Maß gilt das natürlich von der S. mit Chören (Symphoniekantate, franz. Ode-symphonie), zu welcher Gattung Beethovens neunte S. nur bezüglich ihres letzten Satzes gehört.
Symphonische Richtung, s. Symphonie und Programmmusik.
Symphoricarpus Juss. (Schneebeere), Gattung aus der Familie der Kaprifoliazeen, Sträucher mit kurzgestielten, rundlichen oder eiförmigen, ganzrandigen Blättern, kleinen, weißen oder rötlichen Blüten in kurzen, achselständigen Trauben oder Ähren und eiförmiger oder kugeliger, zweisamiger Beere. Sechs
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Symphosius - Synandrisch.
nordamerikanische und mexikanische Arten, von denen S. racemosa Mich. in Nordamerika, mit weißen, sehr schwammigen Beeren, als Zierstrauch kultiviert wird.
Symphosius (Symposius), röm. Dichter aus dem 4. bis 5. Jahrh. n. Chr., Verfasser einer Sammlung von 100 Rätselgedichten von je drei ziemlich reinen Hexametern (bei Riese, "Anthologia latina", Bd. 1, Leipz. 1869, und Bährens, "Poetae latini minores", Bd. 4, das. 1882). Vgl. Paul, De Symposii aenigmatibus (Berl. 1854).
Symphysis (griech.), feste, knorpelige Verbindung zwischen zwei Knochen, z. B. S. ossium pubis, Schambeinfuge.
Symphytum L. (Schwarzwurzel, Beinwurzel, Beinwell), Gattung aus der Familie der Asperifoliaceen, ausdauernde, meist borstig behaarte Kräuter mit starken Wurzeln, abwechselnden, ganzen, manchmal am Stengel weit herablaufenden Blättern, daher geflügelten Stengeln, in Wickelähren gestellten, röhrenförmigen Blüten und glatten Nüßchen. Etwa 16 Arten in Europa, Nordafrika, Westasien. S. asperrimum Bieb., auf dem Kaukasus, mit stachlig behaarten Blättern und schönen, erst purpurnen, dann himmelblauen Blüten, findet sich als Zierpflanze in Gärten und ist als treffliches Viehfutter empfohlen worden. S. officinale L. (Schwarzwurz, Wallwurz), mit spindeliger, ästiger, außen schwarzer Wurzel, aufrechtem, 30-90 cm hohem, ästigem, steifhaarigem Stengel, runzeligen, rauhhaarigen, lang herablaufenden Blättern und gelblichweißen und violettroten Blüten, auf feuchten Wiesen, an Ufern der Flüsse im größten Teil von Europa, war früher offizinell. S. asperrimum (kaukasische Comfrey) wird als perennierende Futterpflanze gebaut; sie liebt einen warmen, zeitweise feuchten und fruchtbaren Lehmboden, eignet sich aber auch vorzüglich, vegetationsarme Landstrecken mit minder gutem Boden allmählich unter beschattende Pflanzendecke zu bringen. Sie liefert bereits im zweiten Jahr ihrer Anpflanzung vier starke Schnitte mit einem Gesamtertrag von 7500 kg pro Hektar. Der Nährwert des Krauts kommt dem des Klees sehr nahe. Dasselbe eignet sich nicht zur Heubereitung, liefert aber gutes Sauerfutter.
Symplegaden (Insulae Cyaneae), zwei kleine Felsen an der Mündung des Thrakischen Bosporus in den Pontus Euxinus, die der Sage zufolge früher fortwährend aneinander stießen und alle dazwischen hinsegelnden Schiffe zertrümmerten, bis sie seit der Argonautenfahrt auf des Orpheus Saitenspiel unbeweglich stehen blieben.
Symploke (griech., "Verknüpfung"), Wortfigur, die Verbindung von Anaphora und Epiphora (s. d.), z. B. bei Fragen, welche mit demselben Wort beginnen, und auf welche dieselbe Antwort erfolgt: Was ist der Thoren höchstes Gut? Geld! Was verlockt selbst den Weisen? Geld! Was schreit die ganze Welt? Geld!
Sympodium (Scheinachse), s. Stengel, S. 288.
Symposion (griech.), s. v. w. Trinkgelage (s. d.); auch Titel zweier Dialoge des Platon und Xenophon.
Symptom (griech.), Anzeichen, eine Erscheinung, aus deren Auftreten man schließt, wie etwas steht; insbesondere Krankheitszeichen, d. h. die Erscheinungsform, unter welcher sich eine Krankheit äußert. Gelbsucht ist z. B. das S., unter dem sich mannigfache Krankheiten des Darms oder der Leber äußern, Fieber ist S. sehr zahlreicher ansteckender Krankheiten. Aus der Deutung der Symptome ergibt sich die Diagnose. Symptomatologie, Lehre von den Krankheitssymptomen (s. Semiotik).
Symptomatische Mittel, s. Palliativ.
Synagoge (griech.), das Gotteshaus der Israeliten, wie es sich in und nach dem babylonischen Exil aus Versammlungen zur Feststellung aller Lebensverhältnisse nach und nach zum Bethaus ohne Opferkultus entwickelt hat, und dessen zur Zeit Esras teilweise schon eingeführte Gebetordnung noch heute die Grundlage des jüdischen Gottesdienstes bildet. In allen ansehnlichen Städten Judäas waren schon im 1. Jahrh. nach Esra Räumlichkeiten, wo allsabbatlich und an den Festtagen, später am zweiten und fünften Tag der Woche, den Markt- und Gerichtstagen, anfänglich in freier Auswahl, dann nach festgesetzter Reihenfolge ein Abschnitt aus dem Pentateuch und bald auch ein Prophetenabschnitt (Haftara) vorgelesen und in Gemeinschaft gebetet wurde. Auch außerhalb Palästinas, wo Jerusalem allein 480 Synagogen besessen haben soll, gab es viele und schöne Synagogen; als größte wird die in Alexandria erwähnt. Neben dem Bethaus befand sich oft das Lehrhaus; nicht selten wurde das höhere Studium in jenem selbst betrieben, was den Namen Judenschule für S. veranlaßte. Seit dem 5. Jahrh. fanden hinsichtlich der Anlegung und der Anzahl derselben vielfache beschränkende Gesetze statt. Die wesentlichsten Bestandteile jeder S. sind: dem Eingang gegenüber die die Gesetzrollen enthaltende heilige Lade (Aron Hakodesch), Repräsentant der ehemaligen Bundeslade; daneben ein Leuchter, dem siebenarmigen Leuchter des Tempels entsprechend; in der Mitte die Almemor oder Bimah genannte Estrade, für die Vorlesungen bestimmt, und das ewige Licht. Männer und Frauen sitzen gesondert. Zur Abhaltung der öffentlichen Andacht sind mindestens zehn über 13 Jahre alte männliche Israeliten erforderlich (Minjan). Die Gebete und biblischen Lektionen verrichtet der Vorbeter; Vorträge an Sabbaten und Festtagen hält der Rabbiner oder der Prediger. In neuerer Zeit hat die Orgel in vielen Synagogen Eingang gefunden und ist neben der hebräischen die Landessprache mehr in Aufnahme gekommen. - S. in anderm Sinn heißt zuweilen auch die Judenheit, als Gegensatz zur Christenheit (ecclesia). Die große S. (kenesseth hagdolah) nennen talmudische und rabbinische Quellen eine aus 120 Gelehrten bestehende Versammlung, welche unter dem Präsidium Esras die religiösen Angelegenheiten ordnete; geschichtlich ist aber darunter nur eine von Esra bis auf Simon den Gerechten (gestorben um 292 v. Chr.) reichende Thätigkeit der Schriftgelehrten, die sich auf Redaktion der biblischen Bücher, Feststellung und Weiterbildung des mündlich überlieferten Gesetzstoffes der Tradition, auf kulturelle Einrichtungen und Ähnliches bezog, zu verstehen.
Synalöphe (griech., "Verschmelzung"), die Vereinigung zweier Silben, namentlich in zwei aufeinander folgenden Wörtern, entweder durch die Krasis (s. d.) oder durch die Elision (s. d.).
Synandrae, Ordnung im natürlichen Pflanzensystem Brauns unter den Dikotyledonen, Sympetalen, mit regelmäßigen oder zygomorphen Blüten mit fünfgliederigen Blattkreisen, meist fünf Staubgefäßen, welche bald unter sich, bald mit dem Griffel, bald auch allein mit ihren Antheren verwachsen sind, und mit unterständigem Fruchtknoten, umfaßt die Familien der Kukurbitaceen, Kampanulaceen, Lobeliaceen, Goodeniaceen, Stylideen, Kalycereen und Kompositen. Im System Eichlers bilden diese Familien mit Ausnahme der Kompositen und Kalycereen die Reihe der Kampanulinen.
Synandrisch (griech.), Bezeichnung für Blüten mit verwachsenen Staubblättern.
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Synanthereen - Synesios.
Synanthereen, s. Kompositen.
Synantherin , s. Inulin.
Synaptas, s. Emulsin.
Synapte (Synapta), s. Holothurioideen.
Synäresis (Synizesis, griech.), in der Grammatik s. v. w. Kontraktion (s. d.).
Synarthrosis (griech.), unbewegliche Knochenverbindung durch die Naht, die Knorpelfuge (Synchondrosis oder Symphysis) und die Syndesmosis (feste Vereinigung durch Bänder).
Syncelli (griech. Synkelloi), in der griech. Kirche etwa seit dem 4. Jahrh. Hilfs- oder Hausgeistliche, Vertraute der Bischöfe.
Synchondrose (griech.), s. Knochen, S. 877.
Synchronismus (griech., "Gleichzeitigkeit"), in der Geschichte das Zusammentreffen verschiedener Begebenheiten in einem und demselben Zeitpunkt. Synchronistische Geschichtserzählung nennt man daher diejenige, in welcher die in dieselbe Zeit fallenden Begebenheiten unter verschiedenen Völkern und in verschiedenen Ländern nebeneinander fortschreitend dargestellt werden. Zum Studium der Geschichte dienen synchronistische Tabellen, d. h. Verzeichnisse, in denen in nebeneinander stehenden Kolumnen die Hauptbegebenheiten der Geschichte verschiedener Völker angeführt sind.
Syndaktylie (Daktylosymphysis, griech.), Verwachsung der Finger untereinander. Kommt angeboren vor und ist entweder so vollkommen, daß man nur am Skelett die einzelnen Finger getrennt erkennen kann, oder mehr oberflächlich, so z. B. daß eine Art Schwimmhaut die ersten Fingerglieder verbindet. Erworben wird S. nach Verbrennungen. Die Behandlung besteht in der operativen Trennung der Finger, oder sie sucht durch Dehnungen und Bewegungen narbige Verwachsungen beweglicher zu machen.
Syndesmologie (griech.), Bänderlehre, Teil der Anatomie (s. d.).
Syndesmose (griech.), s. Knochen, S. 877.
Syndikalkammern (franz. Chambres syndicales), in Frankreich früher die Vorstände verschiedener privilegierter Genossenschaften sowie von gewerblichen Vereinen und Verbänden, dann solche zur Förderung eigner und allgemein gewerblicher Interessen gebildete genossenschaftliche Verbände selbst. 1791 verboten, bildete sich doch unter stillschweigender gesetzlicher Anerkennung eine große Anzahl solcher Verbände, welche 1883 auch formell gesetzlich anerkannt und geregelt wurden. Insbesondere bildeten sich nach Aufhebung des Koalitionsverbots (1864) auch viele S. von Arbeitern mit ähnlichen Einrichtungen und Zwecken wie die englischen und deutschen Gewerkvereine. Vgl. Lexis, Gewerkvereine und Unternehmerverbände in Frankreich (Leipz. 1879).
Syndikat, s. Syndikus.
Syndikatsverbrechen, s. Beugung des Rechts aus Parteilichkeit.
Syndikus (griech.), der von einer Korporation (Stadtgemeinde, Stiftung, Verein, Aktiengesellschaft) zu Besorgung ihrer Rechtsgeschäfte aufgestellte Bevollmächtigte. Die dem S. zu erteilende Vollmacht heißt Syndikat. Letzteres Wort wird auch gebraucht für ein Konsortium (s. d.), welches sich bildet, um eine Börsenoperation etc. durchzusühren. Syndi-katsklage, Klage auf Entschädigung gegen den Richter, welcher absichtlich oder infolge groben Versehens ein ungerechtes Urteil fällte. Vgl. Kronsyndikus.
Synechie (griech.), krankhafte Verwachsung.
Synedrion (griech., neuhebr. sinhedrin und sanhedrin) oder großes S. hieß die höchste, in der zweiten Hälfte des jüdischen Staatslebens, nach dem Muster der großen Synode und des biblischen 70-Ältestenkollegiums mit Bezug auf das 5. Mos., 17, 9 bezeignete Obergericht, zu Jerusalem konstituierte, aus 71 Richtern bestehende Rechtsbehörde in Staats-, Rechte- und Religionssachen, welcher das aus 23 Richtern zusammengesetzte kleine S. und das Dreimännergericht untergeordnet waren. Den Vorsitz im S. führte der vom Richterkollegium zu wählende Oberpräsident (Nassi) und Gerichtspräsident (Ab-bet-din), als dessen Stellvertreter die zwei Schreiber galten. Während unter den Makkabäern das S. weltliche und geistliche Machtbefugnis hatte, ward ihm unter Herodes die politische, unter den Römern die richterliche Gewalt entzogen, so daß es zu einer Art kirchlicher Synode wurde.
Synekdoche (griech., "Mitverstehen"), rhetor. Figur, durch welche etwas Allgemeines durch ein Besonderes, namentlich ein Abstraktes durch ein Konkretes, die Gattung durch eine Art, das Ganze durch einen seiner Teile, die Vielheit durch ein Einzelnes etc. oder auch umgekehrt veranschaulicht wird. Sie sagt z. B. "der Römer" für die Römer, "Kiel" für Schiff, "Jugend" für junge Leute, "Eisen" für Schwert etc.
Synepheben (griech.), Jugendgenossen.
Synergiden, s. Embryosack, S. 598.
Synergismus (griech.), die dogmatische Ansicht, wonach der Mensch zu seiner Bekehrung "mitwirken" müsse. Einst hatte Augustinus im Gegensatz zum Pelagianismus (s. d.) und Semipelagianismus (s. d.) alle derartige Mitwirkung verworfen, und dieser Ansicht folgte Luther, während Melanchthon den Anteil der menschlichen Willenskraft je länger, desto bestimmter in die erhaltene Fähigkeit setzte, der göttlichen Gnadenwirkung zuzustimmen. Dieselbe Vorstellung war in das Leipziger Interim übergegangen, und mehrere Theologen, darunter V. Strigel (s. d.), begünstigten sie. Aber erst seitdem Joh. Pfeffinger (s. d.) in Leipzig ("De libero arbitrio", 1555) sich für dieselbe erklärt hatte, begannen Amsdorf und Flacius zu Jena 1558 den sogen. synergistischen Streit. Die Wittenberger nahmen für Pfeffinger Partei, während der herzogliche Hof im sogen. Konfutationsbuch (1559) eine offizielle Widerlegung des S. veröffentlichte und die Verteidiger des letztern, Strigel und Hügel, 1559 gefangen setzen ließ. Bald aber schlug die Hofgunst um, zumal als 1560 in der Disputation zu Weimar Flacius die Erbsünde geradezu für die Substanz des Menschen erklärte. Jetzt wurde Strigel 1562 wieder eingesetzt, dagegen 40 dem Flacius anhängende Prediger abgesetzt. Aber unter dem 1567 zur Regierung gelangten Herzog Johann Wilhelm von Weimar änderte sich die Lage der Dinge abermals: durch eine allgemeine Kirchenvisitation wurden die Überreste ebensowohl des Strigelschen S. als des Flacianischen Manichäismus unterdrückt, und die Konkordienformel (s. d.) verdammte beides.
Synergus, s. Gallwespen.
Synesios, neuplaton. Philosoph, geb. 375 n. Chr. zu Kyrene, studierte in Alexandria als Schüler und Freund der Hypatia (s. d.) die neuplatonische Philosophie, trat um 408 zur christlichen Kirche über, ward 410 Bischof zu Ptolemais, starb aber schon 415. Seine philosophischen Ansichten, die er auch als Christ beibehielt, legte er in Reden, Briefen, Hymnen und andern Schriften nieder. Er verrät darin mannigfaltige Kenntnisse, große Belesenheit und Scharfsinn und gute, gewählte Diktion. Die beste Gesamtausgabe seiner Werke ist von Petavius
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Synesis - Synopsis.
(Par. 1631, zuletzt 1640); eine kritische Ausgabe der Reden und Homilien besorgte Krabinger (Landsh. 1850), der Hymnen Flach (Tübing. 1875). Vgl. Volkmann, S. von Kyrene (Berl. 1869).
Synesis (griech.), Sinn, Verstand; vgl. Sensus.
Synezeugmenon (griech.), s. v. w. Zeugma.
Syngenesia (griech.), 19. Klasse des Linneschen Systems, Pflanzen enthaltend, deren Antheren miteinander zu einer Röhre verwachsen sind, der Familie der Kompositen entsprechend. Daher Syngenesisten, s. v. w. Kompositen.
Syngramma Suevicum. Name der von Brenz (s. d.) verfaßten, von Schnepf (s. d.) und zwölf andern schwäbischen Geistlichen unterschriebenen Gegenschrift gegen das Buch des Ökolampadius: "De genuina verborum domini (hoc est corpus meum) expositione", welches das Wort "Leib" als das "Zeichen des Leibes" fassen wollte.
Synizesis (griech.), s. Synäresis.
Synkarp (griech.), in der Botanik ein Gynäceum, dessen einzelne Karpelle durch Einschlagen ihrer Ränder völlig geschlossen sind und miteinander verwachsen; der Fruchtknoten besitzt in diesem Fall so viel Fächer, wie Karpelle vorhanden sind.
Synklinale (griech.), s. Antiklinale.
Synkope (griech.), in der Grammatik die Verkürzung eines Wortes um eine mittlere Silbe (z. B. ewiger statt ewiger etc.); in der Musik die Zusammenziehung des unbetonten Taktteils mit dem nachfolgenden betonten zu einer einzigen Note; in der Medizin s. v. w. plötzliche Entkräftung, Ohnmacht.
Synkrasis (griech.), Vermischung.
Synkratie (griech., "Mitherrschaft"), im Gegensatz zur Autokratie diejenige Art der Staatsverfassung, nach welcher das Volk durch seine Vertreter an der Regierung einen gewissen Anteil nimmt.
Synkretismus (griech.), die ausgleichende Vereinigung streitender Parteien, Sekten, Systeme etc. durch Abschwächung der trennenden Gedanken sowie durch Aufstellung von Lehrsätzen, die jeder nach seiner Meinung deuten kann; insbesondere seit 1645 die unionistische Theologie des Georg Calixtus (s. d.), daher die Kontroverse mit ihm als synkretistischer Streit bekannt ist.
Synodalverfassung, s. Presbyterial- und Synodalverfassung.
Synode (griech.), Versammlung in kirchlichen Angelegenheiten, also s. v. w. Konzilium (s. d.). Diözesansynode (synodus dioecesalis) heißt eine S., welche ein Bischof mit den ihm untergebenen Pfarrern, Provinzialsynode (synodus provincialis) eine solche, welche ein Erzbischof mit seinen Bischöfen abhält, Nationalsynode oder allgemeine S. (synodus universalis oder nationalis) eine solche, zu der die gesamte Geistlichkeit eines Landes unter Vorsitz eines päpstlichen Legaten zusammentritt, um wichtige, die kirchlichen Angelegenheiten betreffende Fragen zu erledigen. In der protestantischen Kirche sind die Synoden die Organe der kirchlichen Selbstverwaltung und Vertretungskörper der Kirchengenossen gegenüber dem landesherrlichen Kirchenregiment. Diesen Synoden ist ein Mitwirkungsrecht bei der kirchlichen Gesetzgebung und Verwaltung eingeräumt. Nach der Kirchengemeinde- und Synodalordnung für die östlichen Provinzen Preußens vom 10. Sept. 1873 umfaßt der Kreissynodalverband (Kirchenkreis) regelmäßig eine Diözese, ausnahmsweise auch mehrere kleinere Diözesen. Die Kreissynode besteht aus sämtlichen innerhalb des Kirchenkreises ein Pfarramt definitiv oder vikarisch verwaltenden Geistlichen und der doppelten Zahl der durch die vereinigten Gemeindeorgane auf drei Jahre gewählten Mitglieder (Synodalen). Die eine Hälfte dieser gewählten Synodalen wird aus den dermaligen oder frühern Kirchenältesten, die andre Hälfte von den an Seelenzahl stärkern Gemeinden aus den angesehenen, kirchlich erfahrenen und verdienten Männern des Synodalkreises gewählt. Die Kreissynoden einer Provinz bilden den Verband der Provinzialsynoden, deren Mitglieder teils erwählt, teils landesherrlich ernannt werden. Die Generalsynode aber setzt sich aus 150 von den Provinzialsynoden, 6 von den evangelisch-theologischen Fakultäten aus ihrer Mitte gewählten, 30 vom König ernannten Mitgliedern und den Generalsuperintendenten zusammen (Generalsynodalordnung vom 20. Jan. 1876). In der Provinz Hannover bestehen Bezirkssynoden und eine Landessynode; in Schleswig-Holstein Propsteisynoden und eine Gesamtsynode; in Baden, Bayern und Württemberg Diözesansynoden und eine Landessynode, und zwar in Bayern für das rechtsrheinische und für das linksrheinische Staatsgebiet je eine Landessynode. In Oldenburg sind Kreissynoden und eine Landessynode, in Hessen Dekanatssynoden und eine Landessynode eingerichtet; im Königreich Sachsen, in Anhalt, Braunschweig, Sachsen-Weimar und Sachsen-Meiningen bestehen nur Landessynoden. Für die Wahrnehmung der laufenden Geschäfte sind, während die S. nicht versammelt ist, in der Regel die Synodalvorstände oder Synodalausschüsse (Synodalräte) berufen (s. Presbyterial- und Synodalverfassung). Vgl. Kähler, Visitation und S. (Gotha 1886).
Synodische Umlaufszeit, die Zeit zwischen zwei aufeinander folgenden gleichnamigen Konjunktionen eines Planeten mit der Sonne; synodischer Monat, die Zeit von einer Konjunktion von Sonne und Mond bis zur nächsten (von einem Neumond bis zum folgenden).
Synonymen (griech.), gleichbedeutende oder sinnverwandte Wörter. Meist stehen die durch solche Wörter ausgedrückten Begriffe als Unterarten unter einem höhern, und man gebraucht sie als gleichbedeutend, indem man hier einzelne Merkmale nicht beachtet, dort dieselben sich hinzudenkt. Im Interesse der Deutlichkeit und Bestimmtheit des Ausdrucks hat man aber das Bedürfnis gefühlt, die Bedeutung der S. festzustellen, wodurch die Wissenschaft der Synonymik entstanden ist, die vorzüglich auf einer richtigen Kenntnis und feinen Beobachtung des Sprachgebrauchs beruht. Im Sammeln und Erläutern der S. ist man erst in neuerer Zeit zu einem befriedigenden Resultat gelangt. Namentlich sind die S. der lateinischen Sprache von Dumesnil, Haase, Ernesti, Ramshorn, Döderlein, Habicht, Lübker, Schmalfeld und Schultz, die der deutschen Sprache von Aug. Eberhard, Meyer, K. Weigand und Dan. Sanders behandelt worden.
Synonymie (griech.), Sinnverwandtschaft der Wörter; rhetorische Figur, nach welcher eine Häufung von Synonymen zur nachdrücklichen Hervorhebung des Gedankens angewendet wird, wie Cicero von Catilina spricht: "Abiit, excessit, evasit, erupit".
Synopsis (griech.), zusammenfassender Überblick, übersichtliche Zusammenstellung verschiedener denselben Gegenstand betreffender Schriften; insbesondere S. der Evangelien, die Zusammenstellung derjenigen Stellen der drei ersten Evangelien, worin dasselbe in mehr oder minder gleicher Weise berichtet
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Synoptisch - Synthetische Sprachen.
wird (s. Evangelium, S. 948). Synopsen der letztern Art lieferten Griesbach, De Wette, Lücke, Planck, Matthäi, Friedlieb, Anger, Tischendorf, Schulze, Sevin. Vgl. Holsten, Die synoptischen Evangelien (Heidelb. 1886).
Synoptisch (griech.), übersichtlich, kurzgefaßt.
Synoptische Karten, Wetterkarten, welche die gleichzeitig über einem großen (Gebiet herrschende Witterung darstellen. Dieselben werden nach den an einen Zentralort telegraphisch eingesandten Witterungsnachrichten zusammengestellt. Für Deutschland geschieht das von der deutschen Seewarte (s. d.) in Hamburg, und zwar werden bei der Zeichnung dieser Karten diejenigen Depeschen zu Grunde gelegt, welche von einer größern Anzahl von Orten täglich eintreffen und die Witterung des Morgens 8 Uhr, von einzelnen Hauptstationen außerdem auch noch die Nachmittags 2 Uhr angeben. Das Gebiet, aus welchem die deutsche Seewarte ihre Morgentelegramme erhält, erstreckt sich nach Westen bis nach der Westküste von Irland, nach Süden bis Corsica und Süditalien, nach Osten bis Moskau und nach Norden bis Bodö, nördlich vom Polarkreis. Ganz besonders wertvoll werden die synoptischen Karten für das Studium der Witterungsveränderungen und sind daher für das Aufstellen von Wetterprognosen (s. d.) ganz unentbehrlich (s. Meteorologie).
Synostosis (griech.), Knochenverbindung durch Knochensubstanz, Knochenverwachsung.
Synovia (griech.), Gelenkschmiere, s. Gelenk.
Synovialhaut, s. Gelenk.
Synovitis, s. Gelenkentzündung.
Syntagma (griech.), Sammlung mehrerer Schriften oder Aufsätze verwandten Inhalts, dann überhaupt eine Zusammenstellung verschiedener Bemerkungen; im altgriechischen Heer eine Abteilung von etwa 250 Mann (s. Phalanx); im Neugriechischen s. v. w. Verfassung.
Syntax (griech.), die Lehre von der Verbindung der Wörter zu Sätzen, also die Satzlehre, bildet neben der Formenlehre als dem ersten den zweiten Hauptteil der Grammatik. Obwohl sich über die naturgemäße Ordnung der Worte, wie sie das innere oder logische Verhältnis der in die Rede aufgenommenen Vorstellungen verlangt, allgemeine Grundsätze aufstellen lassen, deren Inbegriff die allgemeine S. bilden würde, so macht doch der eigentümliche Bau der einzelnen vorhandenen Sprachen für eine jede derselben eine besondere S. nötig, die wiederum in zwei Hauptteile, die Rektionslehre und die Topik oder Lehre von der Wortfolge, zerfällt. Die Begründung der vergleichenden Sprachwissenschaft hat dann auch zu einer historischen und vergleichenden Betrachtungsweise der S. Veranlassung gegeben. Die historische S. geht darauf aus, die Entwickelung und Umbildung der S. in einer und derselben Sprache zu verfolgen; die vergleichende S. hat die Geschichte der S. in mehreren Verwandten Sprachen zum Gegenstand. Vgl. Dräger, Historische S. der lateinischen Sprache (2. Aufl., Leipz. 1878-81, 2 Bde.); Delbrück und Windisch, Syntaktische Forschungen (Halle 1871-88, Bd. 1-5); Jolly, Ein Kapitel vergleichender S. (Münch. 1872).
Synthema (griech.), alles, was auf Verabredung beruht; eine in verabredeten Zeichen bestehendeSchrift; daher Synthematographie, die Kunst, mit solchen Zeichen in die Ferne zu korrespondieren.
Synthesis (griech., Synthese), Zusammenstellung, Verknüpfung (im Gegensatz zur Analysis, d. h. Zerlegung, Trennung), insbesondere die Verbindung von Vorstellungen und Begriffen untereinander, wie sie in der Auffassung der sinnlichen Erscheinungen stattfindet, insofern hierbei die Mannigfaltigkeit der wahrgenommenen Merkmale in eins zusammenfließt. Hiernach versteht man unter einer synthetischen Erklärung eine solche, bei welcher sich der Begriff aus dem zusammenfassenden Denken ergibt, indem seine Merkmale vorher bekannt sind und auch die Art ihrer Verknüpfung nicht zweifelhaft ist. Ein synthetisches Urteil ist ein solches, dessen Prädikat nicht mit dem Subjektsbegriff schon gegeben ist, wie z. B. in dem Urteil: alle Körper nehmen einen Raum ein, sondern als eine neue Bestimmung zu jenem hinzutritt, wie in dem Urteil: jeder Veränderung liegt eine Ursache zu Grunde. Ist dabei das Urteil von der Erfahrung abhängig, so wird es (mit Kant) S. a posteriori, im entgegengesetzten Fall S. a priori genannt. Analog ist die Unterscheidung der synthetisch (progressiv) und analytisch (regressiv) gebildeten Schlußreihen, insofern man entweder von gewissen Prämissen aus fortschreitend Folgerungen zieht, oder rückwärts zu den letzten Gründen zu gelangen sucht. Ebenso versteht man unter synthetischer Methode diejenige, bei welcher, von den Prinzipien ausgehend, die Folgerungen entwickelt, unter analytischer Methode dagegen diejenige. bei welcher die Prinzipien aus den Thatsachen abgeleitet werden. - S. heißt auch die Darstellung chemischer Verbindungen aus den Elementen oder aus einfachern Verbindungen durch Einführung von Atomen oder Atomgruppen. Die S. besitzt als Untersuchungsmethode neben der Analyse (s. d.) eine große Bedeutung für die Chemie und feierte den ersten Triumph 1828, als Wöhler den Harnstoff aus den Elementen darstellte. Diese große Entdeckung blieb aber ganz vereinzelt, bis Berthelot auf die Wichtigkeit der S. für die organische Chemie hinwies. Seitdem wurden durch S. unter anderm erhalten: Essigsäure, Ameisensäure, Alkohol, Benzol, Kreatin, Guanidin, Krotonsäure, Senföl, Cholin, Vanillin, Pikolin, Indigo, Muskarin, Coniin etc., auch wurden Methoden ausgearbeitet zur S. ganzer Körpergruppen, wie der Alkohole, Phenole, Aldehyde, Säuren, Basen etc. Von besonderm Interesse ist die S. solcher Verbindungen, welche im Organismus durch den Lebensprozeß gebildet werden, weil die künstliche Darstellung dieser Substanzen lehrt, daß in den lebenden Organismen dieselben Gesetze walten wie in der sogen. toten Natur. Auch für die Praxis haben die Erfolge der S. hohe Bedeutung und dürften solche in Zukunft noch mehr gewinnen. Alizarin, Vanillin, Indigo und Senföl werden künstlich dargestellt und spielen bereits neben dem Krapp, der Vanille, den aus der Indigopflanze und den Senfsamen gewonnenen Produkten eine Rolle in der Industrie. Man hat auch schon synthetisch gewonnenen Alkohol auf den Industrieausstellungen gezeigt, und da man von der Ameisensäure und Essigsäure leicht zur Stearin- und Palmitinsäure gelangen kann, da anderseits auch Glycerin durch S. darzustellen ist und die genannten Säuren mit dem Glycerin sich leicht zu Fetten vereinigen lassen, so ist die Möglichkeit der Gewinnung von Fett ohne Pflanzen und Tiere gegeben. Die moderne Chemie wendet die S. hauptsächlich an, um über die Konstitution der Verbindungen Aufschluß zu erhalten.
Synthetische Sprachen, seit A. W. Schlegel Bezeichnung für solche Sprachen, in denen die grammatischen Verhältnisse, wie z. B. im Latein und Griechischen, vorherrschend auf dem Weg der Flexion gebildet werden, im Gegensatz zu den analytischen
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Syntonine - Syphilis.
Sprachen (s. d.), wie Französisch, Italienisch, Deutsch, in welchen zum gleichen Zweck meistens mit Artikeln, Hilfszeitwörtern etc. zusammengesetzte Ausdrücke angewendet werden.
Syntonine, s. Proteinkörper.
Syphax, König der Massäsylier im westlichen Numidien, ward im zweiten Punischen Krieg von Scipio 207 v. Chr. für die Sache Roms gewonnen, aber bald darauf dadurch, daß Hasdrubal ihm seine dem Masinissa verlobte Tochter Sophonisbe (s. d.) zur Gattin gab, wieder auf die Seite der Karthager gezogen. Er führte den Krieg gegen Scipio anfangs nicht ohne Glück, ward aber 203 erst von Scipio, dann im eignen Land von Lälius und Masinissa geschlagen und gefangen genommen. Er starb als Gefangener in Tibur, nachdem er vorher (wie von Polybius und Tacitus berichtet, aber von Livius bestritten wird) im Triumph des Scipio aufgeführt worden war.
Syphilid, jeder infolge allgemeiner Syphilis auftretende Hautausschlag.
Syphilis (griech., Lustseuche, Venerie, Franzosenkrankheit, lat. Luës, Morbus gallicus), die wichtigste der ansteckenden Geschlechtskrankheiten, da sie nicht allein örtliche, auf die Stelle der Ansteckung beschränkte Veränderungen herbeiführt, sondern sich auf dem Weg der Lymph- und Blutbahn dem ganzen Körper mitteilt und so zu einer Konstitutionskrankheit wird. Der krankmachende Stoff (virus syphiliticum) ist seinem Wesen nach noch nicht erforscht; man vermutet, daß es eine Bakterienart sei, hat auch schon eine Reihe von Syphilisbacillen aufgefunden, welche mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit als Ursache der S. bezeichnet wurden, allein sichere Ergebnisse sind bisher noch nicht gewonnen. Am meisten ist es wohl die Ähnlichkeit der syphilitischen Gewebsveränderungen mit denen, welche durch die Tuberkelbacillen hervorgebracht werden, welche den Gedanken an eine ähnliche bacilläre Ursache immer wach erhält, und vor allem die Analogie mit andern ansteckenden Krankheiten, bei denen in den letzten Jahren die Bacillen tatsächlich aufgefunden sind. Die S. würde alsdann in die Gruppe der Wundinfektionskrankheiten einzureihen sein. Die Übertragung findet nur von Mensch zu Mensch statt, Tiere leiden nicht an S., die Luft überträgt den Ansteckungsstoff nicht. Der Hergang der Ansteckung wird in der Regel der Fälle so vermittelt, daß a) ein mit syphilitischem Geschwur (Schanker) an der Haut oder Schleimhaut behaftetes Individuum etwas von dem Wundsekret dieses Geschwürs in eine kleine Schrunde der Haut eines bis dahin nicht syphilitischen Individuums überträgt, worauf sich an dieser Stelle ein primäres Schankergeschwür entwickelt. Diese Art der Übertragung vollzieht sich gewöhnlich beim Beischlaf an den Genitalien, kann aber auch von syphilitischen Geschwüren der Lippen, der Finger etc. aus erfolgen; b) durch Überimpfung von Blut und Lymphe eines an konstitutioneller S. leidenden Menschen in eine Wunde eines andern; c) durch Übertritt des Gifts vom Blut einer syphilitischen Mutter auf das in ihrem Uterus sich entwickelnde Kind. Die Krankheitserscheinungen sind 1) primäre oder örtliche, an der Stelle der stattgehabten Ansteckung sich entwickelnde Entzündungen und Geschwürsbildung; 2) sekundäre, durch Aufnahme des Gifts in den Körper bedingte Allgemeinerscheinungen. Manche Ärzte unterscheiden auch wohl als 3) tertiäre S. solche Erkrankungen, welche noch jahrelang nach der Ansteckung in verschiedenen innern Organen beobachtet werden; da diese späten Nachschübe meist an Leber, Nieren, Gehirn vorkommen, so hat man sie auch als Eingeweide-S. (viscerale S.) bezeichnet. Die primäre S. ist eine entzündliche Zellenwucherung, welche, an der Impfstelle langsam wachsend, einen etwa bohnengroßen Knoten hervorbringt, welcher sich derb anfühlt und als Gummigeschwulst im Sinn Virchows aufzufassen ist. Die Zellen dieses Knotens zerfallen fettig, die dünne bedeckende Hautschicht wird abgestoßen, nach 4-6 Wochen ist aus ihm ein Geschwür, der harte Schanker, entstanden. Als hartes, induriertes Geschwür wird es bezeichnet im Gegensatz zu einfachen, nicht auf S. beruhenden Hautgeschwüren, welche nicht immer ihrem Namen "weicher Schanker" entsprechen und daher leicht zu Verwechselungen Anlaß geben; die Frage, welche von beiden Geschwürsformen vorliegt, wird oft erst durch die spätern Folgezustände sicher entschieden. Während bei einfachen Geschwüren der Verlauf meist ein schneller ist, das Geschwür bei guter Reinhaltung rasch heilt, höchstens zur Bildung schmerzhafter Schwellungen der Leistendrüsen führt, so stellt sich beim syphilitischen Geschwür langsame schmerzlose Schwellung der Nachbardrüsen ein, welche den Übertritt des Gifts ins Blut anzeigt und nun die sekundären Erscheinungen einleitet; man nennt diese geschwollenen Lymphdrüsen indolente Bubonen. In ihrem nun folgenden sekundären Stadium, in welchem der Körper mit dem Gift als durchseucht gedacht wird (daher konstitutionelle S.), treten gewöhnlich etwa zwei Monate nach der Ansteckung sehr mannigfache Hautausschläge auf, welche in Form von Flecken, Knötchen, Schuppenwucherung, nässenden Entzündungen auftreten und als Syphilid en zusammengefaßt werden. Sie verursachen höchst selten das Gefühl von Brennen und Jucken und treten in der Kälte deutlicher hervor als in der Wärme. Die häufigste Form ist ein rotfleckiger Ausschlag (Roseola syphilitica), welcher in Gestalt von halblinsengroßen, runden, geröteten Flecken auf der Haut des Gesichts, am Rumpf und an den Extremitäten auftritt. Nach längerm Bestehen bekommen die Flecke ein schmutzig braun-rotes Ansehen und verschwinden endlich mit schwach kleienförmiger Abschelferung der Oberhaut. Eine andre Ausschlagsform ist der Lichen syphiliticus, bestehend aus kupferroten, nicht juckenden Knötchen, die vereinzelt oder in Gruppen auftreten und an den verschiedensten Körperstellen vorkommen. Die Psoriasis syphilitica (Schuppenausschlag) besteht in einer reichlichen kleienartigen Abschelferung der Epidermis, die auf mehr oder weniger dicht stehenden, geröteten Hautflecken stattfindet. Die Psoriasis syphilitica hat die Eigentümlichkeit, daß sie die Kniee und Ellbogen (wo die nicht syphilitische Psoriasis am häufigsten vorkommt) immer verschont und dagegen sehr gern an den Handtellern und an der Fußsohle sich zeigt, die ihrerseits von nicht syphilitischen Schuppenausschlägen fast ausnahmslos verschont bleiben. Das pustulöse, aus Eiterbläschen bestehende Syphilid (Ecthyma syphiliticum) befällt namentlich den behaarten Kopf und das Gesicht. Aus den beim Kämmen der Haare etc. zerkratzten Pusteln entstehen zuweilen tiefe Geschwüre mit gerötetem Hof, welche äußerst hartnäckig sind. Seltener als die genannten Hautausschläge kommen die blasen- und bläschenförmigen Syphiliden vor. Die Blasen hinterlassen nach ihrem Zerplatzen oder Eintrocknen einen Schorf, unter welchem sich ein Geschwür entwickelt (Schmutzflechte, Rupia syphilitica). Große Blasen kommen bei neugebornen Kindern als Zeichen angeborner S. häufig, bei Erwachsenen um so seltener vor (Pemphi-
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Syphilom - Syracuse.
gus syphiliticus. s. Tafel "Hautkrankheiten", Fig. 3). Außer diesen Ausschlägen kommen auch in der Haut wirkliche Gummiknoten vor, namentlich im Gesicht und an der Stirn, wo sie als Corona Veneris bezeichnet werden. Alle diese syphilitischen oder gummösen Entzündungsknoten, gleichviel ob sie in der Haut als derbe rote Knoten oder in den Schleimhäuten als dicke Wucherungen auftreten, oder ob sie in der Iris, in Leber, Nieren oder Gehirn, Knochenhaut oder Knochenmark mehr als flache Geschwülste oder große Knoten hervorwuchern, sie alle haben eine gleiche Struktur wie der primäre Schankerknoten, sie bestehen aus weichem Bindegewebe und können 1) bei geeigneter Behandlung verfetten und so völlig zurückgebildet werden, oder 2) sie können, wenn sie oberflächlich liegen, geschwürig zerfallen, und 3) sie bilden sich teilweise zurück, teilweise schrumpfen sie und hinterlassen derbe, strahlige, weiße oder gefärbte Narben. Durch diese große Mannigfaltigkeit in der äußern Erscheinung der S. ist es bedingt, daß nahezu in jedem Organ Erkrankungen vorkommen, welche durch gewisse Eigentümlichkeiten als spezifisch syphilitische erkannt werden. Es gibt an der Regenbogenhaut des Auges eine zu Verwachsungen führende Entzündung (Iritis syphilitica, s. Tafel "Augenkrankheiten" , Fig. 5), es gibt im Kehlkopf gummöse Neubildungen, welche große, strahlige Narben hinterlassen (s. Tafel "Halskrankheiten", Fig. 3); an den Knochen kommen sowohl knöcherne Auswüchse (Exostosen) als Defektbildungen, eine Art von Knochenfraß (Caries sicca) vor, welche durch bohrende Schmerzen (dolores osteocopi) ausgezeichnet sind. In der Leber bringt die S. Narben hervor, durch welche das Organ in unregelmäßige Lappen eingeteilt wird (hepar lobatum), in der Nase führen syphilitische Geschwüre zur Bildung stinkender Borken (Ozaena syphilitica) und Einfallen der Nase; im Gehirn und Rückenmark können Lähmungen aller Art durch gummöse Knoten entstehen; an der Haut wuchern warzige Gebilde (Feigwarzen, Kondylome) mit breiter Basis und höckeriger Oberfläche hervor; in den Lungen kann die S. eine besondere Art der Schwindsucht bedingen, und endlich kommen im Herzen Geschwülste, im Darm Geschwüre vor, welche der S. zuzuschreiben sind. Personen, welche an konstitutioneller S. leiden, erleben oft viele Jahre hindurch immer neue Organerkrankungen, so daß sie schließlich an Erschöpfung, nicht selten unter allgemeiner Amyloidentartung zu Grunde gehen. Die Behandlung richtet sich zunächst auf die Behandlung des primären Geschwürs. Dieses heilt bei gründlicher Reinhaltung, event. unter gleichzeitiger Anwendung von Quecksilber ohne Schwierigkeit. Die konstitutionelle S. wird mit richtiger und frühzeitiger Anwendung von Quecksilber in Form von Einreibung von grauer Quecksilbersalbe oder subkutaner Einspritzung von Sublimat (Lewin) oder innerlicher Darreichung von Kalomel (Ricord) oft vollständig geheilt. Bei veralteter S. sind Jodkalium, der Gebrauch von Schwefelbädern, wie Aachen, Nenndorf und andern warmen Bädern, von guter Wirkung. Die S. ist von den Eltern auf die Kinder übertragbar. Frauen, welche zur Zeit der Konzeption bereits an sekundärer S. leiden oder auch erst während der Schwangerschaft syphilitisch werden, bringen fast immer unreife, tote Früchte durch Abortus oder Frühgeburt zur Welt. In andern Fällen wird das Kind zwar ausgetragen, stirbt aber bei oder kurz nach der Geburt ab. Nur selten wird das Kind einer syphilitischen Mutter längere Zeit am Leben erhalten. In diesem Fall sind entweder schon gleich bei der Geburt Symptome der S. an dem Kind vorhanden, oder die S. ist noch latent, und die Symptome derselben treten erst nach Wochen oder Monaten hervor. Die meisten der Kinder mit angeborner S., welche am Leben bleiben, haben die Krankheit von dem zur Zeit der Zeugung syphilitischen Vater geerbt. Es ist sicher konstatiert, daß die S. vom Vater auf das Kind übergehen kann, ohne daß die Mutter syphilitisch infiziert ist oder von dem kranken Kind, welches sie in ihrem Schoß birgt, infiziert wird. Auch die von einem syphilitischen Vater herstammende vererbte S. verrät sich in manchen Fällen gleich bei der Geburt durch deutliche Zeichen, während in andern erst später charakteristische Störungen auftreten. Die erstere Gruppe von Fällen bietet für die Behandlung wenig Aussicht, meistens gehen die Kinder, namentlich wenn schwere Knochenleiden oder Pemphigus vorhanden sind, zu Grunde. Dagegen hat die Behandlung der angebornen, aber anfangs latent gebliebenen S. günstige Erfolge aufzuweisen. Gewöhnlich gibt man den Kindern kleine Dosen Kalomel oder läßt Sublimatbäder anwenden. Dabei muß man die Kräfte des Kindes durch Zufuhr einer möglichst zweckmäßigen Nahrung (Muttermilch) aufrecht erhalten. Dem syphilitischen Kind eine Amme zu geben, ist nicht rätlich, weil letztere der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt ist. Die S. erregte zuerst am Ende des 15. Jahrh. als Franzosenkrankheit (Morbus gallicus) die Aufmerksamkeit der Ärzte und richtete bei den damaligen Sitten und der Unkenntnis über ihre zweckmäßige Behandlung furchtbares Unglück an. Der Name S. ist zuerst von dem Italiener Fracastoro (1521; vgl. dessen "S. oder gallische Krankheit", deutsch, Leipz. 1880) gebraucht worden. Vgl. Ricords Vorlesungen über S. (übersetzt von Gerhard, Berl. 1848); v. Bärensprung, Die hereditäre S. (das. 1864); Geigel, Geschichte, Pathologie und Therapie der S. (Würzb. 1867); Lewin, Die Behandlung der S. mit subkutaner Sublimatinjektion (das. 1869); Zeißl, Pathologie und Therapie der S. (5. Aufl., Stuttg. 1888); Weil, Über den gegenwärtigen Stand der Lehre von der Vererbung der S. (Leipz. 1878); Rosenbaum, Geschichte der Lustseuche im Altertum (Halle 1888).
Syphilom, Gummigeschwulst, s. Syphilis.
Syphon, s. Siphon.
Syphonoid (griech.), ein mit dem Pulsometer (s. d.) verwandter Wasserhebeapparat, welcher sich von diesem durch seine Heberform, durch das Vorhandensein eines besondern Raums für Dampfkondensation und dadurch, daß er den Dampf nicht direkt auf die Wasseroberfläche läßt, sondern einen dazwischengeschalteten, schlecht wärmeleitenden Schwimmer wirken läßt, durch welchen ein starker Dampfverlust verhütet und die Steuerung des Dampfes mittels eines Hahns bewirkt wird, unterscheidet. Vgl. Uhland, Der praktische Maschinenkonstrukteur, S. 95 (Leipz. 1878).
Syra (bei den Alten und neuerdings wieder offiziell Syros), 1) eine der Kykladen, fast mitten im Archipel gelegen, 80 qkm (1,45 QM.) groß und bis 431 m hoch, erzeugt Getreide und Wein und hat (1879) 26,946 Einw., welche vornehmlich vom Handel leben. Derselbe ist vorwiegend Kommissions- und Speditionshandel und versorgt fast ausschließlich die sämtlichen Inseln des Archipels mit ihren Bedürfnissen. Auf S. befindet sich ein deutsches Konsulat. - 2) (Neu Syra), Stadt, s. Hermupolis.
Syracuse (spr. ssirrakjuhs), Stadt im nordamerikan. Staat New York, am Südende des Onondagasees, hat ein Irrenhaus, ein Asyl für Blödsinnige, ein Zuchthaus und (1880) 51,792 Einw. In der Nähe un-
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Syrakus (Provinz und Stadt).
gemein ergiebige Solen. S. hat außer seinem Salzhandel noch Hochöfen, Maschinenbau und Brauerei.
Syrakus (Siracusa), Provinz des Königreichs Italien, umfaßt den südöstlichen Teil der Insel Sizilien, wird im N. und W. von den Provinzen Catania und Caltanissetta, im Süden und O. vom Afrikanischen und Ionischen Meer begrenzt und hat ein Areal von 3697 qkm (nach Strelbitsky 3729 qkm = 67,73 QM.) mit (1881) 341,526 Einw. Der Boden ist sehr fruchtbar und liefert Getreide (besonders Weizen, 1887: 586,620 hl), Öl (48,281 hl), Wein (1,770,942 hl), Südfrüchte in Überfluß, auch zur Ausfuhr. Von geringerer Bedeutung ist die Viehzucht mit Ausnahme der Schafzucht (1881: 100,631 Schafe), wichtig dagegen die Seefischerei. Die Provinz zerfällt in die drei Kreise Modica, Noto und S. (s. Karte "Sizilien"). Die gleichnamige Hauptstadt liegt auf der mit dem Festland durch einen Damm verbundenen Insel Ortygia, am Endpunkt der von Messina kommenden Eisenbahn, ist durch Wassergräben mit Mauern an der Landseite und durch ein Kastell an der Südseite der Insel befestigt, hat aber nur einen Umfang von 4 km (gegen 33 km Umfang des antiken S.). Die Bedeutung der Stadt liegt in dem großen Hafen, welcher die ganze Bucht zwischen der Insel Ortygia im N. und dem Vorgebirge Plemmyrion (Massolivieri) im SO. umfaßt und für die Aufnahme der größten Flotte geeignet ist. Unter den öffentlichen Bauten sind hervorzuheben: der Dom Santa Maria del Piliero (in die gewaltigen Säulen eines dorischen Tempels eingebaut); die Kirchen San Giovanni (aus dem 12. Jahrh.) und Santa Lucia; der elegante Palazzo Communale u. a.; ferner von Privatgebäuden: der gotische Palast Montalto und der Palazzo Lanza. S. hat ein Lyceum, ein Gymnasium, eine technische Schule, ein Seminar, ein Museum (mit zahlreichen Antiquitäten, darunter eine Statue der Venus, ein kolossaler Kopf des Neptun u. a.), eine Bibliothek mit über 10,000 Bänden, ferner eine Filiale der Nationalbank, mehrere selbständige Banken, eine Handelskammer, Wohlthätigkeitsanstalten, Fabrikation von Chemikalien und Töpferwaren, lebhaften Handel (besonders mit Agrumen, Wein, Öl, Seesalz etc.) und (1881) 19,389 Einw. Im Hafen liefen 1887: 1215 Schiffe mit 158,084 Ton. ein. S. ist Sitz der Präfektur, eines Erzbischofs, eines Zivil- und Korrektionstribunals, eines Assisenhofs etc. sowie mehrerer Konsulate. Von der Größe der antiken Stadt zeugen nicht unbedeutende Trümmerreste, so: Überbleibsel von drei noch sehr altertümlichen dorischen Tempeln, Aquädukte, Reste der Stadtmauer, ein Altar, die Trümmer der Bergfeste Euryalos, große Steinbrüche, darunter die Latomia del Paradiso mit dem "Ohr des Dionysios", einer durch eigentümliche Akustik ausgezeichneten Grotte, sowie die Latomia dei Cappuccini; das griechische Theater aus dem 5. Jahrh.; ein römisches Amphitheater aus der Zeit des Augustus; die Arethusaquelle etc. Aus altchristlicher Zeit haben sich geräumige Katakomben erhalten. Schöne Gartenanlagen enthält die Villa Landolina im antiken Stadtgebiet, wo sich die Grabstätte des Dichters Platen befindet. Am Kyaneflüßchen, zum Anapo gehend, gedeiht die Papyrusstaude in besonderer Üppigkeit.
[Geschichte.] S. (Syracusä), im Altertum die größte und reichste Stadt Siziliens, lag anfangs auf der hart vor der Küste gelegenen, zuerst von Phönikern besetzten Insel Ortygia, von wo sich die Stadt später über das Festland ausbreitete. Zur Zeit ihrer größten Ausdehnung, wo sie über eine Million Einwohner zählte, bestand sie aus fünf Hauptteilen: der Insel Ortygia (Nasos) mit der Quelle Arethusa, den Tempeln der Artemis und Athene, den großen Getreidemagazinen, dem von Hieron erbauten Palast und der im nördlichen Teil von Dionysios I. erbauten Akropolis; der 66 m hoch ansteigenden Halbinsel Achradina, dem Hauptteil und Mittelpunkt der Stadt, mit der von Säulengängen umgebenen Agora, dem Prytaneion etc.; Tycha, dem an den nördlichen Teil von Achradina westlich anstoßenden, volkreichsten Teil der Stadt; Neapolis, auf der Südwestseite von Achradina, mit dem Haupttheater und Tempeln der Demeter, Kora etc.; Epipolä, einer die ganze Stadt beherrschenden Höhe nordwestlich von Neapolis, welche Dionysios I. mit einer starken Mauer umgeben ließ, durch das Fort Euryalos krönte und mit in den Bereich der die Stadt umgebenden Befestigungen zog. Neapolis und Achradina enthielten große Steinbrüche (Latomien), welche tief in die Erde gingen und als Gefängnisse benutzt wurden. S. besaß zwei treffliche, durch tiese Buchten gebildete Häfen, einen kleinern (Lakkios) im N. von Ortygia und einen größern, der mit Ketten gesperrt werden konnte, im W. der genannten Insel. Südlich von S., in der Nähe der Quelle Kyane, lagen das Olympieion und der Hafenort Daskon. S. war eine dorische Niederlassung, 734 v. Chr. von den Korinthern auf Ortygia gegründet und nach der sumpfigen Ebene Syrako, westlich vom großen Hafen, benannt. Wiewohl der Zeit nach die zweite griechische auf Sizilien gegründete Kolonie, wurde sie doch bald durch Betriebsamkeit und Handel dem Rang nach die erste und gründete selbst neue Niederlassungen auf Sizilien (Akrä, Kasmenä, Kamarina u. a.). Sie hatte eine aristokratische Verfassung. Die Gamoren hatten die Regierung in den Händen, zuerst mit einem König an der Spitze, später ohne einen solchen. Aus den Gamoren, den Nachkommen der ersten Kolonisten, wurden die Magistrate und Mitglieder des Hohen Rats gewählt, welche das Volk in ihren Versammlungen leiteten. 491 wurde die Aristokratie der Gamoren von der demokratischen Partei gestürzt, welche aber keine geordnete Verfassung herzustellen vermochte. So ward es Gelon (s. d.) leicht, die Gamoren nach S. zurückzuführen und sich dann selbst 485 der Herrschaft zu bemächtigen. Unter ihm erreichte S. seine höchste Blüte, seine Flotten beherrschten die umliegenden Meere, und die meisten Städte Siziliens standen unter seinem Einfluß. Namentlich sein Sieg über die Karthager am Himera 480 machte S. zur mächtigsten Stadt Siziliens. Er verband die Neustadt auf dem Felsplateau Achradina mit Ortygia durch einen Damm und umgab das Ganze mit einer kolossalen Mauer, außerhalb welcher noch die Vorstädte Tycha, Neapolis und Epipolä entstanden. Auf Gelon folgte sein Bruder Hieron I. (477-467) und auf diesen der dritte Bruder, Thrasybulos, der aber schon 466 vertrieben ward. An die Stelle der Tyrannis trat jetzt eine demokratische Verfassung. Zur Sicherstellung der Demokratie ward eine dem athenischen Ostrakismos ähnliche Maßregel in dem Petalismos ("Blättergericht", weil mit beschriebenen Olivenblättern abgestimmt wurde) eingeführt, doch ward derselbe als die Ochlokratie nur befördernd bald wieder aufgehoben. Die innern Unruhen benutzend, strebten sich mehrere von S. abhängige sizilische Städte frei zu machen und suchten zu diesem Zweck Unterstützung bei den Athenern nach. Diese, schon längst eifersüchtig auf die mächtige Handelsstadt, sandten auch 415 eine große Flotte unter Nikias und Lamachos nach Sizilien (sizilische
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Syrdarja - Syrien.
Expedition der Athener 415-413). Die Athener eroberten 414 die Vorstädte Epipolä und Tycha und
hatten S. schon auf der Landseite eingeschlossen, als nach dem Tode des Lamachos der Spartaner Gylippos ihre Verschanzungen durchbrach und sie zwang, sich auf den Angriff zur See zu beschränken. Unter Führung des Gylippos und des Hermokrates erbauten die Syrakusier 413 eine Flotte, entrissen den Athenern ihre befestigte Stellung auf dem Vorgebirge Plemmyrion, Ortygia gegenüber, und brachten ihnen in einer Seeschlacht eine Niederlage bei. Durch Demosthenes verstärkt, versuchten die Athener einen
nächtlichen Angriff auf Epipolä, der mißlang, lieferten den Syrakusiern, um die Ausfahrt aus dem Hafen zu erzwingen, eine unglückliche Seeschlacht und wurden, 40,000 Mann stark, auf dem Abzug zu Lande am Assinaros vernichtet. 7000 Gefangene wurden in die Latomien auf Achradina geworfen, wo sie meist verschmachteten, Nikias und Demosthenes hingerichtet. Unter dem Einfluß des Volksvorstehers
Diokles wurde darauf in S. eine neue, völlig demokratische Verfassung eingeführt, deren erste Bestimmung die Wahl der Magistrate durch das Los war. Zugleich wurden geschriebene, sehr strenge Gesetze gegeben. Der gleichwohl überhandnehmenden Zügellosigkeit zu steuern und sich gegen die Eroberungs-
pläne Karthagos zu schützen, übertrug das Volk dem
tapfern Dionysios I. (s. d.) das Oberkommando über die Armee, bahnte ihm aber dadurch den Weg
zur Tyrannis (406). Dionysios drängte nach mehreren Kriegen die Karthager in den westlichen Teil Siziliens zurück und befestigte die Herrschaft von S. über die Osthälfte der Insel und einen Teil Unteritaliens. In S. erbaute er auf der Nordspitze der
Insel Ortygia die Feste Hexapylon und umgab die
Stadt mit einer hohen Quadermauer, welche auch die Vorstädte Tycha und Epipolä umfaßte und 20 km lang war; die Einwohnerzahl stieg auf eine Million. Im kleinen Außenhafen legte Dionysios 50, im großen innern 100 Docks für Kriegsschiffe an. Die wohlbefestigte Regierung übernahm nach ihm 367 sein
Sohn Dionysios II., ein Wollüstling, der 357 von
Dion vertrieben wurde, aber 346 zurückkehrte. Endlich nötigte ihn 343 Timoleon, seine Herrschaft niederzulegen. Letzterer zerstörte die Burg , stellte die demokratische Verfassung wieder her und zog durch Häuser- und Äckerverteilung an 60,000 neue Ansiedler in die entvölkerte Stadt. Die nach seinem Tod entstandenen Unruhen benutzte Agathokles (s. d.), um sich unter der Verheißung einer reinen Demokratie zum Tyrannen aufzuwerfen (317). Seine strenge und gewalttätige Regierung erhielt wenigstens Ruhe im Innern, wodurch es noch möglich wurde, daß sich S. gegen die in Sizilien immer weiter fortschreitenden und S. schon belagernden Karthager halten konnte. Nach Agathokles' Tod (289) warf sich Mänon, der Mörder jenes, zum Herrscher auf, ward aber von Hiketas vertrieben, der sich drei Jahre lang behauptete. Als er gegen die Agrigentiner zu Felde
zog, stritten in der Stadt Thynion und Sostratos
um die Herrschaft. Zur Stillung dieser Unruhen riefen die Syrakusier den damals in Italien kriegführenden Pyrrhos (277) herbei, der S. von den Karthagern befreite und seinen Sohn zum König von
Sizilien einsetzte. Nach seinem Weggang wählten
aber (275) die Syrakusier Hieron II. zu ihrem Feldherrn und 269 zum König. Dieser stand den Römern im ersten und zweiten Punischen Krieg mit Erfolg bei und sicherte sich dadurch seine Herrschaft im östlichen Teil der Insel. Sein Enkel und Nachfolger
(seit 215) Hieronymus trat dagegen im zweiten
Punischen Krieg auf die Seite der Karthager und beschleunigte dadurch seinen Sturz (214) und den Untergang der Selbständigkeit von S., das 212 nach
tapferer Verteidigung durch Archimedes von Marcellus erobert wurde. Seitdem ward S. mit dem östlichen Teil Siziliens römische Provinz. Der alte Glanz der Stadt verschwand für immer, und die Bevölkerung nahm immer mehr ab. Vergebens suchte sie Augustus durch eine Kolonie zu heben. Gegen Ende des 5. Jahrh. n. Chr. ward S. von germanischen Völkerschaften, die zur See ankamen, besonders von den Vandalen, 884 aber von den Sarazenen geplündert. Kaiser Heinrich VI. schenkte 1194 die Stadt
den Genuesen, die ihm gegen Tankred beigestanden hatten; doch befreiten sich die Syrakusier mit Hilfe der Pisaner bald wieder. S. kam hierauf unter spanische Herrschaft und ward Residenz des Statthalters. Infolge einer Seeschlacht, die bei S. 1718 zwischen den Engländern und Spaniern geschlagen wurde, mußten die letztern die Stadt den Österreichern einräumen, bekamen aber 1755 die Insel Sizilien wieder. 1100,1542, 1693und 1735 litt S.bedeutend durch Erdbeben. Vgl. Arnold, Geschichte von S. (Gotha 1816); Privitera, Storia di Siracusa
antica e moderna (Neap. 1879, 2 Bde.); Cavallari u. Holm, Topografia archeologica di Siracusa (Pal. 1884; deutsch bearb. von Lupus: "Die Stadt S. im
Altertum", Straßb. 1887).
Syrdarja, Fluß, s. Sir Darja.
Syria Dea, Göttin, f. Derketo.
Syrien (türk. Suria), ein Land der asiat. Türkei, an der Ostküste des Mittelländischen Meers, bezeichnete ursprünglich den gesamten Umfang des assyrischen Reichs, bis der Name in abgekürzter Form durch die Griechen auf die Gebiete westlich des Euphrat beschränkt wurde, und heute versteht man darunter alles Land zwischen dem Euphrat und der Arabischen Wüste im O. und dem Mittelmeer im W., dem Taurus im N. und der Grenze Ägyptens im Süden, d. h. das heutige Wilajet Surija und die südwestliche Hälfte von Haleb (Aleppo) sowie die selbständigen
Bezirke Libanon und Jerusalem (s. Karte "Türkisches Reich"). Infolge des Parallelismus seiner von N. nach Süden streichenden Gebirge, welche, wenn auch von tiefen Querspalten durchschnitten, den Taurus im N. mit den von NW. nach SO. ziehenden Küstengebirgen des Arabischen Meerbusens verbinden, ist das
Land von ziemlich gleichförmiger Oberflächenbildung.
Ihrer Ausdehnung und mittlern Höhe nach stehen die syrischen Gebirge zwar hinter den großen ostwestlich gerichteten Systemen Asiens zurück, bewirken aber dennoch infolge ihrer nordsüdlichen Aufrichtung eine sehr ungleiche Verteilung des Regens. Da im Mittelmeerbecken die Westwinde vorherrschen, so ist nur der Westabfall des Landes reich an Regen; dagegen sind die östlichen Abdachungen und innern Hochebenen sehr arm an Niederschlägen, Quellen und Flüssen und bilden zum größten Teil vegetationsarme Steppen oder kahle Wüsten. Während von der Küste weit landeinwärts die Gebirge durchaus der Kalkformation angehören und nur stellenweise, wie in der Spalte
des Jordanthals, vulkanische Gebilde zu Tage kommen, treten dieselben weiter ostwärts und bis tief in die Wüste hinein, namentlich in der Südhälfte von S., in Hunderten von Trachyt- und Basaltkegeln einzeln oder in größern Gruppen und von der verschiedensten Höhe auf (z. B. Dschebel Hauran 1782 m).
Die größten, als nackte Felsen über die Waldregion ansteigenden Erhebungen der Kalkgebirge finden sich
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Syrien (Geschichte).
im N.: der Amanos der Alten (Gjaur Dagh), 1850 m hoch, der Kasios (Dschebel Akraa), 1770 m, der Libanon, 3063 m; landeinwärts der Hermon (Dschebel el Scheich), 2860 m, und der Antilibanon, 2670 m. Die südliche Fortsetzung des Libanon und Antilibanon (vgl. Palästina) steigt nirgends zu mehr als 1000-1200 m Höhe an; ihre meist abgerundeten Gipfel und Scheitelflächen sind daher bis oben hinauf angebaut, und dasselbe gilt von den östlich sich anschließenden Hochflächen (die alten Landschaften Hauran und Baschan, 700-900 m hoch) und um Damaskus (700 m), die zum Teil aus sehr ergiebigem Thonboden bestehen. Bei dieser Beschaffenheit der Oberfläche sind die Flußthäler (von dem nur als Grenzfluß Bedeutung habenden Euphrat abgesehen) zum größten Teil kurze Querthäler, in denen nur aus den höhern Küstengebirgen (Amanos, Kasios, Libanon) eine größere Wassermenge mit starkem Gefälle unmittelbar dem Meer zufließt. Die wenigen längern Flüsse verlaufen in nordsüdlichen Längsthälern zwischen den Parallelketten des Kalkgebirges und zwar in entgegengesetzter Richtung nach N. und Süden, weil die bedeutendste Bodenanschwellung gerade in der Mitte Syriens unter 34° nördl. Br. liegt. Dort steigt das breite Thal zwischen dem Libanon und Antilibanon (jetzt Bekaa genannt, im Altertum Bukka) zu fast 1200 m an und entsendet nach N. den größten syrischen Strom, den Orontes (El Asi), nach Süden den Lita (Litani), welcher zuletzt scharf nach W. umbiegt und in einem kurzen Querthal das Meer erreicht, und in einer östlichen Parallelfalte den Jordan (s. d.). Was das Klima anlangt, so hat S. eigentlich nur zwei Jahreszeiten, eine mit, die andre ohne Regen. Von Anfang Mai bis Ende Oktober ist die regenlose Zeit, mit vorherrschenden Nordwestwinden; gegen Ende Oktober bezeichnen Gewitter den Beginn der Zeit, wo Südwest- und Südwinde Regen bringen. Die Temperaturunterschiede sind bedeutend: im Innern des Landes, in der Wüste und auf den Hochebenen sinkt das Thermometer häufig unter 0°, und in Damaskus, Jerusalem (mittlere Jahrestemperatur +17° C.) und Aleppo fällt öfters Schnee. Die Sommerhitze in Damaskus und sonst im Innern ist natürlich bedeutender als an der Küste, wird aber noch sehr von dem Ghor (Thal des Jordan) übertroffen. S. ist kein unfruchtbares Land und war einst angebauter als heute. Sein Küstenland gehört der Mittelmeerflora an, die sich durch immergrüne, schmal- und lederblätterige Sträucher und rasch verblühende Frühlingskräuter auszeichnet; das Plateau hat orientalische Steppenvegetation mit vielen Dornsträuchern und wenig zahlreichen Bäumen (Labiaten, Disteln, Eichen, Pistazien, Koniferen etc.); das Ghor (s. d.) gehört der subtropischen Flora an. Die hauptsächlichsten Ausfuhrartikel sind: Weizen, Süßholz, Rosenblätter, Aprikosen, Rosinen, Oliven und Öl, Tabak, Galläpfel, Seide, Kokons (1877 wurden 1,925,000 kg Kokons und 140,000 kg rohe Seide produziert) und Südfrüchte. Unter den Haustieren spielen die Schafe (meist Fettschwänze) eine große Rolle, nächst ihnen die Ziegen. Das Rindvieh ist klein und wird nur im Libanon geschlachtet. Der indische Büffel kommt im Jordanthal vor, das Kamel hauptsächlich in der Wüste; auch Pferde, Esel, Hühner sind häufig. Die viel vorkommenden Heuschrecken werden von den Beduinen gegessen. Die Bevölkerung von S. zerfällt der Abstammung nach in Nachkommen der alten Syrer (Aramäer), Araber, Juden, Griechen, Türken und Franken, der Religion nach in Mohammedaner, Christen verschiedener Bekenntnisse und Juden. Die Syrer nahmen zum Teil den Islam und die arabische Sprache an, zum Teil blieben sie Christen. Die Araber zerfallen in seßhafte und Nomaden, letztere äußerlich Mohammedaner, eigentlich aber Sternanbeter. Türken sind nur in geringer Zahl vorhanden. Von der gesamten, auf etwa 2 Mill. Seelen (14 auf 1 qkm) geschätzten Einwohnerschaft des Landes bekennen sich vier Fünftel zum Islam. Unter den Christen überwiegen die fanatischen griechisch-orthodoxen (Patriarchate von Jerusalem und Antiochia); sie sprechen meist arabisch. Armenier und Kopten finden sich fast nur in Jerusalem; wichtiger sind die Jakobiten, namentlich im N. verbreitet, ihrem Glauben nach Monophysiten. Die römisch-katholische Kirche, vertreten durch Lazaristen, Franziskaner und Jesuiten, besitzt in S. zwei Filialkirchen, die griechisch-katholische und die syrisch-katholische, mit gewissen Vorrechten. Zu ihr gehören auch die Maroniten (s. d.) im Libanon, deren Patriarch von Rom bestätigt wird. Protestanten, Bekehrte der amerikanischen Mission, gibt es nur ein paar tausend. Die Juden zerfallen in spanisch-portugiesische Sephardim und Aschkenazim aus Rußland, Österreich und Deutschland; außerdem gibt es ca. 50 Familien der Samaritaner in Nabulus. Von mohammedanischen Sekten sind aufzuführen: die Drusen (s. d.) im Libanon und Hauran, zum größern Teil von den alten Syrern, zum Teil von eingewanderten Araberstämmen abstammend; die Nossairier (s. d.), welche auf dem nach ihnen genannten Dschebel Nasairijeh ihre Sitze haben; die Ismaeliten (s. d.), die mit den berüchtigten Assassinen identisch sind, und die Metâwile, eine Abart der Schiiten, südlich von den Drusen im Libanon und in Galiläa zwischen Saida und Tyros.
[Geschichte.] Die Urbewohner Syriens, sämtlich Semiten, zerfielen in mehrere Stämme, von denen derjenige der Aramäer (s. Aramäa) oder der eigentlichen Syrer der bedeutendste war. Das Land zerfiel damals in einzelne Städte mit Gebieten unter besondern Oberhäuptern. Schon im frühsten Altertum werden Damaskus, Hamath, Hems oder Emesa, Zoba u. a. erwähnt. Ein altes wichtiges Emporium war die Palmenstadt Tadmor oder Palmyra; nicht minder berühmt als Mittelpunkt des Sonnenkultus war Baalbek oder Heliopolis. Eine größere Rolle in der Weltgeschichte als die eigentlichen Syrer spielten die an der Westküste wohnenden Völker, die Kanaaniter, Phöniker und Israeliten oder Juden. Die eigentlichen Syrer vermochten sich oft fremder Unterdrücker nicht zu erwehren; insbesondere machte David einen großen Teil ihres Landes zu einer Provinz des jüdischen Reichs. Bei der Teilung desselben rissen sie sich wieder los, und in Damaskus entstand ein selbständiges Reich, welchem nach und nach die Häuptlinge der übrigen Städte tributpflichtig wurden. Nach mannigfachen Schicksalen ward S. 730 v. Chr. von Tiglat Pilesar II. zu einer Provinz des assyrischen Reichs gemacht; die Griechen, welche das Land zuerst als assyrische Provinz kennen lernten, gaben ihm davon den Namen Syria. Nach dem Fall des assyrischen Reichs ward S. eine Provinz von Babylonien (um 600), dann von Persien (538) und von Makedonien (333), bis es endlich durch die Seleukiden 301 wieder zu einem selbständigen Reich erhoben ward. Der Gründer dieser Dynastie, Seleukos Nikator (301-280), dehnte die Grenzen seines Reichs nach O. bis zum Oxus und Indus aus und machte S. zum Mittelpunkt desselben. Durch Erneuerung und Gründung vieler griechischer Städte (Seleukeia am Tigris, Seleukeia am Orontes, Antiocheia u. a.)
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Syringa - Syrische Sprache und Litteratur.
suchte er in seinem Reich, welches 72 Satrapien umfaßte, den Wohlstand zu heben. Aber seinen Nachfolgern fehlte zum Zusammenhalten dieses Reichs die nötige Kraft und Energie. Schon 256 rissen die Parther Iran von S. los und beschränkten 150 das Reich auf das eigentliche S., und auch dieses ward 85 großenteils dem armenischen König Tigranes unterwürfig, bis es 64 von Pompejus zur römischen Provinz gemacht wurde. Im 4. Jahrh. n. Chr. trennte Konstantin d. Gr. Kommagene und Kyrrhestika vom übrigen S. und machte daraus eine eigne Provinz, Namens Euphratensis; das übrige Land aber ward später von Theodosius dem jüngern in Syria prima und Syria secunda eingeteilt. Unter Justinian wurden die wichtigsten Städte Syriens von den Persern genommen, darunter Antiochia. Dann brachen 635 die Araber verwüstend ins Land ein, eroberten es und bekehrten die Einwohner zum größten Teil zum Islam. Erst unter der Herrschaft der arabischen Kalifen hob sich S. wieder. Doch ward das Land den Kalifen bald von rebellischen Statthaltern und diesen wieder durch die turkmenische Miliz entrissen. Auch durch die Kreuzzüge litt das Land sehr. Saladin, Sultan von Ägypten, entriß S. 1187 den Kreuzfahrern wieder, und unter seinen Nachfolgern kam es an die Mamelucken. Schwer litt es dann durch die Einfälle der Mongolen unter Dschengis-Chan. 1517 eroberte der Osmanensultan Selim I. S., und fortan bildete es eine türkische Provinz. Doch empörten sich die dortigen Paschas häufig gegen die Pforte. 1833 kam S. unter die Herrschaft Mehemed Alis, Vizekönigs von Ägypten; durch die Intervention der europäischen Mächte 1840 aber kehrte es unter die unmittelbare Herrschaft der Pforte zurück. Der unaufhörliche Wechsel der Herrscher, verheerende Kriege und die Barbarei der mohammedanischen Gewalthaber haben Land und Volk völlig ruiniert, so daß es jetzt wenig mehr als eine schwach bevölkerte, sterile Einöde voll Ruinen ist. In neuerer Zeit hat S. namentlich durch die Kämpfe der Drusen (s. d.) und Maroniten (s. d.) die Aufmerksamkeit Europas wieder auf sich gezogen; infolge der blutigen Verfolgungen, denen besonders im Juni 1858 die Maroniten ausgesetzt waren, namentlich der Christenmetzelei in Damaskus vom Juli 1860 bis Juni 1861, besetzten französische Truppen das Land. Vgl. Vogüé, Architecture civile et religieuse du I. au VI. siècle dans la Syrie centrale (Par. I866-77, 2 Bde.); Derselbe, Inscriptions sémitiques de la Syrie (das. 1869-77); Burton und Drake, Unexplored Syria (Lond. 1872); Zwiedineck, S. und seine Bedeutung für den Welthandel (Wien 1873); Sachau, Reise in S. und Mesopotamien (Leipz. 1883); Lortet, La Syrie d'aujourd'hui (Reise 1875 bis 1880, Par. 1884); Bädeker, Palästina und S. (2. Aufl., Leipz. 1880); über die neuere Geschichte: de Salverte, La Syrie avant 1860 (Par. 1861); Edwards, La Syrie 1840-62, histoire etc. (das. 1862); Abbé Jobin, La Syrie en 1860 et 1861 (Lille 1862); Jochmus, The Syrian war (Berl. 1883, 2 Bde.).
Syringa L. (Flieder, Syringe, Lilak), Gattung aus der Familie der Oleaceen, Sträucher mit gestielten, entgegengesetzten, glatten, ganzrandigen, selten fiederig eingeschnittenen Blättern, wohlriechenden Blüten in reichen, endständigen Rispen und länglichen, meist zusammengedrückten, lederigen Kapseln. Sechs Arten in Osteuropa und dem gemäßigten Asien. S. vulgaris L. (gemeiner Flieder, türkischer, spanischer Flieder, fälschlich Holunder, Jelängerjelieber), ein 2-6 m hoher Strauch mit herzförmig länglichen Blättern, lila und weißen Blüten und konkaven Blumenkronabschnitten, soll 1566 durch Busbecq von Konstantinopel nach Flandern gekommen sein und im Orient wild wachsen; wahrscheinlicher aber stammt er aus den östlichen Karpathen, aus Ungarn und Siebenbürgen; gegenwärtig wird er in zahlreichen Formen als Zierstrauch kultiviert. Das ziemlich feste, schön geflammte Holz wird von Drechslern und Tischlern benutzt. S. persica L. (persischer Flieder), ein kleinerer Strauch mit kleinern, elliptisch-lanzettförmigen Blättern, länger gestielten, fleisch- oder rosenroten, auch weißen Blüten und ziemlich flachen Blumenkronabschnitten, wächst in Daghestan, aber ebensowenig wie der vorige in Persien, wird, wie auch einige andre Arten und Blendlinge (S. chinensis Willd., S. Rothomagensis Ren., wahrscheinlich aus S. vulgaris und S. persica entstanden), als Zierstrauch kultiviert. Ebenso S. Josikaea Jacq. aus Ungarn, mit elliptischen Blättern und knäuelförmig zusammengedrängten, eine Rispe bildenden, tief violettblauen Blüten ohne Duft.
Syrinx, nach griech. Sage Tochter des arkadischen Flußgottes Ladon, ward, von Pan verfolgt, in ein Schilfrohr verwandelt, dem der Wind süß klagende Töne entlockte. Pan schnitt von dem Schilf Röhrchen, eins immer kleiner als das andre, und bildete hieraus eine Pfeife, der er den Namen S. gab. Syringen hießen auch die unterirdischen Begräbnishöhlen der ägyptischen Könige bei Theben.
Syrische Christen, s. v. w. Nestorianer.
Syrische Sprache und Litteratur. Die syrische Sprache ist die wichtigste Sprache der aramäischen Gruppe der semitischen Sprachen (s. Semiten) und tritt zuerst in palmyrenischen Inschriften des 1. Jahrh. n. Chr. auf. Nachdem sie im 1. Jahrtausend n. Chr. ihre Blütezeit gehabt, ward sie seitdem durch die stammverwandte arabische Sprache mehr und mehr verdrängt und ist jetzt, abgesehen von einigen verderbten Volksmundarten in Kurdistan und Mesopotamien (bearbeitet von Nöldeke in "Grammatik der neusyrischen Sprache am Urmiasee", Leipz. 1868; von Prym und Socin: "Der neuaramäische Dialekt des Tûr-Abdîn", Götting. 1881, 2 Bde.; von Socin: "Die neuaramäischen Dialekte von Urmia und Mosul", Tübing. 1882), welche auf sie zurückzuführen sind, nur noch Schrift- und Gelehrtensprache. Die besten Grammatiken derselben lieferten P. Ewald (Erlang. 1826), Hoffmann (Halle 1827; in neuer Bearbeitung von Merk, 1867-70), Uhlemann (2. Aufl., Berl. 1857) und Nöldeke (Leipz. 1880), kürzer Nestle (mit Litteratur, Chrestomathie und Glossar, 2. Aufl., Berl. 1888); Wörterbücher Castellus (hrsg. von Michaelis, Götting. 1788), Bernstein (Berl. 1857 ff., unvollendet); mit Glossarien versehene Chrestomathien Hahn und Sieffert (Leipz. 1826), Bernstein und Kirsch (Lond. 1867, 2 Bde.), Oberleibner (Wien 1826), Rödiger (2. Aufl., Halle 1868), Wenig (Innsbr. 1866), Zingerle (Rom 1871-73), Cardahi (das. 1875) und Martin (Par. 1875). Eine neue vollständige Sammlung des syrischen Wortschatzes mit Beiträgen der hervorragendsten Kenner des Syrischen gibt R. P. Smith heraus ("Thesaurus syriacus", bis jetzt 5 Hefte, Oxf. 1868-80). Die Schrift der Syrer, eine jüngere Nebenform der phönikischen, die etwas Eckiges und Steifes hat (s. die "Schrifttafel"), hieß in ihrer ältesten Gestalt Estrangelo; aus ihr ist die kufische Schrist der Araber, die Mutter des spätern arabischen, persischen und türkischen Alphabets, entstanden. Aus der jüngern syrischen Schrift sind (durch Vermittelung der Nestorianer) die Schriftarten der Uiguren, Mongolen, Kalmücken u. Mandschu
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Syrjänen - Syrphus
hervorgegangen. Von der ältesten syrischen Litteratur ist nichts bekannt. Die zahlreichen erhaltenen Schriftdenkmäler rühren meist aus den ersten Jahrhunderten n. Chr. her und sind vorwiegend christlich-theologischen Inhalts. Doch fanden damals auch die Geschichte und Philosophie sowie die Naturwissenschaften unter den Syrern Pflege, in welchen Fächern diese im 8. und 9. Jahrh. Lehrer der Araber wurden, wie sie überhaupt als Vermittler älterer Kulturen einen großen Einfluß in Vorderasien ausgeübt haben. Der letzte klassische Schriftsteller der Syrer ist Bar-Hebräus (gest. 1286), jakobitischer Weihbischof zu Maraga. Das älteste noch vorhandene Denkmal der christlich-syrischen Litteratur ist eine Übersetzung des Alten und Neuen Testaments, die sogen. Peschito (s. d.). Für die Kirchengeschichte sind die meist schon mehrfach herausgegebenen Werke der syrischen Kirchenväter von großem Interesse; eine Auswahl derselben hat Bickell zu übersetzen begonnen (Kempten 1874 ff.). Unter den historischen Werken ist namentlich die Chronik des Bar-Hebräus zu erwähnen. Die um das Jahr 515 geschriebene Chronik des Josua Stylites hat der französische Orientalist Martin herausgegeben in den "Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes" (Leipz. 1876). Die berühmte indische Märchensammlung "Pantschatantra" ist schon im 6. Jahrh. auch ins Syrische übertragen worden, und diese alte Version (hrsg. mit Übersetzung u. d. T.: " Kalilag und Damnag" von Bickell, nebst einer Einleitung von Benfey, Leipz. 1876) ist ursprünglicher als das auf die Gegenwart gekommene indische Original. Ebenso sind manche gar nicht mehr oder nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt erhaltene Werke des klassischen Altertums in syrischen Versionen oder arabischen Übertragungen derselben bewahrt. Den Text eines syrischen historischen Romans: "Julianos der Abtrünnige", gab Hoffmann heraus (2. Ausg., Kiel 1887). Die Poesie der Syrer ist lediglich kirchlicher und liturgischer Art und entbehrt alles wahrhaft dichterischen Geistes. Der älteste Hymnendichter ist der Gnostiker Bardesanes; neben ihm ist noch Ephräm der Syrer zu nennen. Die reichsten Sammlungen syrischer Handschriften besitzen Rom, Paris und das Britische Museum zu London. Vgl. Nestle, Litteratura syriaca (Bibliographie, Berl. 1888).
Syrjänen, ein Volk nordfinn. Stammes, wohnt in den russischen Gouvernements Wologda und Archangel und ist nahe verwandt mit den Permiern und Wotjaken. Im Gouvernement Archangel wohnen die S. nur im Kreis Mesen an der Petschora und dem obern Lauf des Flusses Mesen; in Wologda bilden sie fast die ganze Masse der ländlichen Bevölkerung in den Kreisen Ustsyssolsk und Jarensk; ihre Zahl wird auf 85,500 angegeben. Einst wohnten sie an der Kama und Wjatka und nennen sich deshalb noch beute Kama -Männer (Komi-mort, Komi-jas und Komi-woitur). Als Stephan, Bischof von Perm, zu Ende des 14. Jahrh. mit ungewöhnlicher Energie unter den finnischen Völkern der permischen Gruppe das Christentum verbreitete und ihre Götzen verbrannte, wanderten die S. in die Flußgebiete der Petschora, Wytschegda und des Mesen aus. Die S. sind bekannt durch Fleiß und Ehrlichkeit, gehören der griechischen Kirche an, unterscheiden sich in Kleidung und Sitte wenig von den Russen, wohnen in gut gebauten Dörfern, beschäftigen sich mit Landwirtschaft, Viehzucht, Jagd und Fischerei und sind wohlhabender als ihre russischen Nachbarn. Vom Januar bis in den April begeben sie sich in Gesellschaften von 10-20 Mann tief hinein in die Urwälder, oft über 500 km von den Wohnstätten, mit Hilfe eines kleinen Kompasses (madka) und machen Jagd auf Bären, Wölfe, Luchse, Füchse, Marder und hauptsächlich auf Eichhörnchen, von welch letztern sie in guten Jahren bis 900,000 Stück verkaufen. Roggen, Gerste, Talg und Häute schicken sie nach Archangel, Wild nach Petersburg und Moskau, Eichhörnchen-, Marder- und Fuchsfelle auf die Jahrmärkte von Nishnij Nowgorod und Irbit. Die Sprache der S. gehört zu der finnisch-ugrischen Gruppe des uralaltaischen Sprachstammes und ist am nächsten mit der permischen verwandt. Vgl. Castrén, Elementa grammaticae syrjaenae (Helsingf. 1844); Wiedemann, Grammatik der syrjanischen Sprache (Petersb. 1884); Derselbe, Syrjänäsch-deutsches Wörterbuch (das. 1880).
Syrlin, Jörg, Bildschnitzer, war seit ca. 1450 in Ulm thätig, wo er eine Anzahl von Chorstühlen, Singepulten und selbständigen Bildwerken in Holz ausgeführt hat, unter denen das Chorgestühl im Münster (1469-74) durch Feinheit der Charakteristik in den Figuren und durch die naturalistische, von edlem Schönheitssinn verklärte Detailbehandlung eine erste Stelle in der deutschen Bildnerei des 15. Jahrh. einnimmt. Er hat auch den Steinernen Brunnen auf dem Marktplatz zu Ulm geschaffen. Sein gleichnamiger Sohn ist in Ulm und Blaubeuren ebenfalls als Bildschnitzer thätig gewesen.
Syrmien, ehemals Herzogtum in Slawonien, benannt nach der römischen Stadt Sirmium (s. d.), umfaßte den östlichen Teil der von der Drau, Save und Donau umflossenen sogen. Syrmischen Halbinsel, stand erst unter den ungarischen Königen, dann unter den Türken, nach deren Vertreibung 1688 Kaiser Leopold I. das italienische Haus Odescalchi damit belehnte. Später kam S. an das Haus Albani. Das jetzige kroatisch-slawonische Komitat S. grenzt an die Komitate Torontál, Bács-Bodrog und Veroviticz sowie an Bosnien und Serbien, hat ein Areal von 6848,5 qkm (124,4 QM.), ist gebirgig (Fruska-Gora), fruchtbar (vorzüglicher Weizen und Wein, Mais, Obst, Kastanien), hat (1881) 296,678 Einw. (meist Serben) u. lebhafte Pferde-, Vieh-, Bienen- und Seidenraupenzucht. Komitatssitz ist Vukovar (s. d.).
Syrnium, s. Eulen, S. 906.
Syrokomla, Wladyslaw (eigentlich Ludwig Kondratowicz), poln.Dichter, geb. 17. Sept. 1823 zu Jaskowice in Litauen, lebte bis 1853 als Landwirt in Zalucz am Niemen, später in Borejkowszczyzna bei Wilna und starb in letzterer Stadt 15. Okt. 1862. S. war kein Dichter von hohem Gedankenflug. aber vom Feuer echter Begeisterung und tiefem, auf, richtigem Gefühl erfüllt, zugleich von einer ungewöhnlichen Einfachheit im Ausdruck. Unter seinen zahlreichen im Volkston gehaltenen poetischen Erzählungen (Gawedy) sind hervorzuheben: "Urodzony Jan Deborog", "Janko Cmentarnik", "Noc hetmanska" und "Zgon Acerna" auf den Tod Klonowicz' (f. d.), dessen trübe Lebensschicksale ein Spiegelbild der seinigen bildeten. Weniger erfolgreich versuchte er sich) auf dramatischem Gebiet ("Kaspar Karlinski" u.a.). S. lieferte auch eine Geschichte der polnischen Litteratur ("Dzieje literatury w Polsce", 2. Ausg., Warsch. 1874, 3 Bde.) sowie eine treffliche metrische Übersetzung der polnisch-lateinischen Dichter Janicki, Sarbiewski, Szymonowicz, Klonowicz u. a. (Wilna 1852, 6 Bde.). Eine Gesamtausgabe seiner Dichtungen erschien in 10 Bänden (Warsch. 1872). Seine Biographie schrieb I. I. Kraszewski(Warsch. 1863).
Syrphus, Schwebfliege; Syrphidae, Familie aus der Ordnung der Zweiflügler, s. Schwebfliegen
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Syrrhaptes - Szajnocha.
Syrrhaptes, Steppenhuhn.
Syrte, Name zweier Busen des Mittelländischen Meers an der Küste Nordafrikas. Die Große S. (Dschûnel Kebrit, auch Golf von Sidra), zwischen der Landschaft Tripolis und dem Plateau von Barka, bildet den am weitesten nach Süden einbiegenden Teil des Mittelmeers; die Kleine S. (auch Golf von Gabes) liegt südlich von der Bai von Tunis zwischen den Landschaften Tunis und Tripolis.
Syrup (Sirob, arab., lat. syrupus), s. Sirup.
Syrus, röm. Dichter, s. Publilius Syrus.
Sysran (Ssysran), Kreisstadt im russ. Gouvernement Simbirsk, unweit der Wolga, an der Eisenbahn Morschansk-Orenburg, hat 7 Kirchen, eine Stadtbank, eine Realschule und (1885) 28,624 Einw., welche Acker- und Gartenbau, Industrie in Leder, Eisen und Talg und Handel mit Getreide und Salz treiben. S. wurde I683 angelegt.
Syssitien (griech.), gemeinschaftliche Männermahle in den altdorischen Staaten Griechenlands, besonders Sparta, wo sie auch Pheiditien hießen. Zur Teilnahme an den täglichen S. waren alle männlichen Bürger Spartas vom 20. Lebensjahr an verpflichtet und mußten hierzu einen Beitrag in Naturalien und Geld entrichten. Das Hauptgericht war die berühmte schwarze Blutsuppe, Schweinefleisch in Blut gekocht und mit Essig und Salz gewürzt. An jedem Tisch speisten in der Regel 15 Personen, welche auch im Krieg Zeltgenossen waren.
System (griech., das "Zusammengestellte"), jedes nach einer gewissen regelrechten Ordnung aus Teilen zusammengesetzte Ganze. In diesem Sinn redet man von einem Nervensystem, insofern die Verbindung der Nerven deren Zusammenwirken zu den Zwecken des tierischen Lebens bedingt; von einem Tonsystem oder der Reihenfolge der Töne nach bestimmten Intervallen; von einem Planetensystem, das durch die Abhängigkeit der Bewegung der einzelnen Planeten von einem Zentralkörper, der Sonne, zu stande kommt; ferner von Eisenbahn-, Verwaltungs-, Ackerbausystemen etc. Insbesondere aber versteht man unter S. ein geordnetes Ganze von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die vollendete Form aller wissenschaftlichen Darstellung, welche dadurch gewonnen wird, daß alle Begriffe aus einem oder einigen höchsten Prinzipien hergeleitet und entwickelt werden, wobei sich das Verfahren nach der Art, wie ein Ganzes wissenschaftlicher Erkenntnisse überhaupt zu stande kommt, verschiedenartig modifiziert. Die unterste Form systematischer Darstellung oder der Systematik ist die Klassifikation, insofern dieselbe lediglich die Verhältnisse logischer Über- und Unterordnung zu berücksichtigen hat, wobei der Zusammenhang des Mannigfaltigen mehr ein äußerlicher ist. Diese Systematik gestaltet sich nicht allein nach der verschiedenen Natur und Erkenntnisquelle der einzelnen Wissenschaften verschieden, sondern es machen sich auch innerhalb des Gebiets einer einzelnen Wissenschaft im Lauf der Zeit Veränderungen nötig, je nachdem man bei Ableitung und Begründung des Details bald von diesem, bald von jenem Standpunkt ausgeht, wodurch nicht nur die Form, sondern auch der Inhalt der Wissenschaft verschiedene Modifikationen erleiden muß. Die Darlegung der allgemeinen Formen des systematischen Verfahrens ist Aufgabe der Logik, während deren nähere Anwendung auf besondere Gebiete wissenschaftlicher Erkenntnis der einzelnen Wissenschaft überlassen bleibt. In der Naturwissenschaft versteht man unter S. die wissenschaftliche Aneinanderreihung der Naturkörper nach gewissen gemeinsamen Merkmalen zu Arten, dieser zu Gattungen, dieser weiter zu Familien, Ordnungen und Klassen. Je nachdem man hierbei von einem einzelnen Merkmal oder einigen wenigen ausgeht oder die Gesamtheit derselben berücksichtigt, unterscheidet man künstliche und natürliche Systeme. Künstliche Systeme hat man namentlich in der Botanik gehabt, z. B. solche, welche nach der Beschaffenheit des Stammes alle Pflanzen in Kräuter und Bäume trennten, oder nach der Beschaffenheit der Fortpflanzungswerkzeuge (wie Linné) oder nach der Frucht (wie Gärtner) einteilten. Sie wurden schon am Ende des vorigen Jahrhunderts durch das alle Merkmale gleichmäßig berücksichtigende und der in der allgemeinen Tracht (Habitus) sich aussprechenden natürlichen Verwandtschaft Rechnung tragende natürliche System (von Jussieu) ersetzt (weiteres s. Pflanzensystem). In der Zoologie hat man niemals eigentlich künstliche Systeme gehabt, da sich hier die natürliche Verwandtschaft deutlicher ausprägt; doch hat auch das zoologische S. im einzelnen selbstverständlich die größten Veränderungen erfahren. Der Zug der modernen Forschung geht dahin, die natürlichen Systeme der Lebewesen zu genealogischen Systemen umzugestalten (vgl. Darwinismus, S. 567 f.). Über Geologische Systeme s. Geologische Formation.
Systematik (griech.), die Kunst der systematischen Darlegung (s. System), Anleitung dazu. Systematisch, ein System bildend, planmäßig.
Système de la nature, Titel des berühmten philosophisch-materialistischen Buches im Geiste der französischen Encyklopädisten, das pseudonym 1770 erschien, und als dessen Verfasser jetzt der Baron v. Holbach (s. d.) gilt.
Systole (griech.), in der Prosodie im Gegensatz zur Diastole (s. d.) die Verkürzung einer von Natur langen Silbe durch die Aussprache, welche regelmäßig in der Senkung des Versfußes unmittelbar vor der folgenden Hebung eintritt, z. B. "Obstupui steteruntque comae" (Vergil); in der Physiologie die Zusammenziehung der Herzmuskulatur (weiteres s. Blutbewegung, S. 60).
Sytschewka (Ssytschewka), Kreisstadt im russ. Gouvernement Smolensk, an der Wasusa und der Bahnlinie Wjasma-Rshew, mit (1885) 4984 Einw.
Syzygien (griech.), in der Astronomie gemeinsame Bezeichnung für Konjunktion und Opposition, also für diejenigen Stellungen eines Planeten zur Sonne, wo beide, von der Erde aus betrachtet, entweder gleiche oder um 180° verschiedene Länge haben.
Szabadka (spr. ssá-), s. Maria-Theresiopel.
Szabolcs (spr. ssáboltsch), ungar. Komitat am linken Theißufer, grenzt an die Komitate Szatmár und Bereg im O., Ung und Zemplin im N., Borsod und Szolnok im W. und Bihar im Süden und umfaßt 4917 qkm (89,3 QM.). Der Boden bildet eine im O. bewaldete, im W. und NW. aber längs des Laufs der Theiß mit Sodaseen und Morästen angefüllte, doch überaus fruchtbare Ebene mit fetten Weiden. Nur der sogen. Nyir, eine sandige Fläche mit dünenartigen Erhebungen, ist weniger fruchtbar. Hauptfluß ist die Theiß mit der Szamos. Die Einwohner (1881: 214,008), meist Ungarn, betreiben die Rindvieh-, Schaf- und Schweinezucht im großen. Hauptort des Komitats, welches die Ungarische Staatsbahn durchschneidet, ist die Stadt Nyiregyháza.
Szajnocha (spr. schai-), Karl, poln. Dichter und Geschichtschreiber, geb. 1818 zu Komaro bei Sambor in Galizien, wurde 1835 als Gymnasiast zu Lemberg wegen eines politischen Gedichts, das man bei ihm
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Szalay - Szasz
fand, mit schwerer Gefängnishaft bestraft, die seine Gesundheit zerrüttete und ihm den Weg zu höherer Bildung verschloß, und schlug nun die schriftstellerische Laufbahn ein, indem er Gedichte, Erzählungen und Dramen aus der Vorzeit Polens in Lemberger Zeitungen veröffentlichte. Bald wandte er sich jedoch von diesen poetischen Versuchen ab, einem ernsten und vertieften Studium der polnischen Geschichte zu und ließ als nächste Frucht desselben zwei mit verdientem Beifall aufgenommene Schriften erscheinen: "Boleslaw Chrobry" (Lemb. 1848) und "Pierwsze odrodzenie Polski" ("Die Wiedergeburt Polens", das. 1849), worin die Zeiten Wladislaw Lokieteks und Kasimirs d. Gr. treu und anschaulich geschildert werden. Bedeutenderes noch leistete er in "Jadwiga i Jagiello" (Lemb. 1855, 3 Bde.; 2. Aufl. 1861, 4 Bde.), seinem Hauptwerk, das sein Talent für historische Malerei im vollsten Glanz erscheinen läßt. S. war inzwischen (1853) Kustos der Ossolinskischen Bibliothek in Lemberg geworden, doch mußte er die Stelle schon nach wenigen Jahren wegen Erblindung wieder aufgeben. Er starb, bis zuletzt litterarisch thätig, 10. Jan. 1868 in Lemberg. Von seinen Schriften sind noch hervorzuheben: "Lechicki poczatek Polski" ("Der lechische Ursprung Polens", Lemb. 1858); die vortrefflichen "Szkice historyczne" (das. 1854-69, 4 Bde.) und "Dwa lata dziejów naszych" ("Zwei Jahre polnischer Geschichte"), eine Schilderung der Kriege Polens mit den Kosaken (das. 1865-69, 2 Bde.). Eine Sammlung seiner historischen Werke (mit Biographie von Kantecki) erschien unter dem Titel: "Dziela Karola Szajnochy" (Lemb. 1876-78, 10 Bde.).
Szalay (spr. ssállai), Ladislaus von, ungar. Historiker und Staatsmann, geb. 18. April 1813 zu Ofen, widmete sich von 1824 bis 1826 in Stuhlweißenburg und Pest philosophischen und juridischen Studien, begann 1833 die Advokatenpraxis und ward infolge seiner Schrift "Das Strafverfahren mit besonderer Rücksicht auf die Strafgerichte" (Pest 1840) zum Schriftführer der vom Reichstag zur Ausarbeitung eines Strafkodex niedergesetzten Kommission gewählt. 1843 wurde er von der Stadt Karpfen als Deputierter zum Reichstag entsendet, wo er sich der liberalen Opposition anschloß. Er beteiligte sich seit 1844 teils als Redakteur, teils als Mitarbeiter am "Pesti Hirlap". Seine Abhandlungen, worin er namentlich für administrative Zentralisation und Reform des Komitatswesens seine Stimme erhob, erschienen gesammelt als "Publicistai dolgozatok" (Pest 1847, 2 Bde.). Sein "Státusférfiak könyve" (Pest 1847-52) enthält Lebens- und Charakterschilderungen bedeutender reformatorischer Staatsmänner. Von der ungarischen Regierung 1848 zu ihrem Gesandten bei der deutschen Zentralgewalt in Frankfurt ernannt, ging er dann in derselben Eigenschaft nach London, ward aber hier nicht anerkannt, begab sich darauf in die Schweiz und kehrte später nach Pest zurück, wo er 1861 zum Reichstagsabgeordneten gewählt wurde. Er starb 17. Juli 1864 in Salzburg. Seine Hauptwerke (in ungarischer Sprache) sind: "Geschichte Ungarns" (Leipz. 1850-60, 6 Bde.; deutsch von Wögerer, Pest 1866 bis 1875, 3 Bde.); "Nikolaus Esterházy von Galantha, Palatinus von Ungarn" (das. 1862-66, 2 Bde.); "König Johann und die Diplomatie" (im "Budapesti Szemle" 1858-60); "Ungarisch-geschichtliche Denkwürdigkeiten" (Pest 1858-60, 3 Bde.). Vgl. Flegler, Erinnerungen an L. v. S. (Leipz. 1866).
Szamarodny (spr. ssá-), s. Tokayer.
Szamos (spr. ssámosch), Nebenfluß der Theiß in Ungarn, entspringt im Biharer und Aranyoser Gebirge in zwei Quellflüssen, die sich bei Deés vereinigen, fließt dann nordwestlich, nimmt die Kraszna auf und mündet in der Nordwestecke des Szatmárer Komitats bei Ocsva-Apathi.
Szamos-Ujvár (spr. ssámosch-, Armenierstadt), Stadt im ungar. Komitat Szolnok-Doboka (Siebenbürgen), an der Klausenburg-Bistritzer Bahn, Sitz eines griechisch-kath. Bischofs, mit schöner armenischer Kirche, altem Schloß, bischöflichem Palais, Franziskanerkloster, griechisch-katholischer theologischer Akademie, (1881) 5317 meist armen. Einwohnern, lebhaftem Getreide- und Viehhandel, Lederindustrie, Landesstrafanstalt und Bezirksgericht. In der Nähe das Schwefelbad Kérö.
Szanthó (spr. ssánto), Markt im ungar. Komitat Abauj-Torna, am Hegyaljagebirge, mit (1881) 4279 Einw., Weinbau und Bezirksgericht.
Szapary (spr. ssápp-), 1) Ladislaus, Graf, öfterreich. General, geb. 22. Nov. 1831 zu Pest, trat 1848 in die österreichische Kavallerie, ward 1857 Major, 1860 Flügeladjutant des Kaisers, 1862 Kommandant des 1. (jetzt 13.) freiwilligen Husarenregiments, mit welchem er 1866 in Italien wichtige Dienste leistete, 1869 Generalmajor und Brigadekommandeur in Pest, 1874 Feldmarschallleutnant und Kommandeur der 20. Division, mit der er 1878 in Bosnien einrückte. Nach der Verstärkung der Okkupationsarmee ward er zum Kommandeur des 3. Armeekorps ernannt, nahm an der völligen Okkupation hervorragenden Anteil und erhielt im Oktober das Militärkommando in Temesvár, dann in Kaschau. Er starb 28. Sept. 1883 in Preßburg.
2) Julius, ungar. Staatsmann, Vetter des vorigen, geb. 1. Nov. 1832, ward 1861 Deputierter für Szolnok und in rascher Karriere Ministerialrat im Ministerium des Innern und Staatssekretär im Kommunikationsministerium (August 1870), welcher Stellung er aber schon im Mai 1871 entsagte, um dann 5. März 1873 Minister des Innern zu werden. Er bekämpfte da die Schäden des alten Regimes mit Nachdruck und übernahm bei der Rekonstruktion des Ministeriums Tisza im Dezember 1878 das Finanzportefeuille, das er bis zum Februar 1887 innehatte.
Szárvady (spr. ssar-). Wilhelmine, s. Clauß.
Szarvas (spr. ssárwasch). Markt im ungar. Komitat Békés, an der Körös, Station der Ungarischen Staatsbahn, mit (1881) 22,504 Einw. (Slawen und Ungarn), evang. Obergymnasium und Bezirksgericht.
Szász (spr. ssaß). Karl, ungar. Schriftsteller, geb. 15. Juni 1829 zu Nagy-Enyed in Siebenbürgen, studierte daselbst und gewann schon 1847 mit einer poetischen Erzählung einen Preis. Nach der Revolution, in deren letzten Kämpfen er als Honvéd mit focht, studierte er Theologie, wirkte als Gymnasiallehrer in Nagy-Körös, wurde dann calvinistischer Seelsorger zuerst in Kézdi-Vásárhely, dann in Kun-Szent-Miklós, vertrat den Fülöpszallaser Bezirk auf dem Reichstag von 1865 und trat 1867 als Sektionsrat im Kultusministerium in den Staatsdienst. Zwei Jahre später wurde er zum Schulinspektor und 1876 zum Ministerialrat im Ministerium ernannt. S., der Mitglied der Akademie und der Kisfaludy-Gesellschaft ist und von beiden wiederholt mit Preisen ausgezeichnet wurde, hat auf dem Felde der Lyrik und poetischen Erzählung ("Almos", "Salamon") sowie des Dramas ("Zrinyi", "Herodes", "Georg Frater"), besonders aber als poetischer Übersetzer eine reiche Thätigkeit entwickelt und unter anderm das Nibelungenlied, Dantes "Göttliche Komödie", zwei Bände Gedichte von Goethe, mehrere Dramen von Shakespeare, Ten-
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Szászkabánya - Szécsény.
nysons Idylle, Lustspiele von Molière u. a. ins Ungarische übersetzt. Auch sein Buch "A vilápirodalom eposzai" ("Die großen Epen der Weltliteratur", Budapest 1882, 2 Bde.) enthält zahlreiche ausgezeichnete Übersetzungsproben. - Auch seine Brüder, Dominik, geb. 1838, reformierter Bischof von Siebenbürgen, und Béla, geb. 1840, jetzt Professor der Philosophie in Klausenburg, haben sich, der erstere auf theologisch-politischem Gebiet, der letztere als Lyriker, einen litterarischen Namen gemacht.
Szászkabánya (spr. ssáhßkabanja), Markt im ungar. Komitat Krassó-Szörény, mit (1881) 2812 Einw., Kupfer- und Schwefelkiesbergbau, Kupferschmelzhütten und Bezirksgericht.
Szatmár (spr. ssátt-), ungar. Komitat am linken Theißufer, von den Komitaten Bereg, Ugocsa, Marmaros, Szolnok-Doboka, Szilágy, Bihar und Szabolcs begrenzt, umfaßt 6491 qkm (117,9 QM.), ist im Süden und O. gebirgig, im übrigen Teil eben und stellenweise sumpfig. Die Theiß fließt an der Nordgrenze und nimmt die Szamos, Kraszna und den Tur auf. S. hat (1881) 293,092 Einw. (meist Ungarn) und ist in der Ebene sehr fruchtbar. In den gebirgigen Gegenden blüht Rindvieh-, Schaf-, Schweine- und Bienenzucht. Das Mineralreich liefert Gold, Silber, Kupfer und Antimon; auch sind Glashütten und Sägemühlen in Betrieb. Hauptort ist Nagy-Károly. - Die Stadt S. (seit der 1715 erfolgten Vereinigung der Städte S. und Németi auch S.- Németi), königliche Freistadt im Komitat S. und Station der Ungarischen Nordostbahn, liegt an beiden Ufern der Szamos, ist Sitz eines römisch-kath. Bischofs und Domkapitels sowie eines Gerichtshofs und einer Finanzdirektion, hat eine Kathedrale, 2 Klöster, ein katholisches und ein reform. Gymnasium, eine Lehrer- und eine Lehrerinnenpräparandie, eine theologische Diözesanlehranstalt, ein Seminar und (1881) 19,708 ungar. Einwohner, die Gewerbe, Handel und auf dem benachbarten S.-Hegy (einer städtischen Ansiedlung mit 2000 reform. Einwohnern) auch Weinbau betreiben. S. hat eine Dampfmühle, ein königliches Tabaksmagazin und am Domplatz eine Büste des ungarischen Dichters Kölcsey.
Szczawnica (spr. sstschá-), Badeort in der galiz. Bezirkshauptmannschaft Neumarkt, in den Karpathen, nahe der ungarischen Grenze, mit mehreren Heilquellen (alkalisch-muriatischen Säuerlingen, Natron- und Natronlithion-, jod- und bromhaltigen Quellen), besuchter Trink- und Badeanstalt (ca. 3000 Kurgäste) und (1880) 2140 Einw.
Széchényi (Szécsényi, beides spr. sséhtschenji), ein ungar. Adelsgeschlecht, das seit dem Schluß des 16. Jahrh. emporkommt und vom 17. Jahrh. ab bedeutende Kirchenfürsten und Staatsmänner aufweist:
1) Georg, 1645 Domherr von Gran, 1647 Bischof von Fünfkirchen, 1649 von Veszprim, 1658-68 von Raab, 1668-85 Erzbischof von Kalocsa, zugleich Administrator des Raaber Bistums, 1685-95 Graner Primas; ein "Wunder der Freigebigkeit" ("prodigium munificentiae") genannt.
2) Paul, Pauliner Eremit, in welcher Lebensstellung er die Ordensprofessur der Theologie und Philosophie bekleidete, Prior und Generaldefinitor des Ordens, 1676 Bischof von Fünfkirchen und kaiserlicher Rat, Abt von St. Gotthardt und Propst von Raab, 1687 Bischof von Veszprim.
3) Stephan, Graf von, ungar. Staatsmann, geb. 21. Sept. 1792 zu Wien, Sohn des durch Stiftung des ungarischen Nationalmuseums bekannten Grafen Franz von S. (gest. 20. Dez. 1820), diente erst beim Insurrektionsheer gegen die Franzosen, machte dann in der regulären Armee die wichtigsten Feldzüge des europäischen Völkerkriegs mit, schied aber 1825 aus dem Militärdienst, um sich der Förderung des geistigen und industriellen Interessen seines Vaterlandes zu widmen. Verdienste erwarb er sich namentlich durch seine Mitwirkung zur Errichtung einer ungarischen Akademie, der er 60,000 Gulden Konventionsmünze überwies, durch seine Verwendungen 1832 zur Errichtung eines ungarischen Nationaltheaters und Konservatoriums der Musik und zur Erbauung einer festen Donaubrücke zwischen Pest und Ofen sowie 1834 als Kommissar für die oberste Leitung der Regulierungsarbeiten am Eisernen Thor und der Regulierung des Theißbettes. Nach dem Ausbruch der Revolution von 1848 ward er zum Minister der öffentlichen Arbeiten ernannt, sah sich aber als Aristokrat von der demokratischen Partei bald in den Hintergrund gedrängt. Der Schmerz über den Bruch mit Österreich im Oktober 1848 hatte für ihn eine Geisteskrankheit zur Folge, und er ward in die Irrenanstalt nach Döbling gebracht, wo er auch nach seiner scheinbaren Genesung blieb. Er erschoß sich 8. April 1860. Im J. 1880 wurde ihm in Pest ein Denkmal errichtet. Von seinen Schriften sind noch hervorzuheben: "Hitel" ("Über den Kredit", deutsch, Pest 1830), "Világ" ("Licht, oder aufhellende Bruchstücke und Berichtigung einiger Irrtümer und Vorurteile"; deutsch, das. 1832) und "Stadium", 1. Teil (Leipz. 1833), das drittbedeutendste, den Reformplan enthaltend, die ihm den Beinamen "Vater der Reform" erwarben; ferner "A kelet népe" ("Das Volk des Ostens", Pest 1841); "Politai programmtöredékek" ("Politische Programmfragmente", das. 1846) und "Hunnia" (18^8), "Blick auf den Rückblick" (nämlich auf die Druckschrift "Rückblick" von dem Minister Bach; anonym, Lond. 1860). Vgl. Lónyay, Graf Stephan S. und seine hinterlassenen Schriften (deutsch von Dux, Pest 1875) ; A. Zichy, Die Tagebücher des Grafen Stephan S. (Budapest 1884). - Sein Neffe Graf Emmerich, geb. 15. Febr. 1825, ist seit Januar 1879 österreichischer Botschafter in Berlin, ein andrer Neffe, Graf Paul, geb. 1838, war bis 1888 ungarischer Handelsminister.
4) Béla, Graf, Asienreisender, geb. 3. Febr. 1837 zu Budapest, studierte in Berlin und Bonn Staatswissenschaft, bereiste 1863 Nordamerika und schrieb daraus "Amerikai utam" ("Meine amerikanische Reise", Pest 1865), ging 1865 nach Algerien und trat im Dezember 1877 von Triest aus, begleitet vom Obersten Kreitner und dem Geologen L. v. Loczy, eine Reise nach Asien an. Indien, Japan, Java, Borneo und einen großen Teil von China durchreisend, gelangte er zwar nicht nach Lhassa, der Hauptstadt Tibets; aber es war ihm doch möglich, unter vielen Gefahren wertvolle Daten von solchen Gegenden des Weltteils zu sammeln, über welche bisher kein Europäer nach direkter Anschauung geschrieben hatte. Auf der Rückreise kam S. durch Jünnan und so von China nach Hinterindien. S. war zweimal Abgeordneter für das Ödenburger Komitat und lebt gegenwärtig in Budapest. Die Schilderung jener Expedition gibt das Werk seines Reisebegleiters Kreitner: "Im fernen Osten. Reisen des Grafen S. 1877-80" (Wien 1881). In Verbindung mit Kreitner, Lóczy u. a. gab er 1883 ein wissenschaftliches Werk über seine Relsen mit Atlas auf eigne Kosten heraus.
Szécsény (spr. sséhtschenj), Markt im ungar. Komitat Neográd, mit Franziskanerkloster, einst berühmtem festen Schloß, (1881) 3097 Einw. und Bezirksgericht.
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Szegedin - Szemere.
Szegedin (spr. sségg-), königliche Freistadt im ungar. Komitat Csongrád, am Zusammenfluß der Maros und Theiß, Kreuzungspunkt der Österreichisch-Ungarischen Staats- und der Alföld-Fiumaner Bahn und Dampfschiffstation, wurde durch die 11. und 12. März 1879 eingetretene furchtbare Überschwemmung, wobei die Theißfluten den Damm der Alföldbahn durchbrachen, beinahe ganz vernichtet. Über 5300 Häuser sind teils eingestürzt, teils unbewohnbar geworden, und erst Mitte August 1879 wurde die Stadt wasserfrei. Zur Sicherung derselben gegen die fast jährlich wiederkehrende Hochflut hat man zwei Dammgürtel und einen 9 1/2 m hohen Ringdamm errichtet und die ganze Stadt, für welche damals 2,9 Mill. Gulden an Liebesgaben eingingen, unter der Leitung des Regierungskommissars, des jetzigen Grafen Ludwig Tisza, rekonstruiert. Das heutige S., der Hauptort des Alföld, ist eine ganz moderne Stadt mit zwei großen, durch mehrere Radialstraßen verbundenen Ringen, breiten, geraden Nebengassen, großen Plätzen (darunter der Széchényiplatz in der Mitte der Stadt) und zahlreichen Pracht- und Monumentalbauten. Die hervorragendsten neuen Gebäude sind: das große Rathaus mit imposantem Turm am Széchényiplatz, das Hotel Tisza (Redoutengebäude), das Justiz-, Post- und Telegraphen- und das Finanzpalais, das Theater mit Kiosk und Stephaniepromenade am Theißufer (an Stelle der frühern Citadelle), das Gefangenhaus, der Honvéd-Offizierspavillon, die Honvédkaserne, die Infanteriekaserne mit Offizierspavillon, die große Mädchenschule, die evangelische u. die reform. Kirche etc. Über die Theiß führt außer zwei Eisenbahnbrücken eine monumentale eiserne Bogenbrücke (nach dem Plan Gustav Eiffels, 405 m lang, samt Brückenköpfen und Auffahrtrampe 591 m). S. hat (1881) 73,675 ungar. Einwohner, viele Fabriken (für Spiritus, Seife, Soda, Salami, Zündhölzchen, Tabak, Tuch, Ziegel etc.), eine Schiffswerfte, lebhaften Handel mit Getreide, Holz, Wolle etc., bedeutende Viehzucht, Acker-, Tabaks-, Wein-, Gemüse-, Paprikabau, hervorragende Märkte, einen großen Schiffsverkehr, eine Staatsoberrealschule, ein kath. Obergymnasium, eine Lehrerpräparandie und 4 Klöster. S. ist Sitz des Komitats, eines Honvéd-Distriktskommandos, einer Finanz- u. Staatsgüterdirektion, eines Gerichtshofs und hat ein Tabakseinlösungs- und Tabaksmagazin und eine Filiale der Österreichisch-Ungarischen Bank. - S., schon zu Matthias Corvinus' Zeiten eine berühmte ungarische Stadt, fiel nach der Schlacht bei Mohács in Solimans II. Gewalt, welcher sie stärker befestigen ließ. 1686 wurden die Türken geschlagen und mußten S. räumen. Hier 3. Aug. 1849 Haynaus Sieg über die aufständischen Ungarn.
Szeghalom (spr. ssé-), Markt im ungar. Komitat Békés, an der Mündung des Berettyókanals in die Schnelle Körös, mit (1881) 7537 ungar. Einwohnern, Ackerbau, bedeutender Rindvieh-, Schaf- u. Schweinezucht und Bezirksgericht.
Szegszárd (spr. sségssard), Markt und Sitz des ungar. Komitats Tolna, am Sárviz, mit Nonnenkloster, Landes-Seidenbauinspektorat, Gerichtshof und (1881) 11,948 Einw., die sich mit Wein-, Obst- und Seidenkultur beschäftigen; der Szegszárder Rotwein gehört zu den besten Weinen Ungarns.
Szék (spr. ßehk), Stadt im ungar. Komitat Szolnok-Doboka (Siebenbürgen), mit 4 Kirchen, großem Stadthaus, (1881) 2759 ungarischen und rumän. Einwohnern, Salzquellen und Bezirksgericht. S. war ehemals der Hauptort des Komitats Doboka.
Székely (spr. sséhk-), Bartholomäus, ungar. Maler, geb. 1835 zu Klausenburg, studierte in München bei Piloty und in Brüssel bei Gallait und machte sich seit 1860 durch Bilder aus der ungarischen Geschichte, von denen die Auffindung der Leiche Lndwigs II. zu Mohács, Doboczy tötet seine Gattin (beide im Nationalmuseum zu Pest), die Schlacht bei Mohács, die Frauen von Erlau verteidigen ihre Stadt gegen die Türken und die Flucht Emmerich Tökölys aus der Festung Lika hervorzuheben sind, bekannt. Er hat auch zahlreiche Illustrationen gezeichnet (zu Eötvös, Petöfi u. a.). S. ist Professor an der königlichen Landesmusterzeichenschule zu Pest und hat eine Schrift über die Grundprinzipien seines Faches (Budap. 1877) veröffentlicht.
Székely-Keresztur (spr. ssék-, auch Szitas-Keresztur), Markt im ungar. Komitat Udvarhely (Siebenbürgen), an der Ungarischen Staatsbahnlinie Schäßburg-Székely-Udvarhely, mit (1881) 2968 ungarischen und rumän. Einwohnern, Staatslehrerpräparandie, unitar. Gymnasium und Fabrikation von Sieben.
Székely-Udvarhely (spr. sséhkelj-úddwarhelj), Stadt, Sitz des ungar. Komitats Udvarhely (Siebenbürgen), am Großen Küküllö und an der Ungarischen Staatsbahnlinie Schäßburg-S., mit 2 Kirchen, Burgruine, Franziskanerkloster und (1881) 5003 ungarischen und rumän. Einwohnern, die zumeist Tabaksbau, Bienenzucht und verschiedene Gewerbe betreiben. S. hat ein kath. Gymnasium, ein reform. Kollegium, eine Staatsoberrealschule und einen Gerichtshof. In der Nähe das Bad Szejke, mit alkalisch-muriatischer Schwefelquelle.
Székler (spr. ssék-, ungar. Székely), ungar. Volksstamm, welcher die östlichen und nordöstlichen Gegenden Siebenbürgens bewohnt und den Urtypus des Magyarentums am treuesten bewahrt hat. Ihre alte Freiheit behauptend, galten die S. bis 1848 als adlig, hatten freies Jagd- und Weiderecht, leisteten keine Frondienste und unterstanden nur ihren eignen Richtern. Obgleich treffliche Grenzwächter, sträubten sie sich doch lange gegen den regulären Militärdienst und wurden erst nach Unterdrückung eines Aufstandes dazu vermocht, ein Husarenregiment und zwei Infanterieregimenter zu stellen. Sie waren 1848 und 1849 die tapfersten Verfechter des Magyarentums in Siebenbürgen, und an ihrer Spitze vornehmlich erfocht Bem seine Siege. Sodann verloren sie mit ihrer Verfassung auch ihre Vorrechte und wurden den übrigen Landesbewohnern gleichgestellt. Das Land der S. war bis 1876 in fünf sogen. Stühle eingeteilt; jetzt bildet es zumeist die Komitate Udvarhely, Csik und Háromszék. Vgl. Hunfalvy, Ethnographie Ungarns (Leipz. 1877); v. Herbich, Das Széklerland, geologisch beschrieben (Pest 1878). Die Volkspoesien der S. wurden von Kriza ("Székely vadrózsák". "Wilde Rosen der S.", 1863) gesammelt.
Széll (spr. ssell), Koloman, ungar. Finanzminister, geb. 8. Jan. 1842 zu Rátót im Eisenburger Komitat, studierte in Pest und Wien, ward 1867 zum Deputierten in den Reichstag gewählt und war aus allen bisherigen Reichstagen eins der thätigsten Mitglieder sowie 1868-75 Schriftführer des ungarischen Abgeordnetenhauses. 1875 wurde S. Finanzminister und führte große Ersparnisse ein. Wegen der großen Kosten der bosnischen Okkupation nahm er Ende 1878 seine Entladung und wurde Präsident der Ungarischen Kreditbank in Pest.
Szemere (spr. ssé-), Bartholomäus, ungar. Staatsmann und Schriftsteller, geb. 27. Aug. 1812 zu Vatta im Borsoder Komitat, studierte in Preßburg, praktizierte darauf im Borsoder Komitat als Advokat, ward
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Szene - Szilagy.
1842 zum Oberstuhlrichter, 1846 zum Vizegespan in Borsod und von demselben Komitat als Deputierter in den Reichstag gewählt. Er erwies sich hier als eins der thätigsten Mitglieder der Partei des Fortschritts und bearbeitete als Reichstagsschriftführer eine Reihe der wichtigsten Gesetzentwürfe. Im März 1848 im Ministerium Batthyányi mit dem Portefeuille des Innern betraut, entschied er sich mit Kossuth für entschlossene Revolution, übernahm nach dem Rücktritt des Ministeriums mit jenem die provisorische Leitung der Landesangelegenheiten und trat auch in den Landesverteidigungsausschuß ein. Im Dezember 1848 als Reichskommissar nach Oberungarn delegiert, bildete er hier ein Guerillakorps zur Abwehr des eingefallenen Schlikschen Korps. Nach der Unabhängigkeitserklärung (14. April 1849) übernahm er das Präsidium des neuen Kabinetts und floh, nachdem Görgei die Waffen gestreckt, nach Konstantinopel, machte dann eine Reise nach Griechenland und ließ sich hierauf in Paris nieder. Hier veröffentlichte er die vornehmlich gegen Kossuth gerichteten Charakteristiken: "Ludwig Batthyanyi, A. Görgei und L. Kossuth" (Hamb. 1851). 1865 kehrte er, gebrochen an Leib und Seele, in die Heimat zurück und starb 18. Jan. 1869 in einer Privatirrenanstalt zu Ofen. Seine gesammelten Schriften sind 1869 in Pest erschienen.
Szene (griech.), der Platz im Schauspielhaus, wo das Stück gespielt wird, die Bühne; dann auch der Ort und das Land, wo die Handlung vorgeht; auch s. v. w. Auftritt (f. d.). Ein Stück in S. setzen, s. v. w. es zur theatralischen Aufführung vorbereiten, fertig machen. Szenerie, das auf der S. oder Bühne vermittelst der Dekorationen etc. dargestellte Bild; allgemeiner s. v. w. Landschaftsbild, Gegend.
Szenische Spiele (Ludi scenici), bei den Römern Spiele, welche auf einer Schaubühne (scena), der Sage nach seit der Pest von 361 v. Chr., aufgeführt wurden und anfangs nur in Tanz mit Flötenbegleitung, ohne Beimischung von Gesang und Mimik, die erst später hinzukam, bestanden; vgl. Komödie.
Szent (ungar., spr. ssent), s. v. w. Sankt.
Szeut-Endre (spr. ssent-. Sankt-Andrä), Stadt im ungar. Komitat Pest, am rechten Donauufer, 15 km nördlich von Ofen, Sitz des Ofener griechisch-orientalischen Bischofs, mit vielen Kirchen, (1881) 4229 deutschen, serbischen und ungar. Einwohnern, Weinbau und Bezirksgericht. S. heißt auch eine schmale Donauinsel, welche sich von Waitzen bis gegen Budapest erstreckt und mehrere Dörfer enthält.
Szentes (spr. ssénntesch), Stadt im ungar. Komitat Csongrád, liegt an der Kurcza unfern der Theiß und hat mehrere Kirchen, (1881) 28,712 Einw., starken Weinbau und ein Bezirksgericht.
Szent-Miklós (spr. ssent-miklösch), Name mehrerer Orte in Ungarn: 1) Gyergyó-S. (s. d.), Markt im Komitat Csik. - 2) Kún-S. (s. d.), Markt im Komitat Pest. - 3) Liptó-S. (s. d.), Markt im Komitat Liptau. - 4) Nagy-S. (s. d.), Markt im Komitat Torontál. - 5) Török-S., Markt im Komitat Iasz-Nagy-Kun-Szolnok, an der Ungarischen Staatsbahn, mit (1881) 16,046 ungar. Einwohnern.
Szent-Peter (Sajó-S., spr. schájö-ssent-), Markt im ungar. Komitat Borsod, am Sajó und der Ungarischen Staatsbahnlinie Fülek-Miskolcz, mit schöner reform. Kirche, (1881) 3230 ungar. Einwohnern, vorzüglichem Weinbau und Bezirksgericht.
Szent-Tamas (spr. ssent-támäsch), Markt im ungar. Komitat Bács-Bodrog, am Franzenskanal, mit (1881) 10,609 meist serb. Einwohnern, Getreidebau und Viehzucht.
Szepes-Bela (spr. ssépesch-), eine 1881 entdeckteTropfsteinhöhle von riesigem Umfang im ungar. Komitat Zips (in der Hohen Tátra, am Berg Kobuly Vrch), zu der man durch das 8 km lange prachtvolle Tatraseenthal gelangt. Sie ist Eigentum der Stadt Bela (s. d.), besteht aus mehreren übereinander liegenden Grotten und zeichnet sich durch die großartigsten Tropfsteingebilde aus. In der Nähe der Szepes-Bélaer Tátra-Höhlenhain, klimatischer Kurort, 763 m ü. M., 10 km von der Bahnstation Poprád-Felka.
Szepes-Olaszi-Váralja (spr. ssépesch-), Name der Kaschau-Oderberger Bahnstation für die Städte Wallendorf und Kirchdrauf (s. d.) im ungar. Komitat Zips. In der Nähe von Kirchdrauf das Bad Baldócz, mit zwei erdigen, kalkhaltigen Säuerlingen.
Szerdahely (spr. ssér-, auch Duna-S.), Markt im ungar. Komitat Preßburg, Hauptort der Schüttinsel, mit (1881) 4182 ungar. Einwohnern, lebhaftem Vieh- handel und Bezirksgericht.
Szerencs (spr. ssérentsch), Markt im ungar. Komitat Zemplin, an der Ungarischen Staatsbahnlinie Debreczin-Miskolcz, mit altem Schloß und (1881) 2370 ungar. Einwohnern. In der Umgegend gedeiht vortrefflicher Wein.
Szetschuan, chines. Provinz, s. Setschuan.
Sziget (spr. ssi-), 1) (Szigetvár) Markt und ehemals bedeutende Festung Im ungar. Komitat Somogy, am Almás, Station der Fünfkirchen-Barcser Bahn, mit noch sichtbaren Mauern und Gräben, mehreren Kirchen, Franziskanerkloster und (1881) 5014 Einw. S. ist denkwürdig durch den Heldentod Nikolaus Zrinys (s. d.) 15. Sept. 1566 bei der Vertei- digung der Festung gegen die Türken unter Soliman. - 2) Stadt, s. Marmaros-Sziget.
Szigligeti (spr. ssi-), Eduard (eigentlich Joseph Szathmary), ungar. Dramatiker, geb. 1814 zu Großwardein, bildete sich in Pest zum Ingenieur aus, betrat aber 1834 in Ofen die Bühne und ward dann Sekretär und Regisseur des Nationaltheaters zu Pest. Von 1834 bis 1872 hat S. gegen hundert Stücke geschrieben und diese Zahl seitdem noch beträchtlich über-stiegen. Von seinen Lustspielen und Tragödien, denen eine gewisse Bühnenwirksamkeit nicht abzusprechen, wiewohl ihnen jeder tiefere poetische Wert abgeht, wurden viele von der Akademie mit dem Preis gekrönt. Besonderes Verdienst erwarb sich S. durch das ungarische Volksstück (ein von ihm geschaffenes Genre), in welchem er magyarisches Volksleben schildert und die magyarischen Volkslieder auf die Bühne bringt. Mehrere seiner hierher gehörigen Dramen, wie: "Der Deserteur", "Zwei Pistolen", "Der Jude", "Der Csikós" etc., fanden auch auf deutschen Bühnen Beifall. Seine Stücke bilden fast ausschließlich das Repertoire der Provinzialtheater und wandernden Schauspielertruppen Ungarns. S., der außerdem viele Beiträge zur Geschichte des magyarischen Schauspielwesens geliefert und eine Dramaturgie ("A dráma és vál-fajai", Budap. 1874) geschrieben hat, war Mitglied der ungarischen Akademie und der Kissaludy-Gesellschaft sowie seit 1873 dramatischer Direktor des Nationaltheaters. Er starb 20. Jan. 1878.
Szikszo (spr. ssíkssö), Markt im ungar. Komitat Abauj-Torna, an der Miskolcz-Kaschauer Bahnlinie, mit reform. Kirche in gotischem Stil, (1881) 3586 Einw., Getreide-, Wein- u. Obstbau u. Bezirksgericht.
Szilagy (spr. ssílädj), ungar. Komitat am linken Theißufer, 1876 aus den Komitaten Kraszna, Mittelszolnok und einem Teil von Doboka gebildet, grenzt im N. an das Komitat Szatmár, im O. an Szolnok-Doboka, im Süden an Klausenburg, im W
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Szilagy-Somlyo - Szymanowski.
an Bihar, umfaßt ein Gebiet von 3671 qkm (66,6 QM.), das sehr wald- und wildreich ist, und wird vom Kraszna- oder Bükkgebirge erfüllt und von den Flüssen Kraszna, Szamos, Berettyo, Szilagy etc. bewässert. S. hat (1881) 171,079 Einw. (Rumänen und Ungarn, meist Griechisch-Unierte), welche Acker- und Weinbau, Rindvieh- und Schweinezucht treiben. Sitz des Komitats ist die Stadt Zilah.
Szilágy-Somlyó (spr. ssiladj-schómljó), Stadt im ungar. Komitat Szilágy, an der Kraszna, mit Schloß, alter Felsenburg, 1434 von Stephan Bathori erbauter Kirche und Minoritenkloster, hat (1881) 4189 ungarische und rumän. Einwohner, Weinbau, eine Mineralquelle, ein Untergymnasium und Bezirksgericht.
Szilicze (spr. ssilize, auch Lednice genannt), Eishöhle im ungar. Komitat Gömör, in der Nähe von Rosenau, mit großartigen Eisbildungen.
Szinyák (spr. ssinjak), Badeort im ungar. Komitat Bereg, nordöstlich von Munkács, mit einer bei Gicht, Rheuma, Nervosität und Hautleiden heilkräftigen kalten alkalischen Schwefelquelle.
Szinver-Váralja (spr. ssinjer-wáhralja), Markt im ungar. Komitat Szatmar, mit (1881) 3691 rumänischen und ungar. Einwohnern, Weinbau und Töpfereien.
Szkleno (spr. sskléno), berühmtes altes Bad im ungar. Komitat Bars, liegt im wildromantischen Teplathal, unweit von Schemnitz, mit acht gegen Rheumatismus, Gicht, Nerven- und Hautübel wirksamen gipshaltigen Thermen von 45-53,5° C. Temperatur. Vgl. Bachschitz, Kurort S. (Budap. 1877).
Szlachcic (poln.), s. Schlachtschitz.
Szlatina (spr. sslá-, Akna-S.), Ort im ungar. Komitat Marmaros, 4,6 km von Marmaros-Sziget, mit dem es durch eine Schmalspurbahn verbunden ist, hat ein großes Salzbergwerk, das jährlich ca. 350,000 metr. Ztr. produziert.
Szlávy (spr. sslawi), Joseph, ungar. Staatsmann, geb. 23. Nov. 1818 zu Raab, trat, nachdem er seine Studien an der Schemnitzer Bergakademie absolviert hatte, in den Staatsdienst, zuletzt bei der ungarischen Hofkammer in Ofen, und ward 1848 von Kossuth mit der Leitung der Montanangelegenheiten in Oravicza beauftragt. Hier wurde S. nach der Revolution verhaftet; vom Temesvarer Kriegsgericht zu fünf Jahren Festungshaft in Eisen verurteilt, verbrachte er zwei Jahre in Olmütz. Dann in Freiheit gesetzt, lebte er zurückgezogen abwechselnd in Preßburg und auf seinem Landgut zu Almosd im Biharer Komitat. 1861 wurde er zum Statthaltereirat, 1865 zum Obergespan des Biharer Komitats, 1867 zum Staatssekretär im Ministerium des Innern, 1870 nach Abdankung des Grasen Miko zum Handelsminister und 1872 zum Ministerpräsidenten ernannt; doch blieb er in dieser Stellung nur wenige Monate. 1879 wurde er Präsident des Abgeordnetenhauses, 1880 Reichsfinanzminister und 1882 ungarischer Kronhüter und Vizepräsident des Oberhauses.
Szliács (spr. ssliatsch, Ribarer Bad), berühmter und besuchter Badeort im ungar. Komitat Sohl, südlich von Neusohl, Station des Altsohl-Neusohler Flügels der Ungarischen Staatsbahn, mit bei Frauenkrankheiten und Nervenleiden heilsamen, kohlensäurereichen Eisenthermen (25-32° C.). Vgl. Hasenfeld, Der Kurort S. (3. Aufl., Wien 1878).
Szobráncz (spr. sso-), Bad bei Ungvár im ungar. Komitat Ung, liegt, gegen N. vollständig geschützt, an der Südseite des Vihorlátgebirges und hat vier kalte salz- und schwefelhaltige Quellen und Schlammbäder.
Szofer, s. Sopher.
Szolnok (spr. ssól-), Stadt, Sitz des ungar. Komitats Jász-Nagy-Kun-S., Knotenpunkt der Österreichisch-Ungarischen u. Ungarischen Staatsbahn, an der Mündung der Zagyva in die Theiß, über die zwei Brücken führen, mit (1881) 18,247 ungar. Einwohnern, die Ackerbau, Gewerbe, Fischerei und Handel mit Obst, Bauholz etc. treiben. S. hat eine königliche Tabaks- u. eine Maschinenfabrik, ein Franziskanerkloster, ein Obergymnasium, ein Tabakseinlösungsamt und ein Bezirksgericht.
Szolnok-Doboka (spr. ssól-), ungar. Komitat in Siebenbürgen, grenzt an die Komitate Szilágy, Szatmár, Marmaros, Bistritz-Naszód und Klausenburg, umfaßt 5150 qkm (93,5 QM.), ist besonders im nördlichen Teil gebirgig und waldreich, wird von der Großen und Kleinen Szamos durchströmt und hat (1881) 193,677 meist rumän. Einwohner (Griechisch-Katholische), die Ackerbau, Viehzucht und Bergbau betreiben. Das Land ist namentlich in den Thälern fruchtbar (im Süden gedeiht auch Wein) sowie reich an Vieh und Wild, Salz und Eisen. Hauptort ist Dees.
Szörény (spr. ssörenj), ehemaliges Komitat in Ungarn, welches 1876 aus dem östlichen Teil der 1873 aufgelösten Banater Militärgrenze errichtet und 1880 mit dem Komitat Krassó vereinigt wurde (s. Krassó-Szörény). Amtssitz war Karansebes.
Szováta (spr. ssówata), Badeort im ungar. Komitat Maros-Torda (Siebenbürgen), mit (1881) 1471 ungarischen und rumän. Einwohnern, mehreren Salzseen, Solbädern und dem höchst merkwürdigen Salzberg, bei dem das Steinsalz in ganzen Felsen frei zu Tag tritt (s. Parajd).
Szujski (spr. sch-), Joseph, poln. Historiker und dramatischer Dichter, geb. 1835 zu Tarnow in Galizien, beendete seine Studien 1858 zu Krakau, zog sich dann auf sein väterliches Gut Kurdwanow bei Krakau zurück, war 1868-69 Reichsratsabgeordneter und wurde 1869 ordentlicher Profefsor der polnischen Geschichte an der Krakauer Universität. 1881 zum Mitglied des österreichischen Herrenhauses ernannt, starb er schon 7. Febr. 1883. S. gehörte zur konservativ-monarchischen Partei. Er veröffentlichte zahlreiche historische, durch lebensvolle Charakteristik ausgezeichnete Schauspiele ("Samuel Zborowski", "Halszka z Ostroga". "Hieronim Radziejowski", "Jadwiga", "Jerzy Lubomirski", "Sawanarola", "Michal Korybut", "Jan III.", "Kopernikus", "Dlugosz i Kallimach" u. a.), ferner eine vorzügliche "Geschichte Polens" ("Dzieje Polski", Lemb. 1862-65, 4 Bde.), "Rys driejót literatury zwiawa niechszescianskiego" (Krak. 1867) und metrische Übersetzungen von Äschylos, Aristophanes etc. In deutscher Sprache schrieb er: "Die Polen und Ruthenen in Galizien" (Teschen 1882). Seine gesammelten Werke erscheinen seit 1885 in Krakau.
Szymanowska (spr. schü-), Sophie, s. Lenartowicz.
Szymanowski (spr. schü-), Waclaw, poln. Schriftsteller, geb. 1821 zu Warschau, nach absolvierten Studien Finanzbeamter, seit 1867 Redakteur des verbreitetsten polnischen Lokalblattes: "Kurjer warszawski"; starb 21. Dez. 1886. Er schrieb die Dramen: "Salomon i Sedziwoj", "Dzieje serca" ("Herzensgeschichte"), "Matka" ("Die Mutter"), "Ostatnie chwile Kopernika" ("Die letzten Augenblicke des Kopernikus"), "Ostatnia próba" ("Die letzte Probe", 1880) etc.; ferner die Dichtungen : "Timur Leng" (1872), "Gawedy ("Erzählungen") und "Satyry" ("Satiren", 1874) etc.
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T - Tabak.
T.
T (te) t, lat. T, t, der harte oder tonlose dentale Verschlußlaut. Die Lautphysiologie zeigt, daß er auf vier verschiedene Arten gebildet werden kann. Von diesen ist das sogen. alveolare t besonders in Norddeutschland üblich; der Verschluß wird hier dadurch hervorgebracht, daß man den vordern Teil der Zunge an das hintere Zahnfleisch (Alveolen) der Oberzähne anlegt. Dagegen wird das in Süddeutschland (besonders im z) vorherrschende dorsale t dadurch hervorgebracht, daß man den vordern Teil des Zungenrückens (Dorsum) dem Gaumen nähert, während die Zungenspitze herabhängt. Außerdem pflegt in der norddeutschen Aussprache ein leiser Hauch dem t zu folgen. Das Sanskritalphabet hat ein besonderes Zeichen für das cerebrale t, das dadurch entsteht, daß man den vordern Zungensaum stark in die Höhe biegt und dem Gaumen nähert; ganz ebenso wird das gewöhnliche t des Englischen ausgesprochen. Das hochdeutsche t geht, geschichtlich betrachtet, vermöge der Lautverschiebung (s. d.) auf ein älteres d zurück, das in den übrigen germanischen Sprachen noch geblieben ist; man vergleiche z. B. unser toll mit englisch dull. plattdeutsch doll. Das altgermanische d geht aber seinerseits auf ein aspiriertes d zurück, das sich z. B. im Sanskrit als dh, im Griechischen als th zeigt; so finden wir für das griechische ther im Gotischen dius, im Englischen deer, während im Hochdeutschen aus dem d wieder ein t geworden ist: Tier; gotisch ga-daursan, "wagen", englisch to dare, heißt im Sanskrit dharsh, im Griechischen tharsein. Das th ist im Englischen ein gelispelter Laut, der zur Klasse der Reibelaute gehört, ebenso wie das th der Neugriechen, das c in gewissen spanischen Wörtern. Früher, in der althochdeutschen Periode, existierte dieser oder ein ähnlicher Laut auch in der deutschen Sprache; da derselbe aber längst verschollen ist und das th jetzt überall wie t ausgesprochen wird, so ist es wenigstens in deutschen Wörtern ganz überflüssig geworden und wirkt nur störend. Es sind daher Schreibungen wie Heimath, Monath mit Recht in Abnahme gekommen; doch ist, obwohl namentlich J. Grimm und andre deutsche Altertumsforscher einen Vernichtungskrieg gegen das th eröffneten, dasselbe so festgewurzelt, daß selbst die reformatorische neue Orthographie es nicht ganz beseitigt. Sie behält es (außer in Fremdwörtern, wie Katheder, Theater, Thee) bei in Silben, die nicht schon sonstwie als lang kenntlich sind, daher z. B. in Thal, Thor, That, thun; nicht aber in Teil, Tier, Mut, Turm, der Silbe -tum, z. B. in Altertum, und den meisten andern Fällen. Der Buchstabe t stammt von dem griechisch-phönikischen Tau ab.
Abkürzungen. Als Zahlzeichen bedeutet im Griechischen $\tau$' 300, ,$\tau$ 300,000; im Lateinischen T 160, T 160,000. Als Abkürzung bedeutet T. den römischen Vornamen Titus; im Handel ist T. = Tara; bei Büchercitaten = Tomus (Band); t = Tonne.
T., bei botanischen Namen für Tonrnefort (s. d.).
t. a. = testantibus actis (lat.), wie die Akten bezeugen.
T C, in der internationalen Telegraphie = télégramme comparé (franz.), verglichenes Telegramm.
T. F., in Frankreich früher den Zuchthanssträflingen auf die Schulter eingebrannte Buchstaben, = travail forcé, "Zwangsarbeit"; desgleichen:
T. P. = travaux à perpétuité. "lebenslängliche Zwangsarbeit".
T. P. L. = twice past the line (engl.), "zweimal die Linie (den Äquator) passiert", auf den Etiketten mancher Weine.
t. s. = tasto solo (s. d.).
t. s. V. p. = tournez, s'il vous plaît! (franz.), "wenden Sie gefälligst (das Blatt) um!"
Ta, in der Chemie Zeichen für Tantal.
Ta, Gewicht, s. Pikul.
Taaffe, Eduard, Graf, österreich. Staatsmann, geb. 24. Febr. 1833 zu Prag aus irischem Geschlecht, Sohn des Ministers von 1848, sodann Präsidenten des obersten Gerichtshofs, Grafen Ludwig Patrick T. (geb. 23. Dez. 1791, gest. 21. Dez. 1855), ward mit dem jetzigen Kaiser erzogen, trat 1857 in den Staatsdienst und durchlief sehr schnell die Stufen der Beamtenlaufbahn. 1861 noch Statthaltereisekretär, ward T. Ende 1861 Statthaltereirat und Vorsitzender der Kreisbehörde in Prag. Im April 1863 wurde er zum Landeschef im Herzogtum Salzburg, im Januar 1867 zum Statthalter in Oberösterreich, 7. März d. J. nach Belcredis Sturz zum Minister der innern Angelegenheiten ernannt. T. hatte bereits 1865-66 dem Landtag Böhmens als Abgeordneter angehört und damals zur verfassungstreuen Partei gestanden; Ende März 1867 wählte ihn der fideikommissarische Grundbesitz Böhmens zu seinem Vertreter im Landtag, und im April wurde er Mitglied des Reichsrats. Als es sich im Dezember 1867 darum handelte, für die Länder diesseit der Leitha ein parlamentarisches Ministerium zu berufen, wurde T. Minister der Landesverteidigung und öffentlichen Sicherheit sowie Stellvertreter des Ministerpräsidenten Carlos Auersperg. Als dieser im Herbst 1869 zurücktrat, war T. bis 15. Jan. 1870 Ministerpräsident. Vom 12. April 1870 bis 7. Febr. 1871 war er wieder Minister des Innern und wurde darauf zum Statthalter von Tirol ernannt. Nach dem Rücktritt des Ministeriums Auersperg wurde T. im Februar 1879 Minister des Innern und 12. Aug. Ministerpräsident und bezeichnete 5. Dez. die "Versöhnung der Nationalitäten" als sein Ziel. Nachdem sein Versuch, eine Mittelpartei zu bilden, gescheitert war, stützte er sich ganz auf die Ultramontanen, Polen und Tschechen, behauptete sich zwar trotz mancher Ministerwechsel, mußte aber seinen Anhängern wichtige Zugeständnisse in der Sprachenfrage, in materiellen Punkten und in der Volksschulsache machen, wodurch er die liberalen Deutschen gegen sich erbitterte, ohne doch die slawischen Ansprüche zu befriedigen.
Taasinge (Thorseng), dän. Insel, südöstlich von Fünen, Amt Svendborg, 69 qkm (1,25 QM.) groß mit (1880) 4529 Einw. und dem Flecken Troense.
Tabagie (franz., spr. -schih). Kneipe.
Tabago, Insel, s. Tobago.
Tabagorohre, s. Bactris und Cocos, S. 194.
Tabak (Nicotiana Tourn.), Gattung aus der Familie der Solanaceen, ein-, seltener mehrjährige, häufig drüsenhaarige, klebrige Kräuter, bisweilen halbstrauchig, selten strauch- oder baumartig, mit einfachen, ganzrandigen, selten buchtigen Blättern, endständigen Blütentrauben oder Rispen und trockner, zweifächeriger, vom bleibenden Kelch umgebener Kapsel mit zahlreichen sehr kleinen Samen. Etwa 50, bis auf wenige australische und polynesische, in Amerika heimische Arten. Bauerntabak (N. rustica L.), einjährig, 60-120 cm hoch, drüsig kurz behaart, klebrig, mit mehr oder weniger verästeltem Stengel,
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Tabak (Anbau, Handelssorten).
eiförmigen, oben sitzenden, unten gestielten, gerippten Blättern, grünlichgelben Blüten in endständigen, gedrängten Rispen und fast kugeligen Kapseln, in Mexiko und Südamerika, wird bei uns seltener gebaut, im Orient aber ausschließlich und liefert den türkischen T. und Latakia. Gemeiner, virginischer T. (N. Tabacum L., s. Tafel "Genußmittelpflanzen"), einjährig, 1-2 m hoch, drüsig kurz behaart, klebrig, mit sitzenden (die untern halbstengelumfassend, herablaufend), länglich lanzettförmigen, lang zugespitzten Blättern, in endständiger, ausgebreiteter Rispe stehenden, langröhrigen, hellroten Blüten und eiförmigen Kapseln, in Südamerika, wird in den gemäßigten und subtropischen Klimaten aller Erdteile kultiviert. Der großblätterige Marylandtabak (N. macrophylla Metzg.) unterscheidet sich von letzterer Art durch breitere, stumpfe, am Grund geöhrte, sitzende oder geflügelt gestielte Blätter und durch den gedrungenern Blütenstand, ist aber vielleicht nur eine Varietät derselben. Der T. gedeiht im allgemeinen noch, wo der Winterweizen im ersten Dritteil des Monats August reif wird; guter T. fordert aber ein Weinklima, und die feinsten Sorten werden zwischen 15 und 35° gebaut. Der Normalboden für den T. ist ein kalkhaltiger oder gemergelter Lehm der Sandkonstitution, welcher leicht erwärmbar und humushaltig ist. Auch milder Kalkmergelboden paßt noch für den T., muß aber recht warm liegen. Dem T. geht Klee, Luzerne, eine beliebige grün untergebrachte Frucht oder eine Hackfrucht voran; er folgt zwei und mehrere Jahre auf sich selbst und gibt sogar im zweiten oder dritten Jahr ein feineres Produkt als im ersten. Der T. entnimmt seinem Standort bedeutende Mengen Kali, leidet aber durch Chlorverbindungen. Für Pfeifengut und Deckblätter wirkt Gründüngung oder untergebrachter Klee mit Rindermistdüngung im Herbst am günstigsten, und im Spätherbst gibt man eine tiefe Furche. Auf sandreichem Boden wirkt eine Auffuhr von Moder vortrefflich. Kurz vor der Bestellung erhält das Land gartenartige Bearbeitung. Die jungen Pflanzen erzieht man in Mistbeeten oder in Kasten mit eingeschlagenen Pfählen (Kutschen); man säet im März, begießt fleißig, schützt die Pflanzen durch Strohdecken vor Frost, lichtet die Saat zur Zeit der Baumblüte, verpflanzt die kräftigsten Pflänzchen 2,5-5 cm weit mit Erdballen in Gartenbeete, schützt sie auch hier durch Strohdecken vor Nachtfrösten und bringt sie Ende Mai oder mit der ersten Junihälfte mit 6-7 Blättern auf den Acker. Man stellt sie 60 cm weit voneinander in 60 cm weit entfernten Reihen und läßt nach je zwei Reihen einen Weg. Sobald die Pflanzen angegangen sind, werden sie behackt, beim zweiten Behacken auch behäufelt und, wenn sich die Blütenrispe entwickeln will, geköpft, so daß je nach der Varietät 8-12 Blätter stehen bleiben. Später entfernt man auch die aus den Blattwinkeln entspringenden Seitentriebe (Geizen). Bei der ersten Behackung gräbt man zwischen je vier Pflanzen Löcher und gießt mit Wasser verdünnte und mit Guano gemengte Jauche hinein. Man kann statt dessen auch im Frühjahr Mist einbringen, doch gibt die Jauche stets ein feineres Produkt. Wenn der T. etwa 90 Tage auf dem Acker gestanden hat, sind die Blätter reif; sie werden matt, gelbfleckig, klebrig und bekommen einen starken Geruch. In diesem Zustand erntet man den für Deckblätter bestimmten T., Pfeifengut aber erst, wenn die Blätter anfangen, ihre Ränder einzurollen. Man verliert dadurch an Gewicht, aber das Produkt wird feiner. Bei der Ernte bricht man zuerst die untersten Blätter (Sandblätter), dann die folgenden (Erdblätter) und zuletzt als Haupternte die übrigen, welche die besten sind. Bei gutem Wetter knickt man die Blätter nur ein und löst sie am folgenden Tage ganz ab. Man trocknet sie in einem luftigen Raum auf Stangengerüsten, indem man sie auf Ruten anspillt oder an Bindfaden auffädelt, und läßt sie wochen- und monatelang hängen. Das Ernteverfahren variiert übrigens mehrfach, und in Amerika nimmt man die ganzen Pflanzen vom Feld ab, nachdem man sie einige Tage vorher so weit angehauen hat, daß sie sich umlegen, und hängt sie mit den Blättern zum Trocknen auf. Der Ertrag schwankt zwischen 900-2000 kg pro Hektar. Behandelt man den Geiz wie die Haupternte, so gibt auch jener noch einen Ertrag, freilich von geringer Qualität. Die geernteten Blätter bindet man in kleine Bündel, trocknet sie an der Luft und unterwirft sie dann einem Gärungsprozeß, indem man sie in lange, frei stehende Haufen von 1,25-1,5 m Breite und Höhe aufschichtet (Brühhaufensetzen, Aufstocken, Lagern) und nach eingetretener hinreichender Erwärmung der Haufen umschlägt, so daß die äußern Schichten nach innen zu liegen kommen. Diese Arbeit wird so oft wiederholt, bis die Blätter vollständig eingeschrumpft sind und eine mehr oder weniger dunkelbraune Farbe angenommen haben. Dann setzt man die Bündel zu sogen. Trockenbänken auf und lagert sie in größern Haufen. In der Pfalz, welche viele Blätter als Zigarrendeckblatt versendet, streicht man diese bei gehörigem Feuchtigkeitsgrad sorgfältig glatt, schichtet sie zu kleinen Stößen auf und preßt diese. Die feinern Sorten werden auch entrippt, indem man die beiden Blatthälften von der dicken Mittelrippe abzieht. Die Rippen selbst dienen zu Schnupftabak oder, zwischen Stahlwalzen flach gepreßt, zu Zigarreneinlagen oder billigem Rauchtabak.
Handelssorten. Wirkung des Tabaksgenusses. Die Handelssorten sind meist nach ihren Produktionsländern benannt; die wichtigsten sind etwa folgende: 1) Südamerikanischer T. a) Varinas (Kanaster) aus den Provinzen Varinas, Merida, Margarita etc. der Republik Venezuela, kommt in 7-8 kg schweren, 4-5 cm dicken, gesponnenen Rollen in Körben aus gespaltenem Rohr (canastra, daher der Name) in den Handel; er ist äußerst mild, mit feinem, weichem, kastanienbraunem Blatt und bildet den feinsten Rauchtabak. Die besten Rollen bilden den Muffkanaster; b) Orinokokanaster, sehr stark; c) Ori-nokokanasterblätter; d) Cumanátabak, dem Varinas gleichstehend; e) Cumaná-Andouillen oder Karotten; f) brasilischer T. in Rollen, Zigarren und Zigarretten, gegenwärtig ziemlich beliebt und stark eingeführt; g) Paraguaytabak, zum Teil sehr stark; h) Columbiatabak aus Neugranada und den angrenzenden Ländern: Carmen, Giron-Palmyra, Ambalema, meist Zigarrentabak, dem Varinas nahestehend; i) mexikanischer T., erst in neuester Zeit in den großen Markt eingetreten. 2) Westindischer T. a) Cuba oder Havana, die vorzüglichste aller Sorten, deren ausgesuchteste und teuerste Blätter Cabanos heißen. Der Havanatabak wird größtenteils an Ort und Stelle auf Zigarren verarbeitet; es kommen aber auch Blätter in Bündeln und Seronen nach Europa, um namentlich als Deckblatt benutzt zu werden, und fette, schwere Sorten, aus denen man in Spanien den Spaniol darstellt. Der als Cuba in den Handel kommende T. ist in verschiedenen Gegenden der Insel gewachsen, kommt zum Teil dem Havana sehr nahe und dient meist zu Zigarren. Von den verschiedenen Spezialsorten kommt am häufigsten Yara vor; b) Do-
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Tabak (chemische Bestandteile, Fabrikation des Rauchtabaks etc.).
mingo, von der gleichnamigen Insel, Tortuga und Samane, dient zu Zigarren und Rauchtabak; c) Portorico, von der gleichnamigen Insel, nächst Varinas der beste Rauchtabak, wird an Ort und Stelle auch viel auf Zigarren verarbeitet. 3) Nordamerikanischer T. a) Maryland, allgemein beliebter Rauchtabak, fein, gelb, von angenehmem, süßem Geruch; die beste Sorte ist der Baytabak. Ähnlich ist der Ohio-tabak. b) Virginia, lebhaft braun, teils fette, schwere Sorten für feinen Schnupftabak, teils leichtere Blätter für mittlern Rauchtabak; c) Kentucky, zu Zigarren, Rauch- und Schnupftabak benutzt; ihm schließen sich an die Tabake aus Tennessee und Missouri. Seedleaf wird in Pennsylvanien, Connecticut und Ohio aus Samen von Cuba erzogen und dient zu Zigarren. Florida gibt ein vorzügliches, sehr schön geflecktes Deckblatt. 4) Asiatischer T. a) Manila, sehr gute Ware, meist an Ort und Stelle zu Zigarren verarbeitet; b) Java, von feinem Aroma, meist zu Zigarren verarbeitet; chinesische, japanische und indische Tabake sind bei uns keine Marktartikel. 5) Europäischer T. Frankreich produziert in 18 Departements T., welcher zu Schnupf- und ordinären Rauchtabaken benutzt wird. Auch Algerien liefert große Quantitäten; die Produktion wird aber im Land selbst verbraucht. Österreich-Ungarn baut T. in Tirol, Galizien, namentlich aber in Ungarn am linken Ufer der Theiß. Der ungarische T. hat ein dünnes, weiches, gelbes Blatt und eignet sich besonders zu Rauch- und Schnupftabak, wird aber zum Teil auch zu Zigarren benutzt. Vom holländischen T. ist der Amersfoorter der beste und besonders zur Fabrikation von Schnupftabak gesucht; das belgische Gewächs steht dem holländischen nach. In Deutschland ist die hauptsächlichste Kulturgegend die Pfalz, wo man namentlich Zigarrentabak baut, der nicht nur an inländische, Bremer und Hamburger Fabriken abgesetzt, sondern auch nach Amerika exportiert wird. Ebenso beziehen Frankreich, Holland, die Schweiz etc. deutschen T. Italien, Spanien, Portugal haben Tabaksmonopol und kommen für den europäischen Handel nicht in Betracht. England baut gar keinen T. Der türkische T. verdankt den klimatischen und Bodenver-hältnissen, der sorgfältigen Kultur und Behandlung die vorzügliche Beschaffenheit, welche ihn mit dem Havana rivalisieren läßt. Alle Provinzen produzieren T., den besten aber Makedonien in den Thälern von Karasu, Wardar und Krunea. Die hier erzogenen feinen Sorten: Druma, Pravista, Demirli, Yenidje, Sarishaban, Ginbeck etc. sind in lange, dünne Fäden geschnitten, schön goldbraun, aromatisch, kräftig, trocken und schmackhaft zugleich. Die Tabake der asiatischen Türkei sind schwerer als die rumelischen und stärker; von den syrischen Sorten ist der Latakia und Abou Reha aus der Provinz Saida grob geschnitten, braun bis schwarz, stark fermentiert. Als türkischer T. geht übrigens auch viel griechisches und russisches Produkt.
Tabaksblätter riechen narkotisch, schmecken widerlich und scharf bitter; sie enthalten 16-27 Proz. anorganische Stoffe, welche zu 1/4-1/3 aus Kalk, oft bis zu 30 Proz. aus Kali bestehen, auch reich an Phosphorsäure und Magnesia sind. Der Stickstoffgehalt beträgt 4,5 Proz. Die Basen find großenteils an organische Säuren gebunden, und die leichte Einäscherung der Blätter, also die richtige Brennbarkeit des Rauchtabaks, ist abhängig von der Gegenwart organischer Kalisalze. Schlecht brennender T. liefert eine an Kaliumsulfat und Chlorkalium reiche, aber von Kaliumcarbonat freie Asche. Von großem Einfluß auf die Brennbarkeit des Tabaks ist auch der Gehalt an Salpetersäure, welcher in der Hauptrippe 6 Proz., im übrigen Blatt 2 Proz. betragen kann. Der wirksame Bestandteil der Tabaksblätter ist das Nikotin (s. d.), von welchem sie wechselnde Mengen enthalten, ohne daß der Gehalt in erkennbarem Verhältnis zur Güte des Tabaks stände. Geringere Tabakssorten pflegen reicher an Nikotin zu sein; doch ist dessen Menge auch von der Zubereitung abhängig, welcher der T. unterworfen wird. Guter lufttrockner Pfälzer T. enthält 1,5-2,6 Proz. Nikotin. Andre Bestandteile des Tabaks sind: Nikotianin (s. d.), Äpfel-, Zitronensäure, Harz, Gummi, Eiweiß etc. Trockne und gegorne Blätter enthalten als Gärungsprodukte Ammoniak, auch Trimethylamin und Fermentöle. Beim Rauchen würden sich aus der Cellulose, dem Gummi, Eiweiß etc. unangenehm riechende Substanzen entwickeln; man entfernt daher die an Cellulose reiche Mittelrippe und sucht durch den Gärungsprozeß und durch Beizen die übrigen unwillkommenen Bestandteile der Blätter zu entfernen. Die bei diesen Operationen sich bildenden Fermentöle tragen wohl zum Aroma des Tabaks wesentlich bei. Bei dem Verglimmen der Blätter entstehen Ammoniak, flüchtige Basen, empyreumatische Stoffe, Blausäure, Schwefelwasserstoff, flüchtige Säuren, Kohlenoxyd, Kohlensäure etc. Das Nikotin wird vollständig zersetzt; wohl aber geht Nikotianin in den Tabaksrauch über, und diesem sowie den Basen (Pyridin, Picolin, Lutidin, Collidin etc.) und dem Kohlenoxyd sind die Wirkungen desselben zuzuschreiben. Die je nach Abstammung, Boden- und klimatischen Verhältnissen und nach der Behandlung milden oder stärkern, angenehm aromatischen oder scharfen, rauhen Blätter werden für den Handel sorgfältig sortiert und entsprechend gemischt. Geringere Sorten werden oft durch jahrelanges Lagern, wobei sie einer leichten Gärung unterliegen, verbessert; bisweilen laugt man sie auch mit Wasser, Kalkwasser, Ammoniak, Aschenlauge oder mit Salzsäure angesäuertem Wasser aus oder röstet sie, indem man die ganzen oder zerschnittenen Blätter (oft nach dem Be-sprengen mit Salzsäure oder Essig) auf mäßig erhitzten eisernen Platten behandelt und dabei auch wohl mit den Händen rollt (Kraustabak). Am häusigsten unterwirft man den T. einer Gärung, zu welchem Zweck man ihn mit Siruplösung oder Fruchtsäften besprengt, auch wohl Hefe, Weinstein, Salz etc. zusetzt und in die Gärungsgefäße einpreßt. Durch Ausbreiten an der Luft, auch wohl durch Rösten wird der Prozeß unterbrochen, worauf man die Blätter mit gewürzhaften Brühen besprengt, welchen man auch Salpeter zusetzt, um die Brennbarkeit zu erhöhen. Zur Darstellung des Rauchtabaks werden die so weit vorbereiteten Blätter sortiert, entrippt oder zwischen Walzen geglättet, mit Saucen, deren Bestandteile (Sirup, Salze, Gewürze), fast in jeder Fabrik anders gemischt sind, besprengt oder darin eingetaucht, gefärbt und auf der Spinnmühle oder Spinnmaschine ähnlich wie ein Seil gesponnen oder geschnitten und dann getrocknet oder geröstet. Über die Darstellung der Zigarren s.d. -Schnupftabak bereitet man hauptsächlich aus Virginiatabak, Amersfoorter und andern holländischen Sorten und benutzt auch wohl polnischen, ungarischen und Pfälzer T. Die Blätter werden sortiert, entrippt, mit Saucen gebeizt und der Gärung unterworfen. Überhaupt ist hier die Anwendung von Beizen und Saucen von größter Wichtigkeit, und der Rohstoff wird durch die Anwendung derselben und durch die Gärung viel eindringlicher verändert als beim Rauchtabak. Nach der Gärung
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Tabak (Wirkung des Tabaksgenusses, Produktion und Verbrauch).
werden die Blätter entweder gleich zerschnitten, gestampft, gemahlen, gesiebt, oder vorher in Karotten geformt. Letztere sind 30cm und darüber lange, nach beiden Enden verjüngte Rollen von gebeizten Blättern in einer festen Umwickelung von Bindfaden; man läßt sie längere Zeit lagern und erzielt dadurch eine eigentümliche Nachgärung, welche wesentlich zur Verbesserung des Schnupftabaks beiträgt. Um die kostspielige Arbeit des Karottierens zu ersparen, preßt man die Blätter auch nur in Kisten zusammen und läßt sie darin gären. Zum Zerreiben der Karotte dient die Rapiermaschine, welche ein gröbliches Pulver, Rapé, liefert. Man benutzt aber auch Stampfen, und die mehlförmigen Sorten werden nach dem Trocknen auf Tabaksmühlen erzeugt. Kautabak wird in der Regel aus schwerstem Virginiatabak dargestellt, den man nach dem Fermentieren und nach dem Behandeln mit verschiedenen Saucen in fingerdicke Rollen spinnt und preßt.
Die Wirkung der unveränderten Tabaksblätter beruht auf dem Gehalt an Nikotin; große Dosen töten unter klonischen Zuckungen, bei enormen Dosen tritt der Tod sehr schnell ohne Konvulsionen unter allgemeiner hochgradigster Muskelschwäche und Bewegungslosigkett ein. In den zubereiteten Tabaksblättern ist der Nikotingehalt oft auf ein Minimum vermindert, und beim Rauchen kommt das Nikotin nicht oder kaum in Betracht. Die ersten Versuche des Tabaksrauchens haben in der Regel Ekel, Übelkeit, Angst, Beklommenheit, kalten Schweiß, Muskelzittern, Schwindel, Neigung zur Ohnmacht, nicht selten Erbrechen und Diarrhöe zur Folge. Wer sich an das Tabaksrauchen gewöhnt hat, empfindet dabei eine angenehme Erregung, ein Gefühl allgemeiner Behaglichkeit, unter dessen Einfluß die Funktionen des Verdauungsapparats befördert werden. Gleichwohl widerstehen Tabaksraucher dem Hunger beffer als Nichtraucher. Auch scheint mäßiges Rauchen ohne jeden schädlichen Einfluß zu sein. Anhaltendes starkes Rauchen stört dagegen die Verdauung, mindert den Appetit, versetzt die Schleimhaut des Rachens, auch wohl die des Kehlkopfs, in den Zustand eines chronischen Katarrhs und erzeugt in geschlossenen Räumen leichte chronische Augenentzündung. Bisweilen treten aber auch schwere Symptome auf, welche indes fast stets bei gänzlicher Enthaltsamkeit wieder verschwinden. Das Schnupfen bringt weniger Allgemeinerscheinungen hervor, nur beeinträchtigt es meist den Geruchs- und Geschmackssinn und erzeugt auch chronischen Rachenkatarrh. Dagegen werden, namentlich aus Nordamerika, heftige Krankheitssymptome als Folge des Tabakskauens geschildert, vor allen hochgradige Verdauungsstörungen und vielfach psychische Alterationen, tiefe geistige Verstimmung und Willensschwäche. In Tabaksfabriken haben sich keine Störungen bei den Arbeitern gezeigt, welche als Folge des Tabaks aufzufassen wären.
Produktion und Verbranch.
Die außereuropäischen Tabaksexporte betrugen in den Jahren 1883-85 pro Jahr:
Kilogr. Kilogr.
Vereinigte Staaten 109 193 700 Kolumbien .... 2 250 000
Türkei. .......... 32 000 000 Puerto Rico ... 1 757 900
Brasilien .... .... 23 485 000 China ......... 1 557 900
Niederl.-Ostindien.. 19 878 900 Japan. ........ 1 531 100
Philippinen........ 7 452 800 Paraguay. ..... 1 413 500
Britisch-Ostindien 7 259 300 Peru ........ 400 000
Cuba .............. 5 909 900 Mexiko......... 350 000
San Domingo........ 4 832 600 Venezuela...... 286 000
Algerien........... 4 092 700 ---------------
Persien............ 2 600 000 Zusammen: 226 251 300
Meyers Konv -Lexikon, 4. Aufl., Xv. Bd.
Berechnet man die Differenz zwischen Produktion und Export fnr die Vereinigten Staaten mit nur 100 Mill. kg, für Japan mit 40, für Britisch-Ostindien mit 160, für Algerien mit 4 Mill. kg, so ergibt dies, ohne Persien zu berücksichtigen, eine Jahreserzeugung von 530 Mill. kg, welche aber der Wirklichkeit bei weitem nicht entspricht, da sie den Lokalverbrauch aller in dieser Berechnung nicht genannten Länder unberücksichtigt läßt. Die europäische Tabaksproduktion (Rohtabak) betrug:
Kilogr.
Österreich-Ungarn . . . 1885 80 752 900
Rußland ...... 1885 51 024 000
Deutsches Reich .... 1884-85 47 193 000
Frankreich ...... 1884 16 262 800
Griechenland ..... 1883 7 680 000
Italien ....... 1884 6 017 900
Belgien ....... 1884 4 713 800
Rumänien ...... Mittelernte 3 000 000
Niederlande ..... 1884 2 976 500
Bulgarien ...... Schätzung 2 320 000
Schweiz ....... 1885 2 000 000
Serbien ....... Schätzung 1 500 000
Bosnien-Herzegowina. . Mittelernte 600 000
Finnland . . . . . . Mittelernte 200 000
------------------------------- Zusammen: 226 240 900
Hiernach ergibt sich eine Gesamtproduktion von mindestens 756 Mill. kg ohne Berechnung des eignen Konsums des größten Teils der orientalischen, westindischen, süd- und mittelamerikanischen und afrikanischen Völkerschaften. Der Tabaksverbrauch pro Kopf und Jahr in Kilogrammen beträgt: Vereinigte Staaten 2,3, Niederlande 2,9, Belgien 2,0, Schweiz 2,2, Österreich - Ungarn 2,1, Deutschland 1,5, Schwe-den 0,8, Großbritannien 0,6, Norwegen 1,15, Rußland 0,6(?), Frankreich 0,95, Italien 0,6, Dänemark 1,6. In Deutschland wird am meisten T. in der oberrheinischen Ebene und den unmittelbar daran grenzenden Hügelgegenden gebaut. Auf dieses Gebiet, welchem die Tabaksländereien der bayrischen Pfalz, Badens, Hessens und Elsaß-Lothringens angehören, entfallen 70 Proz. des ganzen deutschen Tabakslandes. Als einzelne Teile desselben lassen sich wiederum die badische und bayrische Pfalz mit dem südlichen Teil der hessischen Provinz Starkenburg als die hauptsächlichste Tabaksgegend Deutschlands (40,8 Proz.), ferner der Tabaksbezirk des badischen Oberlandes, (13,3 Proz.) und endlich westlich von diesem jenseit des Rheins das elsässische Tabaksland (14,4 Proz. des gesamten deutschen Tabakslandes) unterscheiden. Von den übrigen 30 Proz. kommen auf das rechtsrheinische Bayern, das noch in der Gegend von Nürnberg und Hof einen Tabaksbezirk von einigem Umfang hat, 3,1 Proz., auf das Königreich Württemberg 0,9 Proz. und auf das ganze nördlich von Mainz gelegene Deutschland wenig mehr als ein Viertel des deutschen Tabakslandes. Hier hat der Tabaksbau nur in der Ukermark und deren nördlicher und östlicher Fortsetzung gegen das Haff und die Oder sowie an der obern Oder in der Gegend von Breslau und in der Weichselniederung einige Bedeutung ; in allen übrigen Gegenden tritt diese Kultur nur sporadisch auf. Das ukermärkische Tabaksland, das bedeutendste in Norddeutschland, umfaßt 12,3 Proz. des gesamten deutschen Tabakslandes. 1871 brachten 22,673 Hektar 717,907 Ztr. in trocknen Blättern, 1887 wurden auf
21,465 Hektar 817,386 Ztr. geerntet (1904 kg auf
1 Hektar), davon entfallen auf Baden 305,548, Preu-
ßen 221,424, Bayern 133,590, Elsaß -Lothringen 100,912, Hessen 28,436, Württemberg 12,128 Ztr. 1888 waren nur 18,130 Hektar mit T. bepflanzt. Die
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Tabakkampfer - Tabakspapier.
Einfuhr betrug 1887 von T. 41,915, von Tabaksfabrikaten 1249, die Ausfuhr 920, resp. 1398 Ton.
Geschichtliches.
Über das Alter des Tabaksrauchens in China, wo man Nicotiana chinensis Fisch. benutzt, ist nichts Sicheres bekannt. Nach Europa gelangte die erste Nachricht vom T. durch Kolumbus, welcher 1492 die Eingebornen von Guanahani cylinderförmige Rollen von Tabaksblättern, mit einem Maisblatt umwickelt, rauchen sah. Fra Romano Pane, den Kolumbus auf Haiti zurückgelassen hatte, machte 1496 Mitteilungen über die Tabakspflanze an Petrus Martyr, und durch diesen gelangte dieselbe 1511 nach Europa. Die Eingebornen auf Haiti rauchten den T. als zusammengerollte Blätter oder zerschnitten aus langen Röhren. Diese, nach andern die Maisblattrollen, sollen Tabacos geheißen haben, nach andern soll der Name T. von der Insel Tobago oder von der Provinz Tabasco in Mittelamerika herrühren. Eine genaue Beschreibung der Pflanze gab 1525 Gonzalo Hernandez de Oviedo y Valdes, Statthalter von San Domingo. Später pries der spanische Arzt und Botaniker Nicolas Menardes in seinem 1571 zu Sevilla erschienenen Buch über Westindien den T. als Heilpflanze, und nun ward derselbe als Arznei- und Wunderkraut kultiviert. So auch von Jean Nicot, französischem Gesandten in Portugal, der 1560 Tabakssamen nach Paris schickte; ihm zu Ehren benannte Linne die Gattung. Kurze Zeit nachher erhielt auch Konrad Geßner indirekt von Occo in Augsburg das Kraut und erkannte es durch Vergleichung mit einer Abbildung, welche ihm Aretius in Bern nach von letzterm selbst aus Samen gezogenen Pflanzen entworfen hatte. Geßner machte in Deutschland zuerst auf den T. und seine medizinischen Eigenschaften aufmerksam. Das Tabaksschnupfen wurde in Frankreich unter Franz II. üblich, zu Sevilla in Spanien entstand gleichzeitig eine Schnupftabaksfabrik, welche den Spansol lieferte. l636 führten spanische Geistliche das Schnupfen in Rom ein, gegen welches Urban VIII. eine Bulle erließ, die erst 1724 wieder aufgehoben wurde. 1657 gab Venedig Fabrikation und Verschleiß des Schnupftabaks in Pacht. Das Tabaksrauchen wurde durch spanische Matrosen und englische Kolonisten nach Europa importiert und zwar durch erstere schon um die Mitte des 16. Jahrh. nach Spanien aus Westindien, durch letztere 1586 nach England aus Virginia. In Nordamerika scheint das Rauchen ebenfalls seit uralter Zeit gebräuchlich gewesen zu sein; bei den Indianern galt es als ein der Sonne und dem großen Geist gebrachtes Opfer; als Raleigh Virginia entdeckte, war der Tabaksbau bei den dortigen Eingebornen ganz allgemein verbreitet. Gegen Ende des 16. Jahrh. war das Rauchen in Spanien, Portugal, England, Holland, 1605 auch in Konstantinopel, Ägypten und Indien bekannt, und weltliche und geistliche Mächte eiferten vergebens gegen die weitere Verbreitung desselben. 1622 brachten englische und holländische Truppen das Tabaksrauchen nach dem Rhein und Main, von wo es durch den Dreißigjährigen Krieg bald in andre Teile Deutschlands gelangte. Jakob I. von England belegte zuerst den Tabakshandel mit hohen Steuern. 1616 wurde der erste T. in Holland gebaut, wenig später in England, 1659 in Wasungen, 1676 in Brandenburg und 1697 in der Pfalz und in Hessen. Schnupfen und Kauen des Tabaks sind europäische Erfindungen. Da man sich anfangs scheute, öffentlich zu rauchen, so entstanden in Frankreich, zunächst in Paris, besondere Lokale, die Tabagies, für die Freunde des Tabaks, und in Deutschland wurde dieser Name bis zur Mitte des 19. Iahrh. ganz allgemein für öffentliche Lokale gebraucht. Bis 1848 war das Rauchen auf den Straßen in den meisten Ländern Europas verboten. Vgl. Tabakssteuer.
Vgl. Tiedemann, Geschichte des Tabaks (Frankf. 1854); Babo, Der Tabaksbau (3. Aufl., Berl. 1882); Nessler, Der T., seine Bestandteile etc. (Mannh. 1867); Schmidt, Fabrikation von Schnupf- und Kautabak (Berl. 1870); Fries, Anleitung zum Anbau, zur Trocknung und Fermentation des Tabaks (3. Aufl., Stuttg.1870); Wagner, Handbuch der Tabaks- und Zigarrenfabrikation (5. Aufl., Weim. 1888); Becker, Die Fabrikation des Tabaks (2. Aufl., Norden 1883); Lock, Tobacco; growing, curingand manufacturing (Lond. 1886); Fairholt, Tobacco, it's history and associations (das. 1875); Fermond, Monographie du tabac (Par. 1857); Knoblauch, Deutschlands Tabaksbau und -Ernte (Berl. 1878); "Statistik des Deutschen Reichs", Bd. 42: "Tabakbau, Tabakfabrikation etc. im Deutschen Reich" (das. 1880); Meyer, Aus der Havanna (5. Aufl., Norden 1884); Jolly, Etudes hygieniques et medicales sur le tabac (Par. 1865); Derselbe, Le tabac et l'absinthe (das. 1875); Dornblüth, Die chronische Tabaksvergiftung (Leipz. 1878); Hare, The physiological and pathological effects of the use of tobacco (Lond. 1886); Stinde, Das Rauchen (2. Aufl., Berl. 1887); Keibel, Wie sollen wir rauchen? (das.1887); "Deutsche Tabakszeitung" (Berl., seit 1868); Bragge, Bibliotheca nicotiana (Lond. 1880).
Tabakkampfer, s. Nikotianin.
Tabaksblei, s. Bleiblech.
Tabakskollegium, Abendgesellschaft, welche König Friedrich Wilhelm I. von Preußen fast täglich abends zu Berlin, Potsdam oder Wusterhausen um sich versammelte, und zu der die Vertrauten des Königs (Leopold von Dessau, Grumbkow, Seckendorff), Minister, Stabsoffiziere, Gelehrte (s. Gundling 2) und durchreisende Standespersonen gezogen wurden. Die Erholung war dem König um so erwünschter, als er in diesem vertrauten Kreise sich völlig gehen lassen, seine eigne Meinung frei aussprechen zu können und die andrer zu vernehmen glaubte. Alles Zeremoniell war verbannt; niemand durfte aufstehen, wenn der König hereintrat. Der König betrachtete sich bloß als Offizier und als unter seinesgleichen. Man rauchte (aus kurzen thönernen Pfeifen), und die, welche nicht rauchten, mußten die Pfeifen wenigstens in den Mund nehmen. Dazu ward Ducksteiner Bier aufgetragen; im Nebenzimmer stand für den Bedarf kalte Küche. Die Unterhaltung bezog sich auf Lektüre von Zeitungen, Bemerkungen über Politik und Kriegsgeschichte und Besprechung von Tagesneuigkeiten; auch wurden mancherlei Späße, bisweilen sehr derber Art, getrieben, namentlich mit Gundling. Von Spielen war nur Schach- und Damenspiel gestattet. Der Einfluß, den in diesen Abendgesellschaften namentlich die von Österreich bestochenen Vertrauten auf den König ausübten, der sich arglos ihnen preisgab, machte dieselben selbst für die preußische Geschichte wichtig. Eine Schilderung des Tabakskollegiums liefert die Biographie Gundlings in Öttingers "Narrenalmanach" für l846, eine dramatische Darstellung Gutzkows "Zopf und Schwert".
Tabaksmonopol, s. Tabakssteuer.
Tabakspapier, ein mit Zusatz von Tabaksstengeln und Tabaksrippen hergestelltes Papier, welches als Deckblatt für Zigarren, auch zu Zigarretten benutzt wird; Bleiblech zum Verpacken von Schnupftabak.
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Tabakspfeife - Tabaksteuer.
Tabakspfeife, Instrument, womit man Tabak raucht. Bei den thönernen oder irdenen Pfeifen bilden Rauchröhre und Kopf (Verbrennungsraum für den Tabak) nur Ein Stück; die übrigen Pfeifen bestehen aus mehreren Stücken: Spitze (Mundstück aus
Horn, Elfenbein oder Bernstein), Rohr aus Holz, Guttapercha oder biegsamen Geflechten, Saftsack und Kopf. Die irdenen oder thönernen Tabakspfeifen werden in besondern Fabriken aus einem feuerfesten, weißen, eisenfreien, seltener farbigen (gelben oder roten) Thon (Pfeifenthon) gefertigt (s. Thonwaren). Die in Ungarn, Serbien, den Ländern der untern Donau gebräuchlichen Thonpfeifen werden aus roten, gelben und schwarzen Pfeifenerden in eigentümlichen Formen mit niedrigem, breitem Kopf gefertigt. Wie für die sogen. holländischen irdenen Pfeifen Gouda der Hauptsitz der Fabrikation ist, so ist er für die Donauländer Debreczin. Die Produktion der Goudaer, Kölner etc. Brennereien wurde ehedem auf 60 Mill. jährlich veranschlagt, hat aber in neuerer Zeit sehr abgenommen. Viele Pfeifenköpfe werden auch aus Meerschaum (s. d.) und Maserholz (Ulmer Köpfe) geschnitten. Am bedeutendsten ist aber die Fabrik-tion der Pfeifenköpfe von Porzellan, deren Hauptsitz
der Thüringer Wald ist. Vgl. Tschibuk, Nargileh und Tschimin.
Tabakssteuer. Als entbehrliches, aber doch in großen Mengen von der erwachsenen arbeitsfähigen Bevölkerung verbrauchtes Genußmittel bildet der Tabak ein finanziell sehr ergiebiges und geeignetes Mittel
der Besteuerung. Letztere kommt vor in der Form der
1) Handelsbesteuerung, am einfachsten durchgeführt in England, wo schon seit 1652 (ebenso für
Irland mit einer Unterbrechung von 1799 bis 1831,
dann für Schottland seit 1782) der Tabaksbau verboten ist und die Steuer durch reine Verzollung in Verbindung mit Lizenzen erhoben wird. In Portugal, wo 1664 das Monopol eingeführt worden war, ist heute für die Lizenz zum Tabaksbau eine Gebühr zu entrichten. Neue Tabaksfabriken dürfen nach Gesetz vom 27. Jan. 1887 nicht mehr errichtet, bestehende nicht erweitert werden. Schweden, welches seinen Tabak größtenteils aus Rußland bezieht, erhebt nur einen Zoll, dagegen keine innere Abgabe. Die von Händlern und Fabrikanten erhobenen Lizenzen können überhaupt nur die Bedeutung von Ergänzungssteuern haben, da sie eine Belastung nach der Steuerfähigkeit, bez. dem Geschäftsumfang nicht ermöglichen, daher mäßige Sätze nicht überschreiten dürfen. In andern Ländern bildet der Tabakszoll eine Ergänzung der innern Verbrauchssteuer.
2) Die Rohprodukten- od. Pflanzungssteuer (Urproduzentensteuer) trifft die inländischen Erzeugnisse an Rohtabak entweder in der Form der Flächen- oder in der der Gewichtssteuer. Die Flächensteuer wird nach der Größe der mit Tabak bepflanzten Fläche bemessen, wobei auch noch Abstufungen nach der Ertragsfähigkeit des Bodens statthaben können. Im
übrigen nimmt sie keine Rücksicht auf die insbesondere von Jahr zu Jahr wechselnde Menge und auf Qualität des erzeugten Tabaks. Diese Steuer bestand in Preußen seit 1828, nachdem seit 1819 nach
dem Gewicht besteuert worden war, im Zollverein von
1868 bis 1879. Sie wurde 1879 durch die Gewichtssteuer ersetzt, welche nach dem Gewicht des Tabakserzeugnisses bemessen wird, während die Flächensteuer für kleine Pflanzungen von weniger als 4 Ar
Flächengehalt als Regel beibehalten wurde. Das zu
erwartende Ergebnis wird an Ort und Stelle vor der
Ernte amtlich eingeschätzt. Später findet amtliche
Nachzählung und Verwiegung statt. In Belgien (1883) wird die Steuer nach der Pflanzenzahl bemessen, indem nur in weitern Grenzen das Gewicht (drei Abstufungen nach der Bodengüte) in Rechnung gezogen wird. Diese Steuer nimmt keine
Rücksicht auf die Qualität und beengt durch ihre Kontrollen den Tabaksbau (Kulturzwang, Pflanzung in Reihen und gleichen Abständen, Verbot der Mischung mit andern Pflanzen, Vollendung des Köpfens und
Ausgeizens vor Erhebung der Blätterzahl, Vernichtung aller vor der Ernte stattfindenden Abfälle etc.). Flächen- wie Gewichtssteuer reizen bei hohen Steuersätzen zur Verschlechterung des versteuerten Rohtabaks durch Beimengungen, gestatten nicht eine richtige Bemessung der Ausfuhrvergütung und bedingen oft lange dauernde Steuervorschüsse.
3) Die Fabrikatsteuer, welche in den Vereinigten Staaten seit 1868, in Rußland seit 1877 besteht,
wird nach Gewicht und Form der aus der Fabrik in den Handel übergehenden Fabrikate (Rauch-, Schnupftabak, Zigarren etc.) erhoben. Bei derselben lassen sich Stempelmarken (Banderollen) anwenden, welche der Fabrikant von der Behörde bezieht und an seinen Waren in der Art anbringt, daß sie bei dem Verbrauch zerstört werden müssen, was bestimmte Vorschriften über die Verpackung etc. sowie eine scharfe Kontrolle des Tabakshandels nötig macht. Die Fabrikatsteuer ermöglicht eine wenn auch nicht sehr weit gehende Unterscheidung der Qualitäten sowie eine genauere Bemessung der Ausfuhrvergütung, dann ist ihre Erhebung dem wirklichen Verbrauch zeitlich nahegerückt. Dagegen beansprucht sie lästige und teure, bis zum Tabaksbau sich erstreckende Kontrollen,
begünstigt durch ihre Technik den Großbetrieb und bringt leicht den Tabaksbauer in Abhängigkeit von
letzterm.
4) Die Besteuerung des Tabaks auf dem Weg der Monopolisierung wurde in Frankreich schon 1674 eingeführt, wo sie mit kurzen Unterbrechungen (1719-23 und 1723-30) bis 1791 bestand
und 1810 durch Napoleon I. wieder ins Leben gerufen wurde. Das Tabaksmonopol besteht ferner in Österreich-Ungarn und zwar in einzelnen Landesteilen ob der Enns schon seit 1670, in allen Ländern diesseit der Leitha seit 1828 und in der gesamten Monarchie seit 1851, in Spanien seit 1730, in Mexiko seit
1764, in Italien seit 1865 (ursprünglich verpachtet, seit
1884 von der Regierung in eignen Betrieb genommen),
Rumänien seit 1865 in der Türkei seit 1884 (Verpachtung), in Serbien seit 1885 (ebenfalls mit Verpachtung an eine Gesellschaft). Diese Besteuerungsform kommt nur als volles Tabaksmonopol vor, d. h. der Staat behält sich das ausschließliche Recht des Ankaufs heimischen Rohtabaks, der Einfuhr fremder Tabake und das der inländischen Tabaksfabrikation vor, um durch Vermittelung von konzessionierten Verkäufern den Tabak zu Preisen zu verkaufen, welche einen Überschuß über die Kosten als Steuer ergeben. Die Einfuhr ausländischer Tabaksfabrikate ist in Frankreich ganz verboten, in Österreich nur ausnahmsweise gegen Lizenzen gestattet. Der Tabaksbau wird im Inland nur in bestimmten Anbaubezirken gegen Staatserlaubnis und unter Kontrolle gestattet, die Erzeugnisse desselben sind gegen alljährlich von der Verwaltung festgesetzte Preise an dieselbe abzuliefern. Für und gegen das Tabaksmonopol lassen sich im wesentlichen die Gründe vorführen, die überhaupt für und wider die Monopolisierung geltend gemacht werden. Es gestattet Kostensparung durch Zentralisierung und Minderung des Zwischenhandels (Frankreich hat nur
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Tabaldie - Tabellen.
16 Staatsfabriken mit etwa 18,000 Arbeitern, während in Deutschland die Verarbeitung der doppelten Menge Rohtabaks sich auf fast 11,000 selbständige Betriebe mit etwa 110,000 beschäftigten Personen verteilt), es erspart Kosten der Kontrolle und Erhebung, gewährt Sicherheit gegen Fälschung, es ermöglicht, den Steuerfuß der Qualität anzupassen und denselben nach Bedarf zu ändern, endlich, und darin besteht seine eigentlich praktische Bedeutung, läßt es die vollständigste Ausbeutung einer ergiebigen Steuerquelle zu. Dagegen ist die Monopolisierung mit den Schattenseiten verknüpft, welche dem weniger beweglichen Staatsbetrieb mit seiner büreaukratischen Beamtenwirtschaft überhaupt anhaften. Insbesondere befürchtet man in Deutschland, es möchte die Staatsgewalt allzusehr alle andern Lebenskreise überwuchern. Ob nun diese Übelstände oder jene Vorteile des Monopols überwiegen, dies läßt sich nur von Fall zu Fall beantworten. In Deutschland steht der Monopolisierung vorzüglich der Umstand im Weg, daß hier Industrie und Handel in Tabaken sich lebhaft entwickelt haben und infolgedessen nicht allein die Frage der Entschädigung große Schwierigkeiten bereitet, sondern auch die Änderung in der Steuerform erhebliche wirtschaftliche Umwälzungen bewirken würde. Das auf den Handel mit Rohtabak beschränkte Monopol, bei welchem der Staat als alleiniger Aufkäufer den Tabak mit einem Preiszuschlag an Händler abgibt, ist noch nirgends zur Durchführung gekommen.
Im Deutschen Reich war in 1000 Mk. der Ertrag
durchschnittlich jährlich der Tabakssteuer des Eingangszolls von Tabak der Nettoertrag der Tabaksabgaben im ganzen auf den Kopf
1871-79 1490 14687 15967 0,37
1881-86 9909 29059 38503 0,84
1886-87 11067 36992 47535 1,02
Die Reineinnahme des Staats aus den Tabaksgefällen war in Millionen Mark in
Frankreich . . 1815: 25,7, 1883: 242,8
Österreich . . 1869: 59,2, 1883: 76,5
Ungarn . . . 1869: 22,2, 1884: 37,4
Italien . . . 1877: 63,7, 1883: 86,8
Großbritannien 1842: 72,4, 1883: 181,3
Verein. Staaten 1883: 208,6, 1884: 138,6
Auf den Kopf entfiel 1883, bez. 1884 eine Reineinnahme in
Frankreich . . von 6,95 Mk.
Großbritannien 5,10
Spanien . . . 4,32
Österreich . . . 4,16
Verein. Staaten 4,15
Italien . . . 3,30
Ungarn . . . 2,46
Norwegen 1,59 Mk.
Schweden 0,91
Deutschland . 0,81
Rußland 0,65
Dänemark 0,55
Belgien . 0,34
Holland 0,05
Vgl. Mayr, Das Deutsche Reich und das Tabakmonopol (Stuttg. 1878); M. Mohl, Denkschrift für eine Reichstabakregie (das. 1878); Felser, Das Tabakmonopol u. die amerikanische Tabaksteuer (Leipz. 1878); Derselbe, Zur Tabaksteuerfrage (das. 1878); H. Pierstorff, Entwickelung der Tabaksteuergesetzgebung in Deutschland seit Anfang dieses Jahrhunderts (in den "Jahrbüchern für Nationalökonomie" 1879, Heft 2); Mährlen, Die Besteuerung des Tabaks im Zollverein (Stuttg. 1868); R. Schleiden, Zur Frage der Besteuerung des Tabaks (Leipz. 1878); Krükl, Das Tabaksmonopol in Österreich und Frankreich (Wien 1879); Creizenach, Die französische Tabaksregie (Mainz 1869); Aufseß, Über die Besteuerung des Tabaks (Leipz. 1878); Reinhold, Das Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 (das. 1881).
Tabaldie, der Affenbrotbaum.
Tabanus, Bremse; Tabanina (Bremsen), Familie aus der Ordnung der Zweiflügler.
Tabarieh, Stadt, s. Tiberias.
Tabarka, kleine Hafenstadt in Tunis an der Nordküste, die aber durch ihr an Metallen und Holz reiches Hinterland wichtig werden muß, wenn die geplante Eisenbahn vollendet ist. Davor die gleichnamige kleine Insel mit jetzt sehr heruntergekommener Korallenfischerei.
Tabascheer, s. Bambusa.
Tabasco, ein Küstenstaat der Republik Mexiko, am Mexikanischen Meerbusen, 25,241 qkm (458,4 QM.) groß mit (1882) 104,747 Einw., ist ein vom untern Grijalva und einem Arm des Usumacinta durchzogenes Flachland, feucht und ungesund, aber ungemein fruchtbar. Nur an der Südgrenze treten bewaldete Hügel auf. Hauptprodukte sind: Kakao, Mais, Zuckerrohr, Kaffee, Piment, Bohnen, Reis, Tabak, Vanille, Sassaparille, die verschiedensten Nutz- und Farbhölzer. Fabriken gibt es nicht. Die Hauptstadt San Juan Bautista de T. liegt am Grijalva, 100 km oberhalb dessen Mündung auf einer Anhöhe in fruchtbarer, Überschwemmungen ausgesetzter Gegend, hat ein Regierungsgebäude, ein Colegio Juarez, ein Zollamt und 8000 Einw. An der Mündung des Flusses liegt der Hafen Frontera de T. mit Leuchtturm und (1880) 2168 Einw. Die Ausfuhr wertete 1883-84: 626,209 Pesos.
Tabasmyrte, s. Pimenta.
Tabatiere (franz., spr. -tjähr), Schnupftabaksdose.
Tabatieregewehr, das Snider-Gewehr mit tabaksdosenähnlichem Verschluß, wurde 1870/71 von der franz. Mobilgarde geführt; s. Handfeuerwaffen, S. 104.
Tabatinga, Stadt in der brasil. Provinz Amazonas, dicht an der Grenze von Peru am Amazonenstrom, 3375 km oberhalb Pará, hat lebhaften Handel und ist in der neuesten Zeit als Dampfschiffstation wichtig geworden.
Tabellen (lat.), auch Tafeln, in Rubriken geordnete Zusammenstellungen des Gesamtinhalts irgendeines Wissensgebiets. Derartige T. finden mannigfache Verwendung im Unterrichtswesen, wenn auch ihr Wert nach dem heutigen Stande der wissenschaftlichen Pädagogik nicht mehr so hochgeschätzt wird wie ehedem, indem sie nur nachträglich zur festern Einprägung einzelner Hauptpunkte oder zum Nachschlagen bei der Vorbereitung benutzt werden, aber nicht in den Mittelpunkt des Unterrichts treten sollen. Dahin gehören unter andern Geschichtstabellen, Regenten- u. Stammtafeln, tabellarische Übersichten naturhistorischer Systeme, des spezifischen Gewichts der wichtigsten Naturkörper, des Atomgewichts der Elemente; auch Logarithmentafeln, Zins- und Zinseszinstabellen für Arithmetik und Trigonometrie u. a. Wichtiger noch ist die Rolle, welche das Tabellenwesen in der Statistik spielt. Die gesetzmäßig wiederkehrenden Zahlenverhältnisse im Wechsel der Bevölkerung etc. sind von dieser Wissenschaft in feste T. gebracht worden, auf welchen sich dann die praktischen Schlußfolgerungen aufbauen, wie z. B. die Berechnung der Beiträge für Lebensversicherung, Witwenversorgung etc. auf den Mortalitätstabellen. Auch die Ergebnisse statistischer Erhebungen über Alters-, Erwerbsverhältnisse, Nationalvermögen, Gesundheitsstand werden zumeist in Form der T. sich darstellen. Erhellt hieraus die weitgreifende Bedeutung der T. für das moderne Leben, so darf anderseits nicht verschwiegen werden, daß sie im Organismus der Verwaltung oft unverhältnis-
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Taberistan - Täbris.
mäßig viel Kraft verzehren, und daß sie, um mit Sicherheit praktisch verwertet zu werden, ebenso sorgfältig aufgestellt wie vorsichtig benutzt sein wollen.
Taberistan (Tabaristan), Landschaft im nördlichen Persien, den gebirgigen Südosten der Provinz Masenderan umfassend, das Land der Tapuri im alten Hyrkanien, hat schönes, die Viehzucht begünstigendes Weideland, viel dichten Wald und Wild, zahlreiche kleine Flüsse und ein angenehmes Klima. Das Mineralreich liefert besonders Schwefel. Die teils ansässigen, teils nomadisierenden Einwohner bekennen sich zum Islam.
Tabernaculum (lat., Tabernakel), s. v. w. Sakramentshäuschen. In der lateinischen Bibelübersetzung heißt T. die Stiftshütte der Israeliten, daher bei Methodisten s. v. w. Bethaus.
Tabernaemontana Arn., Gattung aus der Familie der Apocynaceen, Sträucher oder Bäume mit gegenständigen, ganzen Blättern, zu zweien endständigen, weißen oder gelben, wohlriechenden Blüten und fleischigen, wenigsamigen Früchten. Viele in den Tropen weitverbreitete Arten. T. utilis Arn. (Milchbaum von Demerara, Hya-Hya), ein Baum Guayanas von 9-12 m Höhe, mit grauer, etwas rauher Rinde, aus welcher bei Verletzungen eine weiße Milch fließt, die von der des Kuhbaums (s. Galactodendron) wesentlich verschieden ist, aber, wie diese, als nahrhaftes, wohlschmeckendes Getränk benutzt werden kann und frei von aller Schärfe ist. T. dichotoma Roxb. (Evaapfelbaum), ein immergrüner Baum Ceylons mit wohlriechenden Blüten und an fadenförmigen Zweigen hängenden, sehr giftigen Früchten, welche Äpfeln ähneln, aus denen ein Stück herausgebissen ist. T. coronaria W., mit großen, weißen, sehr wohlriechenden Blüten, aus Ostindien stammend, wird als Zierpflanze kultiviert.
Taberne (lat., auch Taferne), Wirtshaus, namentlich Weinschenke; seltener Herberge.
Tabes (lat.), Auszehrung, Schwindsucht, besonders Rückenmarksschwindsucht (s. d.); T. meseraica. tuberkulöse und käsige Zerstörung des Darms und der Gekrösdrüsen.
Tableau (franz., spr. tabloh), Gemälde; wirkungsvoll gruppiertes Bild (namentlich im Schauspiel); auch s. v. w. übersichtlich angeordnete Darstellung. Tableaux vivants , lebende Bilder (s. d.).
Table de marbre (franz., "Marmortafel"), in Frankreich ehemals Name des Marschalls-, Admiralitäts- und besonders des Oberforstgerichts; früher auch Name der Bühne, auf welcher die Clercs der Bazoche (s. d.) ihre Theatervorstellungen gaben.
Table d'hote (franz., spr. tabl doht), "Wirtstafel" in einem Gasthaus (Hotel) mit festem Preis für das Gedeck, an welcher die Gäste gemeinschaftlich teilnehmen, ohne sich die Speisen auswählen zu können.
Tablette (franz.), Täfelchen; Schreibtafel; Büchergestellchen; Präsentierteller. Tabletterie, kleine Artikel der Kunsttischlerei, wie Kästchen, kleine Schränke, Kartenpressen, Damenbretter u. dgl., Gegenstand einer namentlich in Wien, Nürnberg, Fürth, Berlin, Dresden, Prag etc. vertretenen Industrie.
Tablinum (lat.), der Teil des altrömischen Hauses, welcher sich zwischen dem Atrium und dem hintern Raum (Peristylium) befand und meistens dem Herrn zum Geschäftszimmer diente. S. Tafel "Baukunst VI", Fig. 4.
Taboga, Insel im Golf von Panama (Zentralamerika), 30 km südlich von der Stadt Panama, ist etwa 6 km lang, dicht bewaldet und hat 1568 Einw., die Perlenfischerei treiben.
Taboleira (Platte, Tischplatte), in Brasilien Name der kaum merklich wellenförmigen, zugleich vorherrschend dürren Ebenen, welche den Mesas in den Llanos von Venezuela entsprechen.
Tabor, in der türk. Armee das Infanteriebataillon, im Kriegsetat etwa 830 Köpfe stark; 3 Tabors bilden 1 Regiment und 8 Kompanien (Bölük) 1 T.
Tabor (vom türk. thabur, "Lager"), bei den Tschechen übliche Bezeichnung für Volksversammlung.
Tabor (Atabyrius mons, arab. Dschebel Tûr), Berg in Palästina, 9 km südwestlich von Nazareth, ein 650 m hoher stumpfer Kegel, nach der (irrigen) Tradition der Berg der Verklärung Christi. Am T. schlug Barak den Kanaaniter Sissera (Richter 4, 6 ff.); Antiochos d. Gr. fand 218 v. Chr. eine Stadt T. auf dem Gipfel des Bergs; 53 n. Chr. wurde hier von den Römern unter Gabinius den Juden eine Schlacht geliefert. Später ließ Josephus den T. befestigen, ebenso 1212 Melek el Adil, der Bruder Saladins; im April 1799 siegte hier General Kleber über die englisch-türkische Armee. Heutzutage befinden sich aus dem Gipfel zwei (nicht alte) Klöster.
Tabor, Stadt im südöstlichen Böhmen, auf steiler, von der Luschnitz umflossener Anhöhe, 460 m ü. M., am Kreuzungspunkt der Staatsbahnlinien Wien-Prag und Iglau-Pisek, hat eine Bezirkshauptmannschaft, ein Kreisgericht, eine Finanzbezirksdirektion, ein Oberrealgymnasium, eine landwirtschaftliche Lehranstalt, eine Dechanteikirche und ein Rathaus (mit Museum), beide aus dem 16. Jahrh., mittelalterliche Stadtmauern mit Türmen, eine neue Synagoge, ein Theater, hübsche Anlagen, eine Badeanstalt, eine Sparkasse (2 Mill. Gulden Einlagen), eine ärarische Tabaksfabrik, Bierbrauerei, Malzfabrik, Gerberei, Kunstmühlen, starken Vieh- und Getreidehandel und (1880) 7413 Einw. Den Marktplatz schmückt seit 1877 ein Denkmal Ziskas. Die Stadt steht an der Stelle der uralten Festung Kotnow, deren malerische Trümmer noch vorhanden sind, und wurde 1420 von den Hussiten unter Ziska als verschanztes Lager (Tábor) erbaut.
Tabora, großer Markt der arabischen Sansibarhändler, südlich vom Ukerewesee, unter 5° südl. Br. und 33° östl. L. v. Gr., die vielbesuchte Zwischenstation aller Reisenden, welche von Sansibar westwärts nach Innerafrika gehen.
Taboriten, Partei der Hussiten (s. d.), welche sich nach der Hussitenfeste Tabor (Kotnow) benannte und in politischer wie religiöser Hinsicht radikale Tendenzen verfolgte, selbst aber wieder in zahlreiche Sekten zerfiel. Gemeinsame Forderungen derselben waren die Anerkennung der individuellen Überzeugung auf Grund der Heiligen Schrift und eine republikanische Verfassung ohne Unterschied der Stände u. des Eigentums. Ausartungen waren die Adamiten (s. d.) und Picarden (s. d.). Der niedere Adel, die Bürgerschaft der Städte und die Masse des Landvolkes schlossen sich meist den T. an. Ihre Führer waren Nikolaus von Pistna (Hus) und Ziska, dann die beiden Prokope. Im Kampf gegen die deutschen Kreuzheere zeigten sie sich tapfer und unüberwindlich; war die Gefahr vorbei, so wandte sich ihr Haß gegen die Gemäßigten (Kalixtiner), und sie verheerten Böhmen und die Nachbarländer durch Plünderungszüge, bis sie durch die gemäßigte Partei in der Schlacht bei Böhmisch-Brod 30. Mai 1434 vernichtet wurden. Vgl. Krummel, Utraquisten und T. (in der "Zeitschrift für historische Theologie" 1871); Preger, über das Verhältnis der T. zu den Waldesiern (Münch. 1887).
Täbris, Stadt, s. Tebriz.
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Tabu - Tachometer.
Tabu (Tapu), nach einem aus der Sprache der Südseeinsulaner herrührenden Wort s. v. w. unverletzlich. So gelten bei Naturvölkern die Person des Häuptlings, Begräbnisplätze, Kultstätten etc. an sich als t.; aber man wußte auch jede beliebige andre Örtlichkeit, einen Baum, verlassene Wohnungen, ja ein einzelnes Besitzstück, vor Annäherung, Berührung oder Wegnahme zu schützen, indem man sie mit einem einfachen Faden, in den unter bestimmten Zeremonien einige Knoten mit oder ohne Fetische eingeknüpft worden waren, umgrenzte oder umband (s. Knotenknüpfen). Die Rassenangehörigen waren überzeugt, daß bei Verletzung dieses Fadens alle Übel, die der Knotenschürzer hineingeknüpft hatte, unfehlbar auf sie fallen würden, und so ersetzte der Aberglaube die noch unausgebildete Sicherheitspolizei bei den verschiedensten Naturvölkern, denn unter verschiedenen Formen findet oder fand sich das T. in allen Erdteilen.
tabula Amalphitana. s. Amalfi.
tabula rasa (lat.), eigentlich abgekratzte, leere Schreibtafel, auf welcher das mit dem Griffel in den Wachsüberzug derselben Eingegrabene durch Umkehrung des Griffels wieder vertilgt worden; daher sprichwörtlich T. r. machen, s. v. w. alles aufzehren, aufarbeiten, vollständig beseitigen.
Tabularium (lat.), öffentliches Archiv.
Tabulat (lat.), gedielter Gang in Klöstern etc.
Tabulatur (v. lat. tabula, Tafel), eine seit dem Beginn des vorigen Jahrhunderts veraltete Tonschrift, welche sich der Liniensysteme und Notenköpfe nicht bediente, sondern die Töne nur durch Buchstaben oder Zahlen bezeichnete. Da unsre Notenschrift auf Linien nur eine abgekürzte Buchstabentonschrift ist (der Baßschlüssel ist ein unkenntlich gewordenes F, der Altschlüssel ein c, der Violinschlüssel ein g), so ist es nicht verwunderlich, daß die Buchstabentonschrift von A-G älter ist als unser Notensystem; ihr Ursprung reicht mindestens bis ins 10. Jahrh. zurück, wenn auch bestimmt nicht bis zu Gregor d. Gr., wie man früher annahm (vgl. Buchstabentonschrift). Speziell für die Orgel und für das Klavier war diese sogen. deutsche oder Orgeltabulatur besonders im 15. und 16. Jahrh. in Deutschland allgemein üblich; für andre Instrumente, besonders die Laute (s. d.), hatte man in verschiedenen Ländern verschiedene eigne Buchstaben- oder Zifferntabulaturen, welche sich aber auf die Griffe bezogen und je nach Stimmung des Instruments verschiedene Tonbedeutung hatten. Das Gemeinsame aller Tabulaturen ist eine eigentümliche Bezeichnung der rhythmischen Werte der Töne durch über die Buchstaben, resp. Zahlen gesetzte Marken, nämlich: einen Punkt [....] für die Brevis, einen Strich | für die Semibrevis, eine Fahne [...] (Häkchen) für die Minima, eine Doppelfahne [...] für die Semiminima, eine Tripelfahne für die Fusa und eine Quadrupelfahne für die Semifusa. Dieselben Zeichen über einem Strich, [...], [...] etc., galten als Pausen. Später (im 17. Jahrh.) entspricht aber der Strich | unserm Viertel, [...] dem Achtel, d. h. die moderne Schreibweise in den kurzen Notenwerten ist von den Tabulaturen her übernommen worden. Da die Tabulaturen schon im 16. Jahrh. statt der Fähnchen bei mehreren einander folgenden Minimen etc. die gemeinsame Querstrichelung anwandten, welche die Mensuralnotenschrift erst zu Anfang des 18. Jahrh. bekam, z. B. [...] und den Taktstrich durchweg gebrauchten, so sehen jene Tabulaturen unsrer heutigen Notierung in mancher Beziehung ähnlicher als die Mensuralnotationen, besonders wenn sie, was auch vorkam, den Melodiepart auf ein Fünfliniensystem mittels schwarzer Notenköpfe aufzeichneten, mit denen die rhythmischen Wertzeichen verbunden wurden. Zahlreiche Druckwerke in Orgeltabulatur sind auf uns gekommen (von Virdung, Agricola, Paix, Amerbach, Bernh. Schmid, Woltz u. a.). - Über die T. der Meistersänger s. Meistergesang.
Tabulett (lat.), Kasten aus dünnen Brettern, worin wandernde Krämer (Tabulettkrämer, Reffkrämer) ihre Waren herumtragen.
Tabun (russ.), die in den russischen Steppen und Feldern weidenden Pferdeherden.
Taburett (franz. Tabouret), Polstersessel, niedriger Stuhl ohne Arm- und Rücklehne.
Tacamahaca, s. Calophyllum.
Tacchini (spr. tackini), Pietro, Astronom, geb. 21. März 1838 zu Modena, studierte an verschiedenen Universitäten Italiens und ward 1859 Direktor der Sternwarte seiner Vaterstadt. Seit 1863 an der Sternwarte in Palermo thätig, hauptsächlich mit Beobachtung der Erscheinungen an der Sonne beschäftigt, gründete er behufs systematischer spektroskopischer Beobachtung der Sonne mit Secchi 1871 die Italienische Spektroskopische Gesellschaft, in deren Memoiren er seitdem den größten Teil seiner Arbeiten veröffentlicht hat. 1874 beobachtete er in Indien den Venusdurchgang. Gegenwärtig ist T. Direktor des Collegio Romano zu Rom. Vgl. "Il passaggio di Venere sul Sole dell' 8-9 dec. 1874, osservato a Muddapur" (Pal. 1875).
Tace! (lat.), schweige!
Tacet (lat., auch ital. tace oder taci, abgekürzt tac., "schweigt") bedeutet in Chor- oder Orchesterstimmen, daß das Instrument (die Stimme) während der betreffenden Nummer nicht mitzuwirken hat.
Tachau, Stadt im westlichen Böhmen, an der Mies, Sitz einer Bezirkshauptmannschaft und eines Bezirksgerichts, mit Dechanteikirche, Franziskanerkloster, Schloß des Fürsten Windischgrätz, einem Kaiser Joseph-Denkmal, einer Fachschule für Drechslerei, lebhafter Holzindustrie, Knopffabrikation, Bierbrauerei und (1880) 4177 Einw. In der Nähe mehrere Glashütten. Vgl. Stocklöw, Geschichte der Stadt T. (Tachau 1879).
Tacheometer (Tachymeter), s. Theodolit.
Tachina, Mordfliege; Tachinariae, s. v. w. Mordfliegen.
Tachira, Sektion des Staats Andes der venezuelan. Bundesrepublik, an der Grenze von Kolumbien, ist meist gebirgig (bis 3208 m hoch) und 12,545 qkm (227,8 QM.) groß mit (1873) 68,619 Einw. Landbau bildet die Haupterwerbsquelle, Petroleum ist gefunden worden. Hauptstadt ist San Christóbal.
Tachograph (griech., "Schnellschreiber"), ein dem Hektograph ähnlicher Apparat zur leichten Herstellung vieler Abzüge einer Schrift oder Zeichnung.
Tachometer (griech., Tachymeter, "Geschwindigkeitsmesser"), mechan. Vorrichtungen zum Messen der Geschwindigkeit von Maschinen in jedem Augenblick ihrer Bewegung. Bei allen bisher konstruierten Tachometern wird die Zentrifugalkraft der sich bewegenden Maschine als treibendes Element benutzt. Uhlhorn in Grevenbroich bei Düsseldorf hat um 1817 derartige T., namentlich für Baumwollspinnereien, zuerst konstruiert. Gegen 1844 trat Daniel mit einem T. zum Gebrauch bei Lokomotiven hervor, bei welchem ein Zentrifugalpendel auf Gewichte und Federn wirkt und ein Uhrwerk zur Registrierung des Ganges der Lokomotive mittels Zeichenstifts auf Pappscheiben in
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Tachopyrion - Tacitus.
Bewegung setzt. Vervollkommt wurde dieses T. durch Dato (s. Stathmograph). Donkin in England hat das Ausfließen von Quecksilber zum Messen der Geschwindigkeit benutzt. Dieses Konstruktionsprinzip ist durch Schäfer und Buddenberg in Magdeburg für die Praxis weiter entwickelt worden. Hydrotachometer (Hydrometer) sind Instrumente zur Bestimmung der Geschwindigkeit fließenden Wassers, also s. v. w. Strommesser (s. Fluß, S. 410). Vgl. Schell, Die Tachymetrie (Wien 1880).
Tachopyrion (griech.), s. Feuerzeuge.
Tachygraphie (griech.), s. Stenographie.
Tachyhydrit (fälschlich Tachhydrit), Mineral aus der Ordnung der Doppelchloride, kristallisiert rhomboedrisch, ist wachs- bis honiggelb, durchsichtig bis durchscheinend, zerfließt sehr schnell an der Luft (daher der Name) und besteht aus Chlorcalcium, Chlormagnesium und Wasser CaCl2+2MgCl2+12H2O. Es findet sich in rundlichen Massen im dichten Anhydrit der Abraumsalze von Staßfurt.
Tachylyt, Gestein, s. Basalte, S. 414.
Tachymeter, s. v. w. Tachometer; auch ein Distanzmesser und ein Theodolit besonderer Konstruktion.
Tachypetes, Fregattenvogel.
Tacitus, Marcus Claudius, röm. Kaiser, geb. 200 n. Chr., leitete sein Geschlecht vom Historiker T. ab und befahl, dessen Werke in allen Bibliotheken aufzustellen und zehnmal jährlich auf Staatskosten abzuschreiben. Er ward nach Kaiser Aurelians Tod und nach einem sechsmonatlichen Interregnum 25. Sept. 275 gegen seinen Willen vom Senat, dem das Heer die Wahl freigestellt hatte, zum Kaiser erhoben. Er entsprach durch Milde und Weisheit vollkommen dem Vertrauen, welches ihn auf den Thron gehoben hatte, führte auch, als 75jähriger Greis, einen glücklichen Krieg gegen die Alanen, ward aber schon nach sechs Monaten (April 276) zu Tyana in Kleinasien von den zügellosen Soldaten erschlagen. Ihm folgte sein Bruder Florianus T., der nach drei Monaten dasselbe Schicksal hatte.
Tacitus, (Publius?) Cornelius, berühmter röm. Geschichtschreiber, geboren um 54 n. Chr., war zuerst mit Auszeichnung als Sachwalter und Redner in Rom thätig, wurde, wahrscheinlich 79, Quästor, dann, wahrscheinlich 81, Volkstribun oder Ädil, 88 Prätor, brachte hierauf vier Jahre, 90-94, vielleicht als Statthalter einer Provinz, außerhalb der Hauptstadt zu und bekleidete 97 das Konsulat. In öffentlicher Thätigkeit erscheint er uns zuletzt 100, wo er mit dem jüngern Plinius, seinem Freund, in einem bedeutenden Prozeß als Ankläger auftrat. Er starb nach 117. Seine frühste Schrift ist der "Dialogus de oratoribus", welcher von den Ursachen des Verfalls der Beredsamkeit seit der Kaiserzeit handelt, eine geistvolle, leider lückenhaft auf uns gekommene Schrift, wahrscheinlich um 80 verfaßt, die man T. wegen mancher sprachlicher und stilistischer Verschiedenheiten von den spätern Schriften mit Unrecht abgesprochen hat. Hierauf folgten 98 zwei andre kleinere Schriften. "De vita et moribus Agricolae" und die sogen. "Germania" (eigentlicher Titel: "De origine, situ, moribus ac populis Germanorum"), ersteres die Lebensbeschreibung seines Schwiegervaters, letzteres die bekannte, für uns Deutsche ungemein wertvolle, mit bewunderungswürdigem Sinn für die Eigentümlichkeiten eines Naturvolkes abgefaßte Schilderung des damaligen Deutschland. Des T. beide Hauptwerke aber sind die "Historiae" und die sogen. "Annales" (eigentlicher Titel: "Ab excessu divi Augusti"), erstere in 14 Büchern die Geschichte seiner Zeit von 69 bis 96 n. Chr., letztere, welche später als die Historien verfaßt und zwischen 115 und 117 herausgegeben sind, in 16 Büchern die Geschichte des Julisch-Claudischen Hauses von Augustus' Tode (daher der Titel) von 14 bis 69 enthaltend, so daß beide zusammen ursprünglich die vollständige Kaisergeschichte von Tiberius bis zum Tode Domitians umfaßten; von beiden sind nur Teile erhalten, von den Historien die vier ersten Bücher und ein Teil des fünften, nicht volle zwei Jahre, 69-70, umfassend, von den Annalen die sechs ersten (mit einer Lücke zwischen dem fünften und sechsten Buch), Tiberius' Zeit (14-37), und die sechs letzten (zu Anfang und zu Ende unvollständigen) Bücher, Claudius' Regierung und Neros Geschichte 47-68. In beiden Werken herrscht die annalistische Anordnung des Stoffes durchaus vor. Sie beruhen auf eingehenden und umfänglichen Quellenstudien und sorgfältiger Kritik, wenn sie auch hinsichtlich selbständiger Forschung und genauer Kenntnis aller Verhältnisse, besonders des Militärischen und der Örtlichkeiten, nicht an einen Thukydides und Polybios heranreichen. Stets bemüht, das Thatsächliche zu ermitteln und vornehmlich die innern Gründe der Ereignisse aus den Verhältnissen und den handelnden Persönlichkeiten zu erklären, zeigt T. sich als Meister in der Charakterzeichnung und der psychologischen Analyse. Seinem Versprechen, ohne Parteilichkeit (sine ira et studio) zu schreiben, getreu, strebt er durchaus nach einer objektiven Darstellung, und wenn man auch vielfach seine subjektive Ansicht durchfühlt, so darf ihm doch nie absichtliche Färbung und Entstellung vorgeworfen werden, wie es in neuerer Zeit mehrfach, namentlich in Bezug auf die Schilderung des Tiberius, geschehen ist (so von Sievers, "Studien zur Geschichte der römischen Kaiser", Berl. 1870; Stahr, "Tiberius", 2. Aufl., das. 1873, u. in der Übersetzung der ersten sechs Bücher der "Annalen", das. 1871; Freytag, "Tiberius und T.", das. 1870). Voll von Bewunderung für die ehemalige Tugend u. Größe Roms, ist er im Herzen Republikaner, aber ebenso überzeugt, daß das gegenwärtige Rom wegen des Sittenverfalls, den er aufs schmerzlichste empfindet, die Republik nicht ertrage; daher der entsagungsvolle und schwermütige, hier und da sogar bittere Ton, der sich, auch ohne durch Worte ausgedrückt zu werden, überall in seinen Schriften kundgibt. Im Gegensatz zu der heitern Anmut und Fülle seiner Erstlingsschrift wird sein Stil im Fortschreiten seiner schriftstellerischen Thätigkeit immer ernster und pathetischer und zeigt eine sich steigernde Neigung zur rhetorischen Färbung und Annäherung an den poetischen Ausdruck; dazu kommt das Streben nach Kürze des Ausdrucks bis zur epigrammatischen Zuspitzung, das sich am eigentümlichsten und großartigsten in den "Annalen" zeigt. Die erste, aber noch unvollständige Ausgabe erschien Venedig 1470. Die erste, durch Hinzufügung der sechs ersten Bücher der "Annalen" vervollständigte Gesamtausgabe ist die von Beroaldus (Rom 1515). Unter den spätern sind hervorzuheben die von Bekker (Leipz. 1831, 2 Bde.), Ritter (Bonn 1834-1836, 2 Bde.; Cambridge 1848, 4 Bde.), Orelli (Zürich 1846-48, 2 Bde.; neubearbeitet, Berl. 1877 ff.); Textausgaben von Haase (Lpz. 1855), Halm (4. Aufl., das. 1883) und Nipperdey (Berl. 1871-76, 4 Bde.). Auch gibt es eine große Anzahl von guten Ausgaben einzelner Schriften des T., so der Annalen von Nipperdey und Andresen (8. u. 4. Aufl., Berl. 1884 u. 1880, 2 Bde.), der Historien von Heräus (4. Aufl., Leipz. 1885,2Bde.) und Wolff (Berl. 1886 ff.); des "Dialogus" von Michaelis (Leipz. 1868), von Andresen (das. 1872 und in
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Tacna - Tadschurrabai
der neuen Auflage der Orellischen Gesamtausgabe, Berl. 1877 ff.) und von Peter (Jena 1877) ; des "Agricola" von Walch (Berl. 1828), Wex (Braunschw. 1852), Kritz (3. Aufl., Berl. l874), Urlichs (Würzb. 1875) und Peter (Jena 1876); der "Germania" von Haupt (3. Aufl., Berl. 1869), Kritz (3. Aufl., das. 1869), Schweizer-Sidler (2. Aufl., Halle 1874), Holder (Leipz. 1878), Baumstark (das. 1875-80, 2 Bde.). Unter den deutschen Übersetzungen sind die von Gutmann (4. Aufl., Stuttg. 1869, 5 Bde.) und Roth (4. Aufl., Berl. 1888) hervorzuheben. Als Hilfsmittel für die Einsicht in den Sprachgebrauch des T. dient das "Lexicon Taciteum" von Bötticher (Berl. 1830); ein neues, weit vollständigeres ist begonnen von Gerber und Greef (Leipz. 1877 ff.). Vgl. Hoffmeister, Die Weltanschauung des T. (Essen 1831); Dräger, Über Syntax und Stil des T. (3. Aufl., Leipz. 1882); Dubois-Guchan, Tacite et son siècle (Par. 1862, 2 Bde.); Urlichs, De Taciti vita et honoribus (Würzb. 1879).
Tacna, ehemaliges Departement der südamerikan. Republik Peru, am Stillen Ozean, vom Rio Zama bis zum Rio Camarones und im Innern bis jenseit der westlichen Kordilleren reichend, wurde 1884 an Chile (s. d., S. 1022) abgetreten. Die Küste steigt steil an. Das Innere besteht aus stufenweise zu den Kordilleren ansteigenden, meist wüsten Hochebenen. Die wenigen Flüsse nehmen ihren Lauf durch tiefe Schluchten (Quebradas). Der Tacorapaß (4170 m, s. d.) verbindet T. mit Bolivia. Fruchtbare Stellen kommen fast nur im nördlichen Teil des Departements vor. T. hat ein Areal von 22,500 qkm (408,62 QM.) und (1885) 29,523 Einw. Die Ausfuhr besteht vorwiegend aus Kupfer, Zinn, Silber, Gold, Koka, Alpako- und Schafwolle. Hauptstadt ist San Pedro de T., 560 m ü. M., in hübscher Ebene, am gleichnamigen Fluß, mit (1876) 7738 Einw. T. ist Sitz eines deutschen Konsuls. Die Stadt wurde 1605 gegründet, hat ein Colegio, ein Hospital, ein kleines Theater und eine schöne Alameda. Eine Eisenbahn verbindet sie mit Arica (s. d.).
Tacoary, Fluß, s. Taquary.
Tacoma, Berg im nordamerikan. Staat Washington, 4400 m hoch, ein fast erloschener Vulkan mit Gletschern; hieß früher Mount Rainier.
Tacoma, Stadt im nordamerikan. Staat Washington, am Pugetsund, Endstation einer Pacificbahn, mit großem Hotel.
Tacorapaß (auch Gualillos), ein fahrbarer Paß der Kordilleren in 17°50' südl. Br., verbindet Tacna mit Bolivia und ist 4170 m hoch. Nördlich von ihm erhebt sich der Tacora Pik oder Chipicani (6017 m), ein ausgebrannter Vulkan mit einer Solfatare in seinem zusammengestürzten Krater; an demselben liegt das Dorf Tacora, eine der höchsten Wohnstätten der Erde (4000 m).
Tacnarembo, ein Departement des füdamerikan. Staats Uruguay, ein Hügelland, 21,022 qkm (381,8 QM.) groß mit (1885) 27,329 Einw., die fast nur Viehzucht treiben (1,034,000 Rinder, 65,000 Pferde, 476,000 Schafe). Gold ist 1859 im Cunapires entdeckt worden. Hauptstadt ist San Fructuoso mit 3000 Einw.
Tacubaya, Villa, 5 km südwestlich von Mexiko, bei Chapultepec, mit dem Sommerpalast des Erzbischofs von Mexiko, den Villen reicher Mexikaner, der Militärakademie (Colegio) und (1880) 7867 Einw.
Tacullies, f. Carrierindianer.
Tacunga (Llactacunga), Hauptstadt der Provinz Leon in der südamerikan. Republik Ecuador, am Fuß des Cotopaxi 2780 m ü. M. gelegen, hat ein Colegio, eine Pulverfabrik und 17,000 Einw.
Taeda Koch. Gruppe der Gattung Pinus. s. Kiefer, S. 714.
Tadcaster, alte Stadt in Yorkshire (England), am schiffbaren Wharfe, zwischen Leeds und York, mit (1881) 2965 Einw. Es ist das römische Calcaria. Dabei das Schlachtfeld von Towton (1461), wo Eduard von York das Lancastrische Heer besiegte.
Tadel, als Äußerung des ästhetischen oder sittlichen Mißfallens (wie Lob des Gefallens) durch Rede oder Handlung, unterscheidet sich von diesem selbst dadurch, daß er unterdrückt werden kann und unter Umständen soll, während das Mißfallen (und Gefallen) als unwillkürliches Geschmacks- oder Gewissensurteil sich nicht hemmen läßt.
Tadema, Maler, s. Alma-Tadema.
Taedium vitae (lat.), Lebensüberdruß.
Tadjainseln, s. Togianinseln.
Tadmor, Stadt, s. Palmyra.
Tadolini, 1) Adamo, ital. Bildhauer, geb. 1789 zu Bologna, bildete sich auf der Kunstschule daselbst, dann in Ferrara und Rom und erhielt 1811 eine Professur in Bologna. Von seinen Werken sind zu nennen: Venus und Amor; Ganymed, der den Adler tränkt; die Bacchantin, für das Museum Borghese, der Raub Ganymeds; das Grabmal des Kardinals Lante, für die Stadt Bologna, und eine große Anzahl Büsten. Zu seinen kirchlichen Hauptwerken gehört die Statue des heil. Franz von Sales in der Peterskirche zu Rom. Er arbeitete in der Richtung Canovas. T. starb 23. Febr. 1868 in Rom.
2) Eugenia, ital. Bühnensängerin, Gattin des Komponisten Giovanni T. (geb. 1793 zu Bologna, gest. 1872 daselbst), geb. 1810 zu Florenz, trat zuerst daselbst, dann in Venedig und endlich an der Italienischen Oper in Paris auf. Nach der Scheidung von ihrem Gatten (1834) kehrte sie nach Italien zurück, wo sie sich auf allen ersten Bühnen bis 1850 der größten Beliebtheit zu erfreuen hatte, namentlich in den von Mercadante ("Schwur") und Donizetti ("Lucia", "Don Pasquale", "Regimentstochter", "Linda") für sie geschriebenen Opern. Auch in Wien feierte sie die größten Triumphe.
Tadorna, s. Enten, S. 671.
Tadousac (spr. tadusak), Dorf in der brit.-amerikan. Provinz Quebec, an der Mündung des Saguenay in den St. Lorenzstrom, der erste Ort, an welchem die Franzosen in Amerika ein steinernes Haus bauten, jetzt als Badeort vielbesucht.
Tadsch (Tadschmahal), ein Mausoleum, s. Agra.
Tadschik (auch Dihkan, "Landleute", und Dihvar, "Dorfbewohner", od. Parsevan, "Perser", genannt), die ansässige, Ackerbau treibende Bevölkerung Irans, welche zur iranischen Völkerfamilie gehört und durchgehends die persische Sprache spricht. Sie finden sich in Ostiran (Afghanistan), in Kabul und Herat, in Balch, Chiwa, Bochara sowie in Badachschan bis gegen die Hochebene Pamir und in Kaschgarien unter dem angeführten Namen, während sie im westlichen Iran (Persien) unter dem speziellen Namen der Perser (Farsi) bekannt sind. Als Handel treibendes Volk trifft man sie auch vielfach außer Landes, östlich bis nach China und westlich bis Orenburg und Kasan. Die östlichen T. unterscheiden sich von den Persern durch manche körperliche Eigenschaften und bewahren auch verschiedene altertümliche Sitten und Gebräuche. Vgl. Afghanistan, S. 143, Persien, S. 866, etc.
Tadschurrabai, tief eindringende Meeresbucht in Nordostafrika, an der Danakilküste, westlich von Bab
Ta-dse - Taft. 4^9 el Mandeb, deren Einfahrt im N. Ras Bir, im S. Ras Dschebuti markiert. In derselben liegen die früher England, jetzt Frankreich gehörigen Muscha-inseln; an der Nordseite die Ortschaften Obok (s. d.), Tadschurra, Ambado, Sagallo. Ta-dse, Volk, s. Orotschen. Tael (spr. tehl, chines. Liang), Gewicht und Rech-nungsgeld, in China a 10 Mace a 10 Candarin a 10 Käsch; in Schanghai 1 T. = 34,246 g fein Silber, =6,164 Mk., etwa 2,75 Proz. mehr alsderRegierungs-(Haikuan-) T. für Zölle und Tonnengelder. Im aus-wärtigen Handel rechnet man 72 T. = 100 mexikan. Dollar; mithin ist 1 T. = 33,^87 g fein Silber = 6 Mk. 1 Kanton- T. als Gold- und Silbergewicht = 37,573 g; 16 Taels = 1 Kin oder Kätty; als Han-delsgewicht = 37,79.^ g. Tafalla, Bezirksstadt in der span. Provinz Navarra, an der Eisenbahn Alsasua-Saragossa, mit altem Schloß und (1878) 6040 Einw. Tafelauffa.^, ein zum Schmuck der Tafel dienendes Schaustück, zumeist aus Edelmetall (Silber und ver- goldetem Silber), in neuerer Zeit auch aus Bronze. Der T. hat gewöhnlich die Gestalt einer flachen, von einem hohen Fuß getragenen Schale, aus welcher ein kelchförmiger Aufsatz zur Aufnahme von Blumen emporsteigt. Dieser Grundform ^entspricht der be-rühmte T. von Iamnitzer (s. Tafel "Goldschmiede-kunst", Fig. 3). Doch wurden in der gotischen und Renaissan^zeit auch Tafelaufsätze in der Gestalt von phantastischen oder tropischen Tieren (Elefanten, Straußen etc.), von Schiffen (das "glückhafte Schiff"), Brunnen, Festungen etc. angefertigt. Die neuere Gold-schmiedekunst hat die Tafelaufsätze durch Anordnung von Schalen neben- und übereinander, durch Verbin-dung von Kristall mit Edelmetall noch reicher gestaltet. Tafelbai, große Bai an der Südwestküste des Kap- landes, offen und daher trotz vielfacher Verbefserun- gen nicht sicher. An derselben liegt die Kapstadt und hinter dieser der Tafelberg (1072 m), welcher oben eine 2 km breite vollständige Ebene hat. Tafelbauaue, s. Heliconia. Tafelberg, s. Tafelbai. Tafelbild, ein auf einer Holztafel gemaltes Bild; dann im Gegensatz zur Wandmalerei jedes beweg-liche, also auch auf Leinwand gemalte Bild; danach Tafelmalerei, die Malerei auf Holzplatten. Tafelbouillou, s. Bouillontafeln. Tafeldru.k, Zeugdruck mit Applikations- (Tafel-) Farben, s. Zeugdruckerei. Tafelfichte, die höchste Spi.tze des Isergebirges (s. d.), 1123 m hoch. Tafelgefchäft (auch Handverkauf genannt), im Bankgeschäft der Verkauf von Effekten an die Stamm-kunden der Bank. Tafelgüter (Bona mensalia), zum Unterhalt des landesherrlichen Hofs, besonders in den ehemaligen geistlichen Staaten, bestimmte Güter. Sie hießen, wenn in Lehngütern bestehend, Tafellehen. Vgl. Domäne. Tafella^, s. Schellack. Tafelland, Hochebene größerer Ausdehnung; be- sonders eine Hochebene, welche sich nur einseitig an ein Gebirge anschließt und, aus ungefähr horizonta-len Schichtsystemen zusammengesetzt, gewöhnlich in mehreren Stufen gegen das Tiefland abfällt. P la-teau würde in dieser Ausscheidung des engern Be-griffs als Synonym von T. aufzufaffen sein. Die Plateaus der Kalkalpen, des Karstes, die von Süd-afrika u. a. sind Beispiele solcher Tafelländer. Tafelruude, in der Sage der Kreis von Helden, die zu des britischen Königs Artus Hofhaltung gehör- ten und von ihm um eine runde Tafel, um die Gleich-heit der an ihr Sitzenden zu bezeichnen, an seinen Hoffesten versammelt wurden. Weiteres s. Artus. Tafelfchiefer, s. Thonschiefer. Tafelspat, s. v. w. Wollastonit. Tafelstein, s. Edelsteine, S. 314. Täfelwerk^ (Täfelung, Intabulation), Beklei- dung der Wände und Decken in Zimmern und Sä-len mit gefalzten oder genuteten Brettern, befser mit Rahmhölzern und Füllungen, welche beim Schwin- den des Holzes keine Spalten zeigen. Hartes, z. B. Eichenholz, ist, weil es weniger leicht stockt oder fault, weichem, z. B. Tannen- oder Kiefernholz, vorzu^ie-hen und bei Anwendung des letztern das T. in einem Abstand von 15-25 mm von der Wandfläche anzu- bringen. Bei einfachern Gebäuden wird das T. mit gekehlten Rahmhölzern, bei Prachtbauten mit Schnitz-werk versehen. Die Firnisse oder Ölanstriche, welche man demselben zur Verbesserung seines äußern An-sehens meist in Naturfarbe gibt, tragen zugleich zum Schutz des Holzes gegen Feuchtigkeit bei. Die Holz- bekleidung ganzer Wände, welche un Mittelalter nicht selten und oft sehr kunstvoll ausgeführt war, wovon unter anderm Nürnberg und die^ Feste Koburg treff-liche Beispiele geben, wird in der Gegenwart meist auf die untern Teile derselben (Brüstungen, Lam- bris) beschränkt und das T. hierbei mit Fuß- und Deckleiste versehen. Vgl. Fink, Der Bautischler (Leipz. 1867-69, 2 Bde.). Tasseh, türk. Gewicht für Seide, = 1,954 kg. Taffia, f. v. w. Rum. Tafilet (Tafilelt), große Oase in Marokko, im S. des Atlas, unter 31° nördl. Br. und 3° 30^ westl. L. v. Gr., die südlichste einer vom Wadi Sis durchzogen nen Reihe von Oasen, wird von diesem wie von meh-reren andern Wadis bewässert, welche aber nur im Frühjahr Wasser führen und dann im südlichsten Teil der Oase dieSebchaDaya elDura bilden. Berg- züge, darunter der Dschebel Belgrüll im NW., um- schließen fast ringsum den 1000 qkm messenden Raum, welcher wegen der mangelhaften Bewässerung nur für Dattelpalmen geeignet ist; die Datteln von T. sind aber auch als die vorzüglichsten der Wüste bekannt, nur selten ist der Anbau von Weizen, Gerste, Klee möglich. Datteln sind der bedeutendste Aus-fuhrartikel, daneben gegerbte Felle, Straußfedern, Sklaven und Goldstaub. Fast alle europäischen Wa-ren werden in den Bazaren verkauft. Die ca. 100,000 Einw., teils Araber, teils Berber, wohnen in 150 Dörfern oder Ksurs, unter welchen Er Rissani, Sitz des Gouverneurs, das größere, Abuam aber durch Industrie und Handel viel bedeutenderist. DieBewoh-ner der einzelnen Ksurs leben in beständigem Kampf miteinander. Nahe bei Abuam die Ruinen des im Mittelalter berühmten Sedjelmafsa. Vgl. Rohlfs, Reise durch Marokko (Brem. l 869). Tafna, Küstenfluß in der alger. Provinz Oran, bekannt durch die Kämpfe zwischen Franzosen und Kabylen 26. -28. Ian. 1836. An der T. schlossen di^ Franzosen 30. Mai 1837 Frieden mit Abd el Kader. Taft, großes Dorf in der persischen Provinz Ira.^ Adschmi, südwestlich unweit Iezd, mit 5000 Einw , einer der Hauptwohnsitze von Feueranbetern, besitzt einen hübschen Bazar, ein kleines Fort und viele schöne Gärten und ist berühmt wegen der Fabrikation einer vorzüglichen Filzsorte. Taft (Taffet), lein1vandartig gewebter Stoff aus entschälter Seide mit Organsinkette und Einschlag von Tramseide, meist schwarz, aber von verschiedener
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Taftpapier - Taganrog.
Dichtigkeit. Hiernach unterscheidet man ganz leichten Futtertaft (Avignon, Florence), etwas schwerern Kleidertaft, Doppeltaft (Marcelline) und Gros (mit vielen Beinamen, wie de Naples, de Tours, d'Orleans etc.), welcher auf der Oberfläche eine Art regelmäßiger Körnung zeigt oder, wenn starke mit schwachen Fäden wechseln, gerippt erscheint.
Taftpapier, einseitig gefärbtes und mit Glanz versehenes Papier.
Tag (lat. Diës), entweder die Dauer eines scheinbaren Umlaufs des Fixsternhimmels oder der Sonne um die Erde, oder im gewöhnlichen Sinn: die Zeit des Verweilens der Sonne über dem Horizont, im Gegensatz zur Nacht, während welcher sie sich unter dem Horizont befindet. Bestimmter nennt man Sterntag die Dauer eines scheinbaren Umlaufs des Fixsternhimmels oder einer Rotation der Erde um ihre Achse. Die Dauer des Sterntags ist so gut wie unveränderlich, wenn auch gewisse Unregelmäßigkeiten der Mondbewegung eine geringe Veränderung andeuten, während zugleich in der Wirkung der Flutwelle (wie schon Kant bemerkt hat) und in den durch allmähliche Erkaltung der Erde, durch Einstürze u. dgl. in ihrem Innern bedingten Massenumsetzungen Ursachen für eine Veränderung gegeben sind. Der Sterntag beginnt im Augenblick der obern Kulmination des Frühlingspunktes. Er wird in 24 gleich lange Stunden zu 60 Minuten zu 60 Sekunden geteilt; Zeitangaben in diesem Maß nennt man Sternzeit. Obwohl uns nun die Natur in der Rotation der Erde um ihre Achfe das gleichförmigste Zeitmaß darbietet, so ist doch der Auf- und Untergang der Sonne von so überwiegender Wichtigkeit für das bürgerliche Leben, daß man in diesem nicht nach Sterntagen, sondern nach Sonnentagen rechnet. Wahrer Sonnentag ist die Zeit zwischen zwei aufeinander folgenden mittägigen Kulminationen der Sonne. Da aber dieser Zeitraum infolge der Ungleichförmigkeit der Bewegung der Sonne am Fixsternhimmel im Lauf des Jahrs nicht unbeträchtlichen Veränderungen seiner Dauer unterliegt (vgl. Sonnenzeit), so benutzt man den jährlichen Mittelwert desselben unter dem Namen mittler T. (bürgerlicher T.). Derselbe beträgt 24 Stunden 3 Min. 56,6 Sek. Sternzeit und wird ebenfalls in 24 gleiche Stunden zu 60 Minuten zu 60 Sekunden eingeteilt. Die in diesem Maß ausge-drückte Zeit heißt mittlere Zeit; sie wird von unsern mechanischen Uhren angegeben und sowohl im bürgerlichen Leben als auch in der Wissenschaft angewandt. Die christlichen Völker beginnen den T. mit Mitternacht und zählen während desselben ziemlich allgemein zweimal 12 Stunden. Die Astronomen aber fangen den T. erst mit dem Mittag an und zählen die Stunden bis 24. Es bedeutet also die astronomische Angabe "Juli 23, 19h 12m" so viel wie "7 Uhr 12 Min. vormittags am 24. Juli" (h=hora, Uhr; m=Minuten). Man bezeichnet den Zeitraum von 24 Stunden auch als künstlichen T., im Gegensatz zum natürlichen T., worunter man die Zeit des Verweilens der Sonne über dem Horizont versteht. Am Äquator beträgt der letztere jahraus jahrein 12 Stunden; an andern Punkten der Erde ist dies nur im Frühlings- und im Herbstanfang, wenn die Sonne im Äquator steht, der Fall. Sobald die Sonne sich nördlich über den Äquator erhebt, werden auf der nördlichen Hemisphäre der Erde die Tage immer länger, und für die Orte zwischen Äquator und Polarkreis (66 1/2° Br.) erreicht der T. seine größte Dauer, wenn die Sonne im Wendekreis des Krebses steht (Sommersolstitium). Von da nimmt die Tageslänge wieder ab, erreicht den Wert von 12 Stunden im Herbstanfang und den kleinsten Wert (24 Stunden weniger des längsten Tags), wenn die Sonne im Wendekreis des Steinbocks steht (Wintersolstitium). worauf er wieder wächst. Für die südliche Erdhalbkugel dagegen tritt der längste T. ein, wenn die Sonne im Wendekreis des Steinbocks, der kürzeste, wenn sie im Wendekreis des Krebses steht. Die Größe t des halben Tagbogens für den längsten T. in der Breite f erhält man aus der Formel cos t=-tan f.tan 23 1/2; je 15 Bogengrade entsprechen einer Stunde. Es ergeben sich auf diese Weise folgende Werte:
Breite f Tagbogen 2t Längster Tag
0° 180° 0,0' 12 Stunden 0 Minuten
5° 184° 21,0' 12 Stunden 18 Minuten
10° 188° 50,5' 12 Stunden 35 Minuten
15° 193° 21,2' 12 Stunden 53 Minuten
20° 198° 10,3' 13 Stunden 13 Minuten
23 1/2° 201° 42,1' 13 Stunden 27 Minuten
25° 203° 20,8' 13 Stunden 33 Minuten
30° 209° 0,7' 13 Stunden 56 Minuten
35° 2l5° 22,5' 14 Stunden 21 Minuten
40° 222° 42,0' 14 Stunden 51 Minuten
45° 231° 25,7' 15 Stunden 26 Minuten
50° 242° 16,3' 16 Stunden 9 Minuten
55° 256° 34,8' 17 Stunden 6 Minuten
60° 277° 26,7' 18 Stunden 30 Minuten
65° 317° 0,8' 21 Stunden 8 Minuten
66 1/2° 360° 0,0' 24 Stunden 0 Minuten
Für den Polarkreis beträgt der längste T. 24 Stunden; für die dem Pol noch näher liegenden Orte aber geht schon vor der Sommersonnenwende die Sonne nicht mehr unter, es ist dann immerwährender T., dessen Dauer mit der Annäherung an den Pol zunimmt und für diesen selbst ein halbes Iahr beträgt. Dem immerwährenden T. entspricht ein halbes Jahr später die gleich lange immerwährende Nacht. Der immerwährende T. währt so lange, als die Poldistanz (90° weniger der Deklination) der Sonne kleiner ist als die geographische Breite; seine Dauer ist
1 Monat in 67° 23' Breite 4 Monate in 78° 11' Breite
2 Monate in 69° 51' Breite 5 Monate in 84° 5' Breite
3 Monate in 73° 40' Breite 6 Monate in 90° 0' Breite
Bei verschiedenen orientalischen Völkern, auch den Israeliten, ferner bei Griechen und Römern wurde im Altertum der natürliche T. und ebenso die Nacht in 12 gleich lange Stunden geteilt, deren Dauer in den verschiedenen Jahreszeiten verschieden war (horae temporales bei den Römern, während die immer gleich langen horae aequinoctiales hießen). Vgl. Bilfinger, Der bürgerliche T. (Stuttg. 1888). - T. heißt auch eine im voraus bestimmte Versammlung, z. B. Landtag, Reichstag, Fürstentag etc.
Tag, der bergmännische Ausdruck für Erdoberfläche, im Gegensatz zu den unterirdischen Grubenräumen, daher die Ausdrücke "über" und "unterTage".
Tagal, Stadt, s. Tegal.
Tagala (Tekela), Berglandschaft im südlichen Kordofan, vom Sirga durchflossen.
Tagálen, Volk, s. Philippinen, S. 1004.
Taganai, ein Berg des südlichen Urals, im russ. Gouvernement Ufa, Kreis Slatoust, 1203 m hoch, berühmt durch seine Aventurine.
Taganrog, Hafenstadt im russ. Gouvernement Jekaterinoslaw, am nordöstlichen Ufer des Asowschen Meers, auf einer Landzunge, 30 km westlich von der Mündung des Don, an der Eisenbahn Charkow-Rostow gelegen, hat 11 Kirchen (darunter 10 griechisch-russische), eine Synagoge, ein griechisches Kloster (Jerusalemkloster), ein kleines kaiserliches Palais, in welchem Alexander I. 1825 starb, ein Denkmal des
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Tagblindheit - Tagewählerei.
genannten Kaisers (1831 errichtet), 2 Gymnasien (eins für Knaben und eins für Mädchen), ein Theater, eine Börse und (1885) 56,047 Einw. (sehr viele Griechen und Juden, aber auch Armenier, Italiener und Deutsche). T. ist einer der wichtigsten Handelsplatze Südrußlands. Die weite Reede ist flach und durch Sandbänke gefährlich. Die Ausfuhr betrug 1887: 14 Mill., die Einfuhr 2 Mill. Rubel. Ausfuhrartikel sind hauptsächlich: Weizen, Butter, Leinsaat und Talg; Gegenstände der Einfuhr: Früchte, Wein, Öl und Metallfabrikate. Die Gewerbthätigkeit ist gering. Im Hafen liefen 1887: 868 Schiffe mit 483,152 Ton. ein, außerdem im Küstenverkehr 1465 Fahrzeuge mit 282,800 Ton. Die Militär- und Zivilverwaltung liegt in den Händen eines Stadtpräfekten. T. war ursprünglich eine Festung, die 1698 von Peter I. angelegt und nach ihrer Schleifung infolge des Friedens am Pruth (1711) von Katharina II. 1769 wiederhergestellt ward. Es wurde 22. Mai 1855 von einer englisch-französischen Flotte bombardiert und teilweise zerstört.
Tagblindheit (Nachtsehen, Nyktalopie, Coecitas diurna), Mangel des Gesichts, der darin besteht, daß die Kranken bei Tag und besonders gegen Mittag schwachsichtig oder blind sind, mag sie nun Licht oder Dämmerung umgeben, während sie des Nachts, vorzüglich gegen Mitternacht, bei Kerzen- oder bei Mondlicht am besten sehen. Die Krankheit befällt fast immer beide Augen zu gleicher Zeit. Die wahre T. ist eine rein periodische Krankheit und hängt nicht von dem Grade des Lichts ab wie die symptomatische T. Beide beruhen auf einem Reizungszustand der Retina, in welchem dieselbe helles Licht nicht verträgt. Als Ursachen der T. werden genannt verschiedene Krankheiten des Auges und des Körpers überhaupt, ferner Entwöhnung vom Licht, erbliche Anlage und endemische Einflüsse. Die Prognose hängt von den Ursachen ab. Die als reines Lokalleiden der Netzhaut auftretende T. pflegt in 2-3 Monaten zu verschwinden, macht aber bisweilen, selbst zu bestimmten Jahreszeiten, Rückfälle. Die durch Entwöhnung vom Licht entstandene T. geht bei falscher Behandlung des Auges leicht in vollkommene Blindheit über. Außer der Beseitigung der Ursachen hat die ärztliche Behandlung namentlich darauf zu sehen, daß der Kranke seine Augen längere Zeit hindurch vollkommen ruhen lasse und sie erst ganz allmählich dem Lichtreiz wieder aussetze. In nordischen Ländern ist der Gebrauch einer Schneebrille als schützendes Mittel zu empfehlen.
Tagbogen, der Teil des Tagkreises, den ein Gestirn im täglichen Umschwung um die Erde oberhalb des Horizonts beschreibt, im Gegensatz zu dem unterhalb des Horizonts gelegenen Teil, dem Nachtbogen.
Tagebau, im Gegensatz zum Grubenbau Abbauanlagen über Tag; vgl. Bergbau, S. 723.
Tagebruch, Einsenkung der Erdoberfläche, entstanden durch Einsturz alter bergmännischer Anlagen.
Tagebuch, s. v. w. Journal (s. Buchhaltung, S. 565). Bei der doppelten Buchführung paßt die Bezeichnung T. nur dann, wenn die Übertragungen aus den Vorbüchern täglich erfolgen, wie dies bei der französischen Buchhaltung geschieht. Über die Tagebücher der Makler s. Makler, S. 135.
Tagegelder, s. Diäten.
Tagekranz, s. Hängebank.
Tagelied (Tageweise, Wächterlied), eine Gattung des mittelalterlichen Minnegesangs, welche balladenartig das Scheiden zweier Liebenden schildert, woran der Turmwächter, den anbrechenden Tag verkündend, mahnt. Diese Dichtungsform war in der Provence erfunden, wurde aber in Deutschland schon früh nachgeahmt und hier, teils mit der Figur des Wächters, teils ohne dieselbe als bloßes Scheideduett, bald sehr populär; als größter Meister derselben erscheint Wolfram von Eschenbach. Später übernahm das Volkslied die Pflege der Tageweisen, die in der Reformationszeit auch eine geistliche Umdeutung erfuhren, wodurch die sogen. geistlichen Wächterlieder entstanden, als deren letztes das noch heute gesungene Lied "Wachet auf, ruft uns die Stimme" von Ph. Nicolai zu nennen ist. Vgl. Bartsch, Gesammelte Vorträge und Aufsätze (Freiburg 1883); Gruyter, Das deutsche T. (Leipz. 1887).
Tagelöhner, derjenige, welcher gegen Tagelohn arbeitet. Vgl. Arbeitslohn, S.759.
Tages, nach röm. Mythus der Sohn eines Genius und Enkel des Jupiter, tauchte bei Tarquinii in Etrurien aus der Furche eines frisch gepflügten Feldes plötzlich empor und lehrte, ein Knabe von Ansehen, ein Greis an Weisheit, den Etruskern die Haruspizien (s. Haruspices), die dann von ihnen in den Libri tagetici aufgezeichnet wurden.
Tagesbefehl, s. v. w. Parolebefehl, s. Parole.
Tagesgeschäft, Tageskauf, im Gegensatz zum Lieferungsgeschäft (s. d.) und zum Lieferungskauf (s. d.) dasjenige Geschäst, bei welchem die Ware unmittelbar (oder auch je nach den Börsenusancen mit gewisser Frist) nach Abschluß des Geschäfts übergeben wird.
Tageshelle, s. Diffusion des Lichts.
Tagesordnung, bei beratenden und beschließenden Versammlungen das Verzeichnis und die Reihenfolge der zur Beratung kommenden Gegenstände, welche für die jeweiligen Sitzungen im voraus auf- und festzustellen sind; daher heißt zur T. übergehen s. v. w. auf einen Antrag etc. nicht weiter eingehen. Geschieht dies unter der Angabe von Gründen, so spricht man von einer motivierten T., welche als eine mildere Form der Ablehnung eines Antrags gilt.
Tagesregent, in der Astrologie derjenige der sieben Planeten: Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond, der auf die erste Stunde eines jeden Wochentags kommt, wenn man die erste Stunde des Sonnabends dem Saturn, die zweite dem Jupiter etc., die achte wieder dem Saturn u. s. f. in obiger Weise zuteilt. Sonach sind Saturn, Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter und Venus die Regenten der Wochentage, vom Sonnabend angefangen, weshalb letztere auch die Namen dies Saturni (engl. saturday). d. Solis (engl. sunday), d. Lunae (Montag, ital. lunedi) , d. Martis (ital. martedI) , d. Mercurii (ital. mercord1), d. Jovis (ital. gioved1) und d. Veneris (ital. venerdi) führen.
Tagewählerei, in Luthers Bibelübersetzung (5. Mos. 18, 10) der Glaube an Glücks- oder Unglückstage bei den Juden, der sich aber fast bei allen Kulturvölkern findet und bis heute nicht geschwunden ist. Über die T. der Griechen belehrt uns das Hesiodsche Gedicht "Werke und Tage"; bei den Römern galten alle auf die Iden folgenden Tage als unglücklich, und dazu kamen die drei großen Unglückstage: 7. Mai, 8. Juli und 8. Nov., die den Toten gewidmet waren. An solchen Unglückstagen, deren Zahl sich durch die Daten verlorner Entscheidungsschlachten oder sonstiger nationaler Unglücksfälle vermehrte, durften keine neuen Unternehmungen, Feldzüge, Bauten, Reisen, Ehen etc. begonnen werden; für die Eheschließung galt auch der ganze Monat Mai für unglücklich. Bei den alten Germanen galten die den Hauptgöttern Wuotan und Donar heiligen Wochentage (Montag und Donnerstag) für Glückstage,
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Tagewasser - Tahiti.
Dienstag und Freitag für unglücklich, und der Freitag gilt noch heute unzähligen Menschen als ein Tag, an dem man nichts beginnen darf. Im Mittelalter dehnte sich die T. bis auf die im Kalender verzeichneten Tage aus, an denen es gut sei, Haare zu schneiden, zu purgieren etc. Besonders lebendig ist die T. heute noch bei den Russen und Finnen, Indern, Chinesen und Japanern. Vgl. Andree, Ethnographische Parallelen und Vergleiche (Stuttg. 1878).
Tagewasser, im Bergbau das von der Erdoberfläche in die Grube gelangende Wasser.
Tagewerk, früher ein in manchen Gegenden Deutschlands gebräuchliches Feldmaß, eigentlich so viel Land, wie ein Ackersmann in einem Tag bestellen kann, also etwa s. v. w. Morgen.
Tagfahrt, s. v. w. Termin.
Tagfalter (Diurna, Rhopalocera), Familie aus der Ordnung der Schmetterlinge (s. d., S. 556).
Taggia (spr. taddscha), Stadt in der ital. Provinz Porto Maurizio, Kreis San Remo, am Fluß T. und an der Eisenbahn Genua-Nizza, unweit der ligurischen Küste, an welcher sich ein kleiner Hafen (Arma di T.) befindet, hat ein Gymnasium, mehrere Kirchen, Weinbau und (1881) 4046 Einw.
Tagil, Fluß im russ. Gouvernement Perm, kommt aus dem Ural im Kreis Jekaterinenburg, fließt an den Hüttenorten Werchne-Tagilsk und Nishne-Tagilsk (s. d.) vorüber und ergießt sich nach einem Laufe von 270 km in den Fluß Tura.
Tagkreis, dem Himmelsäquator paralleler Kreis, welchen ein Gestirn bei der täglichen scheinbaren Rotation des Himmelsgewölbes beschreibt.
Tagliacozzo (spr. talja-), Stadt in der ital. Provinz Aquila, Kreis Avezzano, mit hoch gelegenem Schloß und (1881) 3142 Einw. Hier 23. Aug. 1268 Schlacht zwischen Karl von Anjou und Konradin (s. d.) von Schwaben, in der letzterer besiegt wurde. Vgl. Köhler, Zur Schlacht von T. (Bresl. 1884).
Tagliamento (spr. talja-), Fluß in Venezien, entspringt in den Friauler Alpen, fließt anfangs östlich, wendet sich dann südlich, ist von Latisana an für Barken schiffbar und mündet nach einem Laufe von 170 km ins Adriatische Meer. An der Mündung liegt der kleine Hafen Porto del T. Der T. gehört zu den gefährlichsten Flüssen von Friaul und fließt meist in erhöhtem, aus Gerölle aufgebautem Bett in dünnen Wasserfäden; bei Hochwasser überschüttet er aber die Fruchtebene mit Steinen. Bei Codroipo liegt sein Bett 9 m über der Ebene. - Nach dem T. war unter Napoleon I. ein Departement Italiens mit der Hauptstadt Treviso benannt.
Tägliche Lieferung, im Lieferungsgeschäft (s. d.) derjenige Kauf, bei welchem der Käufer berechtigt ist, bis zu einem bestimmten Termin an jedem Tag die Lieferung zu fordern.
Taglioni (spr.taljoni), berühmte Tänzerfamilie, aus der zuerst Philipp T., geb. 1777 zu Mailand, einen Namen gewann; er wirkte nacheinander als Ballettmeister beim Theater in Stockholm, Kassel, Wien, seit 1840 in Warschau, ließ sich 1853 am Comersee nieder und starb daselbst 11. Febr. 1871. Er verfaßte viele Ballette. Von seinen fünf Kindern, die sich sämtlich der Tanzkunst widmeten, und von denen die Töchter in altadlige Geschlechter heirateten, sind Maria und Paul zu Berühmtheit gelangt. Seine Tochter Maria, geb. 23. April 1804 zu Stockholm, wirkte seit 1827 an der Großen Oper in Paris, seit 1832 zu Berlin und zog sich 1847 nach ihrer Verheiratung mit dem Grafen Gilbert de Voisins nach Italien zurück. Sie war eine der vollendetsten Tänzerinnen und ausgezeichnet als Sylphide; starb 23. April 1884 in Marseille. Ihr Bruder Paul, geb. 12. Jan. 1808 zu Wien, debütierte 1825 in Stuttgart, wurde 1829 in Berlin engagiert und 1869 zum Ballettdirektor ernannt. Er verheiratete sich mit der Tänzerin Amalie Galster, die, seit 1815 am Hoftheater zu Berlin engagiert, sowohl hier als auf Kunstreisen die Triumphe des Gatten teilte; sie starb 23. Dez. 1881 in Berlin. Bedeutender als Choreograph denn als Tänzer hat Paul T. eine große Fruchtbarkeit in der Schöpfung von Balletten entwickelt, deren bekannteste "Flick und Flock" und "Fantaska" sind. Er starb 7. Jan. 1884 in Berlin. Seine Tochter Maria, geb. 1833 zu Berlin, debütierte 1847 in London mit Glück, war längere Zeit beim königlichen Ballett zu Berlin, dann am San Carlotheater in Neapel engagiert und vermählte sich 1866 mit dem Fürsten Joseph Windischgrätz. Eine jüngere Tochter, Auguste, war eine Reihe von Jahren als Schauspielerin zu Berlin thätig.
Tagsatzung (Tagleistung), in der Schweiz früher Bezeichnung des Bundestags, welcher zumeist in Baden, später in Frauenfeld abgehalten wurde. In der T. führte Zürich als sogen. Vorort den Vorsitz. Mit der Umwandlung des eidgenössischen Staatenbundes in einen Bundesstaat kam die T. in Hinwegfall (s. Schweiz, S. 762).
Tagschmetterlinge, s. v. w. Tagfalter.
Taguan, s. Eichhörnchen, S. 362.
Taguanüsse (Elfenbeinnüsse), die Früchte von Phytelephas macrocarpa; vgl. Elfenbein.
Tagulandang (Tagulanda), Insel an der Nordostspitze der Insel Celebes, 140 qkm groß mit 2000 Einw., steht unter einem Radscha und gehört zur niederländischen Residentschaft Menado.
Tag- und Nachtgleiche, s. Äquinoktium.
Tagwechsel (Präzisewechsel), s. Wechsel.
Tahaa (Otaha), eine der noch unabhängigen Gesellschaftsinseln im südöstlichen Polynesien, zur Leewardgruppe gehörig, 82 qkm groß, gebirgig, doch fruchtbar, mit mehreren guten Häfen und (1885) 634 Einw., welche durch englische Missionäre zum Christentum bekehrt wurden.
Tahiti (Otaheiti), die unter franz. Protektorat stehende größte und wichtigste der Gesellschaftsinseln, besteht aus zwei durch eine schmale Landenge zusammenhängenden Halbinseln, Taiarapu und Porionuu, und hat einen Flächeninhalt von 1042 qkm (19 QM.). Die Insel ist von einem Korallenriff umgeben, welches mehrere Öffnungen zum Einlaufen der Schiffe sowie mehrere Baien und Buchten mit guten Ankerplätzen hat. Das Land ist vulkanisch und steigt von der Küste gegen die Mitte hin im Orohea oder Tobreonu bis 2104 m an. Zahlreiche Bäche ergießen sich von den Bergen, in ihrem obern Lauf schöne Kaskaden bildend und in der Regenzeit oft zu reißenden Flüssen anschwellend. Vom Fuß der Berge bis zum Strand ist die ganze Insel von einer schmalen Niederung umgeben, auf welcher die Wohnungen zerstreut liegen. Das Klima ist sehr gesund ; von einheimischen Produkten sind namentlich Zuckerrohr (eine der Insel eigne Spezies), Bananen, Pisangs, Brotfrucht- und Kokosbäume, Yams, Bataten, Arum zu nennen. Die Bevölkerung wurde zu Cooks Zeiten (wohl zu hoch) auf 120,000 Seelen geschätzt, ist sehr gesunken und betrug 1885 nur 9562, mit dem benachbarten Morea 11,007 Seelen (davon nur 4673 weiblichen Geschlechts). Von der Gesamtzahl waren 8577 Eingeborne, 288 Franzosen (davon 132 Mann Garnison), außerdem Engländer, Amerikaner, Deutsche, eine Anzahl Chinesen und als Arbeiter eingeführte
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Tahk - Tahkali.
Polynesier andrer Inseln.
Das Christentum (meist methodistisches) ist durchweg angenommen; es bestehen bereits 34 Schulen, 1n welchen 1800 Kinder unterrichtet werden. Als Zeitung besteht der amtliche "Messager de T." Unter Kultur sind 3093 Hektar, davon 2328 mit Kokospalmen bepflanzt, der Rest mit Baumwolle, Zuckerrohr, Kaffee, Vanille, Mais u. a.; die Orangenbäume, von Cook eingeführt, wachsen wild und liefern reiche Erträge zur Ausfuhr nach Amerika. Der Großhandel ist in den Händen englischer, deutscher und nordamerikanischer Häuser. Eingeführt werden: Spirituosen, Konserven, Hausgerät, Bauholz, Kleider; ausgeführt: Baumwolle, Apfelsinen, Perlschalen, Kopra, Trepang. 1887 betrug die Ausfuhr 1,644,308 Mk.: es liefen 172 Schiffe ein und 156 aus. Die Post beförderte durch fünf Ämter 176,483 Sendungen. Die Ausgaben des Mutterlandes für die Kolonie betrugen 805,000, das Kolonialbudget 1,27 Mill. Frank. Die wichtigsten Häfen sind Papeete (s. d.), Papeuriri und Antimaono auf der Südküste, Papaoa ostnordöstlich von Papeete. Ein monatlicher, von der französischen Regierung subventionierter Schiffsverkehr besteht mit San Francisco. Auch eine Eisenbahn von 33 km Länge besitzt T. Hauptstadt ist Papeete; im Innern in Fatuahua befindet sich ein Fort, das die ganze Insel beherrscht. Die Flagge s. Tafel "Flaggen I". Die Insel T. wurde von Quiros 1606 entdeckt und Sagittaria genannt; genauere Kunde verdanken wir aber erst dem Engländer Wallis, welcher die Insel 1767 besuchte und Georgs III.-Insel nannte. Im April 1768 wurde sie von Bougainville besucht, der sie wegen der Sinnlosigkeit der Weiber Nouvelle Cythère (Neukythera) taufte. Cook, der sie 1769 mit Forster genauer untersuchte, gab dem Archipel den Namen Gesellschaftsinseln. Seitdem ist der Archipel von Wilson, Turnbull, Bellinghausen, Duperrey, Kotzebue, Beechey, Dumont d'Urville u. a. besucht und beschrieben worden. Der gesellschaftliche Zustand Tahitis wurde besonders durch die 1797 erfolgte Ankunft der englischen Missionäre umgewandelt. Der König Pomare I. nahm die Missionäre günstig auf, aber erst sein Nachfolger Pomare II. trat 1812 zum Christentum über. Vielweiberei und Kindermord, früher an der Tagesordnung, hörten auf; 1822 zählte man auf T. schon 66 Kirchen und Kapellen. Da Pomare II. 1821 einen erst 18 Monate alten Sohn, Pomare III., hinterließ, nahmen die Missionäre, damit die Fortschritte der Bildung nicht gefährdet würden, selbst das Staatsruder in die Hand. 1824 erhielt T. eine Art von Konstitution. Der junge König starb aber schon 11. Jan. 1827, worauf seine 16jährige Schwester als Pomare Wahine I. auf den Thron erhoben ward. Die Wirksamkeit der englischen Missionäre ward gestört, als, durch einen belgischen Kaufmann, Moerenhout, der sich 1829 auf T. niederlassen, veranlaßt, französische katholische Missionäre auf T. Fuß zu gewinnen suchten. Die Königin ließ die letztern gewaltsam vertreiben, worauf die französische Regierung den Kapitän Dupetit-Thouars beauftragte, Genugthuung und zugleich Entschädigung für die vertriebenen Missionäre zu verlangen. Die Königin mußte nachgeben und die Ansiedelung katholischer Priester auf der Insel dulden. Auf Moerenhouts Veranlassung baten 1841 einige Häuptlinge die französische Regierung um Übernahme des Protektorats über die Insel. Am 1. Sept. 1842 erschien Dupetit-Thouars wieder vor Papiti und erzwang durch Drohungen die Anerkennung von Frankreichs Protektorat. Als er aber 1843 die Absetzung der Königin proklamierte, entstanden daraus Verwickelungen mit England. Das französische Gouvernement mußte nachgeben und behielt bloß das Protektorat, welches aber allmählich in völlige Herrschaft verwandelt wurde. Der Code Napoléon gilt als Gesetzbuch, die Richter werden aus den französischen Zivil- und Militärbeamten genommen. Die Königin starb 17. Sept. 1877; ihr Nachfolger war ihr Sohn Arijane, der als Pomare V. eine Scheinregierung führte, die er 1880 in aller Formen Frankreich abtrat. Vgl. Le Chartier, T. et les colonies françaises de la Polynésie (Par. 1887).
Tahk, Längenmaß, s. Thuok.
Tahkali, s. Carrierindianer.
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Tahoe - Taine.
Tahoe (spr. tahu), See an der Grenze der nordameri-kan. Staaten Kalifornien und Nevada, 906 qkm groß, liegt 1902 m ü. M. und fließt durch den 150 km langen Truckeefluß in den Pyramid Lake ab.
Tahfil-dar, türk. Steuerbeamter, welcher den Steuerpachtern beigegeben wird.
Taifun, Wirbelsturm, s. Teifun.
Taikun, f. Shogun.
Taillandier (spr. tajangdjeh), Saint-René (eigentlich René Gaspard Ernest), franz. Schriftsteller, geb. 16. Dez. 1817 zu Paris, studierte daselbst und in Heidelberg die Rechte, daneben Philosophie und schöne Litteratur, ward 1841 Professor der Litteratur zu Straßburg , 1843 zu Montpellier und erhielt 1863 an Saint-Marc Girardins Stelle den Lehrstuhlder französischen Poesie an der Sorbonne. 1870-72 fungierte er als Generalsekretär des Erziehungsministers; 1873 wurde er zum Mitglied der Akademie ernannt. Er starb 24. Febr. 1879. T. hat sich mit besonderm Erfolg der Aufgabe gewidmet, seine Landsleute mit der Geschichte und den litterarischen Arbeiten der Deutschen bekannt zu machen. Wir nennen von seinen Werken: "Scot Érigène et la philosophie scholastique" (1843, 2. Aufl. 1877); "Histoire de la jeune Allemagne" (1849) und "Études sur la révolution en Allemagne" (1853, 2 Bde.); ferner: "Allemagne et Russie" (1856); "Histoire et philosophie religieuse" (1860); "Écrivains et poètes modernes" (1861); "La comtesse d'Albany" (1862); "Maurice de Saxe"(1865)^ "Tchèques et Magyars" (1869); "Drames et romans de la vie littéraire" (1870); "Le général Phil. de Ségur" (1875); "Dix ans de l'histoire d'Allemagne" (nach der Korrespondenz Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen, 1875); "Le roi Léopold et la reine Victoria, récits d'histoire contemporaine" (1878, 2 Bde.); "Études littéraires: Boursault, etc." (1881). Auch gab er die Übersetzung des Goethe-Schillerschen Briefwechsels von der Baronin Carlowitz (1863, 2 Bde.) heraus.
Taille (franz., spr. tallje), der Schnitt eines Kleides; Wuchs, Körpergestalt, insbesondere der Teil zwischen Hüften und Brust und das entsprechende Stück der Frauenkleidung, Leibchen; in der Musik s. v. w. Tenor; basse-t., der zweite (tiefere) Tenor (auch s. v. w. Bariton). In Frankreich bedeutete T. ursprünglich eine Steuer, welche der Lehnsherr von seinen Vasallen erhob; später überhaupt Staatssteuer, nachdem sie unter Karl VIL zu einer bleibenden geworden war, um die ersten stehenden Truppen zu erhalten; beim Pharospiel s. v. w. Abzug, d. h. eine Tour des Spiels und die Karten dazu in der durch das Mischen bewirkten Reihenfolge.
Taille-douce (franz., spr. taj-duhß), s. v. w. Kupferstich (im Gegensatz zu Eau forte, Radierung); Taille-dure, Stahlstich.
Tailleur (franz., spr. tajör), Schneider.
Taillon (franz., spr. tajong), Nachsteuer.
Taimyr, nördlichste Halbinsel des asiatischen Festlandes zwischen der Jenisseimündung und dem Chatangabusen, nach neuern Bestimmungen der schwedischen Polarexpeditionen zwischen 81 und 114° östl. L. v. Gr. gelegen. Ihre nördlichste Spitze ist das Kap Tscheljuskin unter 77° 36' 48'' nördl. Br. und 103° 17' 12'' östl. L. Die Halbinsel wird vom Taimyrfluß, welcher den großen, über 100 km breiten Taimyrsee durchfließt und sich in die Taimyrbucht ergießt, in zwei Halbinseln, eine größere östliche und eine kleinere westliche, geteilt und von dem in nordöstlicher Richtung streichenden Byrrangagebirge durchzogen, dessen östliche Teile Nordenskjöld auf 600-900 m Höhe schätzt. Die T. liegt jenseit der Baumgrenze, so daß auf ihr die verschiedenen Formen der Tundra (s. d.) in besonders charakteristischer Weise zur Entwickelung gelangen. Durchforscht wurde die T. zur Zeit der großen nordischen Expedition (1735-43) von Minin, Sterlegow, Prontschischew, Chariton, Laptew, Tschekin und Tscheljuskin; im J. 1843 drang v. Middendorff bis zur Taimyrbai vor, und 1878 ist dieser nördlichste Teil der Ostfeste von der Expedition der Vega umfahren worden.
Tain, 1) (spr. täng) Stadt im franz. Departement Drôme, Arrondissement Valence, am Rhône und an der Bahnlinie Lyon-Avignon, mit dem gegenüberliegenden Tournon durch zwei Hängebrücken verbunden, hat einen römischen Opferaltar, eine Kaltwasserheilanstalt, Seidenspinnerei, trefflichen Weinbau (auf dem Eremitagehügel) und (1881) 2150 Einw. - 2) (spr. tähn) Hafenstadt in der schott. Grafschaft Roß, am Dornoch Firth, mit Lateinschule und (1881) 1742 Einw.
Taine (spr. tähn), Hippolyte, angesehener franz. Schriftsteller, Philosoph und Kritiker, geb. 21. April 1828 zu Vouziers (Ardennen), erhielt seine Bildung am College Bourbon und an der École normale in Paris, studierte hierauf Philologie, um sich dem Lehrfach zu widmen, entsagte aber diesem Plan, nachdem er bereits durch seine beiden Abhandlungen: "De personis Platonicis" und "Essai sur les fables de Lafontaine" (1853, 11. Aufl. 1888) sich den Doktortitel erworben hatte, um sich ganz seinen wissenschaftlichen Forschungen hingeben zu können. Zwei seiner ersten Schriften, der von der Akademie gekrönte "Essai sur Tite-Live" (1854, 5. Aufl. 1888) und "Les philosophes francais du XIX. siècle" (1856, 6. Aufl. 1888), erregten bereits durch die Unabhängigkeit der darin ausgesprochenen Ansichten großes Aufsehen; noch mehr war dies der Fall mit seiner "Histoire de la littérature anglaise" (1864; 5. Aufl. 1886, 5 Bde.; deutsch, Leipz. 1877-78), die von seiten der orthodoxen und päpstlichen Partei einen wahren Sturm gegen den Verfasser erregte, weil man darin anti-spiritualistifche Grundsätze wahrzunehmen glaubte. Die Arbeit erhielt darum trotz ihres wissenschaftlichen Werts den akademischen Preis nicht. Als Entschädigung erhielt der Verfasser durch Vermittelung des Kaisers eine Professur der Geschichte und Kunstgeschichte an der Ecole des beaux-arts; auch wurde er 1878 an Lomenies Stelle zum Mitglied der Akademie erwählt. Von seinen sonstigen, übrigens von Paradoxien nicht immer freizusprechenden Schriften sind hervorzuheben : "Voyage aux eaux des Pyrénées" (1855, 11. Aufl. 1887); "Essais de critique et d'histoire" (1857, 3. Aufl. 1874) und "Nouveaux essais" (1865, 4. Aufl. 1886); "Notes sur Paris, ou Vie et opinions de Fred. - Thomas Graindorge", satirische Sittenbilder (6. Aufl. 1880); "Le positivisme anglais", Studien über St. Mill (1864) ; "Voyage en Italie" (1866, 6. Aufl. 1889); "Philosophie de l'art en Italie" (1866, 3. Aufl. 1877); "L'ideal dans l'art", Vorträge (1867); "Philosophie de l'art dans les Pays-Bas" (1868); "Philosophie de l'art en Grece" (1869); "De l'intelligence" (5. Aufl. 1888, 2 Bde.); "Notes sur l'Angleterre" (8. Aufl. 1886) u. sein Hauptwerk: "Les origines de la France contemporaine", das in 2 Teile: "L'ancien regime" (15. Aufl. 1887) und "La Revolution" (1878-84, Bd. 1-3; 16. Aufl. 1888), zerfallt. In demselben nimmt T. einen sehr selbständigen und vielleicht etwas paradoxen, aber auf ein ungeheures tatsächliches Material gestützten Standpunkt ein, der bei der demokratischen Schule großen Anstoß er
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Taiping - Takelung.
regt hat; er führt nämlich alle vorgeblichen Großthaten, Entdeckungen und Neuerungen der Revolution auf ältere Institutionen und Ideen zurück und bringt sie so in einen organischen Zusammenhang mit dem alten Königtum, wie ihn die Jünger Michelets und Louis Blancs nimmermehr zugeben wollen. Als Kunstschriftsteller ist T. in der Analyse der Kunstwerke unübertroffen.
Taiping, Name der Aufständischen in China 1849 bis 1866 (vgl. China, S. 19).
Taitsing, s. Tsing.
Taiwan, chines. Traktatshafen auf der Insel Formosa und Hauptstadt derselben, Sitz eines englischen Konsuls, welcher mit Vertretung der deutschen Interessen betraut ist, mit katholischer und evangelischer Mission, zählt einschließlich des nördlicher gelegenen Takao 235,000 Einw. Da Anping, der Hafen von T., nur eine offene, schlechte Reede ist, bewegt sich der Verkehr mit dem Ausland über Takao (s. d.).
Tajo (spr. tachho), einer der Hauptflüsse der Pyrenäischen Halbinsel, entspringt an der Grenze der span. Provinzen Guadalajara und Teruel, am Westabhang der Muela de San Juan, fließt in westlicher Hauptrichtung an Aranjuez, Toledo und Alcantara vorüber und erhält beim Übertritt nach Portugal, wo er reißend wird und den Namen Tejo annimmt, den Charakter eines Stroms. Unterhalb Salvaterra teilt er sich in zwei Arme, den westlichen Tejo novo und den östlichen Mar de Pedro, welche eine Art Delta, die Lezirias do Tejo, bilden. Alle Arme münden in die herrliche Bai von Lissabon, welche im W. durch die breite Entrada do Tejo mit dem Meer in Verbindung steht. Die regelmäßige Schiffahrt beginnt bei Abrantes, Barken gehen noch 50 km weiter hinauf; bei Santarem beginnt die Dampfschiffahrt, und von hier ab befahren ihn auch Seeschiffe. Die Länge des T. beträgt 912 km, der Quellabstand 675 km, das Stromgebiet 82,525 qkm (1498,8 QM.). Zuflüsse von rechts sind: Gallo, Jarama (mit Lozoya, Henares, Tajuna und Manzanares), Guadarrama, Alberche, Tiétar, Alagon, Ponsul, Zezere; von links: Guadiela, Almonte, Salor, Zatas uno Canha.
Taka, Längenmaß in Sansibar, à 2 Tobe à 2 Schucka à 2 War (s. d.).
Takao (Takeu), chines. Traktatshafen an der Südwestküste der Insel Formosa, südlich von Taiwan (s. d.), mit dem es nahezu ein zusammenhängendes Ganze bildet. In dem Hafen von T. verkehrten 1886: 190 Schiffe von 103,076 Ton., darunter 58 deutsche von 19,732 T. Die Einfuhr betrug 1887: 1,228,238, die Ausfuhr 585,789 Haikuan Tael.
Takazze (Setit), rechter Nebenfluß des Atbara (s. d.) in Abessinien.
Takel, in der Seemannssprache s. v. w. Flaschenzug.
Takelung (Takelage, hierzu Tafel "Takelung"), die gesamte Vorrichtung zum Anbringen und Handhaben der Segel auf einem Schiff: die Masten, Raaen, Segel und das Tauwerk mit seinen zugehörigen Blöcken (Rollen, Kloben). Von den Masten heißt der vordere der Fock-, der mittlere der Groß- und der hintere der Besahnmast, und alle Rundhölzer, Spieren, Segel und Taue, die an einem Mast geführt werden, werden mit den entsprechenden Beiwörtern gekennzeichnet. Bei den Takelungen mit zwei Masten fehlt bei der Brigg der Besahnmast, beim Schoner der Fockmast. Der Mast besteht nur bei kleinen Fahrzeugen seiner Länge nach aus einem Stück, auf Schiffen gewöhnlich aus drei Stücken. Von diesen ist das wichtigste der Untermast (Fig 1 I), welcher, mit seinem Fuß auf dem Kielschwein (s. Schiff, S. 455) stehend, durch alle Decke geht und mit 1/2-2/3 seiner Länge über das Oberdeck emporragt. Der hölzerne Untermast besteht aus dem innern Teil (Herz), welcher, wenn in der erforderlichen Länge vorhanden, aus Einem Stück gemacht wird, und den um dieses gruppierten Schalen, die zum Schutz und zur Verstärkung dienen und durch viele eiserne Ringe unter sich und mit dem Herzen zu einem Ganzen verbunden sind. Die Masten stehen nicht senkrecht zur Wasserlinie, sondern nach hinten geneigt, die vordern weniger, die hintern mehr. Durch Änderung der Neigung der Masten ist man im stande, die Lage des Segelschwerpunktes, d. h. des Druckmittelpunktes des Windes auf die Segel, zu modifizieren und dadurch die Segeleigenschaften des Schiffs zu verbessern. Unter dem obern Ende des Untermastes (Topp, II) ist derselbe durch zwei Kniee (III) verstärkt, auf denen die Längs- und Quersalingen (IV und V) ruhen. Auf letztern endlich ist der Mars (s. d., VI) verbolzt. Gestützt wird der Untermast nach vorn durch ein Stag (a) und nach hinten und den Seiten durch die Wanten (b b), starke Taue, welche mit einem Auge über den Topp des Mastes gestreift, mit dem andern Ende am Deck, resp in den Rüsten an der Schiffseite befestigt werden. Die Wanten werden nebenbei benutzt, um aufzuentern, d. h. in die T. zu klettern; sie sind dazu mit Querleinen, den sogen. Webeleinen, ausgewebt. Wanten sind allerdings, heißen darum aber keineswegs "Strickleitern". Die nächste und Hauptverlängerung des Mastes ist die Marsstenge (VII), welche mit ihrem Fuß mittels eines Schloßholzes (Riegels) auf den Längssalingen steht und weiter oben durch das Eselshaupt (VIII) an dem Untermast festgehalten wird; sie hat ebenfalls einen Topp (IX), Stagen (a' a') und Wanten (b' b'), außerdem Stütztaue nach hinten (Pardunen, c' c'). An ihrem Topp ist in derselben Weise (nur ein Mars fehlt) die zweite Verlängerung, die Bramstenge (X), durch ein Eselshaupt (XI) befestigt und durch Stagen (a'' a'''), Wanten (b'' b'') und Pardunen (c'' c'') gestützt. Ähnlich wie ein Mast, besteht auch das vorn am Bug befindliche, schräg liegende Bugspriet aus dem eigentlichen Bugspriet und seinen Verlängerungen, dem Klüver- und Außenklüverbaum, welche durch Bug-, Back- und Wasserstagen nach den Seiten und unten gestützt werden. Das bisher erwähnte Tauwerk heißt stehendes Gut zum Unterschied vom laufenden (s. d. und unten), welches seinen Namen daher hat, daß es über allerlei Rollen und durch Blöcke läuft, ehe es zur bequemen Handhabung auf dem Oberdeck bereit ist. Zum stehenden Gut benutzt man häufig Drahttauwerk, welches dauerhafter und widerstandsfähiger ist. An den Befestigungsstellen des stehenden Gutes auf dem Oberdeck und anderwärts sind stets Vorrichtungen vorhanden, um die Spannung in dem betreffenden Tau zu regulieren, resp. dasselbe nachzuspannen. Es sind dies meist sogen. Taljereeps, d. h. flaschenzugartige Apparate ohne Rollen, in neuerer Zeit auch Spannschrauben. Gegen Witterungseinflüsse wird das stehende Gut bekleidet und stark geteert, daher es schon äußerlich an seiner schwarzen Farbe zu erkennen ist. Das laufende Gut ist braun, wenn aus europäischem Hanf, oder fast weiß, wenn aus Manilahanf gefertigt. An dem Untermast, dicht unter dem Topp, hängt die Unterraa (1). Sie wird, wie jede andre Raa, nach oben durch Toppnanten (d) an ihren Nocken gestützt und mit Brassen (e) versehen, welch letztere sie in einer Horizontalebene drehen (anbrassen) können. An den Unterraaen sind die Untersegel (A A) befestigt, welche nach unten, also bis zum Oberdeck, gesetzt (ausge-
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Takelung der Seeschiffe.
I Untermast.
II Topp.
III Kniee.
IV Längssalingen.
V Quersalingen.
VI Mars.
VII Marsstenge.
VIII Eselshaupt.
IX Topp der Marsstenge.
X Bramstenge.
XI Eselshaupt der Bramstenge.
XII Leesegelspieren.
XIII Gaffel.
A Untersegel.
B Marssegel.
C Bramsegel.
D Oberbramsegel.
E Stagsegel.
F Gaffelsegel.
G Leesegel.
J Jungfern.
P Püttinj
a Stag.
a' Stenge
a'' Bramstengestag.
a'" Oberbramstengestag.
b Wanten,
b'b" Stengewanten.
c' Pardunen.
c"c,"' Bramstenge- }
Oberbramstenge- } Parduncn.
f ^Pferde^,
g Reefleinen.
1 Unterraa.
2 Marsraa.
3 Bramraa
4 Oberbramraa.
Fig. 9. Yawl.
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Takeu - Takowo-Orden.
spannt) werden. An der Marsstenge, dicht über dem Eselshaupt (VIII), befindet sich die Marsraa (2), aber zum Heißen (Aufziehen) mittels des Marsdrehreeps eingerichtet; an ihr ist das Marssegel (B B) befestigt, dessen Schoothörner (untere Zipfel) durch Taue, welche Schooten heißen, nach den Enden oder Nocken der Unterraa hin ausgeholt werden; es wird zuletzt die ganze Marsraa geheißt und dadurch das Segel gespannt. Wie die Marssegel, sind die Bram- und Oberbramsegel (C und D) an den Bram- und Oberbramraaen (3 und 4) eingerichtet. Die Taljen, resp. Taue, mit denen die Raaen geheißt werden, heißen Fallen. Sollen die Segel geborgen (eingezogen) werden, so werden sie mittels der Geitaue und Gordings zusammengeschnürt, dann gehen Matrosen auf die Raaen, um, in den Paarden (Pferden, f) stehend, das Segel aufzurollen und vollends festzubinden. Mars und Untersegel können auch verkleinert oder gerefft werden und sind dazu mit Reffleinen (g g) versehen, welche, im Segel befestigt, von demselben mehrere, gewöhnlich vier, Streifen (jeder = ein Reff) abteilen. Beim Reffen läßt man die Raa etwas herunter, dann ziehen Matrosen, welche auf der Raa verteilt sind, das Segel in die Höhe und befestigen die Reffleine auf der Raa. Etwas abweichend sind die Schratsegel eingerichtet. Die Normalstellung der bisher besprochenen Raasegel ist senkrecht zur Längsrichtung des Schiffs. die der Schratsegel liegt in derselben. Sie sind entweder Stagsegel (E E) oder Gaffelsegel (F F). Erstere sind dreieckig: an der obern Ecke, der Piek oder dem Fallhorn, ist das Fall (s. oben) befestigt; die untere, der Hals, sitzt fest an irgend einem Mastteil; die hintere, das Schoothorn, wird durch die Schoot gespannt. Zu den Stagsegeln gehört der Klüver. Gaffelsegel s. unten. Bei leichtem und günstigem Wind wird die Segelfläche durch die Leesegel (G G) vergrößert, dazu die Raaen durch Leesegelspieren (XII) verlängert, zwischen denen erstere ausgespannt werden. Man unterscheidet Unter-, Ober- und Bramleesegel, welche resp. die Unter-, Mars- und Bramsegel seitlich vergrößern.
Auf kleinern Schiffen ist die Schoner- oder Gaffeltakelung zweckmäßiger als die bisher besprochene Raatakelung, weil sie leichter zu bedienen ist, und weil mit derselben besser bei dem Wind (s. Segelmanöver) gesegelt werden kann. Jeder Mast hat hier nur ein trapezförmiges Hauptsegel, das an einer Gaffel (XIII) und am Mast selbst befestigt ist und, wie die Stagsegel, mit einer Schoot gesetzt wird. Über diesem kann ein zweites, das Gaffeltoppsegel, zwischen den Enden der Gaffel und des Mastes, der nur eine Stenge hat, angebracht werden (Fig. 7). Am Bugspriet kommt auch bei dieser T. noch eine Anzahl Stagsegel hinzu. Neuere und große Schiffe haben nicht selten eiserne Masten, welche von demselben Durchmesser wie hölzerne, aber hohl, nur inwendig stark verstrebt, gefertigt werden; zuweilen bestehen Untermast und Stenge aus einem Stück. Sie sind dauerhafter und, wo Hölzer von der erforderlichen Größe schwer zu beschaffen sind, auch billiger; Raaen stellt man aus demselben Grund zuweilen aus Stahlröhren her. Auf Kauffahrteischiffen sind doppelte Marsraaen und Patentmarsraaen vielfach in Gebrauch. Bei letztern kann man schnell, und ohne daß einer in die T. zu gehen braucht, reffen. Indem nämlich die Raa gefiehrt (herabgelassen) wird, dreht sie sich, mittels eines Zahnrades an der mit einer Zahnleiste versehenen Stenge herunterrollend, und wickelt dabei den obern Teil des Marssegels um sich selbst auf. Nach den verschiedenen Takelungen unterscheidet man bei den Seeschiffen: Voll- oder Fregattschiffe (drei Masten, alle mit Raatakelung, Fig. 2); Barken (drei Masten, Fock- und Großmast mit Raatakelung, Besahnmast Gaffeltakelung, Fig. 5); Schonerbarken (nur der Fockmast Raatakelung, Groß- und Besahnmast Gaffeltakelung, Fig.4); dreimastige Schoner (alle drei Masten Gaffeltakelung); Briggs (zwei Masten, beide mit Raaen, Fig. 3); Schonerbriggs (auch Voll- oder Raaschoner; Fockmast mit Raaen, Großmast mit Gaffeltakelung, Fig. 6); Schoner (beide Masten mit Gaffeltakelung, Fig. 7). Einmastige Schiffe mit Raaen gibt es nicht. Die kleinern (Küsten-) Fahrzeuge unterscheiden sich mehr nach ihrer Bauart, wie z. B. Kuff, Galjaß, Galjot, und führen dabei eine der vorerwähnten Takelungen mit geringen Abweichungen. Die Gesamtsegelfläche wird durch eine Zahl angegeben, deren Einheit der Flächeninhalt des größten Querschnitts des Schiffs unterhalb der Wasserlinie ist. Sie beträgt bei den großen modernen Kreuzern mit Dampfkraft 25-30, bei kleinern 30-40; bei den großen Segelschiffen einer vergangenen Periode 40-50, bei den kleinern 60. Hat man die Gesamtsegelfläche eines zu erbauenden Schiffs bestimmt, dann muß die T. so angeordnet werden, daß der Segelschwerpunkt, d. h. der Angriffspunkt der gesamten zur Wirkung kommenden Windkraft, eine auf dem Erfahrungsweg bestimmte Lage hat, nämlich etwas vor dem Schwerpunkt und hinter der Drehachse des Schiffs und in einer Höhe über der Wasserlinie, welche mit der Stabilität in Einklang steht. Liegt der Schwerpunkt der Segelfläche zu weit nach hinten, so wird das Schiff luvgierig, d. h. von der Seite kommender Wind wird bestrebt sein, den Bug des Schiffs dem Wind entgegenzudrehen. Liegt der Segelschwerpunkt zu weit nach vorn, so wird das Schiff leegierig. Etwas luvgierig müssen gute Seeschiffe sein. Über die T. der Boote s. Boot. Vgl. Sterneck, T. und Ankerkunde (Wien 1873); Bréart, Manuel de gréement (4. Aufl., Par. 1875), und die Litteratur bei Art. Seemannschaft.
Takeu, Stadt, s. Takao.
Takkaceen, monokotyle, nur 8-10 Arten umfassende, im tropischen Asien, Neuholland und Polynesien einheimische Pflanzenfamilie aus der Ordnung der Liliifloren, die zunächst mit den Dioskoraceen verwandt ist. Die T. wachsen an feuchten Stellen des Meeresufers und in den Bergwäldern des tropischen Asien, Afrika und der Inseln des Ozeans.
Takonisches System, eine von amerikanischen Geologen gebrauchte Bezeichnung sehr alter Gesteinsschichten, in seiner untern Abteilung mit der Huronischen Formation (s. d.) identisch, in der obern Abteilung mit den kambrischen Schichten (s. Silurische Formation) oder dem Untersilur der europäischen Geologen zu parallelisieren.
Takowo, Graf von, Name, den der frühere König Milan von Serbien nach seiner Abdankung (1889) annahm.
Takowo-Orden, serb. Zivil- und Militärverdienstorden, gestiftet von Milosch Obrenowitsch III., 1876 von Milan IV. erneuert und 15. (27.) Febr. 1878 mit Statuten versehen. Der Orden hat fünf Klassen: Großkreuze, Offiziersgroßkreuze, Kommandeure, Offiziere, Ritter. Die beiden ersten Klassen haben gleiche, nur durch die Größe unterschiedene Dekorationen, bestehend in einem grünen Lorbeerkranz, dessen Zweige in einer rot emaillierten Krone endigen, darauf liegend ein goldenes Andreaskreuz, in dessen Mitte die
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Taksim - Taktik.
Chiffer MO steht, von blauem Band umwunden, mit der Devise: "Für Glauben, Fürst und Vaterland"; dazu einen achtstrahligen, weiß emaillierten Stern mit dem Takowokrenz in der Mitte. Die erste Klasse trägt das Kreuz am Band über die Schulter, die zweite um den Hals, den Stern auf der Brust; die dritte Klasse trägt nur das Kreuz um den Hals, die vierte das Kreuz an einem im Dreieck zusammengelegten Band auf der Brust, die fünfte ein Kreuz ohne Email. Das Band ist rot mit blauen und weißen Randstreifen.
Taksim (arab.), in den orientalischen Städten das Reservoir der Wasserleitungen; auch s. v. w. musikalischer Vortrag, Phantasie.
Takt (ital. Tempo, franz. Mesure), die nach bestimmten Verhältnissen abgemessene Bewegung der Töne und Tonverbindungen in der Zeit. Der T. zerfällt in Taktteile, die hinsichtlich der Zahl je nach der Taktordnung verschieden sind, immer aber dazu dienen, die verschiedenen Töne, Tonfiguren etc. nach der Zeit zu messen. Die nächste Unterabteilung der Taktteile sind die Taktglieder, wie z. B. im Zweivierteltakt die Viertelnoten Taktteile, die Achtelnoten Taktglieder sind. Der Anzahl der Taktteile nach unterscheidet man zunächst eine zweiteilige und eine dreiteilige (gerade und ungerade) Taktordnung. Beide sind einfache Taktordnungen. Durch Zusammenziehung von je zwei Abschnitten der zweiteiligen entsteht die vierteilige, durch Zusammenziehung von je zwei Abschnitten der dreiteiligen die sechsteilige Taktordnung. Werden je drei Abschnitte der dreiteiligen Ordnung zusammengezogen, so entsteht die neunteilige und durch Zusammenziehung von vier Abschnitten der dreiteiligen die zwölfteilige Taktordnung. Sämtliche Taktordnungen von der vierteiligen an heißen zusammengesetzter T. Durch den Accent erhalten die Taktteile verschiedenen innern Wert. Hiernach unterscheidet man gute oder schwere Taktteile, welche den Accent haben (Thesis, Niederschlag), und schlechte oder leichte Taktteile, welche den Accent nicht haben (Arsis, Aufschlag). Aus der obigen Entwickelung der Taktordnungen ergibt sich, daß in der zweiteiligen und dreiteiligen der 1., in der vierteiligen der 1. und 3. Taktteil, in der sechsteiligen das 1. und 4., in der neunteiligen das 1., 4. und 7. und in der zwölfteiligen das 1., 4., 7. und 10. Taktglied den Accent haben müssen. Die Taktnoten zweiteiliger Ordnung sind: der Zweizweiteltakt (kleiner Allabrevetakt), dessen zwei Taktteile aus halben Noten bestehen und nur durch 2/2 bezeichnet werden; der Zweivierteltakt (2/4) und der Zweiachteltakt (2/8). Die dreiteilige Ordnung enthält den Dreizweitel- (3/2), den Dreiviertel- (3/4) und den Dreiachteltakt (3/8). Der vierteiligen Taktordnung gehören der Vierzweiteltakt (großer Allabrevetakt), bezeichnet durch (2/1), 2,2, der Viervierteltakt (gewöhnlich durch C bezeichnet) und der Vierachteltakt (4/8) an. In der sechsteiligen Ordnung sind der Sechsviertel- (6/4), Sechsachtel- (6/8) und der Sechssechzehnteltakt (6/16) zu nennen. Die neunteilige Ordnung enthält den Neunachteltakt (9/8), die zwölfteilige den Zwölfachteltakt (12/8) und den Zwölfsechzehnteltakt (12/16). Die jedesmalige Taktart wird mit den betreffenden Zeichen oder Ziffern, Taktzeichen genannt, am Anfang des Tonstücks bemerkt. Die Taktarten mit einer geraden Anzahl von Taktteilen nennt man gerade, die mit einer ungeraden Anzahl von Taktteilen ungerade Taktarten (Tripeltakt). Die durch den T. im Rhythmus gebildeten Abschnitte scheidet man durch die Taktstriche, welche das Liniensystem senkrecht durchschneiden. Im psychologischen Sinn bezeichnet T. das verständige Gefühl des Richtigen und Schicklichen oder die Fähigkeit, aus bloß äußerer Aufeinanderfolge rasch das innerlich wirklich Zusammengehörige zu erraten und passend anzuwenden, eine Eigenschaft, welche besonders dem Frauengeschlecht eigen ist und als "scheinbare Einfalt" sich von dieser durch Verständigkeit, vom wirklichen Verstande dagegen durch die Bewußtlosigkeit unterscheidet.
Taktieren, bei Aufführung eines Musikstücks mit einem Stab (Taktierstock) den Takt angeben. Die dabei üblichen Bewegungen sind konventionell feststehend und zwar im wesentlichen folgende: der erste Taktteil (Taktanfang) wird regelmäßig durch den Herunterschlag ^ angezeigt, die übrigen Schläge halten sich mehr unten, und der letzte geht nach oben ^. Ob der zweite Schlag von rechts nach links oder von links nach rechts geführt wird, ist einerlei. Die üblichsten Arten der Taktierung sind der zweiteilige Takt, der dreiteilige, vierteilige und der sechsteilige Takt (vgl. Takt). Man schlägt sie in folgender Weise:
Ein Crescendo wird gewöhnlich durch weiter ausholende Schläge anschaulich gemacht, während die Verkleinerung der Schläge ein Diminuendo andeuten soll; scharfe Accente, Sforzati etc. verlangt man durch kurze, zuckende Bewegungen, Veränderungen des Tempos (stringendo, ritardando) durch Zuhilfenahme der andern Hand, doch fangen hier bereits die individuellen Eigentümlichkeiten an. Die Dauer einer Fermate wird durch Stillhalten des Taktstocks in der Höhe angedeutet, ihr Ende durch eine kurze Hakenbewegung. Vgl. K. Schröder, Katechismus des Taktierens und Dirigierens (Leipz. 1889).
Taktik (griech., Aufstellungslehre, Fechtweise), Lehre von der Führung und dem Verhalten der Truppen auf dem Gefechtsfeld. Wenn die Strategie der Kriegführung Richtung und Ziele gibt, so ist die Anordnung zur Ausführung der Märsche, die Unterbringung und Sicherung der Truppen während der Ruhe wie die Durchführung der Gefechte die Aufgabe der T. Man unterscheidet eine niedere oder Elementartaktik, welche sich nur mit der Thätigkeit der taktischen Einheiten (Kompanie, Eskadron und Batterie) beschäftigt, und höhere T.. welche den Gebrauch der größern Truppenverbände lehrt. Die Vorschriften (Reglements) für Aufstellung, Bewegung und Gefecht der Truppenkörper ohne Rücksicht auf Kriegslage, Terrain und Feind bilden das Gebiet der reinen oder formellen T., die Anwendung dieser Formen im Terrain und dem Feind gegenüber das Gebiet der angewandten T. Vgl. v. Boguslawski, Die Entwickelung der T. von 1793 bis zur Gegenwart (2. u. 3. Aufl., Berl. 1873-85, 4 Bde.); v. Brandt, Grundzüge der T. (3. Aufl., das. 1859); v. Decker, Die T. der drei Waffen (3. Aufl., das. 1851-54, 2 Bde.); v. Griesheim, Vorlesungen über T. (3. Aufl., das. 1872); Meckel, Lehrbuch der T. (2. Aufl., das. 1873 ff.); Derselbe, Elemente der
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Taktmesser - Talent.
T. (2 Aufl., das. 1883); Pönitz, T. der Infanterie und Kavallerie (4. Aufl., Adorf 1859, 2 Bde.); Rüstow, Allgemeine T. (2. Aufl., Zürich 1868); Derselbe, Strategie und T. der neuesten Zeit (Stuttg. 1872-75, 3 Bde.); v. Lettow, Leitfaden der T. für die königlichen Kriegsschulen (6. Aufl., Berl. 1884); v. Verdy du Vernois, Studien über Truppenführung (das. 1873-75, 2 Tle.); Derselbe, Taktische Beispiele (das. 1880) ; v. Scherff , Von der Kriegführung (das. 1883).
Taktmesser (griech Metronom), einschwingendes Pendel mit verschiebbarem Gewicht und einer Skala, welche angibt, wie viele Hin- und Hergänge das Pendel in der Minute macht, je nachdem das Gewicht gestellt ist. Der T. dient zur genauen Bestimmung des Tempos, in welchem der Komponist sein Werk ausgeführt wissen will, und ist daher eine höchst bedeutsame Erfindung, da unser Allegro, Andante etc. doch Angaben von wenig Bestimmtheit sind. Der jetzt allgemein verbreitete T. ist der Metronom des Mechanikers Johann Nepomuk Mälzel (geb. 1772 zu Regensburg, gest. 1838 in Amerika), 1816 patentiert, doch eigentlich nicht Mälzels Erfindung, sondern die eines Mechanikus Winkel in Amsterdam. Auf ihn bezieht sich die seitdem übliche Bezeichnung von Kompositionen, z. B. M. M. ^ = 100 etc. (die Halben von der Dauer eines Pendelschlags, wenn das Gewicht auf 100 gestellt ist, d. h. 100 in der Minute). Vorausgegangen waren ihm ähnliche, mehr oder minder unvollkommene Versuche von Loulié, Stöckel u. a.
Taktstrich, s. Takt.
Taktvorzeichnuugen, die Bruchzahlen oder Zeichen, welche am Anfang der Tonstücke, unmittelbar hinter dem Schlüssel stehen und die Taktart derselben bezeichnen, als ^, ^. 3/4, 6/8 etc. Dieselben sind insofern ungenügend, als sie wohl die Zahl der Taktteile angeben, aber die eigentlichen Zählzeiten nicht immer deutlich genug hervorheben, wie z. B. die Vorzeichnung 6/4 nicht erkennen läßt, ob der Takt dreizählig (3/2) oder zweizählig (2/3) sein soll.
Taku, Befestigungen, welche den Eingang zum Peihofluß in Ch1na verteidigen, an welchem Peking liegt. Vgl. Tientsin.
Talanti (Atalanti), Stadt im griech. Nomos Phthiotis und Phokis, 6 km von der Meerenge von T., welche das griechische Festland von der Insel Negroponte (Euböa) scheidet, Sitz eines Bischofs, mit (1879) 1377 Einw.
Talar (lat.), zunächst als Haustracht der kathol. Geistlichen ein langer, gewöhnlich schwarzer Rock, der weit und faltenreich vom Hals bis auf die Füße hinabgeht, woraus sich später der T. als Amtskleid der evangelischen Geistlichen, der Gerichtspersonen etc. entwickelte.
Talar (pers.), eine längliche Halle, Vorhalle, auch Empfangssalon der Fürsten.
Talarien (lat.), die Flügelschuhe des Merkur.
Talaro, in Persien, Arabien etc. der Mariatheresienthaler, = 4,20 Mk.
Talassio (Talassus), röm. Hochzeitsgott, dem Hymenäos der Griechen entsprechend, gehörte zu den verschollenen Göttern und wurde nur im Refrain ("Talasse") des bei der Heimführung der Braut gesungenen Hochzeitsliedes angerufen. Spätere Deutung machte ihn zu einem beim Raub der Sabinerinnen beteiligten Genossen des Romulus.
Tala'ut, Gruppe kleiner ostind. Inseln, zwischen Celebes und den Philippinen, nordöstlich von den Sangirinseln, in administrativer Hinsicht zur niederländischen Residentschaft Menado auf Celebes gehörig. Die Inseln, deren bedeutendste Tulur (Karkelong), Salibabu und Kabruang heißen, sind sämtlich fruchtbar, gut bevölkert und angebaut.
Talavera de la Réina, Bezirksstadt in der span. Provinz Toledo, am Tajo, über den eine Steinbrücke mit 25 Bogen führt, und an der Eisenbahn Madrid-Lissabon, hat starke Töpferei (im 16.-18. Jahrh. Hauptfabrikationsort der nach T. benannten bemalten Fayencen), Wachszieherei und Bleicherei, eine große Messe (im August) und (1878) 10,029 Einw. Hier 27. und 28. Juli 1809 Sieg Wellingtons über die Franzosen unter König Joseph.
Talbot, John, s. Shrewsbury.
Talca, Provinz der südamerikan. Republik Chile, liegt zwischen dem Rio Mataquito und dem schiffbaren Rio Máule, reicht vom Stillen Ozean bis zum Kamm der Kordilleren u. umfaßt 9527 qkm (173 QM.) mit (1885) 133,472 Einw. Landbau und Viehzucht sind die Haupterwerbszweige. Gold kommt im Flußsand vor, die Ausbeute aber ist unbedeutend. Die Hauptstadt San Augustin de T., am Rio Claro, einem Nebenfluß des Máule, 83 m ü. M., hat eine schöne Kathedrale, eine höhere Schule, ein Hospital und (1875) 17,496 Einw., die lebhaften Handel und Handweberei (Ponchos) betreiben. Eine Eisenbahn verbindet Talca mit Santiago und Concepcion.
Talcahuana, Hafenstadt im südamerikan. Staat Chile, Provinz Concepcion, 20 km von der Hauptstadt, ist Sitz der Marinebehörden, hat ein Kriegsarsenal, Schiffwerfte, einen Molo, an dem die größten Schiffe anlegen können, und (1875) 2495 Einw. Die Einfuhr in den Hafen von T. betrug 1887: 5,492,628 Pesos, die Ausfuhr 5,504,767 Pesos.
Talch, s. Acacia, S. 74.
Talcium, s. v. w. Magnesium.
Talegalla, Huhn, s. Wallnister.
Taleman (schwed.), der Sprecher des Bauernstandes auf den schwedischen Reichstagen.
Talent (griech.), ausgezeichnete geistige oder auch körperliche Befähigung. In diesem Sinn spricht man von mathematischem, philosophischem, künstlerischem etc., aber auch technischem, mechanischem etc. T. Der innere Grund der Verschiedenartigkeit der einzelnen Talente ist, wie alles, was unter den allgemeinen Begriff der Anlage (s. d.) fällt, ein Problem der Psychologie. Der Unterschied des Talents vom Genie ist aber deshalb schwer festzustellen, weil das T. in seinen höchsten Entfaltungen sich dem Genie bis auf einen unmerklichen Abstand nähern kann. Im allgemeinen kann man sagen, daß dem Genie die schöpferische Ursprünglichkeit, mit der es sich seine eigne Bahn bricht und neue Wirkungskreise aufthut, daher unter günstigen Umständen der Kunst und Wissenschaft ganz neue Gebiete öffnet, als Eigentum zuzusprechen sei, während sich das T. an das Gegebene hält, das Vorhandene seinem Zweck gemäß zu benutzen und umzuformen weiß, aber weniger aus sich selbst produziert und auch weniger seinen eignen Weg geht. Vgl. Genie.
Talent (griech. tálanton), bei den Griechen die höchste Einheit für Gewicht und Geld, vorzüglich Silbergeld, war eingeteilt in 60 Minen à 100 Drachmen à 6 Obolen. Der Wert des Talents war zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Staaten verschieden. Das gewöhnlichste T. war das von Solon eingeführte kleine attische, welches stets gemeint ist, wenn T. ohne weitern Zusatz genannt wird. Dasselbe hielt dem Gewicht nach 26,2 kg, als Geldsumme nach den neuesten Berechnungen rund 4710 Mk. - Im jetzigen Griechenland ein Gewicht, = 150 kg
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Talfourd - Talisman.
Talfourd (spr. tälförd), Sir Thomas Noon, engl. Dichter, geb. 26. Jan. 1795 zu Doxey bei Stafford, widmete sich der juristischen Laufbahn, vertrat 1834 bis 1843 Reading im Parlament und machte sich hier durch das Einbringen und die Verteidigung der Copyright bill bekannt. 1849 wurde er zum Richter am Court of Common Pleas ernannt und starb 20. März 1854 während einer Anrede an den großen Gerichtshof zu Stafford. Berühmt wurde T. durch seine Trauerspiele ("Dramatical works", neue Ausg. 1852), deren erstes: "Ion", zugleich sein bestes, 1836 zur ersten Aufsührung kam. Außerdem schrieb er eine Anzahl politischer und belletristischer Werke, darunter: "The life of Charles Lamb" (neue Ausg. 1850. 2 Bde.) und "Vacation rambles and thoughts, recollections of three continental tours" (3. Aufl. 1851. Supplement 1854).
Talg (Unschlitt, Inselt), das Fett der Rinder, Schafe, Ziegen, Hirsche, ist farblos, riecht schwach eigentümlich, ist härter bei Trockenfütterung, im warmen Klima und bei männlichen Tieren, enthält durchschnittlich 75 Proz. Stearin und Palmitin und 25 Proz. Olein. Rindertalg schmilzt bei 43,5-45°, ist unlöslich in kaltem, schwer löslich in siedendem Alkohol; Hammeltalg ist härter, brüchig, fast geruchlos, schwer löslich in Alkohol, schmilzt bei 46,5-47,5°. Ziegentalg ist dem Rindertalg ähnlich, riecht aber stärker. über Hirschtalg s. d. Zur Gewinnung des Talgs erhitzt man das zerschnittene Fett (Talglinsen) unter Zusatz von einigen Prozenten Wasser unter beständigem Umrühren im kupfernen Kessel, schöpft das geschmolzene Fett ab und preßt endlich den Rückstand (Griefen, Grieben) aus. Vorteilhafter schmelzt man die Linsen mit Dampf unter Zusatz von etwa 1 Proz. Schwefelsäure in hölzernen, mit Blei ausgeschlagenen Bottichen, bedeckt, um die übelriechenden Dämpfe abzuleiten, die Kessel und bringt ein mit der Feuerung in Verbindung stehendes Ableitungsrohr an, welches zur Verteilung der Dämpfe mit einem Sieb endigt. Die Ausbeute beträgt 75-92 Proz. und ist im allgemeinen beim Schmelzen mit Dampf größer als beim trocknen Schmelzen. Zur Reinigung wird der T. wiederholt mit 5 Proz. Wasser, auch mit Alaun-, Salz- oder Salpeterlösung umgeschmolzen, in kaltes Wasser gegossen und in Spänen an der Sonne gebleicht. Auch durch Schmelzen mit etwa 1 Proz. Braunsteinpulver, 2 Proz. Schwefelsäure und 30 Proz. Wasser, Abgießen, Versetzen mit 1 Proz. Oxalsäure und abermaliges Abgießen kann T. gebleicht werden. Zum Härten schmelzt man T. mit 0,5 Proz. Schwefelsäure und 0,5 Proz. Salpetersäure, wäscht aus und erhitzt bis zum Verdunsten des Wassers, oder man rührt 0,007 Proz. Bleizucker in das geschmolzene Fett ein. Man kann auch geschmolzenen T. auf 20-25° abkühlen lassen und das flüssig gebliebene Olein abpressen. Das abgepreßte breiförmige Talgöl dient zur Darstellung von Kunstbutter. Die größte Menge T. liefert Rußland, im Süden mehr Hammeltalg (weißer T.), im Norden hauptsächlich Rindertalg (gelber T.). Je nach der Reinheit und Konsistenz unterscheidet man auch Lichtertalg und Seifentalg, welch letzterer namentlich aus Sibirien kommt. Auch Polen, Holland und Dänemark liefern viel und guten T., welcher, wie die inländische Produktion, in Deutschland dem russischen vorgezogen wird. Neuerdings wird auch T. aus Australien und den La Plata-Staaten zugeführt. Man benutzt T. als Nahrungsmittel, zu Kerzen, zur Darstellung von Stearinsäure und Seife, in der Lederbereitung, zu Schmiermitteln etc.
Talg, vegetabilischer, starres Pflanzenfett von höherm Schmelzpunkt und der Zufammensetzung der echten Fette. Chinesischer Talg, aus der festen Fettschicht, welche die Samen von Stillingia sebifera umgibt, in China, Ost- und Westindien durch Schmelzen und Abpressen gewonnen, ist farblos oder grünlichweiß, ziemlich hart, schmilzt bei 37-44°, besteht aus Stearin und Palmitin, reagiert sauer durch einen Gehalt von Essigsäure und Propionsänre, dient in China und England zur Darstellung von Kerzen und Seifen. Vateriatalg (Pineytalg), aus den Samen der ostindischen Vateria indica durch warmes Pressen gewonnen, ist gelblich, später farblos, riecht schwach angenehm, schmilzt bei 36,4°, besteht aus festen Fetten und freien Fettsäuren und enthält 2 Proz. fettes Öl, dient in England zur Kerzenfabrikation. Virolafett, aus den Samen von Virola sebifera in Guayana durch Auskochen und Pressen gewonnen, ist gelblich, innen oft bräunlich mit punktförmigen Kristallaggregaten, riecht frisch nach Muskatbutter, wird bald ranzig, schmilzt bei 44°, vollständig bei 50°, ist nur teilweise verseifbar, dient zur Kerzen- und Seifenfabrikation. Myricawachs (Myrtle-, Myrtenwachs), aus den Beeren von Myrica cerifera und M. carolinensis in Nordamerika, M. caracassana in Neugranada und M. quercifolia, cordifolia, laciniata am Kap durch Auskochen mit Wafser gewonnen, ist grünlich, riecht sehr schwach balsamisch, schmilzt bei 42,5-49°, besteht aus Fetten, wird wie Bienenwachs und mit diesem gemengt verwendet. Japanisches Wachs, aus den Samen von Rhus succedanea in China und Japan durch warmes Pressen gewonnen, ist blaßgelblich, wachsartig, nach längerm Liegen außen gelb bis bräunlich mit schneeweißem Anflug, schmilzt bei 52-53°, besteht wesentlich aus Palmitin und ist von allen vegetabilischen Talgarten die wichtigste. Es kommt seit 1854 aus Japan und Singapur, zum Teil über China, in großen Mengen nach Europa und Amerika und wird zur Kerzenfabrikation und wie Bienenwachs, auch mit diesem gemengt benutzt. Über die Bassiafette (Schibutter, Galambutter etc.) s. Bassia.
Talgbaum, mehrere festes Pflanzenfett liefernde Pflanzen, namentlich: Stillingia sebifera, Vateria indica, Myrica cerifera.
Talgdrüsen, s. Hautdrüsen.
Talglichte, s. Kerzen, S. 696.
Talgsäure, s. v. w. Stearinsäure.
Talgstoff, s. v. w. Stearin.
Talha, s. Acacia, S. 74.
Talhaka, König, s. Tirhaka.
Talifu, Stadt in der chines. Provinz Jünnan, deren Bewohner als Hauptbeschäftigung die Bearbeitung von Marmorplatten betreiben, welche bei dem Dorf Tiensing gebrochen werden, und die sich durch ihr wunderbares Farbenspiel auszeichnen. Es war nach 1857 Hauptstadt der aufständischen muselmanischen Panthai, bis es Ende 1872 wieder von den Chinesen eingenommen wurde.
Talion [Dehnungsstrich auf dem o] (lat.), Vergeltung einer Handlung durch eine gleiche; daher Jus talionis, das Recht der Wiedervergeltung; Poena talionis, die Strafe der Vergeltung, die in den ältern germanischen Rechten sowie bei den Griechen und Römern üblich war.
Talipes (lat.), der Klumpfuß.
Talisman, Bild von Metall oder Stein, welchem die Kraft innewohnen soll, denen, die es tragen, oder in und an deren Wohnungen es sich befindet, Schutz gegen Krankheit und Zauberei zu gewähren sowie überhaupt Glück zu bringen. Diese magischen Bilder
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Talismanexpedition - Talleyrand.
mit der Metallreligion der alten Akkadier zusammenhängend, waren besonders im alten Babylon und Ninive im Gebrauch, woselbst kein Gebäude ohne schützendes Bild (meist Zwittergestalten von Göttern, Menschen und Tieren) gebaut wurde. Auch in den arabischen Erzählungen spielt der T. eine wichtige Rolle. Ähnliche Dinge waren die Skarabäen der Ägypter, die Abraxasgemmen der Gnostiker (s. Abraxas), die Alraunen und der Allermannsharnisch des Mittelalters, die Siegessteine der Wielandsage und die meist nur mit magischen Zeichen und Sprüchen beschriebenen Amulette (s. d.). Das Wort T. findet sich in fast allen europäischen Sprachen und wird aus das arabische tilsam (Zauberbild, Plural tilsamât oder talâsim) zurückgeführt. Vgl. Lenormant, Die Magie und Wahrsagekunst der Chaldäer (deutsch, Jena 1878); Fischer und Wiedemann, Babylonische Talismane (Stuttg. 1881).
Talismanexpedition, 1883, s. Maritime wissenschaftliche Expeditionen, S. 285.
Taliter qualiter (lat.), so gut es eben geht.
Talith (hebr.), der vom Gesetz (4. Mos. 15, 37 ff.) gebotene shawlförmige Gebetmantel der Juden.
Talje, im Seewesen s. v. w. Flaschenzug; das bei der T. zur Anwendung kommende Tau heißt deren Läufer; das an dem einen Block der T. befestigte Ende des Läufers die feste Part, das andre Ende desselben die lose oder die holende Part. Um auf die holende Part eine Zugkraft ausüben zu können, ist es meist erforderlich, deren Richtung durch einen sogen. Leitblock zu verändern; der Klappläufer ist ein Leitblock, dessen obere Backe zum Aufklappen eingerichtet ist, so daß der Taljenläufer direkt auf die Scheibe des Leitblocks gebracht werden kann.
Taljereeps, s. Takelung, S. 495.
Talk, Mineral aus der Ordnung der Silikate (Talkgruppe), kristallisiert wahrscheinlich rhombisch, zeigt nur selten tafelförmige Kristalle, bildet gewöhnlich schalige, blätterige, schieferige, auch dichte, weiße, grünliche oder gelbliche, selten farblose Aggregate. T. ist in dünnen Lamellen durchsichtig, besitzt Perlmutter- oder Fettglanz, ist sehr mild und fühlt sich fettig an. Härte 1, spez. Gew. 2,69-2,80. Der chemischen Zusammensetzung nach ist T. mit Speckstein (s. d.) identisch und entspricht, wie dieser, der chemischen Formel H2Mg3Si4O12. Oft tritt auch etwas Eisen und Aluminium in die Zusammensetzung ein. T. ist ein häufiges Mineral, bildet als Talkschiefer (s. d.) ein einfaches Gestein, kommt aber auch untergeordnet auf Lagern, Nestern, Gängen, im Gemenge mit andern Mineralspezies, ferner als Überzug vor. Hauptfundorte sind: Tirol, Steiermark und die Schweiz. Er dient, ähnlich wie Speckstein, als Maschinenschmiere, als Poliermaterial für weiche Gegenstände, in der Schminkebereitung etc.
Talkeisenstein, s. Magneteisenerz.
Talken, böhm. Hefengebäck aus Butterteig in Kloßform, wird mit Pflaumenmus bestrichen, mit zerriebenem Pfefferkuchen bestreut und mit zerlassener brauner Butter begossen.
Talkerde, s. Magnesia.
Talkhydrat, s. Brucit.
Talkschiefer, einfaches Gestein, schieferiger Talk von unreinen weißen, gelblichweißen, grünlichgrauen und lichtgrünen bis ölgrünen Farben, von fettigem Glanz und großer Weichheit beim Anfühlen. Er kommt dünn und dickschieferig, als reines Talkgestein, aber auch mit Quarz und Feldspat gemengt vor. Er bildet Übergänge, namentlich zu Chloritschiefer. Als accessorische Bestandteile enthält er: Glimmer, Chlorit, Magneteisen, Strahlstein, Cyanit, Staurolith, Turmalin, Granat, Asbest, Magnesit, Bitterspat, Eisenkies, Gold. Er ist ein Glied der huronischen Formation und meist dem Glimmerschiefer untergeordnet, in welchem er dann oft mit Chloritschiefern, Hornblendegesteinen, oft auch in Verbindung mit Serpentin auftritt. Mit Chlorit oder mit diesem und Asbest innig gemengt, bildet er ein dichtes Gestein, den Topfstein (s. d.). Im ganzen von beschränkter Verbreitung, tritt der T. auf in den Alpen, so im Montblanc- und Monte Rosa-Gebirge, in Graubünden und Oberitalien, in den Tauern und am Bachergebirge, im Apennin, in Schweden, sehr ausgedehnt im Ural, in Nordamerika, in Brasilien, hier die Lagerstätte der Topase, des Euklases, sehr beschränkt im Fichtelgebirge, als Topfstein in Graubünden, bei Chiavenna (Lapis comensis). Wegen seiner Feuerfestigkeit benutzt man T. zu Gestellsteinen.
Talkspat, s. Magnesit.
Tallahassee, Hauptstadt des nordamerikan. Staats Florida, mit Staatenhaus und (1880) 2293 Einw. T. wurde erst 1824 angelegt. Am 7. Jan. 1861 wurde hier die Sezessionsordinance angenommen.
Tallart (spr. -lar), Camille, Graf von, Herzog von Hostun, Marschall von Frankreich, geb. 14. Febr. 1652 in der Dauphiné, focht zuerst unter dem großen Conde in den Niederlanden, dann 1674 und 1675 unter Turenne im Elsaß und 1678 als Marechal de Camp am Rhein. 1690 überschritt er, um den Rheingau zu plündern, den Rhein auf dem Eis. Im spanischen Erbfolgekrieg kommandierte er 1702 ein Korps am Rhein unter dem Oberbefehl des Herzogs von Burgund. 1703 erhielt er den Marschallsstab, eroberte Breisach, belagerte Landau und schlug den zum Entsatz herbeirückenden Prinzen von Hessen bei Speier. 1704 führte er dem Kurfürsten von Bayern 35,000 Mann Hilfstruppen zu, um mit ihm gemeinschaftlich in Österreich einzudringen, fiel aber in der Schlacht bei Höchstädt in englische Gefangenschaft. Nach seiner Befreiung (1712) erhielt er den Herzogstitel, 1715 die Pairswürde. Seitdem lebte er den Wissenschaften und der Staatskunst. In seinem Testament ernannte ihn Ludwig XIV. zum Mitglied des Regentschaftsrats, allein der Herzog von Orléans vollzog als Regent diese Bestimmung nicht. 1724 erwählte die Akademie der Wissenschaften T. zu ihrem Präsidenten. Von Ludwig XV. 1726 zum Staatsminister ernannt, starb er 20. März 1728.
Talleyrand (spr. tall'rang), altes franz. Geschlecht, stammt von einem Zweig der Grafen de la Marche, der sich in die Linien Périgord, welche 1400 erlosch und T. (so benannt nach einem Gut in Périgord) teilte. Der erste Graf von T. war Hélier (um 1100). Die drei Linien der Talleyrands stammen ab von Daniel Marie Anne, Marquis von T., Fürsten von Chalais, welcher 1745 bei der Belagerung von Tournai blieb und fünf Söhne hinterließ. Der Stifter der ersten Linie war Gabriel Marie von T., der von Ludwig XV. den Titel eines Grafen von Périgord zurückerhielt. Sein Enkel Augustin Marie Elie Charles, Fürst von T., Herzog von Périgord, geb. 10. Jan. 1788, diente unter Napoleon I., ward unter den Bourbonen zum Obersten befördert und starb 11. Juni 1879. Mit seinem Sohn, dem Fürsten Elie Roger Louis von T., Herzog von Périgord (geb. 23. Nov. 1809), erlosch die Linie 1883. Der Stifter der zweiten Linie war Charles Daniel von T., gest. 1788. Dessen Sohn war der berühmte Diplomat (s. unten). Jetziger Chef derselben ist Napoléon Louis, Herzog von T.-